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  BFH-Urteil vom 13.7.1994 (I R 142/93) BStBl. 1995 II S. 133

Die Gewinne einer Kapitalgesellschaft sind im Jahr 1990 nach § 3 der 1. DV-ReprivG (GBl DDR 1990, 141, 144) auch dann in vollem Umfang steuerfrei, wenn an der Kapitalgesellschaft nicht nur Altinhaber oder -gesellschafter i. S. des § 17 ReprivG oder deren Erben beteiligt sind (gegen Schreiben des BMF vom 26. November 1991 IV B 2 - S 1901 - 203/91 / IV B 7 - S 1900 - 254/91 (BStBl I 1991, 1012).

1. DV-ReprivG § 3.

Vorinstanz: FG Leipzig

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH mit Sitz in Sachsen, entstand durch Umwandlung gemäß § 17 des Gesetzes über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. März 1990 - ReprivG - (Gesetzblatt DDR - GBl DDR - 1990, 141). Sie führt einen Betrieb fort, der bis zu seiner Überführung in Volkseigentum H gehört hatte. An der Klägerin sind H und dessen Tochter mit jeweils 25 % und der Schwiegersohn von H mit 50 % beteiligt.

Die Klägerin begehrte für 1990 Steuerbefreiung gemäß § 3 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen - 1. DV-ReprivG - (GBl DDR 1990, 144). Diesem Antrag gab der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nur in Höhe des Anteils des H statt und lehnte ihn im übrigen ab (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 26. November 1991 IV B 2 - S 1901 - 203/91 / IV B 7 - S 1900 - 254/91, BStBl I 1991, 1012).

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, unter Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts (FG) und des Änderungsbescheids vom 24. September 1993 die zusammengefaßte Steuerrate 1990 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben. Der Klage ist stattzugeben.

Nach § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG sind die Gewinne der in §§ 17 bis 19 ReprivG genannten Unternehmen bzw. die Einkommen ihrer Gesellschafter für die ersten zwei Jahre der wirtschaftlichen Tätigkeit steuerfrei. Diese Vorschrift galt als Steuerrechtsnorm gemäß Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 des Einigungsvertrages (EinigVtr) noch bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet als - partielles und revisibles - Bundesrecht fort (vgl. Urteil des Senats vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578), wobei sich allerdings mangels Weitergeltung ab 1. Januar 1991 (vgl. § 58 des Einkommensteuergesetzes - EStG - in der Fassung des EinigVtr) der ursprünglich zweijährige Begünstigungszeitraum auf das Streitjahr 1990 beschränkt (vgl. auch Dötsch/Pinkos in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, Anhang DDR Rdnr. 51 Nr. 1). Von dieser Fortgeltung werden durch Bezugnahme auch die §§ 17 bis 19 ReprivG erfaßt, soweit sie die Unternehmen i. S. des § 1 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG definieren, obgleich die §§ 17 bis 21 ReprivG nach § 39 Nr. 10 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. I Nr. 2 zum EinigVtr, BGBl II 1990, 1153) zum 3. Oktober 1990 außer Kraft traten. Insoweit ist die Begriffsdefinition des Unternehmens i. S. der §§ 17 bis 19 ReprivG Tatbestandsmerkmal einer bis zum 31. Dezember 1990 fortgeltenden Steuerrechtsnorm geworden.

Die in § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ReprivG genannten Unternehmen sind solche ehemalige Betriebe mit staatlicher Beteiligung und private Betriebe, die auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats vom 9. Februar 1972 und damit im Zusammenhang stehender Regelungen in Volkseigentum übergeleitet wurden und die - auf Antrag der ehemaligen privaten Gesellschafter oder Inhaber - in Personengesellschaften, Einzelunternehmen oder Kapitalgesellschaften umgewandelt wurden (vgl. auch Überschrift vor § 17 ReprivG). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin unstreitig vor. Aus der Antragsbefugnis der ehemaligen privaten Gesellschafter oder Inhaber oder deren Erben auf eine Verbleibensvoraussetzung dieser Altgesellschafter und deren Erben zu schließen, ist nach dem Wortlaut der Norm und aus systematischen Gründen nicht möglich. Für die Rechtsfolge des § 17 ReprivG, die Reprivatisierung der dort bezeichneten Unternehmen, ist das Verbleiben der Altgesellschafter bzw. deren Erben in den Unternehmen gesetzlich nicht vorgeschrieben. Aus der Sicht des Zwecks des ReprivG, nämlich der Förderung privater Initiativen zur Entfaltung des Unternehmertums (vgl. Präambel zum ReprivG) bestand auch kein Interesse daran, nur solche Betriebe zu reprivatisieren, deren Inhaber sich ausschließlich aus dem Kreis der - durch Zeitablauf zwangsläufig älter gewordenen - Altgesellschafter und -inhaber und/oder deren Erben zusammensetzen. Umgekehrt gesehen lag es geradezu im Sinne des Reprivatisierungsbestrebens, auch solche Unternehmen zu erfassen, die sich die finanziellen Mittel zur notwendigen betrieblichen Umstrukturierung und Modernisierung durch den Eintritt neuer Gesellschafter verschafften. Die ehemaligen Gesellschafter und Inhaber bzw. deren Erben waren für die Rechtsfolgen des § 17 Abs. 1 Satz 1 ReprivG nur insoweit von Bedeutung, als ausschließlich ihnen das Recht zustand, die Umwandlung zu beantragen. Daß das Gesetz mit der Antragsbefugnis die Hoffnung verbunden haben mag, daß die Altgesellschafter selbst die Betriebe fortführten, ist möglich. Diese Vorstellung ist jedoch nicht Gesetz geworden. Wird damit ein Verbleiben der Altgesellschafter und deren Erben in § 17 Abs. 1 Satz 1 ReprivG weder nach dem Wortlaut noch nach dem ausdrücklich dokumentierten Sinn und Zweck des ReprivG vorausgesetzt, so kann es auch nicht Tatbestandsmerkmal des § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG sein, der zur Bestimmung der steuerbefreiten Unternehmen ohne Einschränkung auf § 17 Abs. 1 Satz 1 ReprivG Bezug nimmt. Die Tatsache, daß die Steuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG nicht auf Altgesellschafter oder -inhaber beschränkt bleiben sollte, läßt sich im Umkehrschluß auch aus § 5 Abs. 9 der 1. DV-ReprivG entnehmen, wonach die für unrentable Betriebe vorgesehenen Fördermaßnahmen nach ausdrücklicher Regelung ausschließlich nur den bisherigen Gesellschaftern oder privaten Inhabern der umgewandelten Betriebe zugute kommen sollten. Da § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG eine solche Einschränkung nicht vorsieht, muß davon ausgegangen werden, daß sie auch nicht beabsichtigt war.

Der Zweck des § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG lag entgegen der Auffassung des FG und des FA auch nicht vorrangig darin, die ehemaligen Eigentümer der praktisch enteigneten Betriebe zu entschädigen. § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG hat seine Rechtsgrundlage in § 22 ReprivG, dessen in der Präambel erklärtes Ziel die Unterstützung der Gründung und Tätigkeit privatwirtschaftlicher Unternehmen war. An diesen gesetzlich vorgegebenen Rahmen hatte sich der Verordnungsgeber zu halten. Auch § 19 Abs. 2 und 3 ReprivG, wonach die Umwandlung nur gegen Rückzahlung des Ablösungsbetrages für die früheren Kapitaleinlagen oder Rückerstattung des Kaufpreises erfolgte und die bis zur Umwandlung eingetretenen Werterhöhungen als Einlagen oder Forderungen des Staates behandelt wurden, spricht dagegen, daß das ReprivG und/oder die 1. DV-ReprivG die Wiedergutmachung zum Ziel hatten. Zweck des § 3 der 1. DV-ReprivG war ausschließlich die steuerliche Förderung der reprivatisierten Unternehmen, um den Weg des Übergangs vom sozialistischen zum kapitalistischen Marktsystem zu ebnen. Daß dieses Ziel bei Verlustbetrieben nicht durch eine Steuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG zu erreichen war, macht die Befreiungsnorm noch nicht zur Entschädigungsregelung. Für Verlustbetriebe waren nach § 19 Abs. 3 Satz 2 ReprivG, § 5 Abs. 2 der 1. DV-ReprivG anderweitige Förderungsmaßnahmen vorgesehen, wozu u. a. auch längerfristige Steuerbefreiungen gehörten. Da § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG unmittelbar keine Entschädigungs-, sondern eine Wirtschaftsförderungsmaßnahme enthält, ist er auch nicht nach dem Grundsatz des Vorranges des jüngeren Gesetzes (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 266/7) durch die Rückgabe- und Entschädigungspflichten des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. I Nr. 5 EinigVtr) ersetzt worden.

Auch unter dem Aspekt verfassungskonformer Auslegung ist eine (teilweise) Versagung der Steuerbefreiung nicht geboten. Insbesondere verletzt die hier gefundene Auslegung nicht den aus Art. 3 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Grundsatz der Steuergerechtigkeit und der Wettbewerbsgleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, d. h. die Regelung sich als willkürlich erweist (so ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - seit Urteil des 2. Senats vom 23. Oktober 1951 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14/52; Beschluß des 1. Senats des BVerfG vom 26. Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58/70). § 3 Abs. 1 der 1. DV-ReprivG führt zwar insoweit zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung, als ein im Zuge der Umwandlung nach §§ 17 bis 19 ReprivG entstandenes Unternehmen und dessen - alte und neue - Inhaber bzw. Gesellschafter im Veranlagungszeitraum 1990 für die aus dem Unternehmen fließenden Erträge steuerfrei bleiben, während diese bei neu gegründeten Betrieben und deren Gründern grundsätzlich (Ausnahme: § 9 Abs. 1 der Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer - StÄndG - vom 16. März 1990, GBl DDR 1990, 195) zu versteuern sind. Der diese steuerliche Differenzierung rechtfertigende sachliche Grund liegt darin, daß die nach §§ 17, 18 ReprivG umgewandelten Unternehmen einen nach sozialistischen Grundsätzen geführten Betrieb fortführen und damit bei typisierender Betrachtung z. B. dessen hohen Personalbestand, die Verpflichtungen zur Durchführung von Verträgen, denen keine Kosten- und Gewinnkalkulation nach westlichem Muster zugrunde liegen, und Umweltlasten, d. h. schwer abschätzbare zukünftige Risiken übernahmen, die weit über den (ursprünglich geplanten) zweijährigen Steuerbefreiungszeitraum wirtschaftliche Auswirkungen zeitigen können. Diese besonderen Risiken und Erschwernisse, die sich umwandlungshemmend auswirken, auszugleichen, erscheint ein hinreichender Differenzierungsgrund und ist auch in Anbetracht der nunmehr nur noch auf 1990 beschränkten Steuerbefreiung aus dem Blickwinkel des Art. 3 GG verfassungsrechtlich vertretbar. Soweit sich eine steuerliche Ungleichbehandlung zwischen den nach §§ 17, 18 ReprivG reprivatisierten Unternehmen und den von der Treuhandanstalt erworbenen Betrieben ergibt, so ist diese sachlich dadurch berechtigt, daß das Übernahmerecht der Alteigentümer auf ihren ursprünglichen Betrieb beschränkt ist, während die Erwerber anderer Betriebe ihre Wahl nach betriebs- und marktwirtschaftlichen Überlegungen treffen können.

Der Senat folgt damit nicht der Vorentscheidung und dem Schreiben des BMF vom 26. November 1991 (BStBl I 1991, 1012), sondern der Auffassung des Thüringer FG im Urteil vom 3. November 1993 II K 43/93 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 400; ebenso Drescher, Der Betrieb - DB - 1994, 346; Beschluß des FG Leipzig vom 11. Mai 1993 2 V 4/92, Deutsches Steuerrecht 1993, 1517; ebenso für Kapitalgesellschaften Selchert, DB 1993, 1885).