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  BFH-Urteil vom 7.12.1994 (II R 9/92) BStBl. 1995 II S. 268

1. Werden die Betriebsgrundstücke und das übrige wesentliche Anlagevermögen sowie das Vorratsvermögen eines Betriebes gegen einen symbolischen "Kaufpreis" von 1 DM auf den Erwerber übertragen, so ist die Grunderwerbsteuer aus den Einheitswerten der Betriebsgrundstücke zu bemessen (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG).

2. Das mit der Übernahme eines Betriebes verbundene Risiko, künftig Verluste zu erwirtschaften, der mit einer solchen Betriebsübernahme gemäß § 613 a BGB einhergehende Eintritt in die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen (insbesondere auch die "Übernahme" des Risikos künftiger Abfindungs- und Sozialplanverpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern) sowie die Verpflichtung zur Fortführung des Betriebes und zur Erhaltung der Arbeitsplätze sind grundsätzlich nicht als Gegenleistungen im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne (vgl. § 8 Abs. 1, § 9 GrEStG) zu qualifizieren.

GrEStG 1983 § 8 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 9, § 10.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, erwarb im Juni 1985 eine in X gelegene ...-Fabrik von der Firma K (Verkäuferin), die zum Konzernkreis eines bundeseigenen Unternehmens gehörte. Die ...-Fabrik in X hatte der Verkäuferin in den vergangenen Jahren erhebliche Verluste eingebracht.

Die Verkäuferin erwog deswegen zunächst, den Betrieb in X stillzulegen. Später entschloß sie sich indessen, das Unternehmen an die von dessen bisherigen leitenden Angestellten gegründete Klägerin zu veräußern.

Demzufolge erwarb die Klägerin mit privatschriftlichem Vertrag vom 6./10. Juni 1985 das Anlage- und Vorratsvermögen ohne Grundstücke zum "Preis" von 1 DM. Mit notariellem Vertrag vom 12. Juni 1985 erwarb sie sodann den gesamten Grundbesitz ebenfalls zum "Kaufpreis" von 1 DM. In diesem Vertrag heißt es wörtlich, daß bei "der Bemessung des Kaufpreises ... den mit der Übernahme und Fortführung der ...-Fabrik verbundenen unternehmerischen Risiken Rechnung getragen (worden sei)".

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß die Vereinbarung dieser Gegenleistung nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) als Umgehungstatbestand zu werten sei mit der Folge, daß die Grunderwerbsteuer nach den §§ 8 und 10 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i. V. m. § 121 a des Bewertungsgesetzes (BewG) nach dem 1,4fachen der Grundstückseinheitswerte, d. h. mit 1.139.320 DM, zu bemessen sei. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Januar 1986 setzte das FA daher die Grunderwerbsteuer in Höhe von 22.786 DM fest.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage, mit der eine Herabsetzung der Grunderwerbsteuer auf 0 DM begehrt wurde, machte die Klägerin geltend, der Kaufpreis von 1 DM möge zwar niedrig erscheinen, habe aber kaufmännisch - wegen der Abwälzung von Verlustquellen sowie möglicher Sozialplanverpflichtungen - ein sinnvolles Geschäft dargestellt, bei dem sich Leistung und Gegenleistung abgewogen gegenübergestanden hätten. Die Grunderwerbsteuer sei grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung zu berechnen. Diese betrage hier 1 DM zuzüglich des anteiligen Wertes der übernommenen aufschiebend bedingten Abfindungs- bzw. Sozialplanverpflichtungen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Grunderwerbsteuer auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im Ergebnis zu Recht sind FA und FG davon ausgegangen, daß die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 1 GrEStG 1983 und § 121 a BewG nach den indizierten Einheitswerten der veräußerten Grundstücke zu bemessen ist.

1. Nach § 8 Abs. 1 GrEStG bemißt sich die Grunderwerbsteuer regelmäßig nach dem Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinne gilt jede Leistung, die der Erwerber als Entgelt für den Erwerb von Grundstücken gewährt oder die der Veräußerer als Entgelt für die Veräußerung von Grundstücken empfängt (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. Senatsurteile vom 5. November 1980 II R 28/75, BFHE 132, 111, BStBl II 1981, 174, und vom 6. Dezember 1989 II R 95/86, BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186).

Ist eine Gegenleistung im vorbezeichneten Sinne nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, so wird die Steuer nach dem Wert des Grundstücks (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG) - d. h. nach dessen Einheitswert (§ 10 Abs. 1 GrEStG) - bemessen. Im Streitfall ist die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG anzuwenden, weil die Klägerin eine Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinne für die ihr übertragenen Grundstücke nicht zu erbringen hatte.

a) Die Klägerin hat nicht nur die Betriebsgrundstücke, sondern darüber hinaus auch alle übrigen wesentlichen Grundlagen der vormals von der Veräußerin betriebenen ...-Fabrik (insbesondere auch die auf den Grundstücken befindlichen Maschinen und maschinellen Anlagen, die Betriebs- und Geschäftsausstattung, das Vorratsvermögen sowie die vorhandenen immateriellen Wirtschaftsgüter) erworben. Die Veräußerung der Grundstücke muß deshalb im Zusammenhang mit der Übertragung des gesamten Fabrikationsbetriebes gesehen werden. Daran ändert nichts, daß die Veräußerung der Grundstücke einerseits und die Übertragung des beweglichen (materiellen und immateriellen) Betriebsvermögens andererseits in zwei (äußerlich) getrennten Verträgen erfolgte. Dies beruht alleine darauf, daß die Veräußerung des Grundbesitzes - anders als die Übertragung des Mobiliarvermögens - der notariellen Beurkundung bedurfte (vgl. § 313 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Beide Verträge standen jedoch in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang. In § 4 Ziff. 3 des zeitlich dem notariellen Grundstücksübertragungsvertrag vorangehenden Vertrags über die Veräußerung des beweglichen Anlage- und Umlaufvermögens vom 6./10. Juni 1985 wurde ausdrücklich klargestellt, daß das "Betriebsgebäude mit aufstehenden Geschäfts-, Fabrik- und anderen Bauten von der Käuferin (Klägerin) ebenfalls erworben werden (sollte) mit der Maßgabe, daß Besitz, Nutzungen und Lasten ebenfalls am Übernahmestichtag auf die Käuferin übergehen (sollten) ...".

b) Die in den beiden Übertragungsverträgen vom 6./10. Juni und 12. Juni 1985 jeweils ausgewiesenen "Kaufpreise" von 1 DM können nicht als (grunderwerbsteuerlich maßgebliche) Gegenleistung für die Übertragung des einen nicht unbeträchtlichen Wert verkörpernden gesamten beweglichen und unbeweglichen Betriebsvermögens angesehen werden. Die Klägerin hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die Grunderwerbsteuer nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich auch dann nach dem Wert der Gegenleistung berechnet, wenn dieser zum Wert des übertragenen Vermögens außer Verhältnis steht (vgl. z. B. Senatsurteil in BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186; Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 8 Rdnr. 39, m. w. N.). Im vorliegenden Fall stehen indessen die vermeintlichen Gegenleistungen von jeweils 1 DM zu dem Wert des übertragenen Betriebsvermögens, bei dem allein die Bilanzansätze - d. h. die nicht einmal die stillen Reserven ausweisenden Buchwerte - mehrere Millionen DM betragen haben, nicht lediglich in einem krassen Mißverhältnis. Vielmehr lassen sich die Beträge von 1 DM mangels deren ernsthaften Gegenleistungscharakters zu dem Wert des übertragenen Betriebsvermögens überhaupt nicht in eine Relation bringen. So haben denn auch die Vertragsparteien selbst in der privatschriftlichen Vereinbarung vom 6./10. Juni 1985 ausdrücklich von einem lediglich "symbolischen Kaufpreis" von 1 DM gesprochen. Kein anderer Sinngehalt kann - wie schon das FG zutreffend erkannt hat - der Vereinbarung eines "Kaufpreises" von ebenfalls 1 DM in dem notariellen Übertragungsvertrag vom 12. Juni 1985 beigemessen werden, wenngleich hier auch nicht ausdrücklich von einem symbolischen Kaufpreis die Rede ist. Dies folgt nicht zuletzt schon daraus, daß beide Verträge - wie bereits dargelegt - eine Einheit bildeten.

c) Eine ("sonstige") Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinne für die Übertragung des Unternehmens und damit - anteilig - auch für die Übertragung des betrieblichen Grundbesitzes liegt auch nicht darin, daß die Klägerin die Veräußerin durch die Übernahme des Unternehmens von dem allgemeinen Unternehmerwagnis, d. h. von dem Risiko, daß der Betrieb auch künftig - für den Fall seiner Fortführung - Verluste erwirtschaften werde, "befreit" hat. Denn die Klägerin hat eine Pflicht der Veräußerin zur Fortführung des Betriebes nicht übernommen. Der Veräußerin hätte - im Falle der Nichtveräußerung des Betriebes - eine solche Verpflichtung nicht oblegen. Sie hätte sich vielmehr des Risikos, künftige Verluste zu erleiden, auch dadurch entledigen können, daß sie den Betrieb eingestellt und liquidiert hätte. Die dabei erzielten Verwertungserlöse hätten voraussichtlich die mit einer Betriebsaufgabe verbundenen Sozialplanverpflichtungen bei weitem überstiegen.

Im übrigen bringt es eine Betriebsveräußerung wie auch die Übertragung jeden anderen Gegenstandes zwangsläufig mit sich, daß der neue Inhaber (Eigentümer) die Chancen und Risiken "übernimmt", mit dem übertragenen Gegenstand künftig "Gewinne" oder "Verluste" zu erzielen. Derartige Erfolge oder Mißerfolge treffen allein den neuen Eigentümer (Erwerber) und be- oder entlasten nicht den alten Eigentümer (Veräußerer).

Anders ausgedrückt erhöht oder vermindert der Umstand, daß die künftige Nutzung des Übertragungsgegenstands durch den Erwerber Gewinne oder Verluste erwarten läßt, allein den (Ertrags-)Wert dieses Gegenstands (der Leistung des Veräußerers), nicht aber den Wert der Gegenleistung des Erwerbers.

d) Eine Gegenleistung im grunderwerbsteuerlichen Sinne kann auch nicht in dem mit dem Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB zwangsläufig verbundenen Eintritt der Klägerin in die Rechte und Pflichten aus den noch von der Veräußerin begründeten und im Zeitpunkt der Betriebsübertragung noch bestehenden Arbeitsverhältnissen gesehen werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein derartiger gesetzlicher Übergang der Rechte und Pflichten aus gegenseitigen Verträgen in grunderwerbsteuerlicher Hinsicht mit den Fällen gleichgestellt werden kann, in denen sich der Erwerber von Grundstücken gegenüber dem Veräußerer vertraglich verpflichtet, in einen gegenseitigen Vertrag einzutreten. Denn auch im letztgenannten Fall kann eine grunderwerbsteuerrechtliche Gegenleistung in Form einer "sonstigen Leistung" (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative GrEStG) nur dann die Steuerbemessungsgrundlage erhöhen, wenn die aus der Vertragsübernahme resultierenden Pflichten die daraus entspringenden Rechte wertmäßig überwiegen. Bei Ausgewogenheit der gegenseitigen Verpflichtungen aus dem übernommenen Vertrag ist der Wert der Vertragsübernahme hingegen mit 0 DM anzusetzen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Februar 1977 II R 159/72, BFHE 121, 543, BStBl II 1977, 486, und vom 13. Dezember 1989 II R 115/86, BFHE 159, 362, BStBl II 1990, 440; Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 9 Rdnr. 243).

Im Streitfall sind keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sich die Werte der Rechte und Pflichten aus den auf die Klägerin übergegangenen Arbeitsverhältnissen nicht ausgewogen gegenübergestanden hätten.

e) Eng verbunden mit dem Übergang der Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen war das von der Klägerin mit dem Erwerb des Betriebes eingegangene Risiko, daß sie im Falle der Einstellung des Betriebes oder bei einem größeren Personalabbau Abfindungs- und Sozialplanverpflichtungen erheblichen Umfangs treffen würden. Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht kann auch die Übernahme dieses Risikos nicht als grunderwerbsteuerliche - aufschiebend bedingte - Gegenleistung gewertet werden. Ein solches Risiko trifft gleichsam als Bestandteil des allgemeinen Unternehmerwagnisses (vgl. dazu oben II.1.c) jeden, der einen Betrieb gründet oder erwirbt und Arbeitnehmer beschäftigt. Es handelt sich um eine neben zahlreichen anderen Pflichten des Arbeitgebers bestehende potentielle Last aus den Arbeitsverhältnissen, die als gegenseitige Verträge andererseits auch Rechte und Pflichten des Arbeitgebers begründen, wobei sich die Rechte und Pflichten (Vor- und Nachteile) - wie unter II.1.d dargelegt - grundsätzlich auch hier die Waage halten.

f) Schließlich lassen sich auch nicht eine Pflicht der Klägerin zur Fortführung des Betriebes und - damit eng verbunden - eine Verpflichtung zur Erhaltung der Arbeitsplätze als Gegenleistungen im grunderwerbsteuerlichen Sinne qualifizieren. Dabei mag dahinstehen, ob - wie das FG gemeint hat - die Klägerin dahingehende Pflichten überhaupt übernommen hat oder ob die Betriebsfortführung und Erhaltung der Arbeitsplätze nicht vielmehr lediglich die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung eines nur mehr symbolischen Kaufpreises von 1 DM darstellte. Denn selbst wenn man mit dem FG eine Vertragspflicht der Klägerin zur Fortführung des Unternehmens und damit zugleich zur Erhaltung (zumindest eines Teils) der Arbeitsplätze bejahte, so scheitert der Ansatz einer darin erblickbaren Gegenleistung jedenfalls daran, daß es insoweit an einer geldwerten Verpflichtung und damit an einer bewertungsfähigen Last fehlt (zu diesem Erfordernis vgl. z. B. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 9 Rdnr. 20, m. w. N.).

2. Die vom FG in Übereinstimmung mit den Beteiligten gezogene Folgerung, daß die streitige Übertragung des Grundbesitzes nicht nach § 3 Nr. 2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer freigestellt war, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.