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  BFH-Beschluß vom 17.3.1994 (VI B 154/93) BStBl. 1994 II S. 567

Die Regelung, daß Verluste aus Vermietung und Verpachtung im Vorauszahlungs- und Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren nicht im Jahr der Anschaffung oder Fertigstellung des Gebäudes berücksichtigt werden, verstößt nicht gegen die Verfassung.

EStG § 37 Abs. 3 Satz 6, § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Arbeitnehmer. Er errichtete ein Mietwohngebäude, das im November 1993 fertiggestellt wurde. Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 1993 belaufen sich unstreitig auf 131.646 DM.

Der Antragsteller beantragte bei dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -), den Verlust als Freibetrag auf seiner Lohnsteuerkarte 1993 einzutragen. Das FA lehnte den Antrag unter Hinweis auf § 37 Abs. 3 Satz 6 i. V. m. § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab. Ein Freibetrag wegen negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung könne danach erst auf der Lohnsteuerkarte 1994 eingetragen werden.

Gegen den ablehnenden Bescheid vom 23. November 1993 hat der Antragsteller Einspruch eingelegt. Nachdem er bei dem FA erfolglos beantragt hatte, die Vollziehung des Bescheids auszusetzen, stellte er den Aussetzungsantrag bei dem Finanzgericht (FG). Das FG gab dem Antrag statt und verpflichtete das FA, auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers für 1993 vorläufig den begehrten Freibetrag einzutragen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

Der angefochtene Verwaltungsakt entspreche zwar der gesetzlichen Regelung in § 37 Abs. 3 Satz 6 i. V. m. § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG. An deren Verfassungsmäßigkeit bestünden jedoch ernstliche Zweifel. Vorauszahlungen hätten sich an der tatsächlich geschuldeten Steuer zu orientieren. Dem trage das Gesetz durch die Bestimmungen über den Steuerabzug vom Arbeitslohn und über die Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen grundsätzlich Rechnung. Wenn demgegenüber der Vermietungsverlust des Antragstellers ausnahmsweise und systemwidrig im Vorauszahlungsverfahren unberücksichtigt bleibe, so sei ernstlich zweifelhaft, ob die gesetzliche Regelung dem Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -) entspreche. Es seien keine steuerrechtlichen Belange ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, daß sich der Staat Liquiditäts- und Zinsvorteile auf Kosten einer bestimmten Gruppe von Einkunftserzielern verschaffe (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752).

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, in Anbetracht des eindeutigen Gesetzeswortlauts sei eine Aussetzung der Vollziehung nicht gerechtfertigt. Das FG habe einseitig auf die Interessen des Antragstellers abgestellt, ohne das Interesse des Staates an einem ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug sowie die Auswirkungen der Entscheidung auf den Staatshaushalt zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids vom 23. November 1993 wird abgelehnt.

Im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren ist vorläufiger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gewähren, wenn die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte teilweise oder in vollem Umfang abgelehnt worden ist (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752). Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn an dessen Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel bestehen. Ernstliche Zweifel sind nach ständiger Rechtsprechung zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts mit Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Gesetzes selbst begründet werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, 186, BStBl I 1961, 63). In diesem Falle ist allerdings im Hinblick auf den Geltungsanspruch eines jeden formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104).

Im Streitfall sind ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit der Regelung in § 37 Abs. 3 Satz 6, § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG zu verneinen. Darüber hinaus wäre unter den hier gegebenen Umständen ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung nicht gegeben.

1. Gemäß § 37 Abs. 3 Satz 6 EStG werden negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Gebäudes i. S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei der Festsetzung der Vorauszahlungen nur für Kalenderjahre berücksichtigt, die nach der Anschaffung oder Fertigstellung dieses Gebäudes beginnen. Vermietungsverluste, die im Anschaffungs- oder Herstellungsjahr entstehen, können daher die Einkommensteuer-Vorauszahlungen dieses Jahres noch nicht mindern, sondern werden erst bei der Veranlagung angerechnet. Soweit Vermietungsverluste bei der Festsetzung von Vorauszahlungen nicht zu berücksichtigen sind, dürfen sie auch im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren nicht als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden (§ 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG).

Durch diese - mit dem Steuerentlastungsgesetz 1984 eingeführte - Einschränkung des Verlustausgleichs im Vorauszahlungsverfahren während der Anlaufphase eines Bauvorhabens sollten für die Bezieher höherer Einkommen steuerliche Vorteile aus der Beteiligung an sog. Verlustzuweisungsmodellen begrenzt und die Vermögensbildung ohne oder mit geringem Eigenkapitaleinsatz erschwert werden. Daneben war eine Verwaltungsvereinfachung durch Wegfall der Doppelprüfung im Vorauszahlungs- und im Veranlagungsverfahren bezweckt (vgl. Diebold in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 37 EStG Anm. 157 m. w. N.).

Die vorbezeichnete Gesetzesänderung ist im Schrifttum überwiegend auf Kritik gestoßen (vgl. z. B. Diebold in Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O.; Bordewin in Lademann/Söffing, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 37 Anm. 63; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 37 Anm. 6 b). Teilweise wird die Regelung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig gehalten, weil die Einschränkung nur für Verluste aus Vermietung und Verpachtung und nicht auch aus anderen Einkunftsarten sowie nur für negative und nicht für positive Einkünfte gilt (vgl. Hellwig, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1984, 325, 329; Paus, Finanz-Rundschau - FR - 1986, 225; ders., FR 1993, 117; ders., Kommentierte Finanzrechtsprechung Fach 6 EStG § 37, 1/94, S. 71; Müller, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1984, 184, 187).

Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen gegen § 37 Abs. 3 Satz 6 i. V. m. § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Senat verkennt nicht, daß die erwähnte Regelung dem Grundsatz widerspricht, wonach die Vorauszahlungen ebenso wie die Lohnsteuerabzugsbeträge der für den laufenden Veranlagungszeitraum tatsächlich anfallenden Einkommensteuer möglichst entsprechen sollen. Denn infolge der Nichtberücksichtigung der anfänglichen Vermietungsverluste sind die Vorauszahlungen und Lohnsteuerabzüge höher als die endgültige Einkommensteuerschuld, die Überzahlung wird erst bei der folgenden Veranlagung ausgeglichen. Es trifft auch zu, daß die Bezieher von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung hinsichtlich der Vorauszahlungen bzw. des Lohnsteuerabzugs schlechtergestellt werden als die Bezieher anderer Einkünfte. Diese Umstände reichen jedoch nicht aus, um die genannten Gesetzesvorschriften als verfassungswidrig anzusehen. Der Gesetzgeber hat eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit. Er braucht im konkreten Fall nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen; vielmehr genügt es, wenn sich ein sachlich vertretbarer Grund für eine gesetzliche Bestimmung anführen läßt (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 6. November 1984 2 BvL 16/83, BVerfGE 68, 237, 250, und vom 10. Dezember 1985 2 BvL 18/83, BVerfGE 71, 255, 270) bzw. wenn für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (BVerfG-Beschluß vom 30. Mai 1990 1 BvL 2/83 u. a., BVerfGE 82, 126, 146). Als ein derartiger Grund ist vorliegend das Ziel der fraglichen Regelung anzuerkennen, die Steuervorteile aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsmodellen einzuschränken. Gemessen an dieser Zielsetzung führt § 37 Abs. 3 Satz 6 EStG zu einer als noch tragbar anzusehenden Verschlechterung der Rechtsstellung der davon betroffenen Steuerpflichtigen, wenn Werbungskostenüberschüsse nicht zeitnah im Vorauszahlungsverfahren, sondern erst im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigt werden, deren Zeitpunkt zudem durch frühzeitige Abgabe der Steuererklärung beeinflußt werden kann (ebenso BFH-Beschluß vom 6. Mai 1986 IX B 121/84, BFHE 146, 433, BStBl II 1986, 749; Diepold in Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., Anm. 158). Andererseits würden sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen Fallgestaltungen der Vermietung und Verpachtung ergeben, falls der Gesetzgeber es unternommen hätte, die Einschränkung des Verlustausgleichs im Vorauszahlungsverfahren auf die sog. Verlustzuweisungsmodelle zu begrenzen.

Darüber hinaus besteht ein sachlicher Differenzierungsgrund in der Erwägung, daß durch die Neuregelung für die Finanzverwaltung die bisher notwendige Doppelprüfung im Vorauszahlungs- und Veranlagungsverfahren entfallen sollte (vgl. Schmidt/Drenseck, a. a. O.). Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit kann sich der Gesetzgeber auch von steuertechnischen Erwägungen leiten lassen (BVerfG-Urteil vom 10. Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BVerfGE 74, 182, 200).

Aus dem BFH-Beschluß in BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752 können keine Argumente gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 6 i. V. m. § 39 a Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 EStG hergeleitet werden. Der Senat hat in dieser Entscheidung § 39 a Abs. 5 EStG insoweit als mit Art. 3 GG unvereinbar angesehen, als negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von Arbeitnehmern im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren nur eingeschränkt geltend gemacht werden konnten, während sie bei anderen Einkommensteuerpflichtigen bereits zur Minderung der Steuervorauszahlungen führten. Eine entsprechende Ungleichbehandlung läßt sich für die hier maßgebenden Vorschriften jedoch nicht feststellen, da Arbeitnehmer und Steuerpflichtige, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen zu leisten haben, im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gleichbehandelt werden.

Zu der Frage, ob die Neuregelung nachträglich verfassungswidrig geworden sein kann, weil ein wesentlicher Grund für ihre Einführung durch den faktischen Rückgang der Bauherrenmodelle im wesentlichen weggefallen ist, braucht der Senat nicht Stellung zu nehmen, da der Antragsteller hierzu nichts vorgetragen hat.

2. Im Streitfall fehlt es im übrigen an dem besonderen berechtigten Interesse des Antragstellers an der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, das nach ständiger Rechtsprechung des BFH (BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104) dann erforderlich ist, wenn sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes aus der behaupteten Verfassungswidrigkeit einer Norm ergeben. Ein solches Interesse ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn wie hier der Lohnsteuer-Ermäßigungsantrag erst gegen Jahresende gestellt wird.