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  BFH-Urteil vom 12.10.1993 (VII R 44/93) BStBl. 1994 II S. 438

Hinterzogene Einfuhrumsatzsteuer ist nach § 235 AO 1977 auch zu verzinsen, wenn bei zutreffender Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug bestanden hätte. Der Zinslauf endet erst mit der Zahlung der hinterzogenen Einfuhrumsatzsteuer.

AO 1977 §§ 235, 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 und 3; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 21.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Er führte in den Jahren 1977 bis 1981 aus Italien Waren ein und ließ diese durch von ihm beauftragte Grenzspediteure im Sammelzollverfahren zum freien Verkehr abfertigen. Die dem Zoll vorgelegten Lieferantenrechnungen wiesen niedrigere Warenwerte als die tatsächlich zutreffenden bzw. nicht zutreffende Rabatte aus. Der Kläger bezahlte jedoch für die Warensendungen jeweils den in den ihm gesondert zugesandten Rechnungen geforderten höheren Kaufpreis. Aufgrund der unzutreffenden Lieferantenrechnungen wurde die Einfuhrumsatzsteuer zu niedrig festgesetzt. Gegen den Kläger erging deswegen ein - rechtskräftiger - Strafbefehl wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) forderte vom Kläger die hinterzogene Einfuhrumsatzsteuer nach und erließ zusätzlich gegen ihn einen Bescheid über Hinterziehungszinsen in Höhe von .... DM. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für gerechtfertigt.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt die Verletzung des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977. Das FG habe das Vorteilsausgleichsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 zu Unrecht auch auf die Festsetzung von Hinterziehungszinsen angewandt. Sinn und Zweck des § 235 AO 1977 sei es, dem Steuerpflichtigen den Zinsvorteil zu nehmen, den er durch die späte Zahlung hinterzogener Steuern erlangt habe. Bei der Einfuhrumsatzsteuer könne jedoch, wenn - wie im Streitfall - eine Verrechnung als Vorsteuer möglich sei, ein Zinsvorteil nicht oder doch nur für durchschnittlich vier Wochen bis zum Vorsteuerabzug in der nächsten Umsatzsteuervoranmeldung entstehen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat rechtsfehlerfrei erkannt, daß der Kläger durch die Festsetzung der Hinterziehungszinsen für die nacherhobene Einfuhrumsatzsteuer zu Recht in Anspruch genommen worden ist.

Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) und endet mit der Zahlung der hinterzogenen Steuern (§ 235 Abs. 3 AO 1977).

Im Streitfall sind die ursprünglich infolge der falschen Anmeldungen über den Einfuhrumsatzsteuer-Wert der Waren nicht erhobenen Einfuhrumsatzsteuer-Beträge dadurch hinterzogen worden, daß die Einfuhrumsatzsteuer insoweit nicht in voller Höhe festgesetzt worden ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AO 1977). Diese Beträge sind daher auch zu verzinsen.

a) Der Streitfall gibt keine Veranlassung, darüber zu entscheiden, ob § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 ("Vorteilsausgleichsverbot") - wie der Kläger meint - im Rahmen des § 235 AO 1977 nicht anzuwenden ist (vgl. dazu Urteil des FG Köln vom 25. Mai 1988 6 K 289/83, in Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht - wistra - 1988, 316; Gast-de Haan, wistra 1988, 298; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 3). Denn die Einfuhrumsatzsteuer ist im vorliegenden Fall bereits dadurch verkürzt worden, daß sie nicht in zutreffender (voller) Höhe festgesetzt worden ist; Umstände, die wie die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug erst nach Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer eintreten können, bleiben insoweit schon nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 außer Betracht.

Das Vorteilsausgleichsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977, wonach eine Steuer auch dann als verkürzt gilt, wenn die hinterzogene Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder ein Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können, hat für die Verkürzung der Einfuhrumsatzsteuer nicht deshalb Bedeutung, weil nach Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer möglicherweise ein Vorsteuerabzugsanspruch besteht. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 bezieht sich nur auf die hinterzogene Steuer selbst und schließt im Hinblick auf die Feststellung der Verkürzung dieser Steuer die Berücksichtigung bisher nicht geltend gemachter Ermäßigungen und Vorteile aus (vgl. Franzen/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., § 370 AO 1977 Rz. 46 b). Das ist z. B. bei im Zusammenhang mit einer falschen Anmeldung über innere Umsatzsteuer nicht geltend gemachten Vorsteuerabzügen der Fall (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 18. April 1978 5 StR 692/77, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 5).

Bei der hier vom Kläger hinterzogenen Einfuhrumsatzsteuer käme die Berücksichtigung solcher Ermäßigungen oder Vorteile in Gestalt eines Ausgleichsanspruchs jedoch nicht in Betracht, weil diese nicht in bezug auf die verkürzte Einfuhrumsatzsteuer selbst bestehen. Vorteile können sich erst daraus ergeben, daß die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs bei der Anmeldung der inneren Umsatzsteuer geltend gemacht werden kann; nur in diesem Zusammenhang können sich also mögliche Vorsteuerabzüge als "andere Gründe" i. S. des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 darstellen (vgl. auch Senatsurteil vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, 292, BStBl II 1985, 688). Um die Hinterziehung der inneren Umsatzsteuer geht es hier jedoch nicht.

Im übrigen hat auch das FG das Vorteilsausgleichsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 nicht - wie der Kläger meint - angewandt, um die Festsetzung von Hinterziehungszinsen im Rahmen des § 235 AO 1977 zu rechtfertigen.

b) Die dem Wortlaut des § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nach im Streitfall vorgeschriebene Verzinsung der hinterzogenen Steuern widerspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

Dieser besteht darin, den steuerlichen Vorteil, den der Steuerpflichtige durch die Hinterziehung erlangt hat, abzuschöpfen (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596; vom 27. Juni 1991 V R 9/86, BFHE 165, 10, BStBl II 1991, 822; und vom 27. September 1991 VI R 159/89, BFHE 166, 4, BStBl II 1992, 163). Dieser Vorteil liegt darin, daß der Steuerschuldner die gesetzlich entstandene Steuer erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlt. Dabei kann der steuerliche Vorteil immer nur in bezug auf den Zeitpunkt, zu dem die Verkürzung eintritt, und nicht nach einem zu diesem Zeitpunkt hypothetischen später - nach Eintritt der Verkürzung - im Rahmen des Vorsteuerabzugs in Betracht kommenden Steuerausgleich beurteilt werden. Dies folgt aus § 235 Abs. 2 AO 1977. Denn danach beginnt auch der Zinslauf mit dem Eintritt der Verkürzung. Er wird erst durch Zahlung der hinterzogenen Steuer, nicht aber durch einen zwischenzeitlich in Betracht kommenden hypothetischen Vorteilsausgleich, beendet.

Die vom Kläger angestellte wirtschaftliche Betrachtungsweise hat in § 235 AO 1977 keinen Niederschlag gefunden. § 235 AO 1977 stellt für die Verzinsung nur auf die gesetzlich entstandene, infolge der Hinterziehung aber nicht erhobene Steuer ab.

c) Auch aus der Besonderheit, daß die Einfuhrumsatzsteuer Teil des Umsatzsteuersystems ist und bei dem zum Vorsteuerabzug berechtigten Kläger nur einen durchlaufenden Posten darstellt, sowie daraus, daß zwischen dem Kläger als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer und als Schuldner der von ihm auf den der Wareneinfuhr folgenden Warenumsatz zu entrichtenden inneren Umsatzsteuer Personenidentität besteht (vgl. Senatsurteil vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, 53, BStBl II 1989, 491), kann sich nichts anderes ergeben. Denn die Einfuhrumsatzsteuer ist neben der inneren Umsatzsteuer eine selbständige Steuer (Verbrauchsteuer), für die besondere Vorschriften gelten (§ 21 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -; zur Eigenständigkeit der Einfuhrumsatzsteuer gegenüber der inneren Umsatzsteuer vgl. schon Senatsurteil vom 26. April 1972 VII R 109/69, BFHE 105, 545, 550). Die Einfuhrumsatzsteuer entsteht in der gesetzlichen Höhe und ist unabhängig davon zu entrichten, ob der Kläger durch den Vorsteuerabzug zu einem späteren Zeitpunkt im Ergebnis nicht mit der Umsatzsteuer belastet wird (vgl. zur insoweit vergleichbaren Situation bei der inneren Umsatzsteuer BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 V R 197/81, BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70).

Die Einfuhrumsatzsteuer ist nicht nur ein buchmäßig zu erfassender Posten, der mit der bei einem der Wareneinfuhr nachfolgenden Umsatz anfallenden inneren Umsatzsteuer buchmäßig auszugleichen wäre, sondern eine tatsächlich zu entrichtende Steuer. Zudem werden die Einfuhrumsatzsteuer und die innere Umsatzsteuer von unterschiedlichen Verwaltungen verwaltet. Die Einfuhrumsatzsteuer wird - anders als die innere Umsatzsteuer - von den Bundesfinanzbehörden verwaltet (Art. 108 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes).

d) Aus den gleichen Gründen vermag der Senat auch nicht der hilfsweise vorgetragenen Auffassung des Klägers zu folgen, daß für die hinterzogene Einfuhrumsatzsteuer Hinterziehungszinsen nur aufgrund einer Verzugsdauer von einem Monat zu berechnen sind. Diese Überlegung ließe sich allenfalls bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise hinsichtlich des dem Kläger entstandenen Vorteils rechtfertigen. Hierauf stellt jedoch § 235 AO 1977 nicht ab. Da es somit allein auf den steuerlichen Vorteil und damit auf den verkürzten Betrag der Einfuhrumsatzsteuer ankommt, kann der Zinslauf erst enden, wenn dieser Betrag tatsächlich entrichtet worden ist (§ 235 Abs. 3 AO 1977). Er wird nicht durch Zahlung der Umsatzsteuer für den sich der Einfuhr anschließenden Umsatz der Ware entrichtet, sondern kann, weil er sich aus einem anderen Steuertatbestand herleitet, nur durch Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer an das HZA beglichen werden.