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  BFH-Urteil vom 19.10.1994 (II R 124/91) BStBl. 1995 II S. 45

Die zur Ermittlung des Werts des Gesamtvermögens vom Rohvermögen abziehbaren, vor dem Veranlagungszeitpunkt entstandenen Einkommensteuerschulden sind weder um die einkommensteuererhöhenden Auswirkungen eines Dividendenanspruchs, der auf einem erst nach dem Veranlagungszeitpunkt gefaßten Gewinnverteilungsbeschluß beruht, zu mindern noch mit den aus dem Gewinnverteilungsbeschluß zustehenden Ansprüchen auf Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer zu verrechnen. (Anschluß an BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946.)

VStG § 4 Abs. 1 Nr. 1; BewG i. d. F. vor Inkrafttreten des StÄndG 1992 § 105 Abs. 1, § 118 Abs. 1 Nr. 1 (nunmehr § 118 Abs. 1 Nr. 1 i. d. F. des StÄndG 1992).

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger zu 1 und 2 (Kläger zu 1 und 2), ein Ehepaar, wurden gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter, der Klägerin und Revisionsklägerin zu 3 (Klägerin zu 3), im Streitjahr zusammen zur Vermögensteuer veranlagt. Die Klägerin zu 2 war im Kalenderjahr 1983 mit 40 v. H. an der A-GmbH & Co. KG (KG) beteiligt, der alleinigen Gesellschafterin der A-GmbH (GmbH). Die von der GmbH im Dezember 1984 beschlossene Gewinnausschüttung an die KG für das Jahr 1983 wurde einschließlich anrechenbarer Körperschaftsteuer in dem ertragsteuerlichen Jahresabschluß der KG zum 31. Dezember 1983 als Beteiligungsertrag erfaßt. Die auf die Klägerin zu 2 entsprechend ihrer Beteiligung an der KG entfallenden Einkünfte für das Jahr 1983 in Höhe von insgesamt 2.751.833 DM (davon 2.500.000 DM Dividendenansprüche), einschließlich 900.000 DM anrechenbarer Körperschaftsteuer und 400.000 DM anrechenbarer Kapitalertragsteuer, wurden in die gemeinsame Einkommensteuerveranlagung 1983 der Kläger zu 1 und zu 2 einbezogen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte gegenüber den Klägern unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) eine Neuveranlagung zur Vermögensteuer auf den 1. Januar 1984 durch und setzte mit Bescheid vom 2. Dezember 1986 die Vermögensteuer 1984 auf 26.340 DM fest. Die bei der Ermittlung des Gesamtvermögens abziehbare Einkommensteuerschuld 1983 der Kläger zu 1 und zu 2 minderte das FA dabei um anrechenbare Kapitalertragsteuer in Höhe von 400.000 DM und anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von 900.000 DM.

Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. Wegen anderweitiger, hier nicht streitiger Änderungen der Bemessungsgrundlage setzte das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1988 die Vermögensteuer 1984 auf 27.335 DM fest.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Erhöhung der abzugsfähigen Steuerschulden um insgesamt 1.300.000 DM.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 60 veröffentlicht.

Das FA habe im Ergebnis zu Recht eine Erhöhung der abzugsfähigen Steuerschulden zum 1. Januar 1984 abgelehnt. Bei Ermittlung der vom Rohvermögen abzuziehenden Einkommensteuerschuld eines Veranlagungszeitraums vor dem Vermögensteuerstichtag seien die einkommensteuererhöhenden Auswirkungen eines Gewinnausschüttungsbeschlusses nicht zu berücksichtigen, wenn am maßgeblichen Stichtag dieser Beschluß noch nicht gefaßt worden sei. Ausgangswert für die abzugsfähigen Einkommensteuerschulden sei im Streitfall daher nicht die festgesetzte Einkommensteuer 1983, sondern eine fiktive Einkommensteuer, die sich aus einem zu versteuernden Einkommen ohne Berücksichtigung der aus der Gewinnausschüttung vom Dezember 1984 folgenden Gewinnanteile in Höhe von 2.500.000 DM berechne.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 118 Abs. 1 Nr. 1 und § 105 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes in der am 1. Januar 1984 maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1974 - BewG a. F. - (BGBl I 1974, 2369, BStBl I 1974, 862).

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Vermögensteuerbescheids auf den 1. Januar 1984 vom 2. Dezember 1986 die Vermögensteuer 1984 auf 20.835 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es vertritt die Auffassung, daß bei der Ermittlung des Gesamtvermögens auf den 1. Januar 1984 Schulden aus der veranlagten Einkommensteuer 1983 nur insoweit abgezogen werden könnten, als sie für den Veranlagungszeitraum 1983 erhoben würden. Erhoben werde die festgesetzte Einkommensteuer 1983 unter Anrechnung aller auf veranlagte Einkünfte entfallenden Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer. Nur insoweit bestehe eine wirtschaftliche Last für die Kläger.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist begründet.

Entgegen der Auffassung der Vorentscheidung ist bei Ermittlung des Gesamtvermögens der Kläger auf den 1. Januar 1984 die abziehbare Einkommensteuerschuld 1983 nicht - im Wege einer fiktiven Steuerberechnung - um die einkommensteuererhöhenden Auswirkungen des Gewinnausschüttungsbeschlusses vom Dezember 1984 zu mindern.

1. Die Kläger unterliegen mit ihrem Gesamtvermögen der Vermögensteuer (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes - VStG -). Bei der Ermittlung des Werts des Gesamtvermögens sind nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 i. V. m. § 105 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. (nunmehr § 118 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992, BGBl I, 297, BStBl I 1992, 146) Schulden aus laufend veranlagten Steuern von dem Rohvermögen nur abzuziehen, wenn die Steuern für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat.

a) Die veranlagte Einkommensteuer entsteht grundsätzlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, § 38 AO 1977) in der Höhe, in der sie nach dem bis zum Schluß dieses Veranlagungszeitraums erzielten steuerpflichtigen Einkommen festzusetzen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1981 III R 35/80, BFHE 134, 355, BStBl II 1982, 54). Für den Abzug der Steuerschuld vom Rohvermögen ist grundsätzlich von der Einkommensteuerschuld auszugehen, die für das dem Veranlagungszeitpunkt (§ 5 Abs. 1 VStG) vorangehende Kalenderjahr festgesetzt wurde. Voraussetzung für den Abzug ist jedoch, daß der Steuerpflichtige bereits am Stichtag, also zum Veranlagungszeitpunkt, mit der Steuerbelastung rechnen konnte. Dies ist regelmäßig bei Jahressteuerschulden in Höhe der später veranlagten und nicht durch geleistete Vorauszahlungen gedeckten Steuern der Fall (vgl. Vermögensteuer-Richtlinien - VStR - 1983 Abschnitt 37 Abs. 3 Satz 1 und 2).

Für den Streitfall bedeutet dies, daß die Kläger die auf dem zu versteuernden Einkommen der Kläger zu 1 und zu 2 beruhende Einkommensteuer 1983 - vermindert um Vorauszahlungen - bei der Ermittlung ihres Gesamtvermögens als Schuldposten abziehen können.

b) Entgegen der Auffassung des FG ist für den Steuerschuldenabzug nicht eine fiktiv berechnete Einkommensteuer, die die einkommensteuererhöhenden Auswirkungen des Gewinnausschüttungsbeschlusses vom Dezember 1984 unberücksichtigt läßt, maßgebend. Nach dem der Vermögensteuer zugrundeliegenden Stichtagsprinzip ist für die Bewertung des Gesamtvermögens von der zum Veranlagungszeitpunkt festgesetzten Ertragsteuer auszugehen. Denn für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Vermögensteuer kommt es auf die Verhältnisse zum Veranlagungszeitpunkt an (vgl. § 5 Abs. 1 VStG).

Ertragsteuerlich sind Ansprüche auf Gewinne (Dividenden) aus Mehrheitsbeteiligungen an einer Kapitalgesellschaft auch dann in dem Jahr zu erfassen, für das ausgeschüttet wird, wenn diese auf einem erst nach dem Abschlußzeitpunkt gefaßten Gewinnverteilungsbeschluß beruhen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. März 1989 X R 9/86, BFHE 156, 443, BStBl II 1989, 714 m. w. N.; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 5 Anm. 31 "Dividendenansprüche").

Zum Veranlagungszeitpunkt 1. Januar 1984 stand daher fest, daß die auf die Klägerin zu 2 entfallenden Dividendenansprüche aus dem Gewinnverwendungsbeschluß vom Dezember 1984 bereits in die Bemessungsgrundlage der für das Jahr 1983 festzusetzenden Einkommensteuer einzubeziehen sind.

c) Wie das FG zutreffend angenommen hat, ist die bereits vor dem Veranlagungszeitpunkt entstandene Einkommensteuer 1983 nicht um die mit dem Gewinnausschüttungsbeschluß verbundene anrechenbare Körperschaftsteuer und einzubehaltende Kapitalertragsteuer zu kürzen. Denn die Ansprüche auf die zu erwartende anrechenbare Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer haben im Unterschied zu der mit Ablauf des Veranlagungszeitraums bereits entstandenen Einkommensteuer 1983 zum Veranlagungszeitpunkt 1. Januar 1984 noch nicht bestanden.

aa) Zwar ist auf die veranlagte Einkommensteuer die auf einer Gewinnausschüttung beruhende Körperschaftsteuer anzurechnen (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG). Zum einen berührt aber die Frage der Anrechnung der Körperschaftsteuer nicht die Entstehung der nach dem zu versteuernden Einkommen veranlagten Einkommensteuer, sondern allein die Steuererhebung, was sich bereits aus der Überschrift des VI. Abschnitts des EStG ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216). Zum anderen setzt die Entstehung des Körperschaftsteueranrechnungsanspruchs einen Gewinnausschüttungsbeschluß voraus. Denn erst mit dem Dividendenanspruch der Anteilseigner entsteht auch der damit gekoppelte Anspruch auf anrechenbare Körperschaftsteuer.

Im Streitfall wurde der Gewinnausschüttungsbeschluß der GmbH erst nach dem Veranlagungszeitpunkt im Dezember 1984 gefaßt. Der Klägerin zu 2 stand daher der mit dem Dividendenanspruch verbundene Anspruch auf anrechenbare Körperschaftsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG) zum Veranlagungszeitpunkt 1. Januar 1984 noch nicht zu. Die Einkommensteuerschuld 1983 der Kläger zu 1 und zu 2 darf daher nicht um die erst zu erwartende anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von 900.000 DM gemindert werden.

bb) Aus den vorgenannten Gründen ist die abziehbare Einkommensteuerschuld 1983 der Kläger auch nicht um die erst im Jahr 1984 einzubehaltende Kapitalertragsteuer in Höhe von 400.000 DM zu kürzen. Denn die Kapitalertragsteuer entsteht erst in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Der Anspruch auf Anrechnung der Kapitalertragsteuer kann aber rechtlich nicht vor dem Anspruch auf Kapitalertragsteuer selbst und damit zeitlich nicht vor dem entsprechenden Gewinnausschüttungsbeschluß entstehen.

d) Der Senat räumt ein, daß das hier gefundene Ergebnis deshalb nicht voll zu befriedigen vermag, da zwar einerseits durch die ertragsteuerliche Erfassung des Dividendenanspruchs, der auf einem erst nach dem Veranlagungszeitpunkt gefaßten Gewinnverteilungsbeschluß beruht, das zu versteuernde Einkommen und damit die abzugsfähige Einkommensteuerschuld erhöht werden, andererseits aber die mit dem Dividendenanspruch gekoppelten Ansprüche auf Anrechnung der Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer nicht schuldmindernd berücksichtigt werden. Doch ist dies eine Folge des Stichtagsprinzips, das der Praktikabilität der Bewertung dient und auch dann zu beachten ist, wenn es zu Ergebnissen führt, die nicht voll zu befriedigen vermögen (BFH-Urteil vom 24. April 1985 II R 231/84, BFHE 143, 375, BStBl II 1985, 361 m. w. N.).

2. Der Vorentscheidung liegt eine andere rechtliche Beurteilung zugrunde. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Das steuerpflichtige Vermögen der Kläger ist um insgesamt 1.300.000 DM zu mindern. Unter Änderung des Vermögensteuerbescheids auf den 1. Januar 1984 vom 2. Dezember 1986 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Januar 1988 wird die Vermögensteuer 1984 auf 20.835 DM festgesetzt.