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  BFH-Urteil vom 14.9.1994 (I R 40/94) BStBl. 1995 II S. 209

1. Der 36%ige Steuersatz gemäß § 5 Abs. 2 StÄndG vom 6. März 1990 (GBl DDR I 1990, 136) galt nicht für Ausschüttungen einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks (Bestätigung des BFH-Urteils vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578).

2. Eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks ist ab 1. Juli 1990 gewerbesteuerpflichtig (Anschluß an das BFH-Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813).

KöStG-DDR § 1; StÄndG-DDR § 5 Abs. 2; GewStG-DDR § 2 Abs. 1, Abs. 3, § 22 Abs. 1; PGH-Steuergesetz § 17 Abs. 3; StAnpG-DDR § 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist Rechtsnachfolgerin einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH). Der Gewinn der PGH betrug für das zweite Halbjahr 1990 .... DM. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) gingen die Beteiligten von einer Ausschüttung dieses Gewinns an die ehemaligen Mitglieder der PGH aus.

Der Festsetzung der zusammengefaßten Steuerrate für 1990 legte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer für das zweite Halbjahr einen Steuersatz von 50 % nach dem Steuergrundtarif B (vgl. Anlage 1 zum Körperschaftsteuergesetz - KöStG - i. d. F. des Gesetzes zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer vom 6. März 1990, Steueränderungsgesetz - StÄndG-DDR -, Gesetzblatt DDR - GBl DDR - Teil I 1990, 136) und bei der Festsetzung der Gewerbesteuer eine Gewerbesteuerpflicht ab 1. Juli 1990 zugrunde. Mit ihrem Einspruch begehrte die Klägerin, den Ausschüttungssteuersatz in Höhe von 36 % nach § 5 Abs. 2 StÄndG-DDR anzuwenden und gemäß § 22 des Gewerbesteuergesetzes i. d. F. vom 18. September 1970 - GewStG-DDR - (GBl DDR Sonderdruck 672) von einer Gewerbesteuerpflicht der PGH erst ab 1. August 1990 auszugehen. Der Einspruch hatte in diesen Streitpunkten keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage, mit der die Klägerin nunmehr eine Herabsetzung der Gewerbesteuer auf 0 DM begehrte, insoweit statt, als es bei der Ermittlung der Körperschaftsteuer einen Ausschüttungssteuersatz von 36 % berücksichtigte und für die Gewerbesteuer von einer Gewerbesteuerpflicht ab dem 1. August 1990 ausging.

Hiergegen hat das FA Revision eingelegt und beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Auf Gewinnausschüttungen einer PGH ist § 5 Abs. 2 StÄndG-DDR nicht anzuwenden. Der Senat verweist insoweit auf seine Entscheidung vom 22. Dezember 1993 I R 75/93 (BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578). Der Senat verkennt nicht, daß die damalige Gesetzesarbeit in der DDR unter einem großen zeitlichen Druck stand und möglicherweise eine nicht ausreichende Anzahl von Steuerfachleuten bei der Formulierung der Gesetze zur Verfügung stand. Den Gerichten ist es jedoch gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), das seit 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet gilt (vgl. Art. 3 des Einigungsvertrages), versagt, ein klares und widerspruchfreies Gesetz durch eigene Rechtsetzung zu korrigieren.

2. Die PGH war ab 1. Juli 1990 gewerbesteuerpflichtig.

a) Das GewStG-DDR galt als partielles Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich bis zum 31. Dezember 1990. Die Ausführungen, die der Senat in seinem Urteil in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, unter II. B. 1 zu der Körperschaftsteuerpflicht einer PGH gemacht hat, gelten für deren Gewerbesteuerpflicht entsprechend.

Gewerbesteuerpflichtig war gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG-DDR jeder Gewerbebetrieb, soweit er in der DDR betrieben wurde. Gemäß § 2 Abs. 3 GewStG-DDR galt als Gewerbebetrieb auch die Tätigkeit sonstiger juristischer Personen des Zivilrechts und der nichtrechtsfähigen Vereine, soweit sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (ausgenommen Land- und Forstwirtschaft) unterhielten. Eine PGH, die ein Handwerk betrieb, erfüllte diese Voraussetzungen, wobei als entscheidungsunerheblich offenbleiben kann, ob sie juristische Person in Form einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft i. S. des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889 oder ein wirtschaftlicher Verein war (vgl. Urteil in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578). Der Auffassung des Thüringer FG (Urteil vom 15. Dezember 1993 I K 85/93, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1994, 407), wonach die PGH weder Genossenschaften noch wirtschaftliche Vereine waren, widerspricht § 17 Abs. 3 des Gesetzes über die Besteuerung der Produktionsgenossenschaften des Handwerks und ihrer Mitglieder (PGH-Steuergesetz). Danach waren auf die PGH das KöStG-DDR und das GewStG-DDR nicht anzuwenden. Dies setzt voraus, daß nach dem Verständnis des Gesetzgebers der DDR die PGH der Art nach sowohl Subjekt der Körperschaftsteuer als auch der Gewerbesteuer waren.

Die Anwendung u. a. des GewStG-DDR war für die Dauer der Geltung des PGH-Steuergesetzes ausgeschlossen (§ 17 Abs. 3 PGH-Steuergesetz). Mit dem Außerkrafttreten des PGH-Steuergesetzes, insbesondere des § 17 Abs. 3 durch § 20 Abs. 3.1. Spiegelstrich des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland (Steueranpassungsgesetz - StAnpG-DDR - vom 22. Juni 1990, GBl DDR Sonderdruck 1427) lebte die allgemeine Gewerbesteuerpflicht nach dem GewStG-DDR wieder auf. Die Fußnote zu § 2 GewStG-DDR, wonach das GewStG-DDR keine Anwendung auf sozialistische Genossenschaften finden sollte, hatte keinen Rechtsnormcharakter. Sie hob sich systematisch in einer Weise von dem die Gewerbesteuerbefreiungstatbestände enthaltenden § 3 GewStG-DDR ab, daß ihr nur klarstellender Charakter zukommen kann. Es bestand bei Erlaß des GewStG-DDR im Jahre 1970 auch kein Regelungsbedürfnis für eine Gewerbesteuerbefreiung der PGH, da das GewStG-DDR gemäß § 17 Abs. 3 PGH-Steuergesetz für die PGH überhaupt nicht anzuwenden war (ebenso FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 30. Juni 1993 1 K 95/93 G, EFG 1993, 683).

b) Die Gewerbesteuerpflicht 1990 begann für die PGH am 1. Juli 1990.

Mit Urteil vom 15. März 1994 XI R 10/93 (BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813) hat der XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, daß ein Kommissionshändler i. S. des § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Besteuerung der Kommissionshändler vom 24. Dezember 1959 (GBl DDR 1960, 19) ab dem 1. Juli 1990 gewerbesteuerpflichtig wurde. Dieser Rechtsprechung des XI. Senats schließt sich der erkennende Senat auch für den Fall der PGH an. Die Rechtslage ist insoweit für die PGH und die Kommissionshändler dieselbe. Beide unterlagen hinsichtlich ihrer Besteuerung speziellen rechtlichen Regelungen. Sie hatten danach keine Gewerbesteuer zu zahlen. Diese Sonderregelungen wurden zum 1. Juli 1990 durch § 20 Abs. 3.1. und 22. Spiegelstrich des StAnpG-DDR außer Kraft gesetzt. Zweck des StAnpG-DDR war, wie schon die Gesetzesbezeichnung verdeutlicht, die Anpassung an die Steuerrechtslage in den alten Bundesländern. Diese sollte zum 1. Juli 1990 vollzogen werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813).

Das PGH-Steuergesetz war auch kein "Befreiungsgrund" und die Außerkraftsetzung des PGH-Steuergesetzes kein "Wegfall eines Befreiungsgrundes" i. S. des § 22 Abs. 1 GewStG-DDR. Die Gewerbesteuerbefreiung für PGH ergab sich ausschließlich aus dem Grundsatz des Vorrangs des Spezialgesetzes, nicht aber aus § 3 GewStG-DDR, der die Befreiungstatbestände aufzählt. Dies wird wiederum bestätigt durch § 17 Abs. 3 PGH-Steuergesetz, wonach auf die PGH das Steuergesetz nicht anzuwenden war. Ist das GewStG aber gar nicht anwendbar, so liegt auch keine Befreiung i. S. des § 3 GewStG-DDR vor, weil dieser die Gewerbesteuerpflicht voraussetzt.

Das StAnpG-DDR führte auch nicht zu einem unzulässigerweise rückwirkenden Wiederaufleben der Gewerbesteuerpflicht, wie die Klägerin meint. Dieses wurde am 22. Juni 1990 von der Volkskammer beschlossen und am 25. Juni 1990 im GBl DDR veröffentlicht. Daß der Klägervertreter, wie er vorträgt, persönlich das GBl erst im August 1990 habe erwerben können, also möglicherweise Schwierigkeiten im Vertrieb des GBl bestanden haben, macht die gesetzliche Regelung nicht zu einer rückwirkenden.