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  BFH-Urteil vom 6.10.1993 (I R 32/93) BStBl. 1994 II S. 113

(Vorab entstandene) Werbungskosten, die durch eine nicht selbständige Tätigkeit im Ausland veranlaßt sind, mindern bei entsprechendem Progressionsvorbehalt auch dann den Steuersatz, wenn künftig die inländische Steuerpflicht entfällt.

DBA-Südafrika Art. 20 Abs. 2 Buchst. a Satz 2.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1993, 383)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, waren im Streitjahr 1990 in nichtselbständiger Tätigkeit im Inland tätig. Sie siedelten am 26. Dezember 1990 in die Republik Südafrika um, wo die Klägerin als angestellte Ärztin tätig wurde.

Die Kläger begehrten bei der Veranlagung der Einkommensteuer 1990 zunächst, Aufwendungen der Klägerin für Bewerbungen im Zusammenhang mit ihrer anschließenden Tätigkeit in Südafrika als Werbungskosten anzuerkennen. Nachdem dies der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unter Hinweis auf § 3 c des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgelehnt hatte, beantragten die Kläger im Einspruchsverfahren, die Bewerbungskosten sowie Umzugskosten gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 2 EStG bei der Ermittlung des Einkommensteuersatzes zu berücksichtigen. Während der Einspruch erfolglos blieb, gab das Finanzgericht (FG) der Klage im wesentlichen statt. Die Entscheidung ist veröffentlicht in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 383.

Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Bezieht ein unbeschränkt Einkommensteuerpflichtiger ausländische Einkünfte, die auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) im Inland von der Steuer freizustellen sind, so ist zum Zwecke der Einkommensteuerfestsetzung zu unterscheiden zwischen der Ermittlung des Einkommens als Steuerbemessungsgrundlage und der Ermittlung des Einkommens als Steuersatzbemessungsgrundlage (sog. Steuersatzeinkommen; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1990 I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136). Die der Klägerin im Streitjahr entstandenen Aufwendungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer künftigen Auslandstätigkeit stehen, können das Einkommen als Steuerbemessungsgrundlage nicht mindern. Sie mindern jedoch das Steuersatzeinkommen.

1. Gemäß Art. 20 Abs. 2 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 25. Januar 1973 (DBA-Südafrika) werden - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb Südafrikas ausgenommen, die nach dem Abkommen in Südafrika besteuert werden können. Einkünfte der Klägerin aus ihrer (künftigen) Tätigkeit als angestellte Ärztin in Südafrika sind von der deutschen Besteuerung freizustellen, da Gehälter aus nichtselbständiger Tätigkeit gemäß Art. 13 Abs. 1 DBA-Südafrika in Südafrika besteuert werden können (vgl. auch BFH-Urteil vom 27. März 1991 I R 180/87, BFH/NV 1992, 248). Das in Art. 13 DBA-Südafrika verankerte Recht Südafrikas, die Bruttoeinnahmen zu besteuern, umfaßt das Recht zur Besteuerung der Nettoeinkünfte (vgl. auch Nr. 1 des Kommentars der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Musterabkommens - OECD-MustAbk -: "Einkünfte"; abgedruckt bei Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., Art. 15 Rdnr. 2). Da die ausländischen Einkünfte als solche von der inländischen Steuer freigestellt sind, bleiben Einnahmen und Werbungskosten gemäß § 9 EStG, die durch die Erzielung der ausländischen Einkünfte veranlaßt sind, schon auf Grund der Systematik der DBA bei der inländischen Besteuerung außer Ansatz.

Zu demselben Ergebnis führt die Anwendung des § 3 c EStG. Danach sind Ausgaben vom Abzug ausgeschlossen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Hierzu gehören die streitigen Bewerbungs- und Umzugskosten der Klägerin. Sie stehen mit der Tätigkeit der Klägerin in Südafrika in einem unlösbaren Zusammenhang (vgl. BFH-Urteile vom 29. Januar 1986 I R 22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479; vom 20. Juli 1973 VI R 198/69, BFHE 110, 47, BStBl II 1973, 732; vom 15. April 1992 III R 96/88, BFHE 168, 133, BStBl II 1992, 819 Nr. 2 c; vom 24. April 1992 VI R 141/89, BFHE 167, 525, BStBl II 1992, 666). Die Frage, ob neben den DBA-Regelungen über die Freistellung von Einkünften überhaupt Raum für eine Anwendung des § 3 c EStG ist, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben (vgl. hierzu Manke, Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 1990, 4/9; Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 3 c Rdnr. 4; Altehoefer in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 3 c Anm. 6; Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, § 3 c EStG, Rdnr. 7 m. w. N.).

2. Negative Einkünfte aus einer Einkunftsquelle, für die Südafrika das Besteuerungsrecht zusteht, mindern jedoch das Steuersatzeinkommen. Das gilt auch für (sog. vorab entstandene) Werbungskosten aus nichtselbständiger Tätigkeit in Südafrika.

Gemäß Art. 20 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Südafrika behält die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) das Recht, bei der Besteuerung einer in der Bundesrepublik ansässigen Person die von der Besteuerung ausgenommenen Einkünfte bei der Festsetzung des Steuersatzes nach den geltenden Besteuerungs- und Tarifvorschriften zu berücksichtigen (vgl. auch § 32 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 EStG; BFH-Urteile vom 9. November 1966 I 29/65, BFHE 87, 273, BStBl III 1967, 88; vom 13. November 1991 I R 3/91, BFHE 166, 233, BStBl II 1992, 345). Die Verteilung von Einkunftsquellen auf verschiedene Länder soll sich nach dem Zweck dieses sogenannten Progressionsvorbehalts nicht auf den Steuersatz auswirken. Insoweit soll dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung getragen werden.

Der Steuersatz für die im Wohnsitzstaat zu besteuernden Einkünfte ermittelt sich nach dem Steuersatzeinkommen. Dieses bemißt sich nach dem zu versteuernden Einkommen, das sich ergäbe, wenn kein DBA vorläge, d. h. die ausländischen Einkünfte der deutschen Besteuerung unterliegen würden (nunmehr ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. Urteile vom 25. Mai 1970 I R 146/68, BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755; vom 30. Mai 1990 I R 179/86, BFHE 161, 84, BStBl II 1990, 906; vom 29. April 1992 I R 102/91, BFHE 168, 157, BStBl II 1993, 149; BFH in BFHE 166, 233, BStBl II 1992, 345; vgl. auch Cöster/Meyer, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters - RIW/AWD - 1990, 45). Folglich sind auch Verluste als negative Einkünfte zu berücksichtigen (sog. negativer Progressionsvorbehalt; vgl. z. B. BFH in BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755; BFH-Urteil vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660; BFH in BFHE 166, 233, BStBl II 1992, 345). Da die Steuerpflicht der ausländischen Einkünfte zu unterstellen ist, greift das Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 3 c EStG bei der Steuersatzermittlung nicht ein (vgl. zu § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1986, BFH in BFHE 168, 157, BStBl II 1993, 149).

Bei Ermittlung des Steuersatzeinkommens sind auch Werbungskosten zu berücksichtigen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der künftigen Erzielung ausländischer, von der inländischen Besteuerung freizustellender Einkünfte stehen. Entscheidend ist, daß der (noch) Steuerpflichtige die Werbungskosten während des Bestehens der inländischen Einkommensteuerpflicht verausgabt hatte.

Der Streitfall bietet keine Gelegenheit, die methodische Frage zu entscheiden, ob normale oder vorab entstandene Werbungskosten anzunehmen sind, wenn mit den Aufwendungen zusätzliche oder anders geartete Einnahmen einer bereits fließenden Einkunftsquelle geschaffen werden (vgl. hierzu v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 B 124 a; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Hellwig, Einkommensteuerrecht, § 9 Rdnr. 89). Die Bewerbungs- und Umzugskosten, die nach den vom FG getroffenen und vom FA nicht bestrittenen Feststellungen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) durch den Arbeitsplatzwechsel veranlaßt sind, mindern auf Grund ihres wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der (künftigen) nichtselbständigen Tätigkeit entweder als normale oder als vorab entstandene Werbungskosten, die allgemeine Anerkennung gefunden haben, das Steuersatzeinkommen (vgl. hierzu z. B. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 9 Anm. 2 j; § 19 Anm. 12 "Umzugskosten"; v. Bornhaupt, a. a. O., § 9 B 124; BFH-Urteil vom 22. November 1991 VI R 77/89, BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494).

Die Tatsache, daß positive Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit wegen Aufgabe des inländischen Wohnsitzes und damit des Wegfalls der Einkommensteuerpflicht in Zukunft zu keiner Progressionssteigerung mehr führen können, schließt die Berücksichtigung der im Streitjahr verausgabten Bewerbungs- und Umzugskosten nicht aus. Der Verlustabzug oder der Abzug von Werbungskosten ist in diesem Zusammenhang unabhängig davon, ob aus der Einkunftsquelle im Ausland in Zukunft positive, steuerbare oder überhaupt noch Einkünfte fließen. Dementsprechend hat der Senat bei der Ermittlung des Steuersatzes im Wege des Verlustvortrags auch Verluste aus der Veräußerung eines ausländischen Mitunternehmeranteils angesetzt, obgleich im Verlustabzugsjahr keine Einkünfte hieraus mehr fließen konnten (vgl. BFH in BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755). Nur auf diese Weise wird dem Zweck des (negativen) Progressionsvorbehalts Rechnung getragen, die tatsächlich eingetretene verringerte steuerliche Leistungsfähigkeit der im Streitjahr noch unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Kläger bei Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen.

Der Zulässigkeit des Werbungskostenabzugs steht nicht entgegen, daß Art. 20 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Südafrika der Bundesrepublik das Recht einräumt, die von der Besteuerung ausgenommenen Einkünfte (vgl. ähnlich § 32 b Abs. 2 Nr. 2 EStG) bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen und im Streitfall nicht Einkünfte, sondern Werbungskosten berücksichtigt werden. Aus der Systematik der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode ergibt sich, daß Einkünfte derselben Einkunftsart in solche aus in- und ausländischen Quellen zu trennen sind. Aus der Sicht des DBA-Südafrika liegen methodisch auf Grund vorab entstandener Werbungskosten negative Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Südafrika vor. Die Art und Weise, in der diese Werbungskosten bei der Steuersatzermittlung Berücksichtigung finden, regelt nicht das DBA. Sie unterliegen der inländischen Steuersystematik.