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  BFH-Urteil vom 6.3.1995 (VI R 76/94) BStBl. 1995 II S. 393

Aufwendungen eines Industriekaufmanns für die Teilnahme an psychologischen Seminaren können nur dann Werbungskosten und keine Aufwendungen für die Lebensführung sein, wenn in den Seminaren primär auf den konkreten Beruf zugeschnittene psychologische Kenntnisse vermittelt werden und der Teilnehmerkreis des Seminars entsprechend homogen zusammengesetzt ist. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber für die Teilnahme an den Seminaren bezahlten Bildungsurlaub gewährt hat.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Industriekaufmann. Im Streitjahr 1987 nahm er an zwei psychologischen Seminaren des Instituts für Bewußtseinstraining nach der Methode Dr. Stille teil, die Grundbegriffe der angewandten Psychologie vermittelten. Im Streitjahr 1988 nahm er an einem neuro-psychologischen Grundkurs nach der Lehrmethode Dr. Stille teil, der auf den Kursen des Jahres 1987 aufbaute. Themen der Vorträge und Übungen waren u. a.: Anpassungskriterien zu Denk- und Verhaltensweisen, Aktivierung von Funktionen, Aspekte der Selbstverantwortung, vertrauliche Beziehungen, Aspekte zur Wesensbestätigung, Rechtfertigung für Problemverschleppung, Erfolgsstrategien, Selbstrespekt und Selbstwert, Bewußte Strategien zur Verhinderung, Richtung Selbsteinschätzung, Erwartungshaltung.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme an den psychologischen Seminaren unter Hinweis auf § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit an.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1992 VI R 12/91 (BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036) statt.

Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung des § 9 und § 12 Nr. 1 EStG.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das FG hat die Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme an den psychologischen Seminaren zu Unrecht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abgezogen. Entgegen der Ansicht des FG war die Teilnahme des Klägers an den psychologischen Seminaren nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt. Vielmehr haben Gesichtspunkte der privaten Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG eine nicht ganz untergeordnete Rolle gespielt.

Aufwendungen, die den Beruf oder die Tätigkeit des Steuerpflichtigen fördern und gleichzeitig der Lebensführung dienen, sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar, wenn die berufliche Veranlassung bei weitem überwiegt, private Gesichtspunkte also keine oder nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. BFH-Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter zu C II 2 bb, S. 823 und C II 5 h bb, S. 829 der Entscheidungsgründe).

Im Streitfall hat das FG rechtsfehlerfrei entschieden und auch das FA stellt nicht in Frage, daß die Teilnahme an den psychologischen Seminaren sich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers förderlich ausgewirkt hat.

Die vom FG festgestellten Tatsachen rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, daß die der privaten Lebensführung zuzurechnenden Gesichtspunkte von ganz untergeordneter Bedeutung waren. Denn nach den Feststellungen des FG führten die Seminare auch zur persönlichen Weiterbildung und es wurden Grundbegriffe der angewandten Psychologie vermittelt. Die erworbenen Kenntnisse konnten in Alltagssituationen angewendet werden und betreffen damit jedenfalls auch in erheblichem Umfang die allgemeine Lebensführung. Die Seminare waren nicht primär auf die spezifischen Bedürfnisse eines bestimmten Berufes oder einer bestimmten Berufssparte ausgerichtet, sondern haben - außer der persönlichen Weiterbildung - Aspekte des allgemeinen Berufslebens oder verschiedener Berufe berücksichtigt. An psychologischen Seminaren der Art, wie sie der Kläger besucht hat, nehmen viele Bürger aus rein privaten Erwägungen teil.

Zwar hat der Senat in dem vom FG zitierten Urteil in BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036 entschieden, daß die Aufwendungen einer angestellten Dipl.-Psychologin für eine Psychoanalyse als Fortbildungskosten abziehbare Werbungskosten sein können, wenn die damit gewonnene Selbsterfahrung für ihre berufliche Tätigkeit erforderlich ist. Die Besonderheit dieses Grenzfalles lag darin, daß die in der eigenen Psychoanalyse gewonnenen Kenntnisse wesentlicher Gegenstand des konkret ausgeübten Berufes der Dipl.-Psychologin waren.

Der Streitfall ist damit nicht vergleichbar. Der Kläger hat nicht den Beruf eines Psychologen oder Psychotherapeuten oder eine ähnliche Tätigkeit ausgeübt. Er ist vielmehr als Industriekaufmann tätig gewesen. Bei Steuerpflichtigen, deren Beruf nicht die psychologische oder psychotherapeutische Behandlung, Betreuung oder Unterrichtung anderer Menschen ist, kann von einer nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung der Aufwendungen für die Teilnahme an psychologischen Seminaren nur dann ausgegangen werden, wenn im wesentlichen ein auf den konkreten Beruf zugeschnittenes psychologisches Wissen vermittelt wird und der Teilnehmerkreis des Seminars entsprechend homogen zusammengesetzt ist. Nur bei dieser Fallgestaltung können die beruflichen Gründe für die Teilnahme an einem psychologischen Seminar als so gewichtig gewertet werden, daß demgegenüber die privaten Gesichtspunkte als unwesentlich zurücktreten.

Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da die vom Kläger besuchten psychologischen Seminare nicht primär auf die spezifischen Bedürfnisse des von ihm ausgeübten Berufs zugeschnitten waren, sondern gleichermaßen der persönlichen Weiterbildung dienten, ist die Klage abzuweisen.

Eine andere Beurteilung des Streitfalles ist entgegen der Ansicht des FG auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil der Kläger für die Teilnahme an den Seminaren von seinem Arbeitgeber bezahlten Bildungsurlaub erhalten hat. Private Arbeitgeber können bei der Bewilligung von Bildungsurlaub unterschiedlich großzügig oder engherzig verfahren. Demgegenüber sind die Finanzbehörden bei der Anerkennung von Werbungskosten zu einer Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen verpflichtet. Sie können bei ansonsten objektiv gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen Arbeitnehmer im Rahmen des Werbungskostenabzugs nicht allein deswegen unterschiedlich behandeln, weil der Arbeitgeber in einem Fall Bildungsurlaub gewährt hat und in einem anderen nicht.