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  BFH-Urteil vom 21.9.1993 (VII R 119/91) BStBl. 1994 II S. 83

Das FA ist befugt, im Konkurs mit Steueransprüchen aus der Zeit vor Konkurseröffnung gegen ein Vorsteuerguthaben des Gemeinschuldners aufzurechnen, das sich aus der Vergütung für eine Sequestertätigkeit ergibt.

AO 1977 § 226; KO §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 55 Nr. 1, 58 Nr. 2; UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsiches FG (EFG 1992, 698)

Sachverhalt

I.

Die Gemeinschuldnerin hatte am 2. September 1988 Konkursantrag gestellt. Das Amtsgericht bestellte mit Beschluß vom 5. September 1988 den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zum Sequester. Am 31. Oktober 1988 wurde das Konkursverfahren eröffnet, gleichzeitig wurde der Kläger zum Konkursverwalter bestellt.

Für den Zeitraum vom 5. September bis 31. Oktober 1988 setzte das Amtsgericht mit Beschluß vom 29. März 1989 eine Sequestervergütung in Höhe von 119.088 DM fest, in der 14.625 DM Umsatzsteuer enthalten war.

Mit Rechnung vom 10. April 1989 machte der Kläger seine Forderung gegen die Gemeinschuldnerin geltend, die ihrerseits den Steuerbetrag in der Umsatzsteuervoranmeldung April 1989 als Vorsteuer in Ansatz brachte. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erklärte hinsichtlich des aus der Sequestervergütung geltend gemachten Vorsteuerguthabens durch Abrechnungsbescheid vom 30. August 1989 die Aufrechnung mit Umsatzsteuerrückständen der Gemeinschuldnerin aus dem Monat Juni 1988.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage gegen den Abrechnungsbescheid. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es aus: Die Aufrechnung sei unzulässig gewesen, da ihr § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) entgegengestanden habe. Danach sei eine Aufrechnung im Konkursverfahren dann unzulässig, wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben habe und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden sei. Die Sequestervergütung sei nicht vor, sondern erst nach Eröffnung des Konkursverfahrens begründet worden. Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzugsanspruch der Gemeinschuldnerin seien daher erst nach Konkurseröffnung erfüllt gewesen. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Abdruck des Urteils in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 698 verwiesen.

Mit der Revision macht das FA geltend, der Rechtsgrund für den Vorsteueranspruch sei nach konkursrechtlichen Grundsätzen bereits in der Zeit vor Konkurseröffnung gelegt worden. Die Rechnungserstellung sei im konkursrechtlichen Sinne kein tatbestandsbegründendes Merkmal für den Vorsteueranspruch. Der Rechtsgrund für diesen Anspruch werde vielmehr durch die Lieferung oder sonstige Leistung gelegt.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er meint, der Vergütungsanspruch des Sequesters sei als Masseschuld anzusehen, weil er erst mit der Festsetzung durch den Gerichtsbeschluß entstehe. Folglich werde auch der daraus resultierende Vorsteuervergütungsanspruch erst in diesem Zeitpunkt begründet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der vom Kläger zugunsten der Konkursmasse geltend gemachte Vorsteuervergütungsanspruch ist nach den Feststellungen des FG durch wirksame Aufrechnung erloschen.

1. Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist davon auszugehen, daß der Gemeinschuldnerin ein Vorsteueranspruch zustand, daß diesem Anspruch mindestens gleich hohe vorkonkursliche Steuerforderungen gegen die Gemeinschuldnerin gegenüberstanden und daß die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -; §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; zur Aufrechnungsbefugnis im Konkurs vgl. § 53 KO) vorlagen. Hiervon gehen übereinstimmend auch die Parteien aus. Es steht ebenfalls fest, daß das FA mit den Steuerforderungen nach Konkurseröffnung aufgerechnet hat.

2. Der vom FG in seinem Urteil vertretenen Auffassung, daß der Aufrechnung im Streitfall § 55 Nr. 1 KO entgegenstehe, weil die Sequestervergütung und damit der Vorsteuerabzugsanspruch erst nach Konkurseröffnung begründet worden sei, ist nicht zu folgen.

a) Nach den §§ 53, 54 KO ist ein Gläubiger des Gemeinschuldners außerhalb des Konkursverfahrens zur Aufrechnung befugt, wenn die aufzurechnenden Forderungen bereits zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens bestanden haben, wobei es nach § 54 Abs. 1 KO unschädlich ist, wenn die Forderungen oder eine von ihnen zu diesem Zeitpunkt noch bedingt waren. § 55 Nr. 1 KO schließt aber die Aufrechnung im Konkurs aus, wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist. Für die Zulässigkeit der Aufrechnung ist entscheidend, daß die zur Aufrechnung gestellte Forderung schon ihrem Kern nach vor der Konkurseröffnung entstanden ist (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28. November 1977 II ZR 110/76, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs - LM -, KO § 55 Nr. 8, und vom 14. Dezember 1983 VIII ZR 352/82, BGHZ 89, 189, 192). Damit wird die Aufrechnung für steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens zwar noch nicht i. S. des § 38 AO 1977 entstanden, wohl aber i. S. des § 3 KO begründet sind (Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 251 Rz. 31).

b) Im Konkurs des Steuerpflichtigen kommt es für die Frage, ob ein Anspruch zur Konkursmasse gehört (vgl. § 1 Abs. 1 KO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung im steuerrechtlichen Sinne entstanden war. Maßgeblich ist gemäß § 3 Abs. 1 KO nicht die Vollrechtsentstehung, sondern der Zeitpunkt, in dem nach konkursrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1979 VIII R 58/77, BFHE 128, 146, BStBl II 1979, 639; Senatsurteile vom 12. Januar 1984 VII R 155/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Konkursordnung, § 54, Rechtsspruch 1; vom 4. August 1987 VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707, und vom 29. Januar 1991 VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791). Bei der Frage des "Begründetseins" nach § 3 KO geht es um eine konkursrechtliche Vermögenszuordnung, die allein nach konkursrechtlichen Kriterien zu entscheiden ist (Frotscher, Steuern im Konkurs, 3. Aufl., S. 60). Daraus folgt aber nicht, daß zur Beurteilung der Frage, ob eine Steuerforderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet ist, steuerrechtliche Gesichtspunkte über die Entstehung der Steuer überhaupt nicht berücksichtigt werden dürfen (Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 251 AO 1977 Rz. 6 c). Ob Grundlagen für eine Forderung gelegt sind, ist aufgrund der Vorschriften über die Entstehung der Forderung zu beurteilen (Beermann, a. a. O.; Weiß, Zur Durchsetzung von Einkommensteueransprüchen im Konkurs, Finanz-Rundschau - FR - 1990, 539, 542).

c) Zur Begründung von Forderungen i. S. des § 3 Abs. 1 KO aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) ist erforderlich, daß im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens ein Tatbestand verwirklicht ist, durch den der steuerschuldrechtliche Grund für die Entstehung der Forderung gelegt ist (BFH-Urteil vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226; Beermann, a. a. O., § 251 AO 1977 Rz. 50 a). Dabei ist aber nicht der Entstehungszeitpunkt im steuerrechtlichen Sinne entscheidend, sondern der Zeitpunkt, in dem die für den Anspruch maßgebenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (BFHE 148, 346). Unter dem Gesichtswinkel des § 3 Abs. 1 KO ist allerdings keine vollständige Tatbestandserfüllung zu verlangen. Als "begründet" i. S. des § 3 Abs. 1 KO wird eine Forderung schon dann angesehen, wenn - etwa weil aufschiebend bedingt - im Zeitpunkt der Konkurseröffnung zu ihrer "Entstehung" noch ein ungewisses künftiges Ereignis fehlt (BFH-Urteil vom 27. August 1975 II R 93/70, BFHE 117, 176, BStBl II 1976, 77), spätestens aber dann, wenn der Eintritt der Tatbestandsverwirklichung bei Konkurseröffnung derart gesichert ist, daß er als unausweichlich anzusehen ist (Weiß, Anmerkung zu BFH-Urteil vom 4. Juni 1987 V R 57/79, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1987, 288). Maßgeblich können für diese Beurteilung auch zivilrechtliche Umstände sein (Beermann, a. a. O., § 251 AO 1977 Rz. 50 c; Frotscher, a. a. O., S. 58). So ist ein Anspruch dann begründet, wenn im Zeitpunkt der Konkurseröffnung ein Schuldverhältnis bereits besteht und der schuldrechtliche Grund geschaffen ist (Frotscher, a. a. O., S. 58). Nur der Schuldrechtsorganismus, der die Grundlage der Forderung bildet, nicht die Forderung selbst, muß vor Konkurseröffnung geschaffen sein (Frotscher, a. a. O.; Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl., § 3 Anm. 4; Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 3 Rz. 11). Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, daß eine Steuerforderung immer dann Konkursforderung nach § 3 KO ist, wenn der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, vor Konkurseröffnung verwirklicht worden ist (Frotscher, a. a. O., S. 59; a. A. für Umsatzsteuerforderungen Weiß, FR 1990, 542).

Nach denselben Grundsätzen muß auch der Zeitpunkt der konkursrechtlichen Entstehung, d. h. die Zugehörigkeit zur Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Gemeinschuldners beurteilt werden.

d) Im Streitfall ist der Rechtsgrund des Vorsteuerabzugsanspruchs, gegen den das FA aufgerechnet hat, im konkursrechtlichen Sinne in der Zeit vor Konkurseröffnung gelegt worden, da bereits zu diesem Zeitpunkt die wesentlichen Grundlagen des Anspruchs geschaffen waren.

aa) Für den Vorsteueranspruch wird der Rechtsgrund dadurch gelegt, daß ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug Berechtigten erbringt. Die Frage, ob der Anspruch zusätzlich die Erstellung einer Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis voraussetzt (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), ist nur aus steuerrechtlicher Sicht von Belang. Aus konkursrechtlicher Sicht kommt es aber auf die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes nicht an. Konkursrechtlich ist es auch unerheblich, daß der Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage hat (BFH-Urteil vom 24. März 1983 V R 8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612) und er als solcher in der Regel keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstellt.

bb) Für das "Begründetsein" i. S. des § 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 KO ist hier die vor Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgte Leistung des Sequesters maßgeblich.

Der Sequester erhält für seine Tätigkeit eine Vergütung, die vom Konkursgericht festgesetzt wird. Eine besondere gesetzliche Vorschrift für die Festsetzung der Vergütung fehlt. Wegen der "Nähe zum Konkurs" wird nach herrschender Meinung § 85 KO entsprechend angewendet (vgl. die Nachweise bei Kuhn/Uhlenbruck, a. a. O., § 106 Rz. 22; Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Konkurs- und Vergleichsverwaltung, 6. Aufl., I 7 Rz. 17). Danach hat der vom Gericht bestellte Verwalter einen Anspruch auf Erstattung angemessener barer Auslagen und auf eine Vergütung für seine Geschäftsführung.

Dieser Anspruch entsteht - entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Klägers - nicht erst mit der Festsetzung durch das Konkursgericht, sondern bereits mit der Arbeitsleistung (BGH-Urteil vom 5. Dezember 1991 IX ZR 275/90, BGHZ 116, 233). § 85 KO knüpft Vergütung und Auslagenersatz des Verwalters an dessen Geschäftsführung, also an dessen tatsächliches Tätigwerden. Die Festsetzung durch das Gericht hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Sie bestimmt verbindlich die Höhe des zuvor bereits erwachsenen Anspruchs (BGH, a. a. O.). Im Streitfall bedeutet dies, daß der Anspruch des Klägers auf Sequestervergütung bereits in der Zeit vor Konkurseröffnung entstanden ist, wenn die Vergütungshöhe auch erst nach Beendigung der Sequestertätigkeit und Eröffnung des Konkursverfahrens festgesetzt worden ist (a. A. Weiß, Anm. zum erstinstanzlichen Urteil, UR 1992, 236).

Soweit im Schrifttum (vgl. Eickmann, Die Vergütung des nach § 106 KO bestellten Sequesters, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZIP - 1982, 21) die Auffassung vertreten wird, der Vergütungsanspruch des Sequesters basiere auf einer Analogie zu den §§ 1835, 1836, 1987, 2221 BGB (und nicht auf § 85 KO analog) und entstehe erst durch die gerichtliche Festsetzung, weil das Gesetz in diesen Fällen von einer unentgeltlichen Amtsführung ausgehe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Beim Sequester kann von vornherein - wie beim Konkursverwalter - nicht davon ausgegangen werden, daß er unentgeltlich tätig wird; dies mag bei einem Vormund oder Testamentsvollstrecker (vgl. §§ 1836 Abs. 1, 2221 BGB) etwa aufgrund persönlicher Beziehungen zum Mündel, Erblasser oder Erben anders sein. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch die Ausführungen des BGH über den Entstehungszeitpunkt für den Vergütungsanspruch des Konkursverwalters im vorstehend zitierten Urteil (BGHZ 116, 233) von allgemeiner, auf den Streitfall (Vergütungsanspruch des Sequesters) übertragbarer Bedeutung, auch wenn das BGH-Urteil im übrigen zu einem Spezialfall (Rangordnungsprobleme bei Masseunzulänglichkeit) ergangen ist.

cc) Durch die - umsatzsteuerpflichtige - Tätigkeit des Sequesters ist auch der Vorsteuervergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin im konkursrechtlichen Sinne vor Konkurseröffnung begründet worden; er konnte somit mit Konkursforderungen verrechnet werden (ebenso Frotscher, a. a. O., S. 216).

Aufgrund der Tätigkeit des Sequesters vor der Konkurseröffnung waren zu diesem Zeitpunkt bereits die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen gelegt, die zu dem (steuerrechtlich) später entstehenden Vorsteuervergütungsanspruch führten. Ein Konkursverwalter oder Sequester ist berechtigt, über die von ihm für das Unternehmen des Gemeinschuldners erbrachte Leistung eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis zu erteilen (BFH-Urteil vom 20. Februar 1986 V R 16/81, BFHE 146, 287, 289, BStBl II 1986, 579; Weiß, Anmerkung zu BFHE 146, 287, UR 1986, 154).

Der Gemeinschuldner kann dann die ihm (d. h. der Masse) in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen bzw. sich vergüten lassen (BFHE 146, 287, 289; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 41).

Wie § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG zeigt, ist der Leistende auch verpflichtet, dem Leistungsempfänger auf dessen Verlangen eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis auszustellen. Der Anspruch auf die Rechnung ergibt sich, sobald die Leistung bewirkt ist (Wagner, a. a. O., § 14 Rz. 38). Danach muß ein Sequester dem Gemeinschuldner seine Tätigkeit mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Daher stand im Streitfall bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung fest, daß die Gemeinschuldnerin aus der ihr gegenüber erbrachten Sequestertätigkeit einen Vorsteuerabzugsanspruch haben werde. Zwar war die Höhe noch offen, der Grund war aber gelegt und der Vergütungsanspruch nicht mehr umkehrbar.

Die Zugehörigkeit des Vorsteuerabzugsanspruchs zur Konkursmasse wird bestätigt durch den Anwartschaftsgedanken (vgl. Urteil des FG München vom 9. April 1986 III 300/85 AO, UR 1987, 178). Danach gilt eine rechtlich gesicherte Anwartschaft als zur Masse gehörendes Recht (Kilger, a. a. O., § 1 Anm. 5 C; Weiß, FR 1990, 539, 541). Der Leistungsempfänger hat bereits eine gesicherte Rechtsposition, wenn für den Vorsteuerabzug i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG lediglich noch die Rechnung aussteht, da es allein an ihm liegt, diese vom leistenden Unternehmer zu verlangen.

dd) Der V. Senat des BFH hat zwar entschieden, daß ein Anspruch i. S. des § 3 Abs. 1 KO erst begründet ist, wenn der Tatbestand, aus dem sich der Anspruch ergibt, vollständig verwirklicht, also abgeschlossen ist (Urteile in BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, 227, und vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741, 743). Diese Rechtsprechung ist im konkursrechtlichen Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (vgl. Frotscher, a. a. O., S. 202; Endres, Zur Umsatzsteuer im Konkurs, UR 1988, 333). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er in den vom V. Senat entschiedenen Urteilsfällen - Anspruch des FA auf Rückforderung abgezogener Vorsteuerbeträge, Umsatzsteuer auf die Verwertung von Sicherungsgut durch den Konkursverwalter - der mehr steuerrechtlichen Betrachtungsweise folgen würde. Er weicht von den Urteilen des V. Senats jedenfalls deshalb nicht ab, weil der hier zu beurteilende Vorsteueranspruch aufgrund der Sequestervergütung einen anderen Sachverhalt betrifft, bei dem das vor Konkurseröffnung noch ausstehende umsatzsteuerliche Tatbestandselement (Rechnungserteilung) unausweichlich verwirklicht werden wird.

3. Für die Aufrechnung des FA mit vorkonkurslichen Steuerforderungen gegen den Vorsteueranspruch aufgrund der Sequestertätigkeit ist ohne Bedeutung, ob die Sequestervergütung einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer als ein gegen die Masse gerichteter Anspruch (§§ 57, 58, 59 KO) anzusehen ist. Die umsatzsteuerrechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerschuld des Leistenden und dem Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers hat nicht zur Folge, daß auch konkursrechtlich die zu entrichtende bzw. in Rechnung gestellte Umsatzsteuer und die abzugsfähige Vorsteuer zwingend in jeder Hinsicht gleich zu behandeln, d. h. auch derselben Vermögensmasse (Konkursforderung, Masseanspruch oder konkursfreie Forderung) zuzuordnen sind.

Nach überwiegender Meinung im Schrifttum (Mohrbutter/Mohrbutter, a. a. O., I 7 Rz. 17; Kilger, a. a. O., § 58 Anm. 3 a; Kuhn/Uhlenbruck, a. a. O., § 106 Rz. 22 g) handelt es sich bei der entsprechend § 85 KO festzusetzenden Vergütung des Sequesters um Massekosten i. S. des § 58 Nr. 2 KO, die nach § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu befriedigen sind. Mit dem Aufrechnungsverbot des § 55 Nr. 1 KO soll verhindert werden, daß ein Konkursgläubiger nach § 3 KO sich auf Kosten der Massegläubiger Befriedigung verschafft; die Aufrechnung ist deshalb ausgeschlossen, wenn die Gegenforderung erst nach Konkurseröffnung begründet wurde, sie also einen Masseanspruch darstellt (Frotscher, a. a. O., S. 85; Frotscher in Schwarz, a. a. O., § 251 Anm. 32).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Anspruch auf die Sequestervergütung (einschließlich Umsatzsteuer) tatsächlich einen Massekostenanspruch i. S. des § 58 Nr. 2 KO und nicht nur eine einfache Konkursforderung gemäß § 3 KO darstellt. Für die Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters (vgl. § 106 KO) - ebenso wie des Vergütungsanspruchs des Konkursverwalters - zu den Massekosten mögen - unabhängig von dem Zeitpunkt der Begründung des Anspruchs i. S. des § 3 Abs. 1 KO (vgl. dazu oben 2. d, bb) - wegen der "Nähe zum Konkurs" (vgl. Mohrbutter/Mohrbutter, a. a. O., I 7 Rz. 17) gewichtige Argumente sprechen, zumal bereits die Sequestration der Sicherung der künftigen Konkursmasse dient (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1986 VII R 184/83, BFHE 146, 363, BStBl II 1986, 586, 588, m. w. N.; Eickmann, ZIP 1982, 21, 25, unter Hinweis auf § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO). Die Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters zu den Massekosten führt aber nicht dazu, daß auch der aus dieser Verwaltungsleistung resultierende Vorsteueranspruch des Gemeinschuldners nur den Massegläubigern zugute kommen muß und folglich eine Aufrechnung des FA als Konkursgläubiger gegen diesen Vorsteueranspruch ausgeschlossen ist.

Für eine derartige Kongruenz in der Zuordnung zu den Vermögensmassen für den in dem Vergütungsanspruch enthaltenen Umsatzsteueranteil und den daraus folgenden Vorsteueranspruch des Gemeinschuldners ist in den Vorschriften der KO (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 55 Nr. 1) kein Anhaltspunkt ersichtlich. Der Vorsteuerabzugsanspruch stellt vielmehr konkursrechtlich einen eigenständigen Anspruch dar, der mit dem die Umsatzsteuer beinhaltenden Vergütungsanspruch des Sequesters schon wegen der unterschiedlichen Beteiligten auf der Gläubiger- und Schuldnerseite (Sequester/Gemeinschuldner - Gemeinschuldner/FA) zwar in einem ursächlichen, nicht aber in einem konkursrechtlich bedeutsamen Zusammenhang steht. Die für den Streitfall maßgebliche Aufrechnungsbefugnis des FA richtet sich allein nach § 55 Nr. 1 KO, wonach darauf abzustellen ist, ob das FA nach der Konkurseröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist.

Die Aufrechnung war danach zulässig, weil - wie oben ausgeführt - der Vorsteuerabzugsanspruch des Gemeinschuldners, gegen den die Aufrechnung erklärt wurde, bereits mit der Tätigkeit des Sequesters und damit vor dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet worden ist. Die Aufrechnungslage war demnach nach der maßgeblichen konkursrechtlichen Betrachtungsweise bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gegeben. Auf die rechtliche Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters (Konkursforderung oder Masseforderung) kommt es nicht an. Die Massegläubiger haben konkursrechtlich keinen Anspruch darauf, daß ihnen der Vorsteuervergütungsanspruch zugute kommt, nur weil die Sequestervergütung einschließlich Umsatzsteuer aus der Masse vorweg zu befriedigen ist.