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  BFH-Beschluß vom 20.12.1994 (VIII B 143/94) BStBl. 1995 II S. 262

Wird Kapital aufgrund eines "Verwaltungsvertrags" an ein ausländisches Unternehmen überlassen, das damit Warentermingeschäfte in den USA durchführen will, wobei die vereinbarten "Renditen" dem Kapitalgeber gutgeschrieben werden sollen, so ist ernstlich zweifelhaft, ob die erteilten Gutschriften zu einem Zufluß von Kapitalerträgen beim Anleger führen, wenn das hoch überschuldete Unternehmen die gutgeschriebenen Beträge im Grunde nur aus den Einlagen der Kapitalgeber leisten könnte (sog. Schneeballsystem).

EStG 1987 §§ 8 Abs. 1, 11 Abs. 1, 20 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 7; FGO § 69 Abs. 2 und 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) schloß am 5. Oktober 1987, vermittelt durch die Firma B GmbH, einen "Verwaltungsvertrag" mit der Firma A S. A. (Sitz in Panama/Verwaltung in Liechtenstein), daß er ihr als Einlagekapital den Betrag von 5.000 DM mit monatlicher Wiederanlage der Gewinne zur Verfügung stellte. Nach den vereinbarten Vertragsbedingungen konnte der Verwalter angesammelte Einlagen mehrerer Investoren zu einheitlichen Transaktionen zusammenfassen und Geschäfte mit den US-Börsen über einen oder mehrere Broker tätigen mit dem Ziel, einen Höchstkapitalzuwachs zu erreichen. Getätigt würden überwiegend Stillhaltergeschäfte. Die Anlagen hätten spekulativen Charakter, Verluste ließen sich daher nicht ausschließen. Das Kapital der Investoren werde mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns durch den Verwalter verwaltet. Eine Garantie für die Erzielung eines bestimmten Anlageerfolges könne jedoch nicht übernommen werden. Der Verwalter könne Untervollmachten an einen oder mehrere qualifizierte Vermögensverwalter erteilen.

Für die Börsengeschäfte berechne der Broker marktübliche Kommissionen, evtl. anfallende Kommissionsrabatte ständen dem Vermögensverwalter zu. Die Gewinnbeteiligung für den Verwalter betrage 30 % des Nettozuwachses. Die Spesen für die Verwaltung sowie die Abwicklung inklusive der Einzelgrunddurchführung dürften max. 3 % p. a. des Nettovermögens nicht übersteigen. Abschlußgebühren und/oder Agio fielen nicht an.

Die Nettoergebnisse würden monatlich schriftlich mitgeteilt. Evtl. Verluste würden bis zu drei Monate vorgetragen.

Eine Beteiligung sei täglich möglich. Der Investor nehme ab Wertstellung seiner Einlage am Ergebnis teil.

Eine Kündigung sei vierteljährlich möglich mit Frist spätestens sechs Wochen zum Quartalsende. Das Guthaben werde quartalsmäßig bis zum 15. des darauffolgenden Monats per Scheck an den Investor ausbezahlt.

Der Verwalter bestätige den Erhalt des Verwaltungsvertrages, den dieser rechtsverbindlich anerkenne. Mündliche Nebenabreden seien unwirksam. Alle weiteren Vereinbarungen hierzu bedürften der Schriftform in beiderseitigem Einverständnis. Der vorstehende Verwaltungsvertrag werde durch Gegenzeichnung des Verwalters angenommen.

Am 28. Januar 1988 zahlte der Antragsteller einen weiteren Betrag von 2.000 DM ein, am 21. März 1989 3.000 DM.

Im Streitjahr 1988 schrieb A dem Antragsteller "Renditen" in Höhe von 2.824,05 DM gut. - Tatsächlich waren nach dem Strafurteil des Landgerichts Duisburg vom 28. April 1993, rechtskräftig, im Zeitraum von November 1987 bis Juli 1988 zwar "Gewinne" von 63 Mio DM und "Verluste" von rd. 28 Mio DM, von August bis Dezember 1988 jedoch ein "Börsenverlust" von 49 Mio DM bei einem "Gesamtgewinn" von knapp 5 Mio DM, insgesamt also keine Überschüsse erwirtschaftet worden. - Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erfaßte den gutgeschriebenen Betrag im geänderten Einkommensteuerbescheid 1988 als weitere Einnahme aus Kapitalvermögen. Über den hiergegen vom Antragsteller eingelegten Einspruch ist noch nicht entschieden. Seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat das FA am 18. März 1994 abgelehnt.

Den nunmehr an das Finanzgericht (FG) gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer in Höhe von 1.240 DM und der evangelischen Kirchensteuer in Höhe von 111 DM wies das FG hinsichtlich der Kirchensteuer als unzulässig, im übrigen als unbegründet zurück. Denn es sei nicht ernstlich zweifelhaft, daß die dem Antragsteller gutgeschriebenen Beträge Einnahmen aus Kapitalvermögen seien; der Beschluß ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 30 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, verfolgt der Antragsteller sein Begehren hinsichtlich der Einkommensteuer weiter. Er macht zunächst geltend, daß die Zivilgerichte in den von ihm angestrengten Verfahren in der Auszahlung von "Renditen" eine Kapitalrückzahlung und in der Novation keine Kapitalbewegung sähen. Auf eine zivilrechtlich nicht bestehende Forderung könne keine Einkommensteuer erhoben werden.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Beschlusses und des Ablehnungsbescheids des FA sowie zur Stattgabe des Aussetzungsantrags.

Das FG hat zu Unrecht die begehrte Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheids zur Einkommensteuer 1988 hinsichtlich der auf die strittigen Kapitalerträge entfallenden Einkommensteuer versagt.

Nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 bis 6 FGO aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind nach ständiger Rechtsprechung seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Februar 1967 III B 9/66 (BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182) zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.

Diese Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung sind jedenfalls hinsichtlich der Frage des Zuflusses der gutgeschriebenen "Renditen" erfüllt.

Der erkennende Senat läßt offen, ob bzw. inwieweit die Einkünfteerzielung gemäß § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) schon deshalb verneint werden könnte, weil die Firma A als Treuhänderin des Antragstellers anzusehen ist (vgl. hierzu einerseits das Senatsurteil vom 9. September 1986 VIII R 318/83, BFH/NV 1987, 158, andererseits sein Urteil vom 21. Juli 1987 VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224, 225, Ziff. 1 der Gründe, sowie das Urteil des X. Senats vom 28. November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327, Ziff. II 2 der Gründe, und - betreffend Vermietung und Verpachtung - das Urteil vom 27. Januar 1993 IX R 269/87, BFHE 170, 383, BStBl II 1994, 615, dem die Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 1. September 1994 IV B 3 - S 2253 a - 15/94, BStBl I 1994, 604, nur eingeschränkt folgt) und von ihr vorgenommene Geschäfte möglicherweise nicht einkommensteuerbar (vgl. Senats-Urteile vom 8. Dezember 1981 VIII R 125/79, BFHE 135, 426, BStBl II 1982, 618; vom 25. August 1987 IX R 65/86, BFHE 151, 132, BStBl II 1988, 248, sowie vom 13. Oktober 1988 IV R 220/85, BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39) oder nur gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu besteuern wären.

Der Senat braucht auch nicht zu erörtern, ob die vom Antragsteller mit A abgeschlossene Vereinbarung als partiarisches Darlehen oder stille Gesellschaft i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu beurteilen sein könnte oder ob eher die Gestaltung einer sonstigen Kapitalforderung i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzunehmen wäre. Denn für den Zufluß von Erträgen sind insoweit durchweg §§ 8 Abs. 1, 11 Abs. 1 EStG maßgeblich. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften begegnet im vorliegenden Fall jedoch ernstlichen Zweifeln.

Gemäß § 8 Abs. 1 EStG sind Einnahmen aller Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen. Zeitpunkt der Vereinnahmung ist im allgemeinen das Kalenderjahr des Zuflusses (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG).

Einnahmen i. S. des § 8 Abs. 1 EStG setzen grundsätzlich einen Vermögenszuwachs, d. h. eine objektive Bereicherung des Steuerpflichtigen voraus (vgl. Senatsbeschluß vom 17. Dezember 1992 VIII B 88/92, VIII B 89/92, BFH/NV 1993, 419, 420, Ziff. 3 b der Gründe m. w. N.). Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteile vom 2. März 1993 VIII R 13/91, BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602, und vom 16. November 1993 VIII R 33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632) im Rahmen der Einkunftsart Kapitalvermögen zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich über sie verfügen kann. Das ist bei einer bloßen Ansammlung (sog. "Thesaurierung") von Kapitalerträgen bei deren Schuldner im allgemeinen noch nicht der Fall.

Durch eine Gutschrift in den Büchern des Schuldners kommt ein Zufluß von Kapitalerträgen in Betracht, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, daß der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Nach dem Senatsurteil vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80 (BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480) genügt eine Gutschrift des leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners, der den für die Zahlung vorgesehenen Betrag von seinem Vermögen so separiert, daß der Gläubiger den Betrag "ohne weiteres" abholen, abrufen oder verrechnen kann. Das hat der Senat für den Fall der Koppelung der Zinsauszahlung mit der Beendigung der Kapitalanlage (BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602) sowie dann verneint, wenn die zugrundeliegende Zinsforderung wertlos war (Urteil in BFH/NV 1988, 224) oder der Schuldner - eine GmbH - gegenüber dem beherrschenden Gesellschafter wegen Überschuldung ein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht hat (Urteil in BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632). Ein solches - vertragliches - Leistungsverweigerungsrecht von A wird im Schrifttum (Carl/Klos, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1994, 680, 485) wahrscheinlich ab Ende 1987, spätestens aber im Verlaufe des Jahres 1988 angenommen. Andererseits hat der Senat in BFH/NV 1988, 224 die Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners davon abhängig gemacht, daß er auf Dauer nicht in der Lage sei, seine sofort zu begleichenden Schulden im wesentlichen zu erfüllen. Letzteres sei zu verneinen, wenn der Schuldner im Streitjahr noch Zahlungsverlangen nachgekommen sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Schuldner allen Anlegern auf einmal ihr Kapital nebst Gewinnen hätte auszahlen können, weil er damit nicht rechnen müsse.

Diese Rechtsprechung bedarf der Überprüfung. Zwar haben sich ihr, worauf das FA hinweist, bereits einige FG angeschlossen (vgl. außer der Vorinstanz insbesondere FG Münster, Urteil vom 26. Oktober 1993 15 K 3504/93 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1994, 660; das ähnliche Urteil des Niedersächsischen FG vom 8. März 1994 VII 532/93, EFG 1994, 659 betrifft tatsächlich ausgezahlte Beträge); jedoch hat das FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, im in EFG 1995, 74 veröffentlichten Beschluß vom 20. Oktober 1994 14 V 17/94 (bei dem Senat anhängig im Beschwerdeverfahren VIII B 158/94) mit Recht insoweit ernstliche Zweifel bejaht, wie sie auch im neueren Schrifttum näher begründet werden (vgl. Bultmann, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1994, 614; Carl/Klos, a. a. O.; Jungen, DStR 1994, 1676; Meyer/Scharenberg, DStR 1994, 889, 895, und Wittkowski, EWiR, § 11 EStG 1/94, 261, 262; anderer Ansicht noch Paus, Steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1992, 21). Auch Äußerungen in den Kommentaren zum EStG legen Zweifel nahe; so scheidet nach Glenk in Blümich (Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 11 EStG Anm. 55, 64) ein Zufluß bei Gutschrift aus, wenn der Schuldner vorübergehend zur Zahlung außerstande ist. Nach Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Hellwig (Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 11 EStG Rdnr. 34) ist bei Unklarheiten über die Zahlungsfähigkeit im Zweifel kein Zufluß anzunehmen, wie z. B. bei vorübergehender Liquidität eines überschuldeten Schuldners.

Hiernach war der Beschwerde stattzugeben. Die Festsetzung einer Sicherheitsleistung hält der Senat nicht für erforderlich.