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  BFH-Urteil vom 9.9.1992 (II R 109/89) BStBl. 1993 II S. 653

Haben die Parteien eines Grundstückskaufvertrages vereinbart, daß Besitz, Nutzungen und Lasten des veräußerten Grundbesitzes mit dem 1. Januar eines bestimmten Kalenderjahres auf den Erwerber übergehen sollen, so ist der Grundbesitz dem Erwerber auf diesen und nicht erst auf den folgenden Stichtag zuzurechnen.

BewG 1965 § 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1990, 15)

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Frage, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) von ihm erworbener Grundbesitz bereits auf den 1. Januar 1980 oder erst auf den 1. Januar 1981 zuzurechnen ist.

Der Kläger erwarb von der Beigeladenen durch notariellen Vertrag vom 7. November 1979 Grundbesitz, den er als land- und forstwirtschaftliches Vermögen nutzt. Ausweislich § 4 Abs. 1 des notariellen Vertrags sollte "die Besitzübergabe des verkauften Grundbesitzes .... - sofern nicht bereits geschehen - mit dem 1. 1. 1980 (erfolgen). Mit diesem Tage (sollten) Nutzungen und Lasten sowie die Gefahr des verkauften Grundbesitzes auf den .... Käufer über(gehen)".

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) rechnete den in Rede stehenden Grundbesitz auf den streitigen Stichtag (1. Januar 1980) dem Kläger zu und führte deshalb mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 21. April 1981 für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers eine Nachfeststellung auf den 1. Januar 1980 durch.

1983 begehrte der Kläger, den Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1980 vom 21. April 1981 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben, weil ihm der land- und forstwirtschaftliche Betrieb erst zum 1. Januar 1981 zuzurechnen sei. Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Mai 1984 ab. Nach erfolglosem Einspruch verfolgte der Kläger sein Begehren mit der Klage weiter. Er trug vor, der Übergang des Eigentums an dem erworbenen Grundbesitz sei in den ersten Tag des Jahres 1980 gefallen. Unter Beachtung des § 187 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei der Eigentumsübergang mit Ablauf des 1. Januar 1980 und nicht mit dem Beginn des Kalenderjahres erfolgt. Eine Nachfeststellung könne folglich erst auf den 1. Januar 1981 stattfinden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 15 veröffentlichten Urteil ab.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe § 4 Abs. 1 des notariellen Vertrags vom 7. November 1979 entgegen dem Vertragssinn ausgelegt. Entsprechend dem Willen der Vertragspartner und nach dem Wortlaut des Vertrags sei der Eigentumsübergang erst im Laufe ("während") des 1. Januar 1980 erfolgt und nicht - wie das FG rechtsirrig angenommen habe - "mit Beginn des 1. Januar 1980".

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Das FG hat § 4 Abs. 1 des notariellen Vertrags vom 7. November 1979 zutreffend dahingehend interpretiert, daß der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an dem Grundbesitz auf den Kläger mit Beginn des Jahres 1980, d. h. mit Beginn des 1. Januar 1980, stattfand. Dieses Auslegungsergebnis entspricht dem Sinn und Zweck der genannten vertraglichen Regelung, dem Willen der Vertragspartner, so wie er in der genannten Vertragsbestimmung zum Ausdruck kommt, und wird auch den beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien gerecht. Die von den Vertragsparteien gebrauchte Formulierung "mit dem 1. Januar 1980" bedeutet lediglich die aus Gründen sprachlicher Vereinfachung verkürzte übereinstimmende Erklärung, daß Besitz, Nutzungen und Lasten "mit Beginn des 1. Januar 1980" auf den Kläger übergehen sollten.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung bietet der Wortlaut der zu beurteilenden vertraglichen Regelung keinen Anhalt dafür, daß Besitz, Nutzungen, Lasten und Gefahr nicht bereits zu Beginn (= mit Beginn) des streitigen Stichtages, sondern erst im Laufe dieses Tages auf den Kläger übergehen sollten. Hätten die Vertragsparteien ein derartiges Ergebnis gewollt, hätten sie dies durch eine einfache Formulierung klarstellen können, etwa durch den Gebrauch von Wendungen wie: der Übergang solle während bzw. im Laufe des 1. Januar 1980 oder zu einer bestimmten Uhrzeit dieses Tages erfolgen.

Für die Annahme, daß der Grundbesitz nicht während des (alten oder neuen) Kalenderjahres und damit auch nicht während des 1. Januar 1980, sondern mit dessen Beginn (0.00 Uhr) übertragen werden sollte, sprechen nicht zuletzt auch die von den Vertragsparteien offensichtlich ins Auge gefaßten Praktikabilitätsgründe, insbesondere in bezug auf die zeitliche Aufteilung der mit dem verkauften Grundbesitz verbundenen Lasten und Abgaben.

2. Ergibt mithin die nach zivilrechtlichen Grundsätzen vorzunehmende Auslegung des notariellen Vertrags vom 7. November 1979, daß sich der Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten der veräußerten Grundstücke auf den Kläger bereits mit Beginn des 1. Januar 1980 vollzog, so erweist sich das Begehren des Klägers auf Aufhebung des Nachfeststellungsbescheids auf den 1. Januar 1980 als unbegründet.

Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) ist der Einheitswert nachträglich festzustellen (Nachfeststellung), wenn - wie hier - eine wirtschaftliche Einheit neu entsteht. Nachfeststellungszeitpunkt ist in diesem Fall "der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Entstehung der wirtschaftlichen Einheit .... folgt" (§ 23 Abs. 2 Satz 2 BewG).

Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs. 2 Satz 2 BewG ergibt, ist eine Nachfeststellung jedenfalls dann auf den 1. Januar eines bestimmten Kalenderjahres vorzunehmen, wenn die wirtschaftliche Einheit bis zum Beginn dieses Zeitpunkts entstanden ist. Darüber hinaus ist eine Nachfeststellung aber auch dann auf den 1. Januar eines bestimmten Kalenderjahres vorzunehmen, wenn die wirtschaftliche Einheit mit dem Beginn dieses Stichtages entstanden ist (so schon Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Oktober 1963 III 152/61 U, BFHE 78, 1, BStBl III 1964, 2, 3, den parallel gelagerten Fall des Fortschreibungszeitpunkts betreffend; vgl. ferner auch BFH-Urteile vom 9. Januar 1959 III 89/58 U, BFHE 68, 394, BStBl III 1959, 152, und vom 28. September 1962 III 428/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, altes Recht, Bewertungsgesetz, § 23, Rechtsspruch 8, betreffend den Nachfeststellungszeitpunkt; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl., § 19 BewG Rdnr. 18 und § 23 BewG Rdnr. 40; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 23 BewG Rdnr. 36 i. V. m. § 21 BewG Rdnr. 19). Zwar scheint der Wortlaut des § 23 Abs. 2 Satz 2 BewG - jedenfalls bei vordergründiger Betrachtung - nur diejenigen Fälle zu erfassen, in denen das maßgebende Ereignis (= Entstehung der wirtschaftlichen Einheit) bereits vor Beginn des Stichtages eintritt, nicht hingegen den hier zu beurteilenden Sachverhalt, in dem das relevante Ereignis und der Feststellungszeitpunkt (= Beginn des Stichtages) zeitlich zusammenfallen (vgl. auch Urteil in BFHE 78, 1, BStBl III 1964, 2, betreffend den parallel gelagerten Fall der Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse). Jedoch bedeutet es nicht eine Überschreitung der (äußersten) Grenzen des Wortsinnes des § 23 Abs. 2 Satz 2 BewG, wenn man in diese Regelung auch den letztgenannten Sachverhalt einbezieht. Vor allem gebietet eine solche Einbeziehung die systematische Gesetzesinterpretation: Nach dem § 23 Abs. 2 Satz 2 BewG unmittelbar vorangestellten Eingangssatz des § 23 Abs. 2 BewG werden der Nachfeststellung grundsätzlich "die Verhältnisse im Nachfeststellungszeitpunkt zugrunde gelegt" (vgl. auch die entsprechenden Bestimmungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 und § 22 Abs. 4 Satz 2 BewG für die Hauptfeststellung und die Fortschreibung). Daraus folgt ohne weiteres, daß für einen bestimmten Bewertungsstichtag auch noch solche Ereignisse berücksichtigt werden müssen, die mit seinem Beginn (1. Januar, null Uhr = Feststellungszeitpunkt) eintreten (zur Parallelvorschrift des § 21 Abs. 2 Satz 1 BewG vgl. auch Gürsching/Stenger, a. a. O., § 21 BewG Rdnr. 19).

Daß bei der Einheitswertfeststellung nicht nur solche Ereignisse zu berücksichtigen sind, die bis zum Ablauf des dem Feststellungszeitpunkt vorangehenden Kalenderjahres eintreten, sondern auch solche Verhältnisse, die zu (mit) Beginn des Stichtages vorliegen, leuchtet für den vorliegenden Streitfall um so mehr ein, als die Grundlagen für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bereits vor dem streitigen Feststellungszeitpunkt geschaffen worden sind (vgl. auch BFH-Urteile in StRK, altes Recht, Bewertungsgesetz, § 23, Rechtsspruch 8, und in BFHE 78, 1, BStBl III 1964, 2).

Ein anderes Ergebnis folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus § 187 Abs. 1 BGB. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, daß es im vorliegenden Fall nicht um die Berechnung einer (zivilrechtlich) Frist, sondern um eine bewertungsrechtliche Frage geht, deren Beantwortung sich nach den einschlägigen bewertungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen richtet.