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  BFH-Urteil vom 18.5.1994 (I R 109/93) BStBl. 1994 II S. 925

Berät der Veräußerer einer freiberuflichen Praxis nach der Veräußerung frühere Mandanten auf Rechnung und im Namen des Erwerbers, so steht das der Anwendung der §§ 18 Abs. 3, 34 EStG auf den Veräußerungsvorgang nicht entgegen. Entscheidend ist, daß der Veräußerer die wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen der Praxis einschließlich des Mandantenstamms zivilrechtlich und wirtschaftlich auf den Erwerber überträgt.

EStG §§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 2 bis 4, 34.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger ist Steuerberater. Zum 1. April 1983 veräußerte er seine als Einzelpraxis geführte Steuerberaterpraxis mit sämtlichen Mandanten und dem Praxisinventar an die kurz zuvor gegründete X-GmbH-Steuerberatungsgesellschaft (GmbH). Die Geschäftsanteile der GmbH im Nominalwert von zunächst 50.000 DM hielten der Kläger als Treuhänder der Klägerin (30 v. H.) und Steuerberater W (70 v. H.). Im Dezember 1983 beteiligte sich der Bilanzbuchhalter R mit weiteren 10.000 DM. Alleiniger Geschäftsführer war der Kläger.

Der Kaufpreis für die Übertragung der Praxis betrug rd. 298.000 DM. Nach dem Kaufvertrag war es dem Kläger untersagt, für die bisher von ihm betreuten Mandanten oder für Mandanten der GmbH tätig zu werden, es sei denn, er übte die Tätigkeit im Namen und für Rechnung der GmbH aus. Der Kläger verpflichtete sich ferner, in einem Umkreis von 50 km um P keine zu seinem Beruf gehörende Tätigkeit auszuüben.

Ebenfalls zum 1. April 1983 vereinbarten der Kläger und die GmbH eine freie Mitarbeit des Klägers bei der GmbH gegen eine monatliche Vergütung von 5.000 DM zuzüglich einer gewinn- und umsatzabhängigen Tantieme. Für seine Geschäftsführertätigkeit erhielt der Kläger keine Vergütung.

In ihrer Einkommensteuererklärung 1983 erklärten die Kläger einen nach den §§ 18 Abs. 3, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten Veräußerungsgewinn in Höhe von 243.717 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte den Gewinn als laufenden Gewinn, da der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit nicht eingestellt habe.

In den Jahren 1983 bis 1985 stellte der Kläger der GmbH Honorare in Höhe von 51.300 DM, 82.080 DM und 93.024 DM in Rechnung. Er bezog daneben weitere Beratungshonorare in Höhe von 5.670 DM (1984) und 1.912 DM (1985), die nach seinen Angaben aus seiner Beratungstätigkeit vor der Veräußerung resultierten. Das FA führt diese Honorare auf die Betreuung eigener Mandate durch den Kläger in den Jahren 1984/1985 zurück.

2. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Der Kläger habe einen Veräußerungsgewinn erzielt, da er seine gesamte freiberufliche Praxis an die GmbH verkauft habe.

3. Das FA stützt seine vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassene Revision auf die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. a) Nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 EStG sind Veräußerungsgewinne steuerbegünstigt, die ein freiberuflich Tätiger bei der Veräußerung seines der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens, eines selbständigen Teils dieses Vermögens oder eines der selbständigen Arbeit dienenden Anteils am Vermögen erzielt. Eine Veräußerung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen entgeltlich auf einen anderen überträgt (BFH-Urteil vom 24. Mai 1956 IV 24/55 U, BFHE 63, 27, BStBl III 1956, 205; vgl. auch Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr. D 8, 9). Zu den wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen gehören insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis wie Mandantenstamm und Praxiswert (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1975 IV R 78/71, BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661; Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, a. a. O., § 18 Rdnr. D 13; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 18 Anm. 34 b). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist bei Praxisübertragungen eine Veräußerung dieser wesentlichen Betriebsgrundlagen nur anzunehmen, wenn der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt (BFH-Urteile vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566; in BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661; vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562; vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335; vom 7. November 1991 IV R 14/90, BFHE 166, 527, BStBl II 1992, 457).

Im steuerrechtlichen Schrifttum ist umstritten, ob die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Tätigkeit des Veräußerers im bisherigen örtlichen Wirkungsbereich eine "Veräußerung" auch dann ausschließt, wenn die Tätigkeit im Auftrag des Erwerbers ausgeübt wird. Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 18 EStG Rz. 160) und Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Anm. 197) halten eine nichtselbständige Tätigkeit für den Erwerber für unschädlich (ebenso Oberfinanzdirektion - OFD - Düsseldorf, Verfügung vom 28. Februar 1989, Der Betrieb - DB - 1989, 555). Fitsch schließt jedoch eine "Veräußerung" aus, wenn der Veräußerer der Praxis im bisherigen örtlichen Wirkungskreis als freier Mitarbeiter des Erwerbers tätig wird (Lademann/Söffing/Brockhoff, a. a. O., § 18 Anm. 197; ebenso OFD Düsseldorf, Verfügung vom 28. Februar 1989, DB 1989, 555, 556). Busse hält auch ein freies Mitarbeiterverhältnis für steuerunschädlich (Betriebs-Berater - BB - 1989, 1951). Schmidt/Seeger (a. a. O., § 18 Anm. 34 b) halten das von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal der zeitweiligen Berufseinstellung am bisherigen Tätigkeitsort für verfassungsrechtlich bedenklich, solange die Einbringung einer Praxis in eine Sozietät als Veräußerung gelte, wenn die stillen Reserven aufgedeckt würden (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1979 IV R 69/74, BFHE 129, 380, BStBl II 1980, 239).

b) Die Entscheidung kann nur nach Wortlaut und Sinn des § 18 Abs. 3 EStG zu treffen sein. Entscheidend kann nur sein, ob die bisherige Praxis mit ihren immateriellen Wirtschaftsgütern definitiv an einen Erwerber veräußert wurde. Die Rechtsprechung zum Erfordernis der zeitweiligen Einstellung einer freiberuflichen Tätigkeit am bisherigen örtlichen Wirkungskreis beruht auf der Überlegung, daß bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den bisherigen Mandanten auf Rechnung des "Veräußerers" naheliegt. Eine weitere Nutzung der Mandantenbeziehungen auf Rechnung des bisherigen Praxisinhabers stünde aber einer echten Übertragung dieser wesentlichen wirtschaftlichen Grundlage an den Erwerber entgegen (vgl. Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz-Körperschaftsteuergesetz, § 18 EStG Rz. 166; Kirchhof/Söhn, a. a. O., § 18 Rdnr. D 16; Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 18 Rz. 377). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.

Die der bisherigen Rechtsprechung zugrundeliegende Überlegung greift jedoch nicht, wenn der Veräußerer seine Tätigkeit nur noch für Rechnung des Erwerbers ausübt. Zwar können Umfang und Art der Beziehungen des Erwerbers zu den übertragenen Mandanten und die Nutzungsdauer eines Mandantenstamms von einer beratenden Mitarbeit des Veräußerers für die Praxis des Erwerbers beeinflußt werden. Daraus folgt jedoch nicht, daß keine "Veräußerung" i. S. des § 18 Abs. 3 EStG stattgefunden habe. Entscheidend für die Anwendung des § 18 Abs. 3 EStG kann nur sein, ob der Veräußerer die wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen seiner Praxis definitiv an den Erwerber übertragen hat oder ob er sie weiterhin auf eigene Rechnung nutzt. Eine Veräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG ist anzunehmen, wenn der Erwerber zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage ist, diese Beziehungen zu verwerten. Das ist der Fall, wenn der Erwerber die Mandate auf eigene Rechnung betreut. Beschäftigt er den bisherigen Praxisinhaber noch in nichtselbständiger Stellung oder zahlt er ihm für eine beratende selbständige Tätigkeit seinerseits Honorare, so bestehen keine Rechtsbeziehungen des Praxisinhabers mehr zu den bisherigen Mandanten. Vielmehr schließt der Erwerber die Mandatsverträge, tritt allein in Rechtsbeziehungen zu den Mandanten und besitzt auch allein den Honoraranspruch aus den Mandaten. Damit verfügt der Erwerber zivilrechtlich und wirtschaftlich über die Vorteile aus dem Mandantenstamm. Der bisherige Praxisinhaber hat in solchen Fällen den Mandantenstamm definitiv an den Erwerber veräußert.

2. Im Streitfall werden die früheren Mandanten des Klägers seit Veräußerung der Praxis auf Rechnung und im Namen der GmbH betreut. Die dem Kläger für seine Beratungstätigkeit gezahlten Honorare erhält er nicht von seinen ehemaligen Mandanten, sondern von der Erwerberin. Er selbst hat auch dann keine Ansprüche gegen die Mandanten, wenn er sie - was nicht festgestellt ist - noch fallweise persönlich beraten würde. Unter diesen Umständen steht die fortdauernde Tätigkeit des Klägers im früheren örtlichen Bereich einer Veräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG nicht entgegen.

3. Selbst wenn der Kläger entgegen seinem Vortrag in den Jahren 1984 bis 1986 nicht nur rückständige Honorare aus der Zeit vor der Veräußerung eingezogen, sondern nach diesem Zeitpunkt noch Mandate auf eigene Rechnung betreut haben sollte, stünde das einer Veräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG nicht entgegen.

Nach der Rechtsprechung des BFH ist von einer Veräußerung der wesentlichen Grundlagen der Praxis auch dann auszugehen, wenn einzelne Mandate zurückbehalten werden, auf die in den letzten drei Jahren weniger als 10 v. H. der gesamten Einnahmen entfielen (BFH-Urteile in BFHE 166, 527, BStBl II 1992, 457, und vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352, BStBl II 1993, 182). Nach den Feststellungen des FG betrugen in den Jahren 1984 bis 1986 die auf dem privaten Konto eingegangenen und nach Auffassung des FA auf eigene Mandate des Klägers entfallenden Honorare 5.670 DM, 1.912,91 DM und 5.581,82 DM.

Das FG hat zwar nicht festgestellt, wie sich diese Honorareinnahmen zu den gesamten Einnahmen des Klägers vor der Übertragung der Praxis auf die GmbH verhielten. Dieser Feststellung bedurfte es jedoch nicht. Zum einen hat das FG festgestellt, daß die betreffenden Honorare weniger als 10 v. H. der vom Kläger in den Jahren 1984 bis 1986 von der GmbH bezogenen Honorare ausmachten. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Honorareinnahmen des Klägers vor der Praxisübertragung eher höher waren als danach. Im übrigen hat das FG ohne Rechtsirrtum bereits aus der absoluten Höhe der auf dem privaten Konto eingegangenen Beträge gefolgert, daß die vom FA vermutete und vom Kläger bestrittene Tätigkeit auf eigene Rechnung nur unbedeutend gewesen sein konnte.