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  BFH-Urteil vom 9.12.1993 (V R 108/91) BStBl. 1994 II S. 483

Eine GmbH, die ihrem Unternehmen zugeordnete Gegenstände einem Gläubiger zur Sicherung übereignet hat, liefert dem Sicherungsnehmer das Sicherungsgut auch dann im Rahmen ihres Unternehmens, wenn sie im Zeitpunkt der Verwertung des Sicherungsguts wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht ist und wenn später über die Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer abgerechnet wird (gegen BMF-Schreiben vom 16. März 1989 IV A 2 - S 7104 - 7/89, UR 1989, 163, DB 1989, 756).

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 5, § 15; GmbHG §§ 60 ff.; LöschG §§ 1 und 2.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1992, 227)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Bank. Sie finanzierte Leasing-Geschäfte der L-GmbH, indem sie Forderungen der GmbH ankaufte. Zur Sicherheit ließ sie sich u. a. das Eigentum an den Leasing-Gegenständen von der L-GmbH übertragen.

Die L-GmbH wurde im Juni 1986 zahlungsunfähig. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde am 7. August 1986 mangels Masse abgelehnt. Am 10. November 1986 wurde die L-GmbH wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht - § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 - LöschG - (RGBl I 1934, 914) -. Gleichzeitig wurde ihr ehemaliger Geschäftsführer J vom Amtsgericht "zum Abwickler für die steuerlichen Angelegenheiten der gelöschten Gesellschaft bestellt".

Seit 1986 verwertete die Klägerin die ihr sicherungsübereigneten Gegenstände durch Verkauf an die VL, deren Alleingeschäftsführer ebenfalls J war. Die Verkaufserlöse schrieb sie der L-GmbH gut, wobei sie die Gutschriften entweder an die Firma L, Herrn J, oder an die Firma L GmbH i. L. adressierte. Die im Streitjahr 1987 erteilten Gutschriften wiesen gesondert 192.885 DM Umsatzsteuer aus.

Bei der Veranlagung der Klägerin zur Umsatzsteuer für 1987 verweigerte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Vorsteuerabzug aus den Gutschriften.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 227 und in Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1992, 376 veröffentlicht ist, bejahte die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 für den Vorsteuerabzug.

Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es macht geltend, eine Gutschrift gelte nur dann als eine zum Vorsteuerabzug berechtigte Rechnung, wenn der Empfänger der Gutschrift Unternehmer sei (Hinweis auf § 14 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1980). Die Unternehmereigenschaft einer GmbH ende aber spätestens mit dem Verlust der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit, da die GmbH dann nicht mehr Trägerin steuerlicher Rechte und Pflichten sein könne. Die Rechtsfähigkeit gehe durch Vermögenslosigkeit und Löschung im Handelsregister verloren. Unanfechtbar sicherungsübereignetes Inventar gehöre zivilrechtlich nicht zum Vermögen, falls der Erlös aus der Verwertung des Sicherungsguts die gesicherten Forderungen nicht übersteige. Stelle sich nach der Löschung der GmbH heraus, daß noch verteilbares Vermögen vorhanden sei, finde gemäß § 2 Abs. 3 LöschG eine Nachtragsliquidation statt; die GmbH werde als fortbestehend betrachtet.

Werde nachträglich kein Vermögen mehr festgestellt, sei die Gesellschaft nicht als fortbestehend zu betrachten. Die Löschung im Handelsregister solle dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dienen. Dem widerspreche es, die umsatzsteuerliche Unternehmerfähigkeit über den Löschungszeitpunkt hinaus bestehen zu lassen.

Die L-GmbH habe nach ihrer Beendigung der Klägerin das Sicherungsgut nicht mehr liefern können; denkbar sei eine Lieferung vor Beendigung. Gutschriften auf einen späteren Zeitpunkt könnten keine rechtliche Wirkung entfalten.

Schließlich sei die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger im Falle der Lieferung des Sicherungsguts durch den illiquiden Sicherungsgeber entsprechend den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Juni 1991 V R 70/89 (BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866) rechtsmißbräuchlich.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmen für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

1. Die L-GmbH hat der Klägerin das Sicherungsgut im Rahmen ihres Unternehmens zu dem Zeitpunkt geliefert, in dem diese es an VL weiterveräußert hat.

Eine steuerbare Lieferung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 UStG 1980 liegt u. a. dann vor, wenn ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH erlangt der Sicherungsnehmer bei der Sicherungsübereignung die Verfügungsmacht über das Sicherungsgut zu dem Zeitpunkt, in dem der Sicherungsnehmer von seinem Verwertungsrecht Gebrauch macht. Die Verwertung des Sicherungsguts führt zu zwei Umsätzen (sog. Doppelumsatz), und zwar zur Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer und zu einer Lieferung des Sicherungsnehmers an den Erwerber (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741, und vom 12. Mai 1993 XI R 49/90, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis - ZIP - 1993, 1247).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Sicherungsgeber eine GmbH ist, die zwischen der zivilrechtlichen Sicherungsübereignung und der umsatzsteuerrechtlichen Lieferung des Sicherungsguts aufgelöst worden ist (vgl. für infolge Konkurseröffnung aufgelöste GmbH BFH-Urteile vom 31. Mai 1972 V R 121/71, BFHE 106, 383, BStBl II 1972, 809; vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817; Beschluß vom 13. Mai 1992 V B 9/92, BFH/NV 1992, 846). Für eine wegen Vermögenslosigkeit aufgelöste und im Handelsregister gelöschte GmbH gilt nichts anderes.

Eine GmbH wird unter anderem aufgelöst durch Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -), mit der Rechtskraft des Beschlusses des Konkursgerichts, durch den ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Konkursmasse abgewiesen wird (§ 1 LöschG; § 107 der Konkursordnung - KO -) und durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit (§ 2 Abs. 1 LöschG). Nach der Auflösung der GmbH findet in der Regel die Abwicklung durch die in § 66 GmbHG genannten Liquidatoren statt. Keine zivilrechtliche Abwicklung erfolgt bei Eröffnung des Konkursverfahrens und grundsätzlich bei Löschung wegen Vermögenslosigkeit nach § 2 Abs. 1 LöschG (vgl. Keidel/Schmatz/Stöber, Registerrecht, 5. Aufl., 1991, Rz. 768). Im Falle der Auflösung der GmbH infolge Eröffnung des Konkursverfahrens tritt dieses an die Stelle der Abwicklung. Wurde die GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht, findet eine Vollbeendigung nicht statt, wenn sich nach der Löschung das Vorhandensein von Vermögen herausstellt, das der Verteilung unterliegt (§ 2 Abs. 3 LöschG), oder wenn sich die Notwendigkeit sonstiger Abwicklungsmaßnahmen herausstellt (Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., Anh. § 60, § 2 LöschG Anm. 10 und 15). Die GmbH besteht also grundsätzlich auch zivilrechtlich nach ihrer Auflösung als Gemeinschuldnerin oder Liquidationsgesellschaft fort; jedenfalls kann sie als solche fortbestehen.

Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist jedes selbständig tätige Wirtschaftsgebilde, das nachhaltig Leistungen gegen Entgelt i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 erbringt (BFH-Urteile vom 4. Juli 1956 V 56/55 U, BFHE 63, 202, BStBl III 1956, 275, und vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BFHE 171, 138, BStBl II 1993, 564). Unstreitig war die L-GmbH vor ihrer Löschung im Handelsregister Unternehmerin i. S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980. Entgegen der Rechtsansicht des FA hat sie die Leasing-Gegenstände der Klägerin im Rahmen ihres Unternehmens geliefert, auch wenn die Lieferung erst nach ihrer Löschung stattfand. Ein Grund dafür, umsatzsteuerrechtlich zwischen einer infolge Konkurseröffnung oder Ablehnung der Konkurseröffnung gemäß § 1 LöschG, § 107 KO aufgelösten GmbH und einer wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 2 LöschG aufgelösten GmbH zu unterscheiden, läßt sich nicht finden, zumal die Unternehmereigenschaft nicht an eine bestimmte zivilrechtliche Gesellschaftsform gebunden ist. Eine Gesellschaft besteht als Unternehmer grundsätzlich so lange fort, bis alle Rechtsbeziehungen der Gesellschaft beseitigt sind; hierzu gehört auch das Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem FA. Deshalb kann die in Auflösung befindliche Gesellschaft das Unternehmen der Gesellschaft weiterführen (so für Personengesellschaft BFH-Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540, und Abschn. 19 Abs. 2 Satz 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR 1985 -). Dementsprechend kann eine aufgelöste GmbH auch noch nach ihrer Löschung im Handelsregister Umsätze im Rahmen ihres Unternehmens ausführen.

Der Senat vermag dahinstehen zu lassen, ob die GmbH im Streitfall zu Recht nach § 2 Abs. 1 LöschG wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden ist oder ob die Löschung nach § 1 LöschG, § 107 KO hätte erfolgen müssen. Selbst wenn die GmbH nach ihrer Löschung im Handelsregister gemäß § 2 Abs. 1 LöschG zivilrechtlich nicht mehr als Liquidationsgesellschaft in Erscheinung tritt, ist sie gleichwohl ein Wirtschaftsgebilde, das das Unternehmen der GmbH fortführt, bis alle umsatzsteuerrechtlich bedeutsamen Rechtsbeziehungen beseitigt sind. Die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft einer GmbH ist weder von ihrem Vermögensstand noch von ihrer Eintragung im Handelsregister abhängig (vgl. für eine vermögenslose nach § 1 LöschG, § 107 KO im Handelsregister gelöschte GmbH FG Münster, Urteil vom 31. Januar 1991 5 K 3761/88 U, UR 1992, 378, und allgemein zur steuerlichen Rechtsfähigkeit einer im Handelsregister gelöschten GmbH BFH-Urteil vom 26. März 1980 I R 111/79, BFHE 130, 477, BStBl II 1980, 587). Das verbleibende Wirtschaftsgebilde ist für Zwecke der Abwicklung des Unternehmens der GmbH als Unternehmer anzusehen, bis die Gegenstände, die die GmbH ihrem Unternehmen zugeordnet hat, das Unternehmen verlassen haben. Dies ist beim Sicherungsgut erst mit der Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsnehmer der Fall (vgl. oben).

Soweit der Bundesminister der Finanzen in dem vom FA zitierten Schreiben (Schreiben vom 16. März 1989 IV A 2 - S 7104 - 7/89, UR 1989, 163, Der Betrieb - DB - 1989, 756) eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, wird diese vom Senat nicht geteilt. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung ist unklar, welcher mit der gelöschten GmbH nicht identische Rechtsträger das Sicherungsgut dem Sicherungsnehmer im Zeitpunkt der Verwertung geliefert haben sollte und wie er die Verfügungsmacht an den dem Unternehmen der GmbH zugeordneten Gegenständen erlangt haben könnte.

2. Da die GmbH nach ihrer Löschung im Handelsregister als Unternehmerin weiterbesteht, entfallen die Bedenken des FA dagegen, daß die Gutschriften der Klägerin als Rechnungen der liefernden GmbH gemäß § 14 Abs. 5 UStG 1980 gelten.

3. Die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs durch die Klägerin ist nicht rechtsmißbräuchlich i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Der BFH hat in dem vom FA zitierten Urteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866 zwar einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten für möglich gehalten, wenn ein insolventer Schuldner seinem Gläubiger ein Grundstück unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG veräußert. Er hat es aber abgelehnt, auch in anderen Fällen von Lieferungen eines illiquiden Veräußerers dem Abnehmer den Vorsteuerabzug unter Berufung auf die Vorschrift des § 42 AO 1977 zu versagen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16. März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7, BStBl II 1993, 736). Diese Rechtsprechung findet eine gewisse Bestätigung in § 51 Abs. 1 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung, wonach der Sicherungsnehmer die Umsatzsteuer für die Lieferung der sicherungsübereigneten Gegenstände einzubehalten und an das FA abzuführen hat. Diese Vorschrift wäre nicht verständlich, wenn dem Vorsteuerabzug des Sicherungsnehmers generell § 42 AO 1977 entgegenstünde.