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  BFH-Beschluß vom 11.2.1994 (III B 127/93) BStBl. 1994 II S. 658

Ergeht während des Klageverfahrens ein Änderungsbescheid und wird dieser nicht gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, sondern mit dem Einspruch angefochten, so ist das Verfahren über den ursprünglichen Steuerbescheid auszusetzen bzw. zum Ruhen zu bringen, bis das Verfahren über den Änderungsbescheid rechtskräftig abgeschlossen ist (Bestätigung des Beschlusses vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

Hieran hat sich unter der Geltung des § 68 Satz 2 FGO nichts geändert.

FGO § 68 i. d. F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992, § 128 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1991 Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1986 in der Form der Einspruchsentscheidung. Der Bescheid war u. a. hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrages vorläufig. Die Kläger rügten u. a. die Höhe des Grundfreibetrages und beantragten, das Verfahren ruhen zu lassen, bis über die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 581) entschieden sei.

Nachdem auch der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) das Ruhen des Verfahrens beantragt hatte, ordnete das FG durch Beschluß vom 13. November 1991 das Ruhen des Verfahrens an.

Unter dem 23. Juni 1993 erließ das FA einen auf § 172 i. V. m. § 132 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid. Darin wurde die (im übrigen unveränderte) Einkommensteuerfestsetzung auch hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen, der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, der Höhe des Kinderfreibetrages und der außergewöhnlichen Belastung nach § 33 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) für vorläufig erklärt. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurden die Kläger darauf hingewiesen, daß der Änderungsbescheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens gemacht werden könne.

Daraufhin ordnete das FG durch Beschluß vom 28. Juli 1993 die Fortsetzung des Klageverfahrens an. Zur Begründung führte das FG aus, die Kläger hätten gegen den Änderungsbescheid Einspruch eingelegt und keinen Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt. Die Klage sei deshalb wegen Fehlens des Verfahrensgegenstandes unzulässig geworden. Da über die Streitfrage nunmehr ausschließlich vom FA im Einspruchsverfahren zu entscheiden sei, bestehe kein Grund mehr für das weitere Ruhen des Klageverfahrens. Unter dem gleichen Datum wies das FG die Klage durch Gerichtsbescheid wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses ab, da die Kläger den Änderungsbescheid nicht innerhalb von vier Wochen nach seiner Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hätten.

Gegen den Beschluß vom 28. Juli 1993 legten die Kläger Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Die Kläger meinen, durch § 68 Satz 2 FGO habe sich an der bisherigen Rechtslage nur insoweit etwas geändert, als für den Antrag nach § 68 FGO nunmehr eine Monatsfrist gilt. Auswirkungen auf das ursprüngliche (Klage-)Verfahren ergäben sich daraus nicht; dieses müsse vielmehr - wie bisher - im Falle der Einspruchseinlegung gegen den Änderungsbescheid ausgesetzt werden.

Die Kläger beantragen, den Beschluß des FG aufzuheben und das Verfahren "weiter ausgesetzt zu lassen".

Das FA, dem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, hat sich zur Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig.

Ihre Statthaftigkeit ergibt sich aus § 128 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO. Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß das FG - in zeitlichem Zusammenhang mit dem angefochtenen Beschluß - im Hauptsacheverfahren entschieden hat. Wegen der Begründung verweist der Senat insoweit auf seinen Beschluß vom 18. September 1992 III B 43/92 (BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, zur Aussetzung eines Verfahrens); die dortigen Ausführungen gelten hier entsprechend.

Die Beschwerde ist auch begründet.

1. Bei dem vom FA während des Klageverfahrens erlassenen Bescheid, durch den die Steuerfestsetzung in weiterem Umfang für vorläufig erklärt wurde als bisher, handelt es sich um einen Änderungsbescheid i. S. des § 68 FGO (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219).

Nach der Rechtsprechung des BFH nimmt ein Änderungsbescheid im vorstehenden Sinne den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit auf; solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Dieser ist vielmehr in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert und bleibt dies auch für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides. Der ursprüngliche Bescheid tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Änderungsbescheid aufgehoben wird (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, 233; Urteil vom 5. Mai 1992 IX R 9/87, BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergibt sich hieraus, daß bei einer Anfechtung des Änderungsbescheides abgewartet werden muß, ob er bestehenbleibt. Für die Dauer des Anfechtungsverfahrens kann mithin das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid grundsätzlich so lange nicht endgültig abgeschlossen werden, bis eine rechtskräftige Entscheidung über den Änderungsbescheid ergangen ist. Das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid ist deshalb auszusetzen oder - bei übereinstimmendem Antrag der Beteiligten - zum Ruhen zu bringen (vgl. auch insoweit BFH-Entscheidungen in BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, und in BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040).

2. An dieser Rechtslage hat sich durch die Neufassung des § 68 FGO nichts geändert.

Durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGO-Änderungsgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109, BStBl I 1993, 90) ist dem § 68 FGO ein Satz 2 angefügt worden, wonach der gemäß § 68 Satz 1 FGO zu stellende Antrag des Klägers innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zu stellen ist. Nach dem neu angefügten Satz 3 des § 68 FGO ist hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen. Die Neuregelung gilt für alle Fälle, in denen der einen prozeßbefangenen Bescheid ändernde oder ersetzende Bescheid - wie hier - nach dem 1. Januar 1993 bekanntgegeben worden ist (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 68 Anm. 3 a, m. w. N.).

Gräber/von Groll (a. a. O., Anm. 26) vertreten allerdings die Auffassung, daß der suspendierte Verwaltungsakt endgültig gegenstandslos und die Klage gegen ihn unzulässig werde, wenn der Antrag nach § 68 FGO nicht, nicht wirksam, nicht rechtzeitig oder sonst unzulässigerweise gestellt werde. Noch weitergehend meint Rößler (Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1993, 685, 686), nach Sinn und Zweck der Befristung der Antragstellung müsse man davon ausgehen, daß mit Ausübung des Wahlrechts durch den Kläger (Einspruch oder Antrag nach § 68 FGO) dieses bereits verbraucht sei; nach Einlegung des Einspruchs - wie hier - könne danach der Antrag nach § 68 FGO auch dann nicht mehr gestellt werden, wenn die Monatsfrist dafür noch nicht abgelaufen sei.

Beide Auffassungen berücksichtigen nicht ausreichend, daß der Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides wieder in Kraft treten kann, wenn der ihn ändernde Bescheid im Anfechtungsverfahren, und zwar insbesondere aus formellen Gründen, aufgehoben wird. Hieran hat sich durch die Einführung der Frist für die Stellung des Antrags in § 68 Satz 2 FGO nichts geändert. Die vorstehend wiedergegebene Ansicht von Rößler ist nach Auffassung des Senats im übrigen auch mit dem eindeutigen Wortlaut des § 68 Satz 2 FGO nicht vereinbar.

Zu Unrecht berufen sich Gräber/von Groll (a. a. O., § 68 Anm. 3) für ihre Ansicht auf die amtliche Begründung der Neufassung (BTDrucks 12/1061, S. 15). Dort heißt es insoweit lediglich, daß die vorgeschlagene Neuregelung (§ 68 Satz 2 FGO) bereits innerhalb der Rechtsbehelfsfrist Klarheit über das weitere Verfahren schaffe und eine Doppelbefassung von FA und FG mit demselben Lebenssachverhalt vermeide. Hieraus läßt sich nur folgern, daß der Gesetzgeber die Folgen aus der bislang bestehenden Möglichkeit, den Antrag beim FG zeitlich unbefristet zu stellen, vermeiden wollte. Dem ist aber durch die Befristung der Antragsmöglichkeit Rechnung getragen; denn jetzt ist es nicht mehr möglich, daß lange nach Anfechtung des Änderungsbescheides und Ergehen von Entscheidungen im Verwaltungswege auch noch das FG durch einen Antrag nach § 68 FGO mit der Sache befaßt werden kann.

Die Neuregelung betrifft nur das Verfahren über den Änderungsbescheid, besagt jedoch nichts für die Behandlung des Verfahrens über den ursprünglichen Bescheid. Dieses behält nach wie vor Bedeutung für den Fall, daß der Änderungsbescheid, z. B. wegen Fehlens der Änderungsvoraussetzungen, aufgehoben wird oder sich aus anderen Gründen gar als unwirksam erweist. Da der ursprüngliche Verwaltungsakt in diesem Fall wieder seine Wirkungen entfaltet, behält das Verfahren über ihn so lange Bedeutung, bis über den Änderungsbescheid rechtskräftig entschieden ist. Wie nach der bisherigen Rechtslage, ist deshalb das Verfahren über den ursprünglichen Bescheid bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen, oder es ist, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (vgl. List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Stand August 1993, § 68 FGO Rdnrn. 22 f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 1993, § 68 FGO Rdnr. 7 a, Abs. 2).

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist danach aufzuheben.