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  BFH-Urteil vom 12.10.1994 (II R 4/91) BStBl. 1995 II S. 69

1. Leistungen aus einem Grundstückskaufvertrag sind gemäß § 322 Abs. 1 BGB Zug um Zug auszutauschen. § 12 Abs. 3 BewG erfaßt daher im Bereich der Grunderwerbsteuer nur solche Fälle, in denen der Grundstücksverkäufer seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat und trotzdem vereinbarungsgemäß die Kaufpreiszahlung des Käufers zinslos hinausgeschoben wird (Bestätigung des Senatsurteils vom 18. Januar 1989 II R 103/85, BFHE 155, 558, BStBl II 1989, 427).

2. "Verzichtet" der Käufer eines Grundstücks im Kaufvertrag auf das ihm durch die §§ 320, 322 BGB gewährte Recht, den Kaufpreis erst im Zuge der Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung (Übereignung und Übergabe des Grundstücks) erbringen zu müssen, indem er sich einer Vorleistungspflicht unterwirft, so gewährt er dem Verkäufer einen als Entgelt i. S. des § 8 Abs. 1 GrEStG anzusehenden geldwerten Vorteil in Gestalt der vorzeitigen Kapitalnutzungsmöglichkeit.

GrEStG 1983 § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1; BewG 1965 § 12 Abs. 1 und 3, § 15 Abs. 1.

Sachverhalt

I.

Mit Kaufvertrag vom 1. September 1987 erwarb die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) das Grundstück X in Y. Der Kaufpreis betrug 1 Mio. DM und war wie folgt zu entrichten:

1. ein Teilbetrag in Höhe von 900.000 DM innerhalb von zwei Wochen nach Zeugniserteilung über das Nichtbestehen oder die Nichtausübung eines Vorkaufsrechtes, nach Benachrichtigung des Grundbuchamtes über die entsprechende Eintragung der beantragten Auflassungsvormerkung und Löschung der Grundschulden im Grundbuch;

2. der restliche Kaufpreis von 100.000 DM innerhalb von zwei Wochen nach Besitzübergabe.

In Abschn. II Ziff. 4 des Kaufvertrages wurde vereinbart, daß das Kaufgrundstück spätestens am 30. Dezember 1989 der Klägerin zu übergeben war und die Nutzungen bis zum Ablauf des auf den Besitzübergabetag folgenden Kalendermonats beim Verkäufer verbleiben sollten. Außerdem wurde bestimmt, daß die Kaufpreisraten bis zu ihrer Fälligkeit nicht verzinst werden sollten.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 1987 setzte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Grunderwerbsteuer - ausgehend von einer Bemessungsgrundlage von 1.115.470 DM - auf 22.309 DM fest. Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage setzte das FA den Kaufpreisteil von 100.000 DM mit dem Nominalbetrag an und zinste den anderen Kaufpreisteil von 900.000 DM unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 5,5 v. H. und eines Zeitraums von zwei Jahren und drei Monaten auf 1.015.470 DM auf.

Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage wandte sich die Klägerin sowohl gegen den Ansatz des Kaufpreisteils von 100.000 DM mit dem Nominalbetrag als auch gegen die Aufzinsung des anderen Kaufpreisteils von 900.000 DM auf 1.015.470 DM. Sie machte geltend, für die Frage der Ab- bzw. der Aufzinsung des Kaufpreises sei auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des Grunderwerbsteuertatbestandes - also auf den Tag des Kaufvertragabschlusses (1. September 1987) - abzustellen. Sonach sei der Anfang 1990 fällig gewordene Teil des Kaufpreises von 100.000 DM auf 86.722 DM abzuzinsen und der restliche Kaufpreisteil von 900.000 DM mit dem Nominalbetrag anzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zum überwiegenden Teil statt und legte als grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage in bezug auf beide Kaufpreisteile deren Nominalbeträge zugrunde.

Gegen das Urteil haben beide Beteiligte Revision eingelegt und jeweils die Verletzung materiellen Rechts gerügt.

Die Klägerin beantragt,

1. die Vorentscheidung aufzuheben und unter Abänderung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids und der Einspruchsentscheidung die Grunderwerbsteuer auf 19.734 DM herabzusetzen;

2. die Revision des FA zurückzuweisen.

Das FA beantragt,

1. die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen;

2. die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit der Klage stattgegeben wurde, und zur vollen Abweisung der Klage.

1. Zum Kaufpreisteilbetrag von 100.000 DM

Gemäß § 8 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) bemißt sich die Steuer nach dem Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung gilt bei dem hier gegebenen Kauf insbesondere der Kaufpreis (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Die Bewertung der Kaufpreisforderung richtet sich nach § 12 des Bewertungsgesetzes (BewG). Gemäß § 12 Abs. 1 BewG ist eine Kapitalforderung (hier: die Kaufpreisforderung) grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen. Ausnahmsweise ist sie gemäß § 12 Abs. 3 BewG abzuzinsen, wenn sie unverzinslich ist und ihre Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt. Zu Unrecht meint die Klägerin, daß die Voraussetzungen für eine Abzinsung im Streitfall vorgelegen hätten.

Wie der erkennende Senat im Urteil vom 18. Januar 1989 II R 103/85 (BFHE 155, 558, BStBl II 1989, 427; vgl. auch Urteil vom 10. Oktober 1984 II R 182/82, BFHE 142, 171, BStBl II 1985, 105) ausgeführt hat, besteuert das Grunderwerbsteuerrecht den Umsatz von Grundstücken. Dementsprechend kann die Gegenleistung des Käufers nur unter Berücksichtigung dieses Grundstücksumsatzes und damit der Gegenleistung des Grundstücksverkäufers bewertet werden. Leistungen aus einem Grundstückskaufvertrag sind gemäß § 322 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Zug um Zug auszutauschen. § 12 Abs. 3 BewG erfaßt daher im Bereich der Grunderwerbsteuer nur solche Fälle, in denen der Grundstücksverkäufer seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat und trotzdem vereinbarungsgemäß die Kaufpreiszahlung des Käufers zinslos hinausgeschoben wird. Der Verkäufer hat seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt, wenn er dem Käufer Besitz, Nutzungen und Lasten des verkauften Grundstücks übertragen hat (vgl. § 446 Abs. 1 i. V. m. § 452 BGB). Gewährt der Verkäufer sodann dem Käufer einen zinslosen Kredit, so rechtfertigt dies die Abzinsung der Kaufpreisforderung. Tauschen die Vertragspartner dagegen, wie im Streitfall, ihre Leistungen Zug um Zug aus, so entfällt dieser Rechtfertigungsgrund für die Abzinsung selbst dann, wenn der Leistungsaustausch und damit auch die Zahlung des Kaufpreises erst mehrere Jahre nach Vertragsabschluß erfolgt. Denn der Grundstückskäufer ist nicht vorleistungspflichtig.

2. Zum Kaufpreisteil von 900.000 DM

Zutreffend ist das FG zwar davon ausgegangen, daß dieser Kaufpreisteil (als solcher) lediglich mit seinem Nennwert anzusetzen ist. Entgegen der Auffassung des FA kommt eine Aufzinsung, d. h. ein Ansatz dieses Kaufpreisteils mit einem Betrag über dem Nominalwert, nicht in Betracht, weil insoweit weder eine Kapitalforderung noch eine Schuld i. S. des § 12 Abs. 1 BewG 1965 vorliegt. Mit der Kaufpreiszahlung ist die Forderung des Grundstücksverkäufers erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

Entgegen der vom FG und von der Klägerin vertretenen Ansicht hat die Klägerin jedoch durch die Vorausleistung des Kaufpreisteilbetrages in Höhe von 900.000 DM dem Grundstücksverkäufer neben dem eigentlichen Kaufpreis eine zusätzliche Gegenleistung dadurch gewährt, daß sie ihm die Nutzungsmöglichkeit des entsprechenden Kapitals für den Zeitraum zwischen der (Vorab-) Zahlung und der Grundstücksübergabe überlassen hat.

Mit der im Kaufvertrag vereinbarten Vorleistung des Kaufpreises "verzichtet" der Käufer zu seinem Nachteil auf die im bürgerlich-rechtlichen Modellfall des gegenseitigen Vertrages vorgesehene Zug-um-Zug-Erfüllung der beiderseitigen Ansprüche (sog. funktionelles Synallagma; §§ 320, 322 BGB). Haben die Kaufvertragsparteien keine von den dispositiven Vorschriften der §§ 320, 322 BGB abweichenden Vereinbarungen getroffen, so kann jeder Vertragspartner die Leistung des anderen erst dann verlangen, wenn er gleichzeitig die eigene Leistung anbietet (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 15 I, S. 205). Der Käufer kann daher die Zahlung des Kaufpreises bis zur Bewirkung der Gegenleistung (Sachleistung) durch den Verkäufer verweigern (§ 320 Abs. 1 Satz 1 BGB). "Verzichtet" der Käufer im Kaufvertrag auf diese ihm durch das funktionelle Synallagma (§§ 320, 322 BGB) vermittelte Rechtsposition, den Kaufpreis erst im Zuge der Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung erbringen zu müssen, indem er sich einer Vorleistungspflicht unterwirft, so gewährt er dem Verkäufer einen geldwerten Vorteil in Gestalt der vorzeitigen Kapitalnutzungsmöglichkeit. Sie ist als (zusätzliche) Gegenleistung i. S. des § 8 Abs. 1 GrEStG anzusehen. Zur Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinn gehört jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb des Grundstücks gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung des Grundstücks empfängt. Als eine solche Gegenleistung hat der erkennende Senat die Verpflichtung des Grundstückskäufers angesehen, dem Grundstücksverkäufer ein zinsloses oder zinsverbilligtes Darlehen zu gewähren (Senatsurteil vom 17. April 1991 II R 119/88, BFHE 164, 130, BStBl II 1991, 586). Es kann dahinstehen, ob die Vorleistung der Klägerin in bezug auf den Kaufpreisteilbetrag von 900.000 DM als (unentgeltliche) Darlehensgewährung beurteilt werden kann. Die zinslose Darlehensgewährung und die Vorleistung des Kaufpreisteils im Streitfall haben jedenfalls gemeinsam, daß in beiden Fällen dem Verkäufer ein geldwerter Vorteil und damit ein (zusätzliches) grunderwerbsteuerrechtlich zu erfassendes Entgelt in Gestalt der unentgeltlichen Überlassung von Kapitalnutzungsmöglichkeiten zugewendet wurde.

Der Jahreswert der Nutzung ist im vorliegenden Fall gemäß § 15 Abs. 1 BewG mit 5,5 v. H. anzunehmen.