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  BFH-Urteil vom 10.8.1994 (II R 103/93) BStBl. 1994 II S. 951

Solange für einen Rechtsvorgang i. S. § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 die erforderliche Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung nicht erteilt ist, entsteht die Grunderwerbsteuer nicht. Eine Steuerfestsetzung kann auch nicht vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO 1977 erfolgen.

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 14 Nr. 2; AO 1977 § 165 Abs. 1; Grundstücksverkehrsverordnung.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg

Sachverhalt

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag erwarb die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) das Eigentum an einem Grundstück. Veräußerin war die Treuhandanstalt. Danach erwarb sie durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. Januar 1992 ein auf diesem Grundstück befindliches Werkstattgebäude. Veräußerin war die A-Genossenschaft. Der Kaufpreis betrug 190.000 DM.

Den Erwerb des Werkstattgebäudes sah das FA als Erwerb eines Gebäudes auf fremdem Grund und Boden i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 an. Es setzte deshalb durch Bescheid vom 29. April 1992 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 3.800 DM fest. Der Bescheid war als vorläufige Grunderwerbsteuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bezeichnet. Bei "Erläuterungen zur Steuerfestsetzung" brachte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Stempelaufdruck mit folgendem Text an: "Dieser Bescheid ergeht vorläufig nach § 165 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), hinsichtlich der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung."

Mit dem Einspruch machte die Klägerin geltend, daß kein Erwerb eines Gebäudes auf fremdem Grund und Boden vorliege. Auf ihren Antrag gewährte das FA am 1. Februar 1993 Aussetzung der Vollziehung. Durch Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 1993 wurde der Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung enthielt keinen Ausspruch hinsichtlich der Vorläufigkeit des angefochtenen Bescheids.

Mit der Klage machte die Klägerin weiterhin geltend, daß kein Erwerb eines Gebäudes auf fremdem Grund und Boden und mithin kein der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang vorliege. Sie beantragte, den Grunderwerbsteuerbescheid und die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der Erwerb des Werkstattgebäudes durch die Klägerin erfülle als Erwerb eines Gebäudes auf fremdem Grund und Boden den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Diese macht Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Grunderwerbsteuerbescheids und der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da der Grunderwerbsteuerbescheid aus vom FG nicht erörterten Gründen rechtswidrig ist. Entweder ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 bereits wegen fehlender Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht erfüllt oder aber die vom FA angeordnete Vorläufigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids ist fehlerhaft.

1. Im Streitfall steht in Frage, ob durch den Vertrag vom 29. Januar 1992 der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 erfüllt ist. Eine Genehmigung dieses Vertrages nach der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken (Grundstücksverkehrsverordnung) i. d. F. vom 18. April 1991 (BGBl I 1991, 1000) ist bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung nicht erfolgt. Es ist allerdings zweifelhaft, ob dieser Vertrag überhaupt einer Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung bedarf. Mit dieser Frage hat sich das FG nicht auseinandergesetzt und auch keine Feststellungen dazu getroffen, die eine Entscheidung darüber erlauben, ob die Voraussetzungen nach § 23 der Grundstücksverkehrsverordnung für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung vorliegen. Die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit des Vertrags vom 29. Januar 1992 kann der Senat jedoch offenlassen, da der angefochtene Bescheid in jedem Fall - d. h. bei Genehmigungsbedürftigkeit und bei fehlender Genehmigungsbedürftigkeit des Vertrags - rechtswidrig ist.

2. Bedarf der Vertrag vom 29. Januar 1992 der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung, so ergibt sich folgendes:

Solange die erforderliche Genehmigung nicht erteilt ist, ist der Kaufvertrag schwebend unwirksam, d. h. die Parteien sind zwar gebunden, es bestehen aber keine Erfüllungsansprüche. In einem derartigen Fall entsteht die Steuer nach § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 erst mit der Genehmigung des Erwerbsvorgangs (vgl. für das GrEStG DDR Senatsurteil vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630). Solange die Genehmigung nicht erteilt ist, ist der Tatbestand nicht verwirklicht, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO 1977). Ist bis zur Einspruchsentscheidung die erforderliche Genehmigung nicht erteilt, so ist daher ein gleichwohl ergangener Grunderwerbsteuerbescheid rechtswidrig.

Ist der Steuertatbestand wegen der fehlenden Genehmigung nicht (vollständig) erfüllt, kann eine Steuerfestsetzung auch nicht vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO 1977 erfolgen. Nach dieser Vorschrift kann eine Steuer insoweit vorläufig festgesetzt werden, als ungewiß ist, ob und inwieweit die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten sind. Die eine vorläufige Steuerfestsetzung rechtfertigende Ungewißheit hat sich auf Tatsachen zu beziehen, die den Steuertatbestand oder einzelne Merkmale desselben erfüllen (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 1985 IV R 64/83, BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648). Die Ungewißheit kann aber nur darin bestehen, ob aufgrund dieser (ungewissen) Tatsachen der Steuertatbestand bereits erfüllt ist oder nicht. Keinesfalls ist eine Steuerfestsetzung - und damit auch keine vorläufige - dann gerechtfertigt, wenn ungewiß ist, ob ein zur Erfüllung des Steuertatbestands notwendiges Merkmal erst in Zukunft überhaupt verwirklicht wird.

Im Streitfall ist keine Genehmigung erteilt. Ist der Vertrag als solcher genehmigungsbedürftig, so durfte eine Steuerfestsetzung nicht, auch nicht als vorläufige, erfolgen. Die gleichwohl erfolgte Steuerfestsetzung ist rechtswidrig.

3. Bedarf der Vertrag vom 29. Januar 1992 keiner Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung, so ergibt sich folgendes:

Das FA hat die Grunderwerbsteuer nach § 165 Abs. 1 AO 1977 vorläufig festgesetzt. Die Anordnung der Vorläufigkeit wurde in der Einspruchsentscheidung zwar nicht ausdrücklich aufrechterhalten, da sie aber auch nicht ausdrücklich aufgehoben wurde, bleibt sie weiter bestehen. Der Umfang der Vorläufigkeit ist nicht ausdrücklich angegeben. Aus dem angegebenen Grund der Vorläufigkeit (Grundstücksverkehrsgenehmigung), der sich auf die Erfüllung des Steuertatbestands als solchen bezieht, ergibt sich durch Auslegung jedoch, daß die Steuerfestsetzung in vollem Umfang vorläufig erfolgen sollte. Für den Fall, daß der Vertrag keiner Genehmigung bedarf, besteht jedoch für diese Vorläufigkeit kein Grund. Ist der Vertrag nicht genehmigungsbedürftig, so ist das Rechtsgeschäft i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 unzweifelhaft sofort wirksam geworden. Für das Entstehen und den Umfang des Steueranspruchs kommt es auf eine Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsverordnung nicht an. Insofern kann keine Ungewißheit i. S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bestehen. Der dem Steuerbescheid bei seinem Erlaß beigefügte Vorläufigkeitsvermerk ist eine unselbständige Nebenbestimmung des Verwaltungsakts (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Oktober 1980 IV R 168-170/79, BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150 m. w. N.). Besteht die in § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorausgesetzte Ungewißheit in Wirklichkeit nicht, so ist der Bescheid zwar nicht nichtig, aber rechtswidrig (vgl. BFH-Beschluß vom 5. Februar 1992 V B 60/91, BFH/NV 1992, 579). Ist ein in vollem Umfang vorläufiger Steuerbescheid in vollem Umfang - wenn auch nicht im Hinblick auf die Vorläufigkeit selbst - angefochten, und ergibt sich im Klageverfahren die Fehlerhaftigkeit der Vorläufigkeitsanordnung, so ist der Bescheid in vollem Umfang aufzuheben (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278, sowie BFH in BFHE 132, 5, BStBl II 1981, 150).

Ist im Streitfall der Vertrag nicht genehmigungsbedürftig, so besteht kein Grund für die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung. Der Bescheid ist deswegen insgesamt aufzuheben.

4. Die Sache ist spruchreif. Da der Bescheid in jedem Fall - d. h. bei Genehmigungsbedürftigkeit und bei fehlender Genehmigungsbedürftigkeit - rechtswidrig ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden und den Grunderwerbsteuerbescheid und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung aufheben.