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  BFH-Urteil vom 14.12.1993 (VII R 46/93) BStBl. 1994 II S. 333

1. In der mündlichen Steuerberaterprüfung müssen an den Bewerber nicht Fragen aus sämtlichen der in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete gestellt werden.

2. Zum Schutz des Vertrauens in den Bestand der Rechtsprechung.

3. Das Gebot der Chancengleichheit verlangt nicht, daß alle Bewerber eines Prüfungsjahrgangs von demselben Prüfungsausschuß geprüft werden.

4. Allein das Nichtvorhandensein eines ausführlichen Protokolls über den Inhalt der mündlichen Steuerberaterprüfung rechtfertigt nicht die Aufhebung der Entscheidung über das Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung.

GG Art. 12, 19; AO 1977 § 84 Satz 3; StBerG § 37 a Abs. 3, § 37 b Abs. 2, § 164 a Abs. 1; DVStB § 10 Abs. 1 Satz 2, § 12 a. F., § 26 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 und 5, Abs. 7, § 30.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat die Steuerberaterprüfung (2. Wiederholung) nicht bestanden, weil sie die erforderliche Gesamtdurchschnittsnote nicht erzielt hat.

Gegen die ihr bekanntgegebene Prüfungsentscheidung wandte sich die Klägerin mit der Klage und begehrte, unter Aufhebung der Prüfungsentscheidung den Beklagten und Revisionskläger (Ministerium der Finanzen - FinMin -) zu verpflichten, ihr die Wiederholung der mündlichen Prüfung unter einer anderen Prüfungskommission zu gestatten.

Die Klägerin trug vor, daß der Prüfungsausschuß in unvertretbarer und einseitiger Weise sowohl inhaltlich als auch zeitlich das Schwergewicht der mündlichen Prüfung auf die Gebiete Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Bürgerliches Gesetzbuch gelegt habe. Prüfungsfragen aus den Gebieten des Steuerrechts hätten nur ein verschwindendes Minimum der Prüfung ausgemacht. Die Prüfungsfragen aus dem nichtsteuerlichen Bereich hätten nicht nur Grundkenntnisse, sondern in unzulässiger Weise detailliertes Fachwissen vorausgesetzt. Da die Fragen einzelner Prüfer penetrant gewesen seien und ausschließlich Begriffsjuristerei zum Gegenstand gehabt hätten, habe keiner der Kandidaten eine echte Chance gehabt, die Prüfung zu bestehen. Das Prüfungsergebnis habe für den Vorsitzenden und den größten Teil der übrigen Prüfer von vornherein festgestanden.

Außerdem habe sich der Prüfungsausschuß ihr, der Klägerin, gegenüber nicht korrekt verhalten. So sei ihr beim mündlichen Vortrag kein Blickkontakt gewährt worden. Auch sei während kurzer Prüfungspausen Gelächter aus dem Prüfungsraum zu hören gewesen. Die Fragestellung sei penetrant und verwirrend oder mit Negativ-Kommentaren unterlegt gewesen. Mit Ausnahme von zwei Prüfern müsse bei den Mitgliedern des Prüfungsausschusses die menschliche Befähigung zur Abnahme derartiger Prüfungen in Frage gestellt werden.

Anhand der Gedächtnisprotokolle lasse sich feststellen, daß sich die Chancen, die Prüfung zu bestehen, ab April 1992 gravierend verschlechtert hätten. Die unterschiedliche Zusammensetzung der Prüfungsausschüsse verletze das Gebot der Chancengleichheit. Da über die gestellten Fragen und deren zeitliche Erstreckung kein Protokoll geführt wurde, sei ein Nachweis von Verstößen kaum möglich.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, weil die für die mündliche Prüfung geltenden Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten worden seien. Entgegen § 26 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) i. d. F. vom 19. August 1991 (BGBl I, 1797) seien der Klägerin nicht aus allen der in § 37 a Abs. 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) in der am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des StBerG vom 13. Dezember 1990 (BGBl I, 2756) genannten Prüfungsgebieten Fragen gestellt worden. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung stehe nämlich unstreitig fest, daß in der mündlichen Prüfung keinerlei Fragen aus dem Prüfungsgebiet "3. Besitzsteuern" gestellt worden seien. Es sei nicht auszuschließen, daß die Prüfungsentscheidung auf diesem Mangel beruhe.

Mit seiner Revision macht das FinMin die fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 37 a Abs. 3 StBerG sowie die fehlerhafte Auslegung des § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB durch das FG geltend.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung.

2. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Vorinstanz, daß nach § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB in der mündlichen Steuerberaterprüfung an jeden der Bewerber zumindest eine Frage aus jedem der in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten acht Prüfungsgebiete gestellt werden muß.

a) Zwar hat der Senat aufgrund der Rechtslage vor Einfügung des § 37 a Abs. 3 StBerG durch das 5. Gesetz zur Änderung des StBerG und Streichung des § 12 DVStB durch die Verordnung zur Änderung der DVStB vom 19. August 1991 (BGBl I, 1797) entschieden, § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB sei dahin auszulegen, daß in der mündlichen Steuerberaterprüfung an jeden Prüfling mindestens jeweils eine Frage aus den damals in § 12 DVStB genannten Prüfungsgebieten gestellt werden müsse (Senatsurteil vom 17. Juli 1984 VII R 38/84, BFHE 141, 203, BStBl II 1984, 676, m. w. N.; grundlegend Senatsurteil vom 22. Juni 1976 VII R 110/75, BFHE 119, 364, BStBl II 1976, 735, zu der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Steuerberatungsgesetzes vom 1. August 1962, BGBl I, 537). Aufgrund der Einführung des § 37 a in das StBerG und insbesondere aufgrund der Neugliederung der Prüfungsgebiete durch § 37 a Abs. 3 StBerG hält es der Senat aber nicht für gerechtfertigt, § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB weiterhin in diesem Sinne auszulegen.

b) Mag eine Auslegung der vorgenannten, jetzt geltenden Vorschriften über die mündliche Steuerberaterprüfung entsprechend der Rechtsprechung des Senats zur früheren Rechtslage auch "im Rahmen des möglichen Wortsinns" (BFHE 119, 364, 366) dieser Bestimmungen liegen, so zwingt deren Wortlaut jedoch nicht zu einer solchen Auslegung. So gestattet vor allem der Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB, wonach in den Prüfungsabschnitten an den Bewerber "Fragen aus den Prüfungsgebieten" zu stellen sind, auch die Auslegung, daß nur Fragen gestellt werden dürfen, die die in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete betreffen, daß aber die Auswahl der Prüfungsgebiete, aus denen Fragen gestellt werden, der fachlichen Verantwortung des Prüfungsausschusses überlassen bleibt.

Diese Auslegung ist unter Berücksichtigung der gegenüber § 12 DVStB a. F. weiteren Untergliederung der Prüfungsgebiete durch § 37 a Abs. 3 StBerG der Entscheidung im Streitfall deshalb zugrunde zu legen, weil nur sie dem mit der Gesetzesänderung erkennbar angestrebten Ziel und damit dem Normzweck entspricht, der sich vor allem aus dem nunmehr für die mündliche Steuerberaterprüfung maßgebenden Normzusammenhang ergibt.

Gegenüber den ursprünglichen in § 12 DVStB genannten drei Prüfungsgebieten (Steuerrecht I, Steuerrecht II und Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Wirtschaftsrecht, Berufsrecht) mit einer Vielzahl von möglichen Prüfungsthemen sind durch § 37 a Abs. 3 StBerG die Prüfungsgebiete neu gegliedert und zu acht Prüfungsgebieten zusammengefaßt worden. Die Zuordnung einzelner Prüfungsthemen zu den neu gegliederten Prüfungsgebieten hielt der Verordnungsgeber nach der Begründung zu Nrn. 9 bis 11 des Entwurfs der Änderungsverordnung nicht für erforderlich (vgl. BRDrucks 341/91, S. 24). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs war die Änderung deswegen erforderlich, weil im Zusammenhang mit der Eignungsprüfung gemäß § 37 b Abs. 2 StBerG der Nachweis von Vorkenntnissen auf einzelnen Prüfungsgebieten erleichtert werden mußte (vgl. auch § 26 Abs. 4 und 5 DVStB). Es ist - auch unter Berücksichtigung der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks 11/7665, S. 9, BRDrucks 324/90, S. 18) und des Entwurfs der Änderungsverordnung (BRDrucks 341/91) - nicht erkennbar, daß mit der aufgezeigten Rechtsänderung eine Ausdehnung des Umfangs der mündlichen Steuerberaterprüfung angestrebt worden ist. Dies würde eintreten, wenn der § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB weiterhin wie bisher ausgelegt würde.

Dann nämlich wäre der Prüfungsausschuß verpflichtet, im Rahmen der mündlichen Prüfung sämtliche der in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete abzudecken und dementsprechend aus jedem der Prüfungsgebiete Fragen zu stellen. Die danach zwingend zu behandelnden Prüfungsthemen würden von drei auf acht erweitert. Das würde zu einer über das bisherige Maß hinausgehenden Festlegung des Prüfungsstoffs für die mündliche Steuerberaterprüfung führen. Eine derartige Ausweitung unter Beibehaltung der Prüfungszeit (§ 26 Abs. 7 DVStB) würde auch dem vorrangigen Zweck der Prüfung als einer Verständnisprüfung (BFHE 119, 364, 367) zuwiderlaufen. Denn sie birgt zumindest die Gefahr in sich, daß die mündliche Steuerberaterprüfung mehr darauf ausgerichtet wird, der Pflicht zur Behandlung aller Prüfungsgebiete i. S. des § 37 a StBerG zu genügen und weniger darauf, eine vertiefte Erörterung der gestellten Fragen und damit eine Überprüfung des Verständnisses für ein geprüftes Gebiet vorzunehmen. Das wiederum stünde auch nicht im Einklang mit dem in § 37 a Abs. 1 StBerG bestimmten Ziel der Steuerberaterprüfung, dem Bewerber Gelegenheit zu geben, darzutun, daß er in der Lage ist, den Beruf eines Steuerberaters ordnungsgemäß auszuüben.

Dieser Prüfungszweck erfordert es zwar, einerseits dem Prüfungsausschuß zu ermöglichen, sich ein umfassendes Bild vom Wissen des Bewerbers auf den Gebieten zu verschaffen, mit denen er es in seinem angestrebten Beruf als Steuerberater zu tun haben wird, und andererseits dem Bewerber zu ermöglichen, das auf den Prüfungsgebieten erworbene Wissen auch zu zeigen (BFHE 119, 364, 366). Die dazu notwendige fachliche Breite der Prüfungsthemen wird aber schon durch die vorgeschriebene Zahl von sechs Prüfungsabschnitten (§ 26 Abs. 3 Satz 1 DVStB) und durch eine entsprechende Zahl von Prüfern, die aus unterschiedlichen Berufssparten kommen (§ 10 Abs. 3 DVStB), gewährleistet. Es kann danach der fachlichen Verantwortung des Prüfungsausschusses überlassen bleiben, die Prüfungsfragen aus den in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebieten so auszuwählen, daß der zuvor beschriebene Zweck der Steuerberaterprüfung erfüllt wird. Ein Anspruch des Bewerbers darauf, in bestimmten der in § 37 a Abs. 3 StBerG genannten Prüfungsgebiete auch tatsächlich geprüft zu werden, kann demgegenüber den nunmehr geltenden Vorschriften über die mündliche Steuerberaterprüfung nicht entnommen werden. Diese sprechen vielmehr dafür, daß von dem Bewerber erwartet wird, sich auf alle Prüfungsgebiete so vorzubereiten, daß er in der mündlichen Prüfung den an ihn gestellten Anforderungen des Prüfungsausschusses auf den geprüften Gebieten gerecht wird.

c) Die Klägerin kann sich im vorliegenden Fall auch nicht auf Vertrauensschutz hinsichtlich des Bestands der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 26 Abs. 3 Satz 2 DVStB berufen. Zwar ist die Stetigkeit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein wesentliches Element der Rechtssicherheit (vgl. BFH-Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, 350, m. w. N.). Aus diesem Gesichtspunkt folgt aber kein Vertrauensschutz in der Weise, daß eine für nicht mehr vertretbar gehaltene Rechtsprechung nicht geändert werden könnte (vgl. BFHE 161, 332, 350; Senatsurteil vom 21. November 1989 VII R 59/87, BFH/NV 1990, 602, 604). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung im Streitfall, nachdem die Rechtslage für die mündliche Steuerberaterprüfung aufgrund Gesetzesänderung nicht mehr der entspricht, die den bisherigen Entscheidungen des Senats zugrunde lag, überhaupt auf einer Rechtsprechungsänderung beruht.

d) Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben.

3. Die Sache ist entscheidungsreif.

a) Die Feststellungen des FG rechtfertigen die Entscheidung, daß die Vorschriften über die mündliche Steuerberaterprüfung fehlerfrei angewandt worden sind.

b) Einer Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin in der Vorinstanz, der auf eine Ablehnung von Mitgliedern des Prüfungsausschusses wegen Besorgnis der Befangenheit hinausläuft (§ 164 a Abs. 1 StBerG i. V. m. § 84 der Abgabenordnung - AO 1977 -), steht zwar nicht entgegen, daß die Klägerin diese Gründe nicht gemäß § 84 Satz 3 AO 1977 bereits vor Beginn der Prüfung geltend gemacht hat, denn sie haben sich nach ihrem Vorbringen erst im Verlauf der Prüfung ergeben (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 1983 VII R 133/82, BFHE 137, 536, 541, BStBl II 1983, 344). Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe reichen aber nicht aus, um daraus nachprüfbare Anhaltspunkte entnehmen zu können, die eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. So hat die Klägerin über ihre subjektiven Eindrücke hinaus keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich die Besorgnis der Befangenheit bestimmter Mitglieder des Prüfungsausschusses nachprüfbar und objektiv ergibt.

c) Aus dem Gebot der Chancengleichheit läßt sich nicht - wie die Klägerin meint - die Regel ableiten, daß die Prüfungen für alle Bewerber jeweils von demselben Prüfungsausschuß abgenommen werden müssen. Eine solche Regel wäre bei der Vielzahl der Bewerber schon aus praktischen Gründen nicht durchführbar, weil damit die Prüfer bei weitem überfordert würden.

d) Auch der Umstand, daß im Streitfall kein über den Vermerk der geprüften Fachgebiete und die erteilten Noten hinausgehendes Prüfungsprotokoll vorliegt, rechtfertigt nicht die Aufhebung der Prüfungsentscheidung. Das für die Steuerberaterprüfung geltende Verfahrensrecht enthält keine Vorschriften über die Protokollierung des Inhalts der mündlichen Prüfung (vgl. die nur formalen Anforderungen an das Prüfungsprotokoll gemäß § 30 DVStB). Auch übergeordnetes Recht (Art. 12, 19 des Grundgesetzes, allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze) gebietet nicht eine weitergehende Protokollierung der mündlichen Prüfung als Selbstzweck mit der Folge, daß schon allein der Umstand, daß kein umfassendes Prüfungsprotokoll vorliegt, zur Aufhebung der Prüfungsentscheidung führen müßte (vgl. zu einer etwaigen Protokollierungspflicht Niehues, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 3001, 3003; Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Juli 1993 7 B 92.2683 in Juristisches Informationssystem des Bundes, wonach keine Verpflichtung zur vollständigen Protokollierung einer mündlichen Prüfung besteht). Eine solche Folge könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn Anhaltspunkte vorhanden wären, die für sich zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung führen könnten und deren Nachweis durch ein umfassendes Prüfungsprotokoll gewährleistet oder zumindest erleichtert werden könnte. Derartige Umstände hat auch die Klägerin nicht vorgebracht.