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  BFH-Urteil vom 28.9.1993 (II R 39/92) BStBl. 1994 II S. 36

Der Anspruch aus der Kfz-Insassen-Unfallversicherung fällt grundsätzlich in den Nachlaß des verunglückten Insassen und unterliegt daher grundsätzlich der Erbschaftsteuer (Anschluß an das BFH-Urteil vom 16. Januar 1963 II 21/61 U, BFHE 76, 509, BStBl III 1963, 187).

ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1; BewG 1965 § 12 Abs. 1 und 2.

Sachverhalt

I.

Die im Jahr 1989 bei einem PKW-Unfall verstorbene Erblasserin wurde unter anderem von dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) zu 1/3 beerbt. Für den Unfall-PKW hatten der Kläger und seine Ehefrau eine Insassen-Unfallversicherung abgeschlossen. Aufgrund dieses Versicherungsvertrages zahlte der Versicherer auf das Nachlaßkonto der Erblasserin die Todesfallsumme von 7.500 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom 3. Oktober 1989 gegen den Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von 1.892 DM fest, wobei er die ausgezahlte Versicherungssumme anteilig (in Höhe von 2.500 DM) in den steuerpflichtigen Erwerb des Klägers einbezog.

Im Einspruchsverfahren machte der Kläger ohne Erfolg geltend, daß die gezahlte Versicherungssumme nicht in den steuerpflichtigen Erwerb einzubeziehen sei. In der Einspruchsentscheidung ermäßigte das FA die Erbschaftsteuer aus anderweitigen Gründen auf 1.771 DM.

Mit der Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Während des Klageverfahrens erließ das FA einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten, vom Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Änderungsbescheid, in dem die Erbschaftsteuer aus hier nicht interessierenden Gründen auf 1.881 DM erhöht wurde.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 540 veröffentlichten Urteil ab.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Erbschaftsteuer auf 1.606 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. In seinem Urteil vom 16. Januar 1963 II 21/61 U (BFHE 76, 509, BStBl III 1963, 187) hat der erkennende Senat entschieden, bei der Kfz-Insassen-Unfallversicherung falle der Anspruch auf Auskehrung der vom Versicherungsnehmer eingezogenen Versicherungssumme grundsätzlich in den Nachlaß des tödlich verunglückten Insassen mit der Folge, daß sie der Erbe des Insassen durch Erbanfall erwerbe. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

a) Die Beantwortung der hier streitigen Frage nach der Erbschaftsteuerpflicht der an die Erben der tödlich verunglückten Kfz-Insassin gezahlten Versicherungssumme hängt zunächst davon ab, ob der Anspruch gegen den Versicherer in den Nachlaß der verunglückten Insassin fiel oder nicht. Dies ist entgegen der Auffassung des Klägers sowohl aus zivil- als auch aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht zu bejahen.

Schließt der Versicherungsnehmer - wie im vorliegenden Streitfall - die Unfallversicherung gegen Unfälle ab, die einem anderen (der sog. Gefahrsperson) zustoßen, so gilt diese Versicherung nach § 179 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) "im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen". Für eigene Rechnung des Versicherungsnehmers kann ein solcher Versicherungsvertrag nur dann abgeschlossen werden, wenn die Gefahrsperson schriftlich darin einwilligt (§ 179 Abs. 3 VVG).

Nach § 179 Abs. 2 VVG sind die Vorschriften der §§ 75 bis 79 VVG entsprechend anzuwenden. Daraus folgt, daß bei einer ohne schriftliche Einwilligung der Gefahrsperson genommenen Unfallversicherung nur die Gefahrsperson Versicherter i. S. der §§ 75 ff. VVG sein kann und nur dieser die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zustehen. Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag bilden daher einen Bestandteil des Vermögens der Gefahrsperson (= Versicherten) und fallen deshalb auch in ihren Nachlaß (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Februar 1960 II ZR 136/58, BGHZ 32, 44).

Diese Rechtslage besteht auch bei der Kfz-Insassen-Unfallversicherung. Ihre Besonderheit gegenüber der sonstigen Unfallversicherung besteht lediglich darin, daß sich erst bei Eintritt des Versicherungsfalles ergibt, wer Versicherter gewesen ist. Sie ist hinsichtlich der Personen, die sich zur Zeit des Unfalles außer dem Versicherungsnehmer selbst in dem Fahrzeug befanden, Fremdversicherung i. S. von § 179 Abs. 2 VVG. Hatte - wie im Regelfall - der verunglückte Insasse nicht schriftlich in den Abschluß einer Unfallversicherung eingewilligt, so ist nur er Versicherter i. S. des § 75 VVG, so daß der Versicherungsanspruch allein ihm zusteht und als Bestandteil seines Vermögens in seinen Nachlaß fällt (BGH-Urteil in BGHZ 32, 44).

Diese Auffassung, wonach der Anspruch aus der Kfz-Insassen-Unfallversicherung grundsätzlich in den Nachlaß des verunglückten Insassen fällt, hat der BGH entgegen der Auffassung des Klägers in seinem Urteil vom 7. Mai 1975 IV ZR 209/73 (BGHZ 64, 260) nicht aufgegeben (auch in diesem Urteil hat der BGH darauf hingewiesen, daß das Recht auf die Entschädigung mit dem Eintritt des Versicherungsfalles in der Person des verletzten Insassen entstanden ist, a. a. O., S. 267 unten). Sie entspricht auch der ganz herrschenden Meinung in der (neueren) zivilrechtlichen Literatur (vgl. z. B. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 52. Aufl., § 330 Rdnr. 7; Gottwald in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 330 Rdnr. 18; Soergel/Hadding, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 330 Rdnr. 19; Ballhaus in Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 330 Rdnr. 9).

An diese Rechtslage knüpft auch das Erbschaftsteuerrecht an.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung setzt sich der Senat mit diesem Ergebnis nicht in Widerspruch zu seinem Urteil vom 11. Oktober 1978 II R 46/76 (BFHE 126, 316, BStBl II 1979, 115). Dort hat der erkennende Senat entschieden, daß Leistungen aus der Unfallpflichtversicherung von Luftfahrtunternehmen gemäß § 50 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) nicht zu dem der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerb von Todes wegen gehörten. Er hat dies mit den - hier nicht gegebenen - Besonderheiten des LuftVG (i. d. F. der Bekanntmachung vom 4. November 1968, BGBl I 1968, 1114) begründet, die vor allem darin bestünden, daß die Pflichtunfallversicherung von Luftfahrtunternehmen das Ziel verfolge, die Erfüllung der in § 44 LuftVG vorgesehenen Schadenersatzansprüche gegen den Luftfrachtführer sicherzustellen. Ohne daß es darauf ankomme, ob im Einzelfall den Leistungsempfängern Schadenersatzansprüche i. S. des § 35 LuftVG zustünden, gelte die Leistung aus der Pflichtunfallversicherung als zur Abgeltung solcher - nicht der Erbschaftsteuer unterliegenden - (eigener) Ansprüche der Leistungsempfänger erhalten.

b) Nach den vorstehenden Grundsätzen gehörte der Anspruch der verunglückten Erblasserin als Versicherter gegen den Versicherer zu ihrem Nachlaß. Der Anspruch entstand (als "unbedingter") nach gefestigter zivilrechtlicher Auffassung mit dem Eintritt des Versicherungsfalles, d. h. mit dem Unfall (vgl. BGH-Urteile in BGHZ 32, 44, 48, und in BGHZ 64, 260, 267).

aa) Allerdings besteht - worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat - in dem hier gegebenen Fall der Kfz-Insassen-Unfallversicherung, in dem andere Personen als der Versicherungsnehmer versichert werden, mangels gegenteiliger Vereinbarungen die Besonderheit, daß der Versicherte bzw. dessen Erbe die ihm zustehenden Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag (vgl. § 179 Abs. 2 i. V. m. § 75 Abs. 1 Satz 1 VVG) nicht selbst geltend machen kann. Verfügungsbefugt ist vielmehr ausschließlich der Versicherungsnehmer (§ 179 Abs. 2 i. V. m. § 76 Abs. 1 VVG; § 3 Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung - AKB -).

Inhaberschaft und Geltendmachung der Rechte sind also getrennt: Dem Versicherten gebührt im Versicherungsfall die vertragliche Entschädigung; er vermag dieses Recht jedoch dem Versicherer gegenüber nicht durchzusetzen. Umgekehrt kann der Versicherungsnehmer zwar die Leistung fordern, muß sie aber dem Versicherten zukommen lassen. Er darf sie nicht unter Umgehung von § 179 Abs. 3 VVG für sich behalten und benötigt, sofern er Zahlungen an sich selbst verlangt, dazu nach § 76 Abs. 3 VVG i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 2 AKB die Zustimmung des Versicherten (BGH-Urteil in BGHZ 64, 260, 261 f.).

bb) Zu Unrecht meint jedoch der Kläger, aus dieser Rechtslage den Schluß herleiten zu können, daß die Forderung aus der Unfallversicherung nicht zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb gehöre. "Eine nur aufgrund der Entscheidung der Versicherungsnehmer auszahlbare Versicherungsleistung", so meint er wörtlich, "(sei) nicht Bestandteil des Nachlasses des Versicherten ....", weil "dessen Erben im Regelfall keinen Rechtsanspruch darauf (hätten), daß ihnen der Versicherungsnehmer .... die Unfallentschädigung .... (verschaffe)".

Es trifft zwar zu, daß der Versicherte bzw. dessen Erbe unter Umständen keinen (klagbaren) Anspruch gegen den Versicherungsnehmer darauf besitzt, daß dieser den materiellen Anspruch des Versicherten bzw. dessen Erben gegen den Versicherer geltend mache. Mangels besonderer Abreden zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherten sind deren Rechtsbeziehungen im Hinblick auf die Verfügungsmacht des Versicherungsnehmers über die materiell dem Versicherten zustehende Entschädigungsforderung nach neuerer zivilrechtlicher Auffassung als "gesetzliches Treuhandverhältnis" zu qualifizieren (BGH-Urteil in BGHZ 64, 260, 262 ff., m. w. N.; Prölss/Martin, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 25. Aufl., § 76 VVG, Anm. 1, m. w. N.; anders noch BGH-Urteil in BGHZ 32, 44, 51 ff.: Geschäftsführung ohne Auftrag), wobei der Treuhänder (= Versicherungsnehmer) bei der in seine Hand gelegten Durchsetzung des Versicherungsanspruchs auch anzuerkennende eigene Interessen berücksichtigen darf. So wird man ihn für den Fall, daß er dem Versicherten aus demselben Unfallereignis Schadenersatz schuldet, als berechtigt ansehen müssen, die Anrechnung der Entschädigung auf seine Haftpflichtschuld zu verlangen, sofern er hieran ein anzuerkennendes Interesse hat und keine abweichenden Zusagen entgegenstehen (BGH-Urteil in BGHZ 64, 260, 266, m. w. N.).

Ferner kann dem Versicherungsnehmer unter Umständen die mit der Einziehung der Versicherungsleistung verbundene Preisgabe eigener Interessen (z. B. Rabattverlust; Kündigungsmöglichkeit für Versicherer) nur zugemutet werden, wenn ohne die Versicherungsleistung der Versicherte einen Nachteil erleiden könnte, vor dem ihn die Versicherung gerade schützen sollte. Deshalb hat der BGH eine Einziehungspflicht des Versicherungsnehmers für den Fall verneint, daß der Versicherte einen sicheren Anspruch gegen einen anderen Versicherer hat (Urteil in BGHZ 64, 260, 267 f.; vgl. auch Prölss/Martin, a. a. O., § 77 VVG Anm. 1 A., m. w. N.).

Die vorstehenden Gesichtspunkte berührten indessen entgegen der Ansicht des Klägers nicht die ("unbedingte") Entstehung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung (noch) in der Person der verunglückten Insassin (= Versicherten; vgl. oben II. 1. b, 1. Abs. ) und damit die Zugehörigkeit der entsprechenden Forderung zu deren Nachlaß. Sie betreffen vielmehr lediglich die Frage der Realisierbarkeit (Durchsetzbarkeit) dieses Anspruchs und damit dessen Bewertung.

cc) Die Bewertung des hier streitigen, auf die Erben übergegangenen Anspruchs der tödlich verunglückten Insassin (= Versicherten) gegen den Unfallversicherer richtet sich nach § 12 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG 1974) i. V. m. § 12 des Bewertungsgesetzes (BewG). Maßgebender Bewertungsstichtag ist nach § 11 ErbStG 1974 "der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer" und damit der Zeitpunkt des Todes der Erblasserin (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1. Halbsatz ErbStG 1974).

Nach § 12 Abs. 1 ErbStG 1974 i. V. m. § 12 Abs. 1 BewG sind Kapitalforderungen grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen, "wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen". Solche Umstände, die einen niedrigeren Wert begründen, bilden insbesondere die volle oder teilweise Uneinbringlichkeit (Nichtrealisierbarkeit) der Forderung (vgl. § 12 Abs. 2 BewG).

Im maßgebenden Bewertungszeitpunkt (Tod der Erblasserin) waren keinerlei Umstände ersichtlich, die darauf schließen ließen, daß der Kläger und die übrigen Miterben der Verunglückten die Forderung gegen den Versicherer nicht würden realisieren können. So sind denn z. B. konkrete Umstände, welche aus damaliger Sicht erwarten ließen, die Versicherungsnehmer würden sich aus einem berechtigten Eigeninteresse weigern, die Versicherungsleistung zugunsten der Erben geltend zu machen, oder sie würden die Anrechnung der Versicherungsleistung an die Erben auf eine eigene, gegenüber der Erblasserin bestehende Haftpflichtschuld verlangen (vgl. oben II. 1. b, bb) weder vom Kläger vorgetragen noch vom FG festgestellt worden. Der Schluß auf die Weigerung der Versicherungsnehmer aus berechtigtem Eigeninteresse, die Versicherungsforderung zugunsten der Erben geltend zu machen, lag im übrigen um so ferner, als der Kläger sowohl zu den Versicherungsnehmern als auch zu den begünstigten Miterben gehörte. Die spätere Auszahlung der Versicherungssumme an die Erben bestätigt dieses Ergebnis.

Nach alledem haben FA und FG zu Recht entschieden, daß die streitige Versicherungsforderung mit ihrem - anteiligen - Nennwert zum erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb des Klägers gehörte.