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  BFH-Urteil vom 6.10.1993 (I R 97/92) BStBl. 1994 II S. 287

1. Veräußerungskosten i. S. des § 16 Abs. 2 EStG sind Aufwendungen, die in unmittelbarer sachlicher Beziehung zum Veräußerungsvorgang stehen (Anschluß an BFH-Urteil vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, 563).

2. Veräußerungskosten sind auch dann bei der Ermittlung des nach §§ 34, 16 EStG begünstigten Veräußerungsgewinns abzuziehen, wenn sie bereits im Veranlagungszeitraum vor dem Entstehen des Veräußerungsgewinns angefallen sind.

EStG §§ 4 Abs. 3, 11 Abs. 2, 16 Abs. 2, 34.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) schied zum 2. Januar 1988 aus der seit 1. November 1985 mit Dr. A geführten Gemeinschaftspraxis aus. In der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte für das Jahr 1987 machte er u. a. Aufwendungen in Höhe von 22.215,18 DM für Rechtsanwälte als Sonderbetriebsausgaben geltend. Die Anwälte hatten ihn im Jahre 1987 bei den Auseinandersetzungsverhandlungen beraten. Der Kläger hatte die Honorare im Jahre 1987 bezahlt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte die Anwaltskosten als Kosten des Veräußerungsvorgangs des Jahres 1988 und lehnte eine Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben bei der Ermittlung des laufenden Gewinns des Jahres 1987 ab. Gegen den entsprechenden Feststellungsbescheid 1987 legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.

Das Finanzgericht (FG) wies die gegen den Einspruchsbescheid erhobene Klage mit der Begründung ab, die Anwaltskosten minderten als Veräußerungskosten den im Jahre 1988 erzielten Veräußerungsgewinn und nicht den laufenden Gewinn des Jahres 1987.

Mit seiner Revision macht der Kläger Verletzung der §§ 4, 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beratungskosten von 22.215 DM bei der Feststellung des Gewinns 1987 als Sonderbetriebsausgaben abzuziehen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG brauchte den Mitbeteiligten der Gemeinschaftspraxis nicht beizuladen.

Klagt ein einzelner Gesellschafter nach Beendigung der Gesellschaft, so kann eine Beiladung des anderen Gesellschafters (§ 60 Abs. 3 FGO) ausnahmsweise unterbleiben, wenn der nicht klagende Gesellschafter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1981 I R 93/77, BFHE 135, 271, BStBl II 1982, 474; BFH-Beschluß vom 19. Juni 1990 VIII B 3/89, BFHE 161, 404, 409, BStBl II 1990, 1068).

Die Zuordnung der vom Kläger geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben zum Veräußerungsgewinn des Jahres 1988 oder zum laufenden Gewinn des Jahres 1987 betrifft ausschließlich die Besteuerung des Klägers, so daß eine Beiladung des früheren Mitgesellschafters nicht geboten war.

2. Das FG hat die streitigen Anwaltskosten ohne Rechtsfehler als Veräußerungskosten i. S. des § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG qualifiziert.

Veräußerungskosten sind Aufwendungen, die in unmittelbarer sachlicher Beziehung zum Veräußerungsvorgang stehen (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1977 IV R 60/74, BFHE 123, 553, 556, BStBl II 1978, 100, 101; vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, 563; Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 12. Aufl., § 16 Anm. 52 a). Die Inanspruchnahme anwaltlichen Rates bei den Verhandlungen über die Auseinandersetzungsvereinbarungen steht in unmittelbarer sachlicher Beziehung zum Veräußerungsvorgang. Die dadurch ausgelösten Beratungskosten sind Veräußerungskosten.

3. Das FG hat die Kosten zutreffend der Ermittlung des Veräußerungsgewinns des Jahres 1988 zugeordnet und nicht bei der Ermittlung des laufenden Gewinns des Jahres 1987 als Sonderbetriebsausgaben berücksichtigt.

a) Der objektive Wille des Gesetzgebers zur zeitlichen Zuordnung von Veräußerungskosten ist nur durch Auslegung zu ermitteln.

Einerseits definiert § 16 Abs. 2 EStG den Veräußerungsgewinn als Differenz zwischen dem um die Veräußerungskosten verminderten Veräußerungspreis und dem Buchwert des veräußerten Betriebsvermögens. Diese Bestimmung läßt eine enge sachliche Verklammerung des Veräußerungspreises und der Veräußerungskosten erkennen. Vor dem Vergleich des Erlöses mit dem Buchwert des veräußerten Betriebsvermögens ist der Erlös um die Veräußerungskosten zu vermindern.

Andererseits sind bei der im Streitfall maßgebenden Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG Ausgaben vor dem Veräußerungsjahr grundsätzlich in dem Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen, in dem sie geleistet worden sind (§ 11 Abs. 2 EStG).

b) In der steuerrechtlichen Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, ein Widerspruch zwischen dem Abflußprinzip und sachlichen Zusammenhang von Veräußerungskosten mit dem Veräußerungsgeschäft sei zugunsten des sachlichen Zusammenhangs mit dem Veräußerungsgeschäft zu lösen. Da die Veräußerungskosten gemäß § 16 Abs. 2 EStG vom Veräußerungspreis abzusetzen seien, könnten sie erst in demjenigen Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden, in dem der Veräußerungsgewinn realisiert werde (Hörger in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 16 Rz. 121; Gänger in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 16 Rz. 94; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 16 Rdnr. E 41; Rödder, Der Betrieb - DB - 1988, 151; Schmidt, a. a. O., 12. Aufl., § 16 Anm. 52 a; Söffing in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 16 Anm. 365). Nach der Gegenmeinung kommt den Vorschriften über die Abschnittsbesteuerung Vorrang zu (vgl. Böddinghaus/Klevemann, DB 1987, 120). Veräußerungskosten mindern nach dieser Auffassung den Veräußerungsgewinn nur, wenn sie in dem Veranlagungszeitraum anfallen, in dem der Veräußerungsgewinn realisiert wird.

c) Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung an, daß die Attraktivkraft des Veräußerungsvorgangs zu einer Berücksichtigung der in früheren oder späteren Jahren angefallenen Veräußerungskosten im Jahr der Veräußerung zwingt. Eine wesentliche Bedeutung der Sonderregelung des § 16 EStG für bestimmte Veräußerungsgewinne liegt in der Anwendung der Tarifvergünstigung des § 34 EStG. Die in § 16 EStG definierten Veräußerungsgewinne unterliegen dem begünstigten Steuersatz des § 34 EStG. Der diesem Steuersatz unterliegende Gewinn muß sachlich und betragsmäßig von den der Tarifbesteuerung unterliegenden laufenden Gewinnen abgegrenzt werden. Entsprechend der Definition in § 16 Abs. 2 EStG erfordert diese Abgrenzung, daß der Veräußerungspreis um die mit dem Veräußerungsvorgang in sachlichem Zusammenhang stehenden Veräußerungskosten ermäßigt wird (BFH in BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, 563). Da die Veräußerungskosten nur durch den sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang, nicht aber durch eine zeitliche Zuordnung bestimmt sind (vgl. BFH in BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561, 563), sind sämtliche Veräußerungskosten ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Entstehung vom Veräußerungspreis abzusetzen. Wären vorweggenommene Veräußerungskosten bei einer Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG zwingend im Jahr der Zahlung zu berücksichtigen, so wären diese Kosten im Ergebnis zweimal gewinnmindernd zu berücksichtigen. Zum einen als Minderung des laufenden Gewinns im Jahr der Zahlung und zum anderen als Minderung des Veräußerungsgewinns im Jahr der Gewinnrealisierung. Es bedarf keiner besonderen Ausführungen, daß eine mehrfache gewinnmindernde Berücksichtigung nur einmal entstandener Betriebsausgaben den Gewinnermittlungsgrundsätzen des § 4 Abs. 1 und Abs. 3 EStG nicht entspräche.

Die verfahrensrechtlichen Bedenken des Klägers sind nicht begründet. Wenn sich letztlich erfolglose Verkaufsbemühungen über längere Zeit erstreckt haben, können Aufwendungen, die zunächst als Veräußerungskosten nicht berücksichtigt wurden, auch dann noch im Jahr der Zahlung als Betriebsausgaben berücksichtigt werden, wenn die entsprechenden Veranlagungen bereits bestandskräftig sein sollten. Der nachträglich bekannt werdende fehlende Zusammenhang der Ausgaben mit einer Betriebsveräußerung ist grundsätzlich neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und führt zu einer Änderung der betreffenden Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen.

4. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht vom Urteil des BFH vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563, unter 3 c) ab. In dieser Entscheidung hatte der BFH darüber zu entscheiden, ob eine nachträgliche Minderung von Veräußerungskosten im Jahr des Veräußerungsvorgangs oder erst im Jahr der Minderung zu berücksichtigen sei. Nach der Entscheidung des VIII. Senats ist der erhöhte Veräußerungsgewinn gemäß §§ 16 Abs. 2, 34 EStG begünstigt, jedoch erst im Jahr der Minderung zu erfassen. Der vom VIII. Senat entschiedene Sachverhalt unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom Streitfall. Wenn einer nachträglichen Erhöhung des Veräußerungsgewinns im Jahr der Erhöhung noch die Tarifbegünstigung des § 34 EStG gewährt werden kann, so ist das bei einer "vorweggenommenen Verminderung" des Veräußerungsgewinns durch vorweggenommene Veräußerungskosten im Jahr des Abflusses nicht möglich. Negative Einkünfte aus dem Veräußerungsvorgang können in einem Veranlagungszeitraum vor der Realisierung des Veräußerungsgewinns keine Tarifbegünstigung erfahren. Schon aus diesem Grunde ist der vom VIII. Senat entschiedene Fall mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Es kann dahinstehen, ob der erkennende Senat der Auffassung des VIII. Senats in einem der früheren Entscheidung vergleichbaren Fall folgen könnte und ob das Urteil in BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563 nicht durch den Beschluß des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 überholt ist.