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  BFH-Urteil vom 13.11.1991 (II R 15/89) BStBl. 1994 II S. 393

Für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG Fortschreibungszeitpunkt in jedem Fall der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, und zwar unabhängig davon, ob sich als Folge der Artfortschreibung auch (zu einem anderen Stichtag) der Einheitswert erhöht oder sich für den Steuerpflichtigen hierdurch bei an die Artfeststellung anknüpfenden Steuern steuerliche Mehrbelastungen ergeben. Die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative BewG gilt nur für den Fall einer werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswertes.

BewG § 22 Abs. 3, Abs. 4 Satz 3 Nr. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger sind Miteigentümer eines mit einem selbstgenutzten Wohngebäude bebauten Grundstücks. Das 1983 bezugsfertig gewordene Gebäude enthält im Erd- und 1. Obergeschoß die von den Klägern bewohnte Wohnung. Im Souterrain befinden sich mehrere weitere Wohnräume, die von der Wohnung der Kläger durch eine offene Treppe erreichbar sind. Die Räume im Souterrain bewohnte bis 1985 die Mutter/Schwiegermutter der Kläger. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich in den Räumen auch eine gebrauchsfähige Kücheneinrichtung.

Wegen der tatsächlichen Nutzung des Souterrains und des Vorhandenseins einer Küche bewertete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) das Grundstück auf den 1. Januar 1984 als Zweifamilienhaus und setzte den Einheitswert auf 67.200 DM fest. Anläßlich einer im April 1986 durchgeführten Ortsbesichtigung stellte das FA fest, daß die Mutter/Schwiegermutter der Kläger die Räume im Souterrain nicht mehr bewohnte und die Küche entfernt worden war. Es bewertete durch Bescheid vom 21. Januar 1987 auf den 1. Januar 1986 im Wege der Artfortschreibung das Gebäude als Einfamilienhaus und setzte wegen des höheren Vervielfältigers den Einheitswert auf 76.600 DM herauf.

Mit ihrer - nach erfolglos gebliebenem Einspruch - erhobenen Klage haben die Kläger zunächst (Schriftsatz vom 4. Dezember 1987) beantragt, die Einspruchsentscheidung "aufzuheben und den Einheitswertbescheid .... dahin gehend zu ändern, daß die Artfortschreibung zurückgenommen wird". Mit ihrer nachgereichten Klagebegründung wandten sich die Kläger ausschließlich gegen die geänderte Feststellung der Grundstücksart. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) am 13. September 1988 haben sie beantragt, "den Einheitswertbescheid - Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1986 - .... und den Einspruchsbescheid .... aufzuheben".

Das FG hat der Klage stattgegeben und den Einheitswertbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben. Es vertrat dabei die Auffassung, das FA habe die fehlerbeseitigende Art- und Wertfortschreibung im Hinblick auf § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht schon zum 1. Januar 1986 vornehmen dürfen. Die Fortschreibung dürfe wegen des Schutzgedankens gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG erst auf den 1. Januar 1987 vorgenommen werden. Dies gelte nicht nur hinsichtlich der Erhöhung des Einheitswertes, sondern auch bezüglich der Fortschreibung der Grundstücksart. Denn § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG solle für den Fall der fehlerbeseitigenden Fortschreibung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in die Vergangenheit zurückwirkende steuerliche Mehrbelastungen verhindern. Steuerliche Mehrbelastungen ergäben sich jedoch nicht nur bei einer zahlenmäßigen Erhöhung des Einheitswertes, sondern auch durch Folgewirkungen bei einheitswertabhängigen anderen Steuern, wie der Einkommensteuer.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG. Die Auslegung des FG widerspreche dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, wonach die zeitliche Beschränkung für die fehlerbeseitigende Fortschreibung nur für eine Erhöhung des Einheitswertes gelte.

Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 13. September 1988 I 750/87 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Die Klage bezüglich der Fortschreibung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1986 ist unzulässig und das FG-Urteil insoweit aufzuheben. Einer Sachentscheidung stand insoweit entgegen, daß der in diesem Verfahren streitige Einheitswertbescheid vom 21. Januar 1987 hinsichtlich der Wertfortschreibung bestandskräftig geworden ist. Denn die Kläger haben hinsichtlich dieser selbständigen und gesondert anfechtbaren Feststellung - Wertfortschreibung - (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, 89) innerhalb der Klagefrist (§ 47 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) keine Klage erhoben, sondern erst in der mündlichen Verhandlung beantragt, die Fortschreibung des Einheitswerts aufzuheben.

2. Die angefochtene Entscheidung ist auch insoweit aufzuheben, als das FG die geänderte Artfortschreibung aufgehoben hat. Das FA hat zu Recht im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung für das Wohngrundstück der Kläger zum 1. Januar 1986 die Art Einfamilienhaus festgestellt (vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 4 BewG), weil es nur eine Wohnung enthält (vgl. § 75 Abs. 5 BewG). Der Senat vermag die Auffassung des FG nicht zu teilen, das FA sei im Hinblick auf § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG daran gehindert gewesen, die fehlerbeseitigende Artfortschreibung bereits auf diesen Stichtag vorzunehmen.

Gemäß § 22 Abs. 3 BewG findet eine Fortschreibung des Einheitswertes, der Grundstücksart oder der Zurechnung des Gegenstandes auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Fortschreibungszeitpunkt für eine solche sog. fehlerbeseitigende Fortschreibung ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, bei Erhöhung des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Die in Nr. 2 des Absatzes 4 des § 22 BewG behandelten Fallgruppen stehen sich in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis gegenüber. Dabei lautet die Regel, daß Fortschreibungszeitpunkt bei einer fehlerbeseitigenden Art- oder Zurechnungsfortschreibung oder einer nicht werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswerts der Beginn des Kalenderjahres ist, in dem der Fehler dem FA bekannt wird. Bei einer Erhöhung des Einheitswertes ist "jedoch" (Ausnahme) Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Für eine zweckgerichtete - extensive - Wortlautinterpretation, wie sie vom FG vorgenommen wird (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 9. Mai 1989 I 383/87, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 559), läßt der Gesetzestext keinen Raum. Dies gilt auch für die z. T. im Schrifttum (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl., 1989, § 22 Rdnr. 79; Moench/Glier/Knobel/Werner, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 22 BewG, Rdnr. 32) vertretene Auffassung, die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG gelte auch für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung, die zu einer gleichzeitigen Erhöhung des Einheitswerts führt. Denn die in einem Einheitswertbescheid über ein bebautes Grundstück getroffenen Feststellungen sind selbständige (und gesondert anfechtbare) Feststellungen (BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88). Das gilt auch für fehlerbeseitigende Fortschreibungen nach § 22 Abs. 3 BewG. Die Höhe des Einheitswerts wird bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung unmittelbar aber nur durch einen Wertfortschreibungsbescheid angesprochen. Deshalb kann § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 letzter Halbsatz BewG nur für Wertfortschreibungsbescheide gelten. Artfortschreibungen sind insoweit neutral. Es ist deshalb unbeachtlich, ob als Folge einer Artfortschreibung auch der Wert geändert werden muß oder kann (vgl. wie hier: Gorski in Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 22 BewG, Anm. 137).

Auch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte ausdehnende und über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Vorschrift des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG dahingehend, daß diese auch für fehlerbeseitigende Artfortschreibungen gilt, kommt nicht in Betracht. Eine solche ausdehnende, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift setzt voraus, daß das Gesetz lückenhaft ist, d. h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke des Gesetzes liegt dort vor, wo es gemessen an seiner eigenen Absicht unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, 370 f.).

Eine Gesetzeslücke liegt hier schon deshalb nicht vor, weil das Gesetz für den hier zur Entscheidung anstehenden Fall der fehlerbeseitigenden Artfortschreibung hinsichtlich des maßgebenden Fortschreibungszeitpunkts in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG eine Regelung enthält.

Auch Sinn und Zweck der in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG enthaltenen Regelungen erfordern es nicht, die Ausnahmeregelung der 2. Alternative der Nr. 2 auf alle fehlerbeseitigenden Fortschreibungen anzuwenden, die im Ergebnis infolge Anknüpfung an die Artfeststellung zu einer höheren Steuer führen. Denn diese Regelung hat der Gesetzgeber offensichtlich im Hinblick auf die unmittelbaren Auswirkungen des erhöhten Einheitswertes auf die einheitswertabhängigen Steuern (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 BewG) getroffen. Während bei diesen eine Erhöhung des Einheitswerts unmittelbar auch zu einer höheren steuerlichen Belastung des Steuerpflichtigen führt bzw. führen kann, sind - worauf das FA mit seiner Revisionsbegründung zu Recht hinweist - bei einer Artfortschreibung die Auswirkungen auf die Steuerbelastung im Einzelfall nicht ohne weiteres erkennbar, weil sich sowohl eine höhere als auch eine niedrigere Steuerlast einstellen kann und dabei sogar Wechselwirkungen (Erhöhung der einen und Ermäßigung der anderen Steuer) zu beachten wären.

3. Die Sache ist spruchreif. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung bilden die im Souterrain gelegenen Räume keine zweite Wohnung, weil sie nicht räumlich abgeschlossen sind (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 8. Februar 1985 III R 62/84, BFHE 142, 567, BStBl II 1985, 319). Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist, sind die Räume im Souterrain mit den übrigen Wohnräumen durch eine offene Treppe verbunden. Dies hindert die Annahme, es handele sich um zwei Wohneinheiten. Den insoweit bestehenden Fehler der vorausgegangenen Artfeststellung mußte das FA entsprechend berichtigen.

Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 1. Alternative BewG durfte das FA die fehlerbeseitigende Artfortschreibung durch Bescheid vom 21. Januar 1987 zum 1. Januar 1986 vornehmen, weil ihm der Fehler der vorangegangenen Artfortschreibung anläßlich einer im Jahre 1986 durchgeführten Ortsbesichtigung bekannt wurde.