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  BFH-Urteil vom 9.11.1994 (X R 69/91) BStBl. 1995 II S. 258

Wird ein Steuerpflichtiger durch den entgeltlichen Erwerb mehrerer Miteigentumsanteile innerhalb eines Kalenderjahres Alleineigentümer einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung, steht ihm ein Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG für die gesamte Wohnung und nicht nur für den zuerst erworbenen Miteigentumsanteil zu. Objektverbrauch i. S. des § 10 e Abs. 4 EStG ist durch den ersten Erwerb des Miteigentumsanteils nicht eingetreten.

EStG § 10 e Abs. 4 und 5.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Juni 1987 zusammen mit Frau S je zur Hälfte ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. Nach Abschluß der Renovierungsarbeiten - etwa Mitte Dezember 1987 - bezog der Kläger das Einfamilienhaus. Mit notariellem Kaufvertrag vom 22. Dezember 1987 übertrug S ihren Anteil dem Kläger gegen Freistellung von sämtlichen Verbindlichkeiten, die anläßlich des Erwerbs eingegangen worden waren. Der Besitz ging mit Vertragsschluß über.

In der Einkommensteuererklärung 1987 machte der Kläger vergeblich einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 in Höhe von 5 v. H. der Anschaffungskosten für das gesamte Gebäude und der (hälftigen) Anschaffungskosten für den dazugehörenden Grund und Boden geltend. Auf den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 1987 gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) in der Einspruchsentscheidung einen Abzugsbetrag für den vom Kläger im Juni 1987 erworbenen Miteigentumsanteil. Wegen Objektverbrauchs sei der im Dezember hinzuerworbene Miteigentumsanteil nicht nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger einen Abzugsbetrag für das gesamte Grundstück begehrte, statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 670 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 e Abs. 4 und 5 EStG. Nach dieser Vorschrift sei der Miteigentumsanteil an einer Wohnung als eigenständiges Objekt anzusehen. Ein hinzuerworbener weiterer Miteigentumsanteil sei ein zweites eigenständiges Objekt. Entgegen der Auffassung des FG seien die beiden nacheinander erworbenen Miteigentumsanteile nicht deshalb als ein Objekt anzusehen, weil der Kläger beim Hinzuerwerb des zweiten Miteigentumsanteils den Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG noch nicht beantragt gehabt habe. Entscheidend sei vielmehr, daß der Kläger zunächst einen Miteigentumsanteil erworben und anschließend die Wohnung bezogen habe. Damit seien die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Grundförderung nach § 10 e Abs. 1 EStG erfüllt gewesen. Erst nach Bezug der Wohnung habe er den zweiten Miteigentumsanteil erworben. Ob Objektverbrauch eingetreten sei, entscheide sich nicht danach, wann der Steuerpflichtige seine Steuererklärung einreiche, sondern wann die gesetzlichen Tatbestände erfüllt seien, die ihn zur Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung berechtigten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie über die in der mündlichen Verhandlung erzielte tatsächliche Verständigung über den Wert des Grund und Bodens hinausgehe.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG entschieden, daß mehrere, im Jahr der Anschaffung vereinigte Miteigentumsanteile ein einheitliches Objekt i. S. des § 10 e EStG sind.

1. Der Steuerpflichtige kann Abzugsbeträge nach § 10 e Abs. 1 und 2 EStG nur für eine Wohnung oder für einen Ausbau oder eine Erweiterung abziehen (§ 10 e Abs. 4 Satz 1 EStG). Sind mehrere Steuerpflichtige Eigentümer einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung, ist § 10 e Abs. 4 EStG mit der Maßgabe anzuwenden, daß der Anteil des Steuerpflichtigen an der Wohnung einer Wohnung gleichsteht (§ 10 e Abs. 5 Satz 1 EStG). Danach ist jeder Miteigentumsanteil an der Wohnung als selbständiges Objekt anzusehen. Wird für einen Miteigentumsanteil Grundförderung nach § 10 e EStG geltend gemacht, führt dies zum Objektverbrauch in der Person des Miteigentümers.

Die Miteigentumsanteile bleiben für die Steuerbegünstigung nach § 10 e EStG auch dann selbständige Objekte, wenn sie zivilrechtlich durch Anteilsvereinigung untergehen. Hat ein Miteigentümer für seinen Anteil Grundförderung nach § 10 e EStG in Anspruch genommen und erwirbt er von einem anderen Miteigentümer einen Anteil hinzu, erhält er - auch wenn er Alleineigentümer wird - ein zweites Objekt, für das ihm wegen Objektverbrauchs kein Abzugsbetrag nach § 10 e EStG mehr zusteht. Das Gesetz geht davon aus, daß der ursprüngliche Miteigentumsanteil einkommensteuerrechtlich für die Dauer des Abzugszeitraums selbständiges Objekt bleibt, auch wenn nicht mehr mehrere Steuerpflichtige Eigentümer der zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung sind (vgl. § 10 e Abs. 5 Satz 1 EStG). Das verdeutlicht die Regelung in § 10 e Abs. 5 Satz 3 EStG, nach der in Ausnahmefällen auch der Hinzuerwerb eines Miteigentumsanteils begünstigt ist.

Nicht geregelt ist, wann sich das begünstigte Objekt konkretisiert. Einigkeit besteht darin, daß ein Steuerpflichtiger, der gleichzeitig mehrere Miteigentumsanteile an einer Wohnung erwirbt, von Anfang an ein einziges Objekt erhält. Nacheinander erworbene Miteigentumsanteile an einer Wohnung sind zumindest dann als einheitliches Objekt zu behandeln, wenn sie - wie im Streitfall - im ersten Jahr des Abzugszeitraums vereinigt werden.

Nach § 10 e Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG beginnt der Abzugszeitraum im Jahr der Fertigstellung oder Anschaffung. Der Abzugsbetrag wird - unter den weiteren Voraussetzungen des § 10 e EStG - für das gesamte Jahr gewährt, auch wenn das Objekt erst am letzten Tag des Jahres angeschafft oder fertiggestellt worden ist. Daher ist auch für die Beurteilung, welche Art von Objekt angeschafft worden ist (Wohnung oder Anteil einer Wohnung), auf die (zivil-)rechtlichen Verhältnisse am Ende des Jahres der Anschaffung abzustellen. Dies entspricht auch dem in § 36 Abs. 1 EStG verankerten Prinzip, für die Tatbestandsverwirklichung im Einkommensteuerrecht im Zweifel, d. h. wenn im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, auf das Ende des jeweiligen Veranlagungszeitraums (§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1 EStG) abzustellen; § 10 e EStG enthält insoweit keine von diesem Grundsatz abweichende Regelung.

2. Der Senat folgt damit - jedenfalls in dem für den vorliegenden Fall relevanten Teil seiner Begründung - dem Urteil des IX. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 1993 IX R 74/91 (BFHE 171, 562, BStBl II 1994, 921), das zu den insoweit gleichlautenden Regelungen für die Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen nach § 7 b EStG ergangen ist (vgl. § 7 b Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 EStG). In dem vom IX. Senat entschiedenen Fall hatte die Steuerpflichtige auf einem ihr und ihrem Ehemann je zur ideellen Hälfte gehörenden Grundstück ein Einfamilienhaus errichtet und im Jahr der Fertigstellung den Miteigentumsanteil des Ehemannes an dem Grundstück hinzuerworben. Sie war somit - wie im Streitfall - bereits im ersten Jahr des Begünstigungszeitraums Alleineigentümerin.

Zur Begründung führte der IX. Senat aus, eine Baulichkeit konkretisiere sich in bezug auf die Objektbeschränkung erst dadurch zu einem begünstigten Objekt, daß der Steuerpflichtige hierfür - erstmals - erhöhte Absetzungen in Anspruch nehme und sich diese (über die nach § 7 Abs. 4 EStG zulässigen Absetzungen hinaus) steuerlich ausgewirkt hätten. Der Steuerpflichtige habe ein steuerliches Gestaltungsrecht, ob und ggf. für welches Objekt er die erhöhten Absetzungen in Anspruch nehmen wolle; hierbei sei er an eine Frist nicht gebunden. Der Bauherr übe sein Gestaltungsrecht in der Weise aus, daß er "für einen Veranlagungszeitraum - regelmäßig, aber nicht zwingend: das Jahr der Fertigstellung - erstmals die erhöhten Absetzungen" beanspruche. Da erhöhte Absetzungen nach § 7 b EStG nicht zeitanteilig, sondern stets für den ganzen Veranlagungszeitraum, beansprucht werden könnten, sei für die Frage der Objektbeschränkung nicht auf die Rechtsverhältnisse im Zeitpunkt der Fertigstellung abzustellen. Es genüge, daß das Bauwerk nach seiner Fertigstellung an irgendeinem, spätestens am letzten Tag des Jahres, für das erstmals die erhöhten Absetzungen in Anspruch genommen würden, dem Steuerpflichtigen i. S. von § 39 der Abgabenordnung (AO 1977) zuzurechnen sei.

Nach dieser Begründung kann die Vereinigung mehrerer Miteigentumsanteile zu einem Objekt auch noch nach Ablauf des ersten Jahres des Abzugszeitraums berücksichtigt werden, sofern der Steuerpflichtige noch keine erhöhten Absetzungen in Anspruch genommen hat oder diese sich nicht ausgewirkt haben. Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob diese Grundsätze zu § 7 b EStG auch auf die Grundförderung nach § 10 e EStG anwendbar sind und ob er diesen Grundsätzen folgen könnte. Nicht zu entscheiden braucht der Senat im Streitfall auch darüber, ob mehrere, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in der Hand eines Steuerpflichtigen vereinigte Miteigentumsanteile auch dann als einheitliches Objekt beurteilt werden können, wenn der Voreigentümer des hinzuerworbenen Anteils für seinen Anteil einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 oder 2 EStG in Anspruch genommen hat. Im Streitfall stand der Voreigentümerin mangels Nutzung des Objekts zu eigenen Wohnzwecken kein Abzugsbetrag zu.

3. Der Kläger hat im Jahr der Anschaffung und erstmaligen Nutzung des Einfamilienhauses den Miteigentumsanteil von Frau S hinzuerworben und ist dadurch Alleineigentümer geworden. Die vereinigten Miteigentumsanteile sind daher als ein Objekt anzusehen. Zu Recht hat das FG daher die gesamten vom Kläger für die Anschaffung des Einfamilienhauses getragenen Aufwendungen bei der Bemessung des Abzugsbetrags nach § 10 e Abs. 1 EStG berücksichtigt.