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  BFH-Urteil vom 7.5.1993 (VI R 38/91) BStBl. 1993 II S. 663

Gewährt ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber ein verzinsliches Darlehen, so ist auch bei der Vereinbarung einer normalen Zinshöhe der (wirtschaftliche) Verlust der Darlehensforderung dann als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer das Risiko des Darlehensverlustes aus beruflichen Gründen bewußt auf sich genommen hat. Berufliche Gründe können dann angenommen werden, wenn ein Außenstehender - insbesondere eine Bank - mit Rücksicht auf die Gefährdung der Darlehensforderung das Darlehen nicht gewährt hätte (Änderung der Rechtsprechung in dem BFH-Urteil vom 19. Oktober 1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295).

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 19.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1991, 524)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1987 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger war bis Ende des Jahres 1987 bei der B GmbH (B) als Statiker nichtselbständig tätig. Er gewährte der B im Jahre 1987 ein Darlehen von 5.000 DM. In der Präambel des Darlehensvertrages vom 27. Juli 1987 heißt es u. a.:

"Zur Stützung der B (Beseitigung einer Überschuldung) und damit zur Erhaltung der Arbeitsplätze wird von der B unter Mitwirkung des Betriebsrates des Unternehmens bis Ende 1987 ein Mitarbeiterbeteiligungsmodell erarbeitet, das im Endergebnis die Beteiligung der Mitarbeiter an der B in Form einer atypischen stillen Beteiligung mit Gewinnbeteiligung vorsieht ....".

Das Darlehen sollte unabhängig vom Gewinn oder Verlust der B zu einem festen Zinssatz in Höhe des jeweiligen Spareckzinses, jedoch nicht mit weniger als 3,5 v. H. jährlich verzinst werden (§ 2 des Vertrages). Die Rückzahlung sollte frühestens am 31. Dezember 1993 erfolgen, jedoch nicht bevor vorrangige Gläubiger befriedigt sein würden (§ 3 des Vertrages). Der Kläger erklärte, daß er mit seiner Forderung gegenüber anderen Gläubigern zurücktrete, um damit die Überschuldung der B zu verhindern (§ 4 des Vertrages). Als Darlehensgeber sollte er das Recht (Option) erhalten, innerhalb von zwei Jahren nach Vorlage eines Mitarbeiterbeteiligungsmodells im Sinne der Präambel des Vertrages seine Darlehensgewährung in eine Mitarbeiterbeteiligung umzuwandeln (§ 5 des Vertrages). Ende des Jahres 1987 fiel die B in Konkurs. Die Forderung des Klägers auf Rückzahlung des Darlehens wurde nicht befriedigt.

In ihrer Einkommensteuererklärung 1987 machten die Kläger den Forderungsverlust in Höhe von 5.000 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ den begehrten Werbungskostenabzug nicht zu.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 524 veröffentlicht.

Zur Begründung seiner Revision führt das FA u. a. aus: Das Urteil verletze § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 sowie § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG), weil es den Abzug des Aufwandes bei der Einkunftsart "nichtselbständige Arbeit" zulasse, obwohl dieser nicht bei dieser Einkunftsart erwachsen sei. Es verletze ferner § 20 EStG, weil es den Gegenstand der Einkunftserzielung, das Darlehenskapital, nicht dieser Vorschrift zuweise (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Oktober 1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295). Die Auffassung des FG, auf die Differenzierung zwischen angemessener und unangemessen niedriger Verzinsung komme es nicht an, sei demgemäß rechtlich nicht haltbar. Nur wenn der Arbeitnehmer eine unangemessen niedrige Verzinsung seines Darlehens in Kauf genommen habe, sei der Schluß gerechtfertigt, mit der Darlehenshingabe habe er den Zweck verfolgt, seinen Arbeitsplatz zu sichern. An der Auffassung, die Verzinsung sei im Streitfall angemessen gewesen, werde festgehalten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger durch den Verlust seiner Darlehensforderung Aufwendungen entstanden sind, die bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) abgezogen werden dürfen.

1. Nach der Rechtsprechung des BFH sind über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus Werbungskosten alle durch den Beruf veranlaßten Aufwendungen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105, und vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Unter Aufwendungen sind alle Vermögensabflüsse nicht nur in Geld, sondern auch in Geldeswert zu verstehen, die im Rahmen einer gesetzlichen Einkunftsart eintreten (vgl. z. B. Beschluß des Großen Senats vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830, 836).

Dementsprechend hat der Senat Werbungskosten bei den Einkünften eines Arbeitnehmers aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt, wenn ein Arbeitgeber ein unverzinsliches oder ein niedrig verzinsliches Darlehen, das der Arbeitnehmer ihm zur Sicherung seines Arbeitsplatzes gewährt hat, oder eine Kaution des Arbeitnehmers endgültig nicht zurückgezahlt hat (Urteil vom 13. Januar 1989 VI R 51/85, BFHE 156, 95, BStBl II 1989, 382). Für den Fall, daß ein dem Arbeitgeber gewährtes Darlehen angemessen zu verzinsen ist, hat demgegenüber der VIII. Senat des BFH in dem Urteil in BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295 einen Werbungskostenabzug sowohl bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als auch aus nichtselbständiger Arbeit selbst dann abgelehnt, wenn der Arbeitnehmer mit dem Darlehen seinen Arbeitsplatz sichern wollte.

2. Die Ansicht, bei dem Verlust eines Darlehens, das ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Sicherung seines Arbeitsplatzes gewährt habe, setze der Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) voraus, daß das Darlehen unverzinslich oder zumindest niedrig verzinslich sein müsse, ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl. dazu Knobbe-Keuk, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1984, 335, 341; Paus, Finanz-Rundschau - FR - 1983, 502, 503; Lang in Stolterfoht (Hrsg.), Grundfragen des Lohnsteuerrechts, 1986, S. 58; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 9 EStG Anm. 193). Der Senat ist nach Überprüfung der Rechtslage der Auffassung, daß für die Entscheidung, ob der (wirtschaftliche) Verlust einer Darlehensforderung eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber zu einem Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berechtigt, nicht ausschlaggebend sein kann, ob das Darlehen angemessen zu verzinsen ist. Auch der (wirtschaftliche) Verlust einer Darlehensforderung, die normalverzinslich ist, ist ausnahmsweise dann nicht im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) zu würdigen, sondern bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu berücksichtigen, wenn mit der Darlehensgewährung der Verlust des Kapitals bewußt aus solchen Gründen riskiert wird, die in der beruflichen Sphäre des Arbeitnehmers liegen. Der (wirtschaftliche) Verlust der Darlehensforderung ist danach dann durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt, wenn der risikobehaftete Einsatz des Kapitals - und nicht die Überlassung zur Nutzung - aus beruflichen Gründen erfolgt ist. Bei der Abwägung, ob dies der Fall ist, kann analog auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die der VIII. Senat für die Entscheidung entwickelt hat, ob die Übernahme einer Bürgschaft (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320) oder die Hingabe eines Darlehens (vgl. zuletzt Urteil vom 18. August 1992 VIII R 90/89, BFH/NV 1993, 158) durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist. Im Rahmen des danach anzustellenden Fremdvergleichs ist maßgebend, ob ein Außenstehender - insbesondere eine Bank - angesichts der auf der finanziellen Situation des Darlehensschuldners beruhenden Gefährdung der Darlehensforderung das Darlehen nicht gewährt hätte. Wenn nämlich ein fremder Dritter, üblicherweise eine Bank, kein Darlehen mehr gewährt hätte, bleiben als Gründe für die Gewährung nur eine private Beziehung oder das Gesellschafts- bzw. das Arbeitsverhältnis. Daß der Einsatz des Kapitals durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist, kann allerdings auch dann noch angenommen werden, wenn zwar eine Bank neben den Arbeitnehmern Kredite gibt, jedoch nur so weit, als ihr Sicherheiten gewährt werden, während die Kredite der Arbeitnehmer ungesichert bleiben oder die eingeräumten Sicherheiten so nachrangig sind, daß die Bank sie nicht mehr als ausreichend akzeptiert hätte.

Die Berücksichtigung des (wirtschaftlichen) Verlustes auch eines normalverzinslichen Darlehens als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unter den dargestellten Voraussetzungen hat zur Folge, daß Sachverhalte, die nach der Wertung des Senats wirtschaftlich miteinander vergleichbar sind, auch steuerlich gleichbehandelt werden. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für eine Bürgschaft, die er aus beruflichen Gründen übernommen hat, Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. Urteil vom 14. Mai 1991 VI R 48/88, BFHE 164, 431, BStBl II 1991, 758, m. w. N.). Die Gewährung eines risikobehafteten Darlehens ist aber mit der Übernahme der Bürgschaft für einen Schuldner von zweifelhafter Bonität wirtschaftlich betrachtet vergleichbar, weil in beiden Fällen Kredit - wenn auch in unterschiedlicher Form - eingeräumt wird.

Der VIII. Senat hat auf Anfrage erklärt, daß er an seiner in dem Urteil in BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295 vertretenen Auffassung nicht mehr festhält und der Berücksichtigung des (wirtschaftlichen) Verlustes einer Arbeitnehmer-Darlehensforderung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit unter den vorstehenden Voraussetzungen zustimmt.

3. Im Streitfall hat das FG die Umstände, unter denen der Kläger seiner Arbeitgeberin das Darlehen überlassen hat, rechtsfehlerfrei dahin gewürdigt, daß der Einsatz des Kapitals beruflich veranlaßt ist. Denn der Kläger hatte das Darlehen nach der ausdrücklichen Erklärung im Darlehensvertrag zur Sicherung (Erhaltung) seines Arbeitsplatzes und zur Beseitigung einer Überschuldung seiner Arbeitgeberin hingegeben. Der Kläger hat damit bewußt das Risiko des Darlehensverlustes aus solchen Gründen auf sich genommen, die in seiner beruflichen Sphäre lagen. Ein Außenstehender - insbesondere eine Bank - hätte unter den vom Kläger akzeptierten Voraussetzungen kein Darlehen mehr gewährt und wäre insbesondere nicht gegenüber anderen Gläubigern mit seiner Forderung im Rang zurückgetreten, um dadurch eine Überschuldung des Unternehmens zu verhindern.