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  BFH-Urteil vom 16.4.1993 (VI R 6/89) BStBl. 1993 II S. 640

Trägt der Arbeitgeber die Kosten einer von ihm angeordneten Auslandsreise des Arbeitnehmers, so ist ein - die Zuwendung von Arbeitslohn ausschließendes - überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers besonders darzulegen, wenn die Reise auch touristische Aspekte aufweist.

EStG § 19 Abs. 1; LStDV § 2 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Geschäftsführer und Marketingchef eines Lebensmittel-Filialunternehmens. Im Streitjahr 1981 nahm er an einer Reise nach Südafrika teil, welche ein Obst- und Gemüse-Importeur, der auch das Unternehmen des Klägers beliefert, für seine Kunden organisiert hatte. Der Arbeitgeber des Klägers trug die Kosten der Reise in Höhe von 4.750 DM, ohne davon Lohnsteuer einzubehalten.

Das Programm der elftägigen Reise sah Gespräche mit Farmern, Managern und Großmarktleitern über Fragen des Anbaus, der Verpackung, der Vermarktung und der Versendung von Obst vor. Die Reisegruppe besichtigte Plantagen, Weinberge, Großmärkte und Packstationen in Pretoria, Nelspruit und Kapstadt. Daneben bestand Gelegenheit zur Besichtigung von Pretoria und Johannesburg. Während des Wochenendes wurden eine Pirschfahrt durch den Krüger-Nationalpark (Samstag) und ein Ausflug zum Tafelberg bei Kapstadt durchgeführt; außerdem nahm die Reisegruppe an einem Folkloreabend teil (Sonntag). Am folgenden Montag wurde eine Fahrt zum Kap der Guten Hoffnung veranstaltet.

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) aufgrund einer Außenprüfung Kenntnis von der Reise des Klägers erhalten hatte, rechnete er in einem gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid die Reiseaufwendungen den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit hinzu.

Die Klage, mit der sich der Kläger gegen die Annahme von Arbeitslohn wandte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe die Reise als Dienstreise im Interesse seines Arbeitgebers unternommen. Dieser habe ihn damit beauftragt, Feststellungen über die Möglichkeiten von Direktimporten und Preisauszeichnungen im Ursprungsland zu treffen. Außerdem habe der Kläger bei den Farmern und Packstationen auf die Verpackung von Obst in den von deutschen Verbrauchern bevorzugten Größen und Mengen hinwirken sollen. Diese Aufgaben hingen unmittelbar mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen.

Es bestünden - bis auf die Attraktionen jeder Südafrika-Reise - keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß dem Kläger die Reise zur Entlohnung für seine Arbeitsleistung zugewendet worden sei. Unschädlich sei, daß an drei Tagen Gelegenheit zur Teilnahme an touristischen Programmen bestanden habe. Hierbei habe es sich im wesentlichen um das Wochenende gehandelt, dessen Gestaltung einem Arbeitnehmer ohnehin freistehe. § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Denn es sei nicht die Abziehbarkeit von Aufwendungen zu beurteilen, sondern die Frage, ob es sich um eine Zuwendung an den Kläger handele. Dies könne nur nach der überwiegenden Veranlassung entschieden werden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Reisen eines Arbeitnehmers, die nach Weisung des Arbeitgebers und auf dessen Kosten durchgeführt würden, könnten für die Besteuerung nicht ohne weiteres als Dienstreisen angesehen werden, wenn besondere Umstände die dienstliche Veranlassung der Reise als zweifelhaft erscheinen ließen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Verneinung des Vorliegens von Arbeitslohn hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch gekennzeichnet, daß dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder Vorteile) zufließen, die "für" eine Beschäftigung in einem Dienstverhältnis gewährt werden (§ 19 Abs. 1 EStG, § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung). Nach der Rechtsprechung des Senats müssen die Einnahmen durch das individuelle Dienstverhältnis des Arbeitnehmers veranlaßt sein. Dies ist der Fall, wenn die Leistung des Arbeitgebers sich im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist. Eine Veranlassung durch das Dienstverhältnis im Sinne eines Entgeltcharakters (vgl. Thomas, Steuerberater-Jahrbuch 1990/91 S. 183, 186) ist dagegen zu verneinen, wenn der Arbeitgeber die Zuwendung an den Arbeitnehmer aufgrund eines ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesses erbracht hat. Die Zuwendung ist dann zwar durch den Betrieb, nicht aber durch das individuelle Dienstverhältnis veranlaßt (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 11. März 1988 VI R 106/84, BFHE 153, 324, BStBl II 1988, 726, und vom 2. Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II 1990, 472). Ob und wann eine solche Fallgestaltung vorliegt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalles zu beurteilen.

2. Für diese Beurteilung reichen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht aus.

a) Das FG hat zwar ausgeführt, daß die Reise des Klägers betrieblich veranlaßt gewesen sei. Die betriebliche Veranlassung einer Zuwendung an den Arbeitnehmer hat jedoch nicht zwangsläufig zur Folge, daß ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers zu bejahen ist. Auch wenn einer Reise des Arbeitnehmers ein betrieblicher Anlaß zugrunde liegt, kann ihre Ausgestaltung dazu führen, daß die Zuwendung der Reise insgesamt Entgeltcharakter hat und demgemäß die Übernahme der Kosten Arbeitslohn darstellt. Enthält daher eine Reise wie im Streitfall touristische Elemente, so sind an die Darlegung eines ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesses erhöhte Anforderungen zu stellen.

b) Die vom FG getroffenen Feststellungen deuten zwar darauf hin, daß der Kläger die Reise zur beruflichen Information unternommen hat. Sie sind jedoch zu allgemein gehalten. So bleibt es unklar, warum der Kläger unmittelbar mit Farmern und Packstationen über die Kalibrierung von Äpfeln und die Gewichtsklassen abgepackter Früchte habe verhandeln sollen, statt die entsprechenden Forderungen seines Unternehmens über den Importeur vorzubringen, von dem erhebliche Liefermengen bezogen wurden. Angesichts der erfahrungsgemäß häufig wechselnden Endverbraucherpreise bei Lebensmittelfilialbetrieben wäre auch eine nähere Darlegung erforderlich gewesen, inwiefern es für sinnvoll gehalten worden sei, die Preisauszeichnung der einzelnen Abgabepackungen von den Erzeugern in Südafrika durchführen zu lassen. Auch der - erstmals im Klageverfahren vorgetragene - Umstand, daß der Kläger für sein Unternehmen die Möglichkeit von Direktimporten habe erkunden sollen, erscheint ohne konkrete Erörterung der tatsächlich geführten Verhandlungen nicht plausibel. Dies gilt um so mehr, als die Reise von dem dann nicht mehr benötigten Importeur organisiert war.

3. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben, da die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichen, um im Hinblick auf die - offenbar von vornherein eingeplanten - touristischen Anteile der Reise dennoch ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers zu bejahen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG auch Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die Kosten der am Wochenende (bis Montagmittag) durchgeführten Ausflüge in dem vom Arbeitgeber getragenen Preis der Reise enthalten waren oder von den Gesprächspartnern in Südafrika übernommen worden sind. Für die Sachverhaltswürdigung könnte ferner von Interesse sein, ob der Kläger an dem Unternehmen seines Arbeitgebers beteiligt ist und ob der Importeur bereits früher vergleichbare Reisen organisiert hat. Aufgrund der weiteren Sachaufklärung wird das FG sodann glaubhafte betriebsfunktionale Gründe und das Eigeninteresse des Klägers an der Reise erneut gegeneinander abzuwägen haben.