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BFH-Urteil vom 12.5.1993 (II R 2/90) BStBl. 1993 II S. 587

Der bei Veräußerung aller Anteile an einer Kapitalgesellschaft erzielte Kaufpreis läßt keine Rückschlüsse auf die im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens festzustellenden Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter zu.

BewG 1965 (vor Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992, BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) §§ 10, 98 a, 109.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, ist Rechtsnachfolgerin der Gewerkschaft G und 1985 durch Umwandlung aus dieser Gewerkschaft entstanden. Bei G handelte es sich um eine bergrechtliche Gewerkschaft. Die Kuxe gehörten zu je 50 v. H. den durch ein Konsortium verbundenen Partnern A, einem Unternehmen der B Gruppe, und der C AG, einem Unternehmen der D Gruppe. Der Konsortialvertrag vom 10./20. November 1973 bestimmte, daß die Partner zusammenarbeiten und in Gewerken, Versammlungen, Aufsichtsrat und in anderen gemeinschaftlichen Beschlußorganen entsprechend abstimmen würden. Die im Konsortium zusammengeschlossenen Gesellschaften (Konsorten) hatten das Recht, die Produktionskapazitäten bei G hälftig zu nutzen; zwischen ihnen und G bestand ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag. G erwirtschaftete in den Jahren 1980 bis 1983 Gewinne zwischen 6,074 Mio DM (1980) und 25.000 DM (1983), weil die Konsorten für eine Kapitalverzinsung zu sorgen und den Aufwand für die Produktion zu erstatten hatten. Den Konsorten sind durch den Vertrieb der G-Produkte von 1981 bis 1983 Verluste i. H. von 44,187 Mio DM bzw. 39,353 Mio DM entstanden.

Mit Ablauf des Jahres 1983 verkauften die A sowie die C AG ihre Anteile an G an die D AG zum Preis von jeweils 11 Mio DM. G bzw. die Klägerin haben von 1984 bis 1988 Verluste von über 200 Mio DM erwirtschaftet. Ende 1987 wurde beschlossen, den Betrieb der Klägerin bis 1990 schrittweise einzustellen.

In den Jahren 1983 bis 1985 fand bei G eine Außenprüfung statt. Dabei beantragte G, die Einheitswerte des Betriebsvermögens für die Stichtage 1. Januar 1982 bis 1. Januar 1984 unter Berücksichtigung des Kaufpreises für die Anteile von 22 Mio DM festzustellen. Für das bewegliche abnutzbare Anlagevermögen ergäben sich aus dem Gesamtkaufpreis für das Unternehmen entsprechend niedrigere Teilwerte. Die Außenprüfung folgte den Anträgen der G nicht, sondern ermittelte die Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter nach Abschn. 52 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1980 bzw. 1983.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ daraufhin am 27. November 1985 entsprechend geänderte Einheitswertbescheide des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1982 und 1. Januar 1983, sowie am 4. Dezember 1985 einen Einheitswertbescheid des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984.

Mit Einspruch und Klage, die ohne Erfolg blieben, verfolgte die Klägerin ihren während der Außenprüfung gestellten Antrag auf Herabsetzung der Einheitswerte weiter. Bei der Ermittlung der Teilwerte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter sei von dem Gesamtkaufpreis des Unternehmens, d. h. dem Kaufpreis aller Anteile zzgl. übernommener Schulden und Lasten auszugehen. Als Teilwert des abnutzbaren Anlagevermögens ergebe sich daraus ein Betrag von 8,922 Mio DM. Der Einheitswert des Betriebsvermögens betrage deshalb nur 39,549 Mio DM.

Auch für die beiden vorangegangenen Stichtage zum 1. Januar 1983 und 1. Januar 1982 sei von einem Teilwert für das abnutzbare Anlagevermögen in Höhe von 8,922 Mio DM auszugehen, denn die Verhältnisse auf dem Düngemittelmarkt hätten zu diesen beiden Stichtagen denen zum 1. Januar 1984 entsprochen.

Während des Klageverfahrens ist der Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1984 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert worden. Der geänderte Bescheid wurde auf Antrag der Klägerin gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens.

Das Finanzgericht (FG) hat in seinem Urteil die Auffassung vertreten, das FA habe bei der Einheitsbewertung des Betriebs der Klägerin zutreffend die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit den nach Abschn. 52 VStR ermittelten Teilwerten angesetzt. Der Klägerin sei es nicht gelungen, die auf den Anschaffungs- und Herstellungskosten basierenden Teilwertvermutungen zu entkräften.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt fehlerhafte Anwendung der §§ 98 a, 109 Abs. 1, § 10 des Bewertungsgesetzes in der an den Stichtagen 1. Januar 1982, 1983 und 1984 maßgebenden Fassung (BewG). Das FG habe zu Unrecht die Berücksichtigung des Kaufpreises von 22 Mio DM für den Erwerb sämtlicher Anteile an der Klägerin durch die D schon dem Grunde nach ausgeschlossen. Vielmehr ergebe sich aus der Höhe des gezahlten Kaufpreises, daß die vom FA ermittelten Teilwerte erheblich zu hoch seien. Die Teilwertvermutung sei erschüttert worden. Angesichts des erheblichen Unterschiedes zwischen dem Kaufpreis (22 Mio DM) für die Anteile an der Klägerin, bei dem es sich um einen Marktpreis handele, sowie dem vom FA und FG errechneten Einheitswert (1984: 80,292 Mio DM) könnten die angesetzten Teilwerte nicht richtig sein. Im Sinne des Grundsatzes "Marktpreis geht vor Schätzung" gelte dies auch für die Stichtage 1. Januar 1982 und 1. Januar 1983.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Münster vom 19. Oktober 1989 III-IX 4624/86 EW aufzuheben und die Einheitswerte des Betriebsvermögens wie folgt festzusetzen:

1. Januar 1984:

39.549.000 DM

1. Januar 1983:

46.926.000 DM

1. Januar 1982:

44.273.000 DM.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG ist ohne Rechtsverstoß zu der Auffassung gelangt, daß die vom FA im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin auf der Grundlage von Abschn. 52 VStR ermittelten und zu den streitigen Stichtagen angesetzten Teilwerte der Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens nicht überhöht sind und insbesondere durch die Höhe des Veräußerungspreises der Geschäftsanteile der Klägerin die Teilwertvermutung nicht widerlegt ist.

1. Die Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens sind bei der Feststellung des Einheitswerts für den gewerblichen Betrieb der Klägerin gemäß § 109 BewG mit dem Teilwert anzusetzen. Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens - dessen Fortführung unterstellt - im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde (§ 10 BewG). Dabei wird vermutet, daß dieser Wert den um die Absetzungen für Abnutzung (AfA) verminderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten entspricht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Mai 1988 III R 151/86, BFHE 153, 566, BStBl II 1989, 269, und vom 30. November 1988 II R 237/83, BFHE 155, 140, BStBl II 1989, 183). Der Teilwert deckt sich in der Regel mit den Wiederbeschaffungskosten oder Wiederherstellungskosten für ein Wirtschaftsgut gleicher Art und Güte am Bewertungsstichtag (vgl. BFH-Urteil vom 8. Mai 1981 III R 26/79, BFHE 133, 567, BStBl II 1981, 702). Auch wenn § 10 BewG an den Gesamtkaufpreis des ganzen Unternehmens anknüpft, ist dessen Kenntnis für die Ermittlung des Teilwerts eines Wirtschaftsguts nicht unerläßliche Voraussetzung (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1973 III R 88/69, BFHE 109, 63, BStBl II 1973, 475); denn die Legaldefinition des Teilwerts basiert auf der Vermutung, daß der gedachte Erwerber, der das Unternehmen fortführen will, für das einzelne Wirtschaftsgut höchstens so viel zahlen würde, als er an Kosten aufwenden müßte, um dieses Wirtschaftsgut, falls es fehlte, wiederzubeschaffen. Sind solche Wirtschaftsgüter - wie im Streitfall - nach technischer Ausstattung, Leistung und Größe dergestalt auf den individuellen Produktionsprozeß ausgerichtet, daß sie in ihrer Art einmalig sind und keinen Marktpreis haben, dann wird vermutet, daß deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten vom Bewertungsstichtag abzüglich etwaiger Abschreibungen dem Teilwert entsprechen. Behauptet der Steuerpflichtige einen unter diesen Kosten liegenden Teilwert, so hat er diese aus den Erfahrungen des Wirtschaftslebens gewonnene Vermutung zu widerlegen und darzutun, welche Umstände die Annahme eines unter den Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegenden Teilwerts rechtfertigen (vgl. ständige Rechtsprechung: vgl. BFH-Urteile vom 8. Mai 1981 III R 109/76, BFHE 133, 572, BStBl II 1981, 700; III R 26/79, BFHE 133, 567, BStBl II 1981, 702; in BFHE 153, 566, BStBl II 1989, 269, und BFHE 155, 140, BStBl II 1989, 183).

2. Einen solchen Nachweis hat die Klägerin nicht geführt. Der bei Veräußerung aller Anteile erzielte Kaufpreis läßt keine Rückschlüsse auf die im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens festzustellenden Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter zu.

a) Aus dem von der D für den Erwerb aller Anteile an der Klägerin gezahlten Kaufpreis in Höhe von 22 Mio DM kann nicht auf den im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Marktpreis für das ganze Unternehmen geschlossen werden. Denn bereits vor dem Erwerb aller Kuxe war die D als Konzernmutter über die C AG, die 50 v. H. der Kuxe hielt, - zumindest mittelbar - an der G beteiligt. Es liegt deshalb allenfalls in Höhe der weiteren 50 v. H. der Kuxe, nämlich hinsichtlich des Erwerbs der Kuxe der A ein Anteilserwerb von einem Geschäftspartner außerhalb des Konzernverbundes der D vor. Gleichwohl kann auch insoweit nicht von einem Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr gesprochen werden, weil Bindungen aufgrund des Konsortialvertrages vom 12./20. November 1973 bestanden, die die Partner zu einer weitgehenden Zusammenarbeit und Interessenabstimmung verpflichteten, und diese Bindungen erst aufgrund des Erwerbs durch die D entfielen.

Steht aber nicht fest, daß der vereinbarte Kaufpreis für den Erwerb aller Anteile an einer Gesellschaft nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage zustande gekommen ist, ist dieser generell nicht geeignet, Rückschlüsse auf den Marktwert des ganzen Unternehmens zuzulassen.

b) Selbst wenn ein auf der Grundlage der Anteilsveräußerung ermittelbarer Marktwert für das ganze Unternehmen der Klägerin vorläge, wäre ein solcher nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Wiederbeschaffungskosten für die Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens zuzulassen und die Teilwertvermutung zu widerlegen. Das FG verweist insoweit zutreffend darauf, daß die Bewertung des Betriebsvermögens nach § 98 a BewG eine Einzelbewertung und keine Gesamtbewertung ist. Daran ändert die Teilwertdefinition in § 10 BewG nichts, auch wenn dort der Gesamtkaufpreis des Unternehmens angesprochen wird. Vielmehr wird hierdurch lediglich klargestellt, daß die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens unter Berücksichtigung der Tatsache (einzeln) zu bewerten sind, daß sie Teil einer wirtschaftlichen Einheit sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 140, BStBl II 1989, 183). Aus dem Hinweis auf den gedachten Gesamtkaufpreis für ein Unternehmen, der auch durch Ertragserwartungen beeinflußt wird, folgt nicht, daß der Teilwert der einzelnen Wirtschaftsgüter durch deren kapitalisierten Beitrag zum Erfolg des Unternehmens bestimmt wird. Vielmehr ist der Teilwert der einzelnen Wirtschaftsgüter unabhängig von den (positiven oder negativen) Ertragsaussichten des Unternehmens zu bestimmen, so daß der im Einzelfall zufällig bekannte, in der Regel durch die Ertragserwartungen maßgeblich geprägte Wert der ganzen wirtschaftlichen Einheit zum Bewertungsstichtag nicht geeignet ist, Rückschlüsse auf die im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens festzustellenden Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter zuzulassen.

Soweit sich die Klägerin darauf beruft, für den Bereich der Ertragsteuern werde der Gesamtkaufpreis für ein Unternehmen grundsätzlich für geeignet angesehen, Schlüsse auf den (Teil-)Wert der Wirtschaftsgüter des Betriebs zu ziehen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 24. März 1983 IV R 138/80, BFHE 139, 361, BStBl II 1984, 233), übersieht sie, daß der entgeltliche Unternehmenserwerb, mit dem es die Ertragsteuer im Gegensatz zum Bewertungsrecht in der Regel zu tun hat, durch die Besonderheit gekennzeichnet ist, daß ein - auch an den Ertragsaussichten orientierter - Kaufpreis tatsächlich vorhanden ist, der dann auf die einzelnen Wirtschaftsgüter (einschließlich der stillen Reserven und des Geschäftswerts) verteilt werden muß. Bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens fehlt in aller Regel ein solcher Erwerbspreis. Dies ist der Grund, weshalb bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Grundsatz der Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter gilt. Demnach ist für das Bewertungsrecht die Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens nach betriebswirtschaftlichen Ertragswertmethoden über den Gesamtwert des Unternehmens ausgeschlossen.

Auch der Hinweis der Klägerin auf das Senatsurteil vom 12. August 1987 II R 225/84 (BFHE 150, 291, BStBl II 1987, 703) vermag nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen, weil es sich um nicht vergleichbare Sachverhalte handelt. Der Rückschluß vom Kaufpreis für den Erwerb aller Kommanditanteile auf den Wiederbeschaffungswert des Seeschiffes war nämlich in dem seinerzeit entschiedenen Fall nur möglich und zulässig, weil es sich bei dem Seeschiff um das einzige nennenswerte Wirtschaftsgut der KG gehandelt hat und keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß in dem Anteilskaufpreis ein den Ertragsaussichten entsprechender Geschäftswert enthalten war. Demgegenüber geht es im Streitfall um die Bewertung einer Vielzahl von unterschiedlichen Wirtschaftsgütern, deren Wiederbeschaffungswerte aus dem Preis für die Anteile an dem Unternehmen schon deshalb nicht abgeleitet werden können, weil der von der D gezahlte Kaufpreis für die Kuxe nach den Feststellungen des FG, die insoweit auf dem Vortrag der Klägerin beruhen, maßgeblich durch die negativen Ertragsaussichten bei der Klägerin beeinflußt worden ist. Damit genügt der Hinweis auf den von einem Anteilskauf abgeleiteten Marktpreis des Unternehmens zur Erschütterung der Teilwertvermutung nicht, vielmehr ist es - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - erforderlich, konkret zum Wert der am Stichtag vorhandenen Wirtschaftsgüter substantiiert Stellung zu nehmen.

3. Da es der Klägerin bereits nicht gelungen ist, für den mit dem Anteilserwerb zusammenfallenden Bewertungsstichtag 1. Januar 1984 unter Hinweis auf den Anteilskaufpreis substantiiert darzulegen, daß die Teilwerte der Wirtschaftsgüter unter deren Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten liegen, und damit die Teilwertvermutung zu widerlegen, gilt dies erst recht für die Bezugnahme auf den Anteilskaufpreis hinsichtlich der weiteren streitigen Stichtage 1. Januar 1983 und 1. Januar 1982.