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  BFH-Beschluß vom 30.11.1993 (II B 183/92) BStBl. 1994 II S. 150

Über die Gewährung der Vergünstigung für Schachtelgesellschaften ist nicht im Verfahren über die Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen, sondern im Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zu entscheiden. Ist es rechtlich zweifelhaft, ob demjenigen, der die Beteiligung hält, die Vergünstigung nach § 102 BewG zusteht, so ist eine Feststellung des gemeinen Werts der Anteile steuerlich von Bedeutung und als solche rechtmäßig (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 24. Juli 1985 II R 227/82, BFHE 144, 201, BStBl II 1986, 128).

BewG § 19 Abs. 4, § 102; Anteilsbewertungsverordnung § 3; AO 1977 § 180.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Alleinaktionärin der G-AG war zu den streitigen Stichtagen die A mit dem Sitz in Italien. Die Aktien wurden gehalten von einer rechtlich unselbständigen inländischen Betriebsstätte der A - Direktion für Deutschland (DfD) -.

Durch Bescheide vom 4. Mai 1988 setzte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) den gemeinen Wert der Anteile an der G-AG für die Jahre 1982 bis 1986 wie folgt fest:

31. Dezember 1982: 231 DM,

31. Dezember 1983: 277 DM,

31. Dezember 1984: 437 DM,

31. Dezember 1985: 581 DM,

31. Dezember 1986: 332 DM.

Der Feststellungsbescheid zum 31. Dezember 1986 wurde durch die Einspruchsentscheidung vom 6. April 1992 aufgehoben.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, daß die Feststellungsbescheide nicht hätten ergehen dürfen. Gegen diese ist ein Klageverfahren beim Finanzgericht (FG) anhängig. Nach Meinung der Antragstellerin habe eine Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der G-AG zu unterbleiben. Diese Feststellung habe nur Bedeutung für die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der A - DfD -. Diese aber könne sich auf das Schachtelprivileg des § 102 des Bewertungsgesetzes (BewG) berufen. Danach gehöre die Beteiligung nicht zum steuerlichen Betriebsvermögen der A - DfD - und gehe daher auch nicht in den Einheitswert des Betriebsvermögens ein. Die Beschränkung des § 102 Abs. 1 BewG auf inländische Kapitalgesellschaften verstoße gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaften - EG - (Art. 52 und 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 - EWGV -).

Die Antragstellerin beantragte, die Vollziehung des Feststellungsbescheids zum 31. Dezember 1985 auszusetzen, hilfsweise die Vollziehung des Aufhebungsbescheids bezüglich der Feststellung des gemeinen Werts der Anteile zum 31. Dezember 1986.

Das FA beantragte, den Antrag abzuweisen. Es ist der Auffassung, daß über das Schachtelprivileg im Verfahren der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der A - DfD -, nicht aber im Verfahren zur Feststellung des gemeinen Werts der Anteile entschieden werden könne.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat wegen des Ausschlusses von Betriebsstätten EG-ausländischer Gesellschaften vom vermögensteuerrechtlichen Schachtelprivileg des § 102 BewG ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gegen die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) eingeleitet, das unter dem Aktenzeichen A 91/0621 geführt wird.

Das FG hat durch Beschluß die Vollziehung des Bescheids vom 4. Mai 1988 über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile der G-AG zum 31. Dezember 1985 ausgesetzt. Es bestünden ernstliche Zweifel i. S. von § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids. Eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen finde nur statt, wenn sie für die Besteuerung von Bedeutung sei. Die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile der G-AG aber sei rechtsunerheblich, weil diese Beteiligung nicht in den Einheitswert des Betriebsvermögens der A - DfD - eingehe. Dieser stehe insoweit das Schachtelprivileg des § 102 Abs. 1 BewG zu. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei davon auszugehen, daß § 102 BewG insoweit gegen die Art. 52 und 58 EWGV verstoße, wie er inländische Niederlassungen ausländischer Gesellschaften von der Vergünstigung des Schachtelprivilegs ausschließe. Damit sei die Feststellung des gemeinen Werts dieser Beteiligung mangels anderweitiger steuerlicher Auswirkungen rechtsunerheblich und damit unzulässig. Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 177 Abs. 3 EWGV sei in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich. Die Beschwerde ließ das FG zu.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des FA. Dieses beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde des FA führt zur Aufhebung des FG-Beschlusses und zur Abweisung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung.

Zu Unrecht hat das FG angenommen, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der G-AG i. S. § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen.

Bedenken gegen die festgestellte Höhe des gemeinen Werts der Anteile und gegen den sonstigen Inhalt des Feststellungsbescheids bestehen nicht und wurden auch nicht geltend gemacht. Die Behauptung der Antragstellerin, die Anteile an der G-AG gehörten nach § 102 BewG nicht zu ihrem Gewerbebetrieb, da nach Art. 52 und 58 EWGV diese Steuervergünstigung auch inländischen Betriebsstätten EG-ausländischer Gesellschaften zu gewähren sei, stellt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Feststellungsbescheids nicht in Frage. Über die Gewährung der Vergünstigung für Schachtelgesellschaften ist im Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, nicht aber bei der Feststellung des gemeinen Werts der Anteile zu entscheiden.

Die Vergünstigung für Schachtelgesellschaften nach § 102 BewG betrifft nicht die Bewertung der Anteile, sondern den Bestand des Betriebsvermögens. Die Vorschrift ordnet nicht etwa eine Bewertung der betreffenden Anteile mit 0 an, sondern ein Ausscheiden dieser Beteiligung aus dem Vermögensbestand des gewerblichen Betriebs desjenigen, der diese Anteile hält (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Juli 1965 III 330/63 U, BFHE 83, 377, BStBl III 1965, 636). Über die Frage, ob diese Vergünstigung zu gewähren ist, ist daher notwendigerweise im Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zu entscheiden. Eine vorangehende Feststellung des gemeinen Werts der Anteile entfaltet demgemäß für die Frage einer Vergünstigung nach § 102 BewG keine Bindungswirkung. Hinsichtlich der Vergünstigung für Schachtelgesellschaften ist der Bescheid über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile nicht Grundlagenbescheid gegenüber dem Bescheid über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens. Der Bescheid über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der G-AG ist daher auch dann nicht rechtswidrig, wenn der Antragstellerin die Vergünstigung nach § 102 BewG für diese Beteiligung zu gewähren wäre. Auf die für das FG entscheidende Erwägung, daß nach der Rechtsprechung des EuGH der EWGV dazu verpflichte, auch inländische Niederlassungen EG-ausländischer Gesellschaften in die Vergünstigung für Schachtelgesellschaften mit einzubeziehen, kommt es daher im Rechtsstreit über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile nicht an.

Entgegen der Auffassung des FG steht es diesem Ergebnis nicht entgegen, daß eine gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Anteile nur durchgeführt werden darf, wenn sie für die Besteuerung von Bedeutung ist. § 3 der Verordnung zur gesonderten Feststellung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften (Anteilsbewertungsverordnung) vom 19. Januar 1977 ordnet dies ausdrücklich an. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgrundsatz für alle gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, daß diese nur getroffen werden dürfen, wenn sie für eine Besteuerung noch von Bedeutung sind (vgl. z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 180 AO 1977 Tz. 2). Dieser Grundsatz hat beispielsweise auch in § 19 Abs. 4 BewG seinen Niederschlag gefunden. Die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ist dann unzulässig, wenn sie zu keinen Konsequenzen hinsichtlich einer Besteuerung (mehr) führen kann. Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist jedoch nur dann unzulässig, wenn es unzweifelhaft ist, daß ihr keine steuerliche Bedeutung mehr zukommt (vgl. Niedersächsisches FG vom 2. August 1988, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 94). Solange Zweifel an der steuerrechtlichen Relevanz der gesonderten Feststellung bestehen, ist die Feststellung jedoch geboten und rechtmäßig (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O.; Rössler/ Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl., § 19 BewG Rdnrn. 11 und 105). Zweifel in diesem Sinne sind nicht nur solche über die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Steuerbefreiung, sondern notwendigerweise auch solche über reine Rechtsfragen. Ließe man es generell zu, daß immer dann, wenn eine gesonderte Feststellung nur Bedeutung für eine Steuer hat und es rechtlich zweifelhaft ist, ob für diese Steuer eine Befreiungsvorschrift eingreift, über die strittige Rechtsfrage der Steuerbefreiung im Feststellungsverfahren zu entscheiden ist, so führte dies zu einer unzulässigen Verlagerung von Fragen der Steuerfestsetzung in das Verfahren über die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. Juli 1974 III R 88/73, BFHE 113, 55, BStBl II 1974, 666). Ist es daher rechtlich zumindest zweifelhaft, ob eine gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft noch Auswirkungen auf eine Vermögensbesteuerung hat, so ist diese Feststellung noch für die Besteuerung von Bedeutung und daher durchzuführen.

Die gegenteilige Auffassung hätte u. a. zur Folge, daß über die Steuervergünstigung nach § 102 BewG nicht das dafür zuständige FA zu entscheiden hätte, sondern ohne entsprechenden gesetzlichen Auftrag das für die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile zuständige FA. Insoweit besteht ein entscheidungserheblicher Unterschied zur Geltendmachung von Grundsteuerbefreiungen im Verfahren über den Einheitswertbescheid bzw. über den Grundsteuermeßbescheid, da diese beiden Bescheide notwendigerweise vom selben FA erlassen werden (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Die auf die Besonderheiten des dreistufigen Verfahrens bei der Grundsteuer zugeschnittenen Überlegungen des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 24. Juli 1985 II R 227/82 (BFHE 144, 201, BStBl II 1986, 128) lassen sich daher schon deswegen auf das Problem im Streitfall nicht übertragen.

Die Frage einer Vorlage des Verfahrens an den EuGH nach Art. 170 EWGV stellt sich für den Senat schon deswegen nicht, da der vom FG angenommene und von den Klägern behauptete Verstoß der Regelung des § 102 BewG gegen Art. 52 und 58 EWGV nach Auffassung des Senats nicht im jetzt anhängigen Verfahren zu entscheiden ist, sondern im Verfahren über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Antragstellerin.