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  BFH-Urteil vom 4.11.1994 (VI R 81/93) BStBl. 1995 II S. 338

Als Dienstleistungen i. S. des § 8 Abs. 3 EStG sind auch Nutzungsüberlassungen anzusehen (Abweichung von Abschn. 32 Abs. 1 Nr. 2 LStR 1990).

EStG § 8 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Wohnungsunternehmen, das als Eigentümerin einer größeren Anzahl von Mietwohngrundstücken Wohnungen vermietet. Sie beschäftigt ständig Hauswarte, denen sie Dienstwohnungen auf den Mietwohngrundstücken vermietet. Die jeweiligen Mietverträge werden durch "besondere Vereinbarungen" ergänzt. Danach vermindert sich die Miete der Dienstwohnungen für vollbeschäftigte Hauswarte um 30 v. H., für teilzeitbeschäftigte Hauswarte um 15 v. H. der jeweils gültigen (Brutto-)Kaltmiete.

Aufgrund einer entsprechenden Anrufungsauskunft unterwarf die Klägerin erstmals für den Anmeldungszeitraum Mai 1990 die gewährten Mietminderungen in vollem Umfang der Lohnsteuer und legte gleichzeitig gegen die Anmeldung Einspruch ein. Sie begehrte für die den einzelnen Hauswarten gewährten Mietminderungen jeweils einen jährlichen Freibetrag gemäß § 8 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 2.400 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab unter Hinweis auf Abschn. 32 Abs. 1 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1990 (LStR), wonach die verbilligte Überlassung einer Dienstwohnung keine Dienstleistung i. S. des § 8 Abs. 3 EStG sei. Der geldwerte Vorteil sei dementsprechend gemäß § 8 Abs. 2 EStG zu versteuern.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es vertrat unter Bezugnahme auf die ganz überwiegende Meinung in der Literatur die Auffassung, auch die verbilligte Vermietung einer Hauswartwohnung sei nach der § 8 Abs. 2 EStG verdrängenden Spezialregelung des § 8 Abs. 3 EStG zu versteuern, wenn die weiteren Voraussetzungen des Abs. 3 erfüllt seien. Entgegen der Auffassung des FA seien Dienstleistungen i. S. des § 8 Abs. 3 EStG nicht etwa nur Leistungen, die Gegenstand eines Dienstvertrages i. S. des § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sein könnten.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 8 Abs. 3 EStG. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Die Auffassung der Vorinstanz, der als Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu erfassende Wert der verbilligten Überlassung der Wohnungen der Klägerin an ihre Hauswarte sei nach § 8 Abs. 3 EStG zu ermitteln, ist frei von Rechtsfehlern.

1. Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit darüber, daß eine verbilligte Nutzungsüberlassung durch den Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer dem Grunde nach ein geldwerter Vorteil i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist.

Umstritten ist ausschließlich, ob dieser Vorteil nach § 8 Abs. 2 EStG oder nach Abs. 3 der Vorschrift, der durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224, 226 f.) eingeführt worden ist, zu bewerten ist.

Die von der Klägerin erstrebte Bewertung nach § 8 Abs. 3 EStG hat neben einem Preisabschlag von 4 v. H. die Rechtsfolge, daß nach Satz 2 dieser Vorschrift die sich (nach Abzug der vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelte) ergebenden Vorteile steuerfrei sind, soweit sie aus dem Dienstverhältnis insgesamt 2.400 DM im Kalenderjahr nicht übersteigen. Demgegenüber vertritt die Finanzverwaltung in Abschn. 32 Abs. 1 Nr. 2 LStR die Auffassung, die leih- oder mietweise Überlassung von Grundstücken, Wohnungen, möblierten Zimmern oder von Kraftfahrzeugen, Maschinen und anderen beweglichen Sachen sowie die Gewährung von Darlehen falle nicht unter § 8 Abs. 3 EStG, weil es sich dabei nicht um Dienstleistungen handele.

2. § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG bestimmt, daß von Abs. 2 abweichende Werte dann gelten, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen erhält, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug nicht nach § 40 EStG pauschal versteuert wird.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die von der Finanzverwaltung für richtig gehaltene isolierte Auslegung der Begriffe "Waren" und "Dienstleistungen" in dem Sinne, daß Dienstleistungen nur solche i. S. des § 611 BGB sind, möglich. Der Senat bevorzugt jedoch das vom FG für zutreffend erachtete Verständnis, welches die Begriffe "Waren oder Dienstleistungen" wirtschaftlich versteht und als ein Synonym für alle Sachbezüge und damit für die gesamte eigene Liefer- und Leistungspalette des jeweiligen Arbeitgebers deutet. Eine derartige Auslegung liegt im Bereich des möglichen Wortsinns des Begriffs "Dienstleistungen". So zählt z. B. nach dem Sprachgebrauch des Statistischen Bundesamts zum Bereich der Dienstleistungen u. a. die Vermietung von beweglichen Sachen und Wohnungen (vgl. Systematische Verzeichnisse, Systematik der Wirtschaftszweige mit Erläuterungen, Ausgabe 1979, S. 341 ff.). Auch sonst wird im Sprachgebrauch der Wirtschaft das Zurverfügungstellen von Sachgütern (z. B. Vermietung) als typische Dienstleistung betrachtet (vgl. Management Enzyklopädie, 2. Aufl., 1982, "Dienstleistungen", S. 819).

a) Für ein extensives und gegen ein restriktives, zivilrechtliches Verständnis des Begriffs der Dienstleistung spricht, daß durch § 8 Abs. 3 EStG eine grundlegende Neuregelung der steuerlichen Behandlung von Belegschaftsrabatten angestrebt wurde, weil die bisherige Steuerfreiheit von Belegschaftsrabatten mit dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur schwer zu vereinbaren gewesen sei (BTDrucks 11/2157, S. 141; BRDrucks 100/88, S. 255). Die erklärte Absicht, die Belegschaftsrabatte generell regeln zu wollen, legt die Annahme nahe, daß mit den Begriffen "Waren oder Dienstleistungen" alle in Betracht kommenden Sachbezüge bezeichnet werden sollten und der Gesetzgeber den Begriff des Sachbezugs in Abs. 3 - anders als in Abs. 2 des § 8 EStG - nur deshalb nicht verwendet hat, weil er als Anknüpfungspunkt zu der gewollten Beschränkung auf die eigene unternehmerische Liefer- und Leistungspalette des Arbeitgebers sprachlich nicht geeignet war (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 8 Anm. 15).

Soweit das FA der extensiven Auslegung des Begriffs "Dienstleistungen" entgegenhält, § 8 Abs. 3 EStG stelle gegenüber der in § 8 Abs. 2 EStG aufgestellten Grundregel eine Ausnahmevorschrift dar und Ausnahmevorschriften seien eng auszulegen, folgt der Senat dem nicht. Er teilt vielmehr die Ansicht, daß Ausnahme- und Vergünstigungsvorschriften wie allgemeine Vorschriften auszulegen sind (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 4 Tz. 79, m. w. N.). Das bedeutet, daß insbesondere auch der erkennbare Zweck der Ausnahme- oder Begünstigungsvorschrift zu berücksichtigen ist.

b) Zweck der Einführung des Abs. 3 des § 8 EStG war eine Vereinfachung der Steuererhebung (vgl. dazu Senatsurteil vom 4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687, 690 f.). Dieser Zweck wird bei Anwendung der Vorschrift auf die Ermittlung des Wertes von Nutzungsüberlassungen in dem gleichen Maße erfüllt wie bei der Bewertung aller anderen Sachbezüge. Denn die Schwierigkeiten bei der Ermittlung der als Einnahmen anzusetzenden Werte sind bei Nutzungsüberlassungen nicht geringer als bei den übrigen Sachbezügen. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß z. B. die Endpreise für die leih- oder mietweise Überlassung von Grundstücken, Wohnungen, möblierten Zimmern, Kraftfahrzeugen, Maschinen und anderen beweglichen Sachen oder die üblichen Zinsen bei Darlehen immer eindeutig und zweifelsfrei feststehen oder leichter zu ermitteln sind als für die übrigen Sachbezüge. Der Vereinfachungsgedanke wird für den Sachbezug "Nutzungsüberlassung" entgegen der Auffassung des FA auch nicht etwa wegen der in der Sachbezugsverordnung (SachBezV) aufgestellten amtlichen Werte überflüssig. Denn in der SachBezV sind amtliche Werte lediglich für "Kost und Wohnung", nicht aber für die beispielhaft in Abschn. 32 Abs. 1 Nr. 2 LStR aufgeführten Nutzungsüberlassungen aufgestellt.

Die vom Gesetzgeber mit der Einführung des § 8 Abs. 3 EStG angestrebte Vereinfachung der Steuererhebung würde in Teilbereichen geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn Nutzungsüberlassungen nicht unter § 8 Abs. 3 EStG subsumiert würden. Denn der Gesetzesvollzug würde in manchen Fällen nicht praktikabler, sondern erheblich komplizierter werden. Wären aufgrund der Einführung des § 8 Abs. 3 EStG Nutzungsüberlassungen nämlich anders zu bewerten als die übrigen Sachbezüge, so ergäben sich bei der Bewertung gemischter Leistungen des Arbeitgebers, die nur zum Teil in einer unentgeltlichen oder verbilligten Nutzungsüberlassung bestehen, Probleme, die bei der vom Senat bevorzugten Auslegung nicht auftreten. Wegen der unterschiedlichen Bewertungsvorschriften und des neu eingeführten Freibetrages wäre dann nämlich zu entscheiden, ob entweder die gemischte Leistung des Arbeitgebers einheitlich zu beurteilen wäre und nach welchen Kriterien ggf. bei dieser Entscheidung vorgegangen werden soll oder ob eine Aufteilung der einheitlichen Leistung in verschiedene Elemente zu erfolgen hat.

c) Der Auslegung des § 8 Abs. 3 EStG durch das FG ist schließlich auch deshalb zuzustimmen, weil das von der Finanzverwaltung bevorzugte Verständnis des § 8 Abs. 3 EStG zu Ergebnissen führt, die nach Ansicht des Senats mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar sind. Durch die Ausklammerung der Nutzungsüberlassungen würden mittelbar Personengruppen unterschiedlich behandelt. Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber im Bereich der Nutzungsüberlassungen tätig sind, würden bei der Gewährung von Sachbezügen durch ihre Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern in anderen Bereichen schlechter gestellt, weil ihnen kein Freibetrag von 2.400 DM und kein Bewertungsabschlag in Höhe von 4 v. H. zustünde. Eine Verschiedenbehandlung von Personengruppen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nur dann gerechtfertigt, wenn für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (Beschlüsse vom 26. Januar 1993 1 BvR 38, 40, 43/92, BVerfGE 88, 87, 96; vom 8. Juni 1993 1 BvL 20/85, BVerfGE 89, 15, 22 f.). Sachlich einleuchtende Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Nutzungsüberlassungen einerseits und der übrigen Sachbezüge andererseits sind aus den Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich und auch sonst nicht erkennbar. Der Gesichtspunkt der Vereinfachung trifft - wie dargelegt - für die Bewertung der Nutzungsüberlassungen nicht weniger zu als für die Bewertung der Dienstleistungen i. S. des § 611 BGB.

Die Herausnahme der Nutzungsüberlassungen aus dem Regelungsbereich des § 8 Abs. 3 EStG ließe sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, daß viele andere Arbeitnehmer aufgrund der Art der Tätigkeit ihres Arbeitgebers, z. B. im öffentlichen Verwaltungsdienst, ebenfalls nicht in den Genuß der steuerbegünstigenden Regelung des § 8 Abs. 3 EStG gelangen können. Denn dies beruht auf objektiven Unterschieden in der Art der Tätigkeit des Arbeitgebers und nicht auf einer Willensentscheidung des Gesetzgebers. Soweit dem Arbeitgeber die Gewährung eines Arbeitnehmerrabatts aus der Natur der Sache heraus nicht möglich ist, mangelt es an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Demgegenüber handelt es sich bei den verbilligten oder unentgeltlichen Nutzungsüberlassungen um solche Zuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer, die mit allen übrigen Sachbezügen vergleichbar sind. Wäre § 8 Abs. 3 EStG nicht auf sie anzuwenden, so würden vergleichbare Sachverhalte und mittelbar Personengruppen ohne sachlich einleuchtenden Grund unterschiedlich behandelt.

d) Im übrigen entspricht die Auffassung, mit den Begriffen "Waren oder Dienstleistungen" seien alle Sachbezüge des Arbeitgebers gemeint, bei denen die weiteren in § 8 Abs. 3 EStG angeführten Voraussetzungen erfüllt seien, auch der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. Schmidt/Heinicke, a. a. O., § 8 Anm. 15; Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 8 EStG, Anm. 88 a; Blümich/Glenk, Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 148; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 25; Crezelius in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 8 Rdnr. D 3 und D 4; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, § 8 EStG Rdnr. 112; Birk, Finanz-Rundschau - FR - 1990, 237, 238; Drenseck, FR 1989, 261, 265 ff.; Glenk, Deutsches Steuerrecht 1989 Beiheft 19, S. 6; Christ, Der Betrieb 1989, 346, 348; a. A.: Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 8 Rdnr. 65; Giloy, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1988, 554, 555; Nägele, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1994, 356, 358; Zeller, DStZ 1988, 443, 451).