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  BFH-Urteil vom 8.2.1995 (I R 42/94) BStBl. 1995 II S. 405

1. Das Besteuerungsrecht für die Heuer eines Seemannes steht gemäß Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion (=Art. 15 Abs. 3 OECD-MustAbk 1977) dem Staat zu, in dem das Frachtunternehmen i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion (=Art. 8 OECD-MustAbk 1977) seine tatsächliche Geschäftsleitung hat.

2. Wird ein Seeschiff verchartert, so können sowohl der Charterer als auch der Vercharterer Frachtleistungen erbringen. In diesem Fall hat das Besteuerungsrecht für die Heuer der Staat, auf dessen Gebiet sich die tatsächliche Geschäftsleitung des Beförderungsunternehmens befindet, dessen Gewinn durch die Zahlung der Heuer geschmälert wird.

DBA-Sowjetunion Art. 19 Abs. 1a, 12 Abs. 3, 6, 3 Abs. 1b.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte im Streitjahr 1989 im Inland seinen Wohnsitz. Er war vom 22. November 1988 bis 10. Oktober 1989 und vom 22. Dezember 1989 bis 18. Oktober 1990 an Bord des MS ...., eines seinerzeit unter sowjetischer Flagge in internationalen Gewässern fahrenden Schiffs, tätig. Sein Arbeitgeber war die im Inland ansässige X-GmbH, die das Schiff gechartert hatte.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) unterwarf den von der X-GmbH an den Kläger gezahlten Arbeitslohn der Einkommensteuer, da sich der Ort der Geschäftsleitung des Arbeitgebers des Klägers im Inland befunden habe. Die Klage, mit der der Kläger die Steuerfreiheit seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend machte, hatte Erfolg.

Das FA rügt mit der Revision Verletzung des Art. 12 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen vom 24. November 1981 - DBA-Sowjetunion - (BGBl II 1983, 2, BStBl I 1983, 90) und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Kläger, der im Streitjahr im Inland seinen Wohnsitz hatte, war grundsätzlich mit seinem gesamten Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit waren nach dem DBA-Sowjetunion nicht von der Besteuerung ausgenommen.

Gemäß Art. 19 Abs. 1a Satz 1 DBA-Sowjetunion werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus der Sowjetunion ausgenommen, die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen in der Sowjetunion besteuert werden können. Das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ist in den Art. 12ff. DBA-Sowjetunion geregelt. Nach Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion können Vergütungen für Arbeit, die an Bord eines Seeschiffes u. a. ausgeübt wird, das im internationalen Verkehr betrieben wird, in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Diese Regelung geht Art. 12 Abs. 1 und 2 DBA-Sowjetunion vor (vgl.: "ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen").

1. Der Kläger hat seine Arbeit an Bord eines Seeschiffes ausgeübt. Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion stellt nicht darauf ab, welcher Art die Arbeit ist, die an Bord des Seeschiffes ausgeübt wird. Insbesondere ist unmaßgeblich, ob sie mittel- oder unmittelbar dem technischen Betrieb des Seeschiffs oder der Besteuerung bzw. Beköstigung der Passagiere dient. Der Senat kann im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob der Kläger Mitglied einer regulären Besatzung des Seeschiffs i. S. des Art. 15 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 (DBA-USA) wäre. Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion stimmt - in Anlehnung an das OECD-Musterabkommen 1977 (OECD-MustAbk) - insoweit nicht mit Art. 15 Abs. 3 DBA-USA überein.

2. Das Schiff, auf dem der Kläger seine Tätigkeit ausübte, wurde auch im internationalen Verkehr betrieben. Nach Art. 3 Abs. 1b DBA-Sowjetunion bedeutet der Ausdruck internationaler Verkehr jede Beförderung u. a. mit einem Seeschiff, das von einer Person mit tatsächlicher Geschäftsleitung in einem der beiden Vertragstaaten betrieben wird, es sei denn, die Beförderung erfolgt ausschließlich zwischen Orten innerhalb eines der beiden Vertragstaaten. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurde das MS .... "auf hoher See", d. h. außerhalb der Hoheitsgebiete der Bundesrepublik und der damaligen UdSSR betrieben.

3. Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens i. S. des Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion befindet sich im Streitfall in Deutschland.

a) Unternehmen i. S. des Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion (Art. 15 Abs. 3 DBA-Musterabkommen 1977) ist das die Schiffahrt betreibende Unternehmen. Unternehmen im Sinne dieser Abkommensvorschrift ist - wie dem Sinnzusammenhang zwischen Art. 12 Abs. 3 und Art. 6 DBA-Sowjetunion zu entnehmen ist (vgl. auch Kommentar zu Art. 15 OECD-MustAbk Nr. 4) - dasselbe, wie das Unternehmen i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion (Art. 8 Abs. 1 DBA-Musterabkommen 1977). Auf die Arbeitgeberstellung allein kommt es hierbei nicht an (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1993 I R 53/91, BFHE 173, 53, BStBl II 1994, 218). Unternehmen i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion (Art. 8 OECD-MustAbk 1977) ist dasjenige, das Einkünfte aus dem internationalen Verkehr erzielt. Wie der Abkommensdefinition in Art. 3 Abs. 1b DBA-Sowjetunion zu entnehmen ist, ist internationaler Verkehr jede Beförderung mit einem Seeschiff, Binnenschiff oder Luftfahrzeug. Daraus folgt, daß ein Unternehmen Einkünfte aus internationalem Verkehr i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion erzielt, wenn es Einkünfte aus Beförderungsleistungen u. a. mittels Einsatz von Seeschiffen außerhalb der Vertragstaaten erbringt. Art. 6 DBA-Sowjetunion setzt ebensowenig wie Art. 12 Abs. 3 oder Art. 3 Abs. 1b DBA-Sowjetunion voraus, daß die Frachtleistung mit eigenen Schiffen erbracht wird. Unternehmen i. S. des Art. 6 bzw. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion kann daher sowohl der Schiffseigner als auch der Charterer eines Schiffes sein (vgl. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., Art. 8 Rdnr. 32; vgl. Gleichstellung auch z. B. in § 49 Abs. 1 Nr. 2b EStG). Dies wird bestätigt durch einen Rückschluß aus Nr. 5 des Kommentars zu Art. 8 OECD-MustAbk 1977, an das sich die Vereinbarungen des DBA-Sowjetunion anlehnen. Danach sind Gewinne aus der Vercharterung eines vollständig ausgerüsteten und bemannten Schiffes wie Gewinne aus der Beförderung von Personen und Gütern zu behandeln. Das Musterabkommen geht damit als selbstverständlich davon aus, daß der Charterer eines Seeschiffes i. S. des Art. 8 Abs. 1 OECD-MustAbk Seeschiffahrt betreibt. Entsprechendes gilt dann für die im wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift des Art. 6 DBA-Sowjetunion. Auch internationalem Verständnis des Seehandelsrechts entspricht es, daß Beförderungsleistungen sowohl mit eigenen als auch mit gecharterten Beförderungsmitteln erbracht werden. So wird z. B. in Art. 1 Nr. 1b des Athener Übereinkommens 1974 (Anlage zu § 664 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -; s. Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht, 3. Aufl., Anl. § 664 Art. 1 A.1b) der Charterer als (ausführender) Beförderer verstanden (vgl. z. B. auch Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, 4. Aufl., § 26 Rdnr. 7).

b) Ist ein Inländer an Bord eines Seeschiffes im internationalen Verkehr tätig, das von seinem Arbeitgeber gechartert wurde, so kommen demnach als Unternehmen i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion und des Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion im Grundsatz der Charterer und der Vercharterer in Betracht, letzterer allerdings nur, soweit er das Schiff nicht im Rahmen einer bare-boat-charter überläßt. Der Senat unterstellt zugunsten des Klägers, daß die X-GmbH das MS .... als ein ausgerüstetes und bemanntes Seeschiff charterte. Die in diesem Fall (anders z. B. bei Art. 15 Abs. 3 DBA-USA) entstehende Frage, ob Unternehmen i. S. des Art. 12 Abs. 3 i. V. m. Art. 6 DBA-Sowjetunion (Art. 15 Abs. 3, Art. 8 OECD-MustAbk 1977) der Charterer oder der Vercharterer ist, läßt sich aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion unmittelbar nicht beantworten. Da durch die genannten Abkommensbestimmungen eine Doppelbesteuerung vermieden werden soll, kann das Besteuerungsrecht aber nur einem Vertragstaat, d. h. hier der (ehemaligen) UdSSR oder der Bundesrepublik zugewiesen sein. Dies ist der Vertragstaat, der das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des Unternehmens i. S. des Art. 6 DBA-Sowjetunion hat, dessen Gewinn durch die Entlohnung der an Bord Beschäftigten gekürzt wurde. Dies ergibt sich zum einen aus dem abkommensrechtlichen Sinnzusammenhang zwischen Art. 12 Abs. 3 und Art. 6 DBA-Sowjetunion. Zum anderen handelt es sich insoweit um einen nicht auf Art. 12 Abs. 3 DBA-Sowjetunion beschränkten Grundgedanken für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wie er augenfällig in Art. 12 Abs. 2b DBA-Sowjetunion (ebenso Art. 15 Abs. 2b OECD-MustAbk 1977) seinen Ausdruck findet (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. August 1985 I R 63/80, BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4; Vogel, a. a. O., Art. 15 Rdnr. 63; Flick/Wassermeyer/Wingert, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz, Art. 15 Rdnr. 63).