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  BFH-Urteil vom 28.1.1994 (VI R 51/93) BStBl. 1994 II S. 421

Der Begriff "Arbeitstag" in § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ist nicht als Kalendertag zu verstehen. Als ein "Arbeitstag" im Sinne dieser Vorschrift kann auch eine sich auf zwei Kalendertage erstreckende Nachtschicht angesehen werden.

EStG § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Funktaxi- und Krankentransport-Unternehmen. Bei einer den Zeitraum vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Juli 1988 betreffenden Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin Löhne an gelegentlich, nicht regelmäßig wiederkehrend beschäftigte Taxifahrer bezahlt und nach § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal mit 10 v. H. versteuert hatte. Diese Beschäftigten waren jeweils in der Nachtschicht eingesetzt worden. Der durchschnittliche Arbeitslohn je Nachtschicht betrug mehr als 42 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß die gesamte Nachtschicht als ein Arbeitstag i. S. des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG anzusehen sei mit der Folge, daß eine Pauschalierung der Lohnsteuer nicht in Betracht komme. Er nahm die Klägerin durch Haftungs- und Nachforderungsbescheide vom 24. Februar 1989 in Höhe von 11.441,67 DM und 6.326,75 DM in Anspruch.

Die Klägerin machte demgegenüber geltend, die gezahlten Löhne überstiegen die in § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG genannten Grenzen nicht, weil als Arbeitstag im Sinne dieser Vorschrift der Kalendertag anzusehen sei. Eine Nachtschicht erstrecke sich auf jeweils zwei Kalendertage. Das Gesetz verwende nicht den Begriff "Arbeitsschicht", sondern den Begriff "Arbeitstag". Auch in Abschn. 95 Abs. 5 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1987 sei ausdrücklich von "Kalendertagen" die Rede.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab und führte aus: Der Gesetzgeber habe mit dem in § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG verwendeten Begriff "Arbeitstag" nicht den Kalendertag gemeint. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde zu einer ungleichen steuerlichen Behandlung gleicher Lebenssachverhalte führen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten es bei einer solchen Auslegung zudem in der Hand, allein aus steuerlichen Gründen Arbeitsverhältnisse kurz vor Ablauf eines Kalendertages beginnen bzw. kurz nach Ablauf enden zu lassen.

Die Klägerin macht mit der Revision geltend, die vom FG vorgenommene Auslegung sei nicht mit dem Gesetzestext des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG vereinbar. Der Begriff "Tag" bezeichne im deutschen Sprachgebrauch eindeutig den Zeitraum zwischen 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr. Dies gelte auch für den Arbeitstag. Dieser könne nicht über den Kalendertag hinausgehen. Eine in den nächsten Kalendertag hineinreichende Arbeitszeit werde nicht als Arbeitstag, sondern als "Arbeitsschicht" oder "Nachtschicht" bezeichnet. Ein Vergleich mit dem Begriff "Woche" sei nicht zulässig, weil damit nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Zeitraum von sieben aufeinander folgenden Tagen gemeint sei, deren Anfang, z. B. durch den Zusatz des Datums oder "ab heute" bzw. "ab Dienstag" noch definiert werden müsse.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Haftungsbescheide vom 24. Februar 1989 - unter Aufrechterhaltung der negativen Nachforderungsbescheide vom selben Tage - und die Einspruchsentscheidung vom 26. September 1989 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, daß als Arbeitstag i. S. des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG auch eine sich auf zwei Kalendertage erstreckende Nachtschicht verstanden werden kann.

Nach § 40 a Abs. 1 Satz 1 EStG in der einschließlich 1989 geltenden Fassung kann der Arbeitgeber bei Arbeitnehmern, die nur kurzfristig oder in geringem Umfang und gegen geringen Arbeitslohn beschäftigt werden, die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 10 v. H. erheben. Die im Streitfall aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz allein in Betracht kommende kurzfristige Beschäftigung liegt nach der Legaldefinition in § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber gelegentlich, nicht regelmäßig wiederkehrend beschäftigt wird, die Dauer der Beschäftigung 18 zusammenhängende Arbeitstage nicht übersteigt und der Arbeitslohn während der Beschäftigungsdauer 42 DM durchschnittlich je Arbeitstag nicht übersteigt.

Die Auslegung dieser Vorschrift durch das FG dahin, daß als Arbeitstag auch eine Nachtschicht angesehen werden kann, liegt noch innerhalb der Grenzen des möglichen Wortsinns. Der Begriff "Arbeitstag" ist mehrdeutig. Er kann bei unbefangener Betrachtung nach seinem möglichen Sinn auch noch die Zeit umfassen, die als Abend oder Nacht bezeichnet wird. Denn es soll durch das Wort "Tag" nicht immer und zwingend eine Abgrenzung zu dem Begriff "Abend" oder "Nacht" vorgenommen, sondern unter Umständen auch eine Zeitspanne, wie z. B. ein gesamter Wochentag (Montag usw.) umschrieben werden. Dementsprechend kann nach allgemeinem Sprachgebrauch von einem "langen Arbeitstag" auch dann noch die Rede sein, wenn die Arbeitszeit nach Mitternacht geendet hat.

Der Begriff des "Arbeitstages" i. S. des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG entspricht nicht dem Begriff des "Kalendertages". Es hätte im Gesetzgebungsverfahren nahegelegen, den verbreiteten Begriff des "Kalendertages" und nicht den weniger geläufigen Begriff des "Arbeitstages" zu verwenden, wenn der Gesetzgeber ersteren gemeint hätte. Auch soweit nach § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG die Dauer der Beschäftigung 18 zusammenhängende Arbeitstage nicht übersteigen darf und dies - zutreffend - dahin verstanden wird, daß die Tage, die beim Arbeitgeber ohnehin arbeitsfrei sind (z. B. Sonnabende, Sonntage, Feiertage, Gaststättenruhetage), nicht mitzuzählen sind (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 9. Dezember 1977 I 192/76, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1978, 335; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 40 a Anm. 3), beruht dies auf der Annahme, daß der Begriff des "Arbeitstages" nicht mit demjenigen des "Kalendertages" gleichzusetzen ist. Denn bei unbefangener Betrachtung hängen 18 Kalendertage - anders als Arbeitstage - nicht mehr zusammen, wenn dazwischen beim Arbeitgeber übliche Ruhetage liegen.

Ist danach als Arbeitstag nicht der Kalendertag zu verstehen, ist es möglich, auch eine Nachtschicht als Arbeitstag i. S. des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG anzusehen. Dies liegt auch nahe, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Gesetzgeber bei den Personen, die Nachtschichtdienst leisten, nicht ebenfalls 18 Nachtschichten, sondern nur höchstens 17 Schichten, die auf 18 Kalendertage fallen, begünstigen wollte. Auch die Absicht des Gesetzgebers, durch das Merkmal der 18 zusammenhängenden Arbeitstage den Tatbestand der Kurzfristigkeit der Beschäftigung eindeutig zahlenmäßig zu begrenzen, spricht nicht gegen diese Auslegung. Denn eine eindeutige Begrenzung ergibt sich auch bei 18 Nachtschichten. Daß dann nicht mehr von nur einem Arbeitstag auszugehen ist, wenn nicht eine einzige Nachtschicht, sondern diese in Verbindung mit einer sich unmittelbar anschließenden weiteren Schicht oder eine sich z. B. auf drei Kalendertage erstreckende Arbeitsdauer zu beurteilen ist, liegt auf der Hand.

Der Begriff des Arbeitstages wird innerhalb der Vorschrift des § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zweimal verwendet, und zwar zum einen zur Konkretisierung des Tatbestands der kurzfristigen Beschäftigung, zum anderen zur Ermittlung des zulässigen Höchstlohnes. Wenn der Gesetzgeber einen Begriff innerhalb einer Vorschrift mehrere Male verwendet, so spricht dies dafür, daß dieser Begriff jedenfalls dann innerhalb dieser Vorschrift eine einheitliche Bedeutung haben soll, wenn das Gegenteil nicht ausdrücklich angeordnet wird. Deshalb kann dem Begriff des "Arbeitstages" auch bei seiner Verwendung in § 40 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG, worin darauf abgestellt wird, daß der Arbeitslohn 42 DM durchschnittlich je Arbeitstag nicht übersteigt, u. a. die Bedeutung von "Nachtschicht" beigemessen werden. Denn wie bei der vorangegangenen Verwendung des Begriffs innerhalb derselben Vorschrift nicht von einer Absicht des Gesetzgebers ausgegangen werden kann, Nachtschichtdienstleistende zu benachteiligen, so liegen umgekehrt keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Gesetzgeber diese bei der Ermittlung des höchstzulässigen Arbeitslohnes gegenüber anderen Arbeitnehmern bevorzugen wollte. Wie das FG überzeugend ausgeführt hat, lägen für eine derartige Bevorzugung der Nachtschichtarbeit - und damit für eine unterschiedliche Bedeutung desselben Begriffs innerhalb einer Vorschrift - keine sachlich einleuchtenden Gründe vor.