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  BFH-Beschluß vom 8.3.1995 (X B 243, 244/94) BStBl. 1995 II S. 417

Tatsachen zur Beschwer i. S. des § 79b Abs. 1 FGO sind erst dann "angegeben", wenn bis zum Ablauf der wirksam gesetzten Frist sachverhaltsmäßig abgegrenzte Streitkomplexe ("bestimmte Vorgänge") erläutert werden. Genügt der Kläger dem nicht, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

FGO § 79b.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Entscheidungsgründe

Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) - Eheleute - wegen Einkommensteuer 1979 bis 1988 und Einkommensteuervorauszahlung 1992 und der Klägerin (Ehefrau) wegen Umsatzsteuer 1979 bis 1988 und Gewerbesteuer-Meßbeträge 1979 bis 1988 unter Hinweis auf Fristsetzungen gemäß § 79b Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig abgewiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger und der Klägerin, die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden werden, sind unbegründet.

Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Das FG hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht dadurch verkürzt, daß es ungeachtet der Ausführungen in den Schriftsätzen vom 30. November 1993 nach § 79b Abs. 1 FGO verfuhr. Diese Schriftsätze enthalten allerdings einige pauschale Hinweise darauf, was die Kläger erreichen möchten: in beiden Sachen Aufhebung der Bescheide, "soweit Verjährung eingetreten ist", und Wegfall der "Sicherheitszuschläge" für "alle Jahre ohne Verjährung" und für 1986 bis 1988 Steuerfestsetzung nach den "Ergebnissen der Jahresabschlüsse"; nur in der Einkommensteuersache Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus den "im Ausland belegenen Grundstücken unter Abzug der Abschreibung auf die Herstellungskosten und weiteren Werbungskosten sowie der tatsächlichen Einnahmen", Berücksichtigung der "Versicherungsbeiträge" bei den Sonderausgaben, "weiterer Betriebsausgaben" bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb und "weiteren Werbungskosten" bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und Kapitalvermögen; nur in der Umsatzsteuersache Herausnahme der "Schadensersatzleistungen der Versicherungen aus der Umsatzsteuerpflicht" und Änderung der Umsätze, "die nicht auf neuen Tatsachen beruhen". Dieses Vorbringen, verbunden mit der Bezeichnung der angegriffenen Bescheide, hat das FG offensichtlich veranlaßt, die hier zu beurteilenden Fristsetzungen vom 21. Dezember 1993 nur noch auf § 79b Abs. 1 FGO zu stützen (nicht mehr auch auf § 65 Abs. 1 FGO wie noch in den vorangehenden Fristsetzungen vom 4. November 1993).

Die angeführten Hinweise geben, wie das FG zu Recht unterstellen konnte, keine "Tatsachen" zur Beschwer i. S. des § 79b Abs. 1 Satz 1 FGO an (hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, § 79b FGO Anm. 2; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 79b Anm. 8). Der Vorschrift ist nicht schon durch die pauschale Benennung von Streitkomplexen genügt. Die Tatsachen zur Beschwer sind erst angegeben, wenn dem FG so viele sachverhaltsmäßige Erläuterungen gegeben worden sind, daß es die Streitpunkte wenigstens in ihren Grundzügen erkennen kann. Das FG muß in die Lage versetzt werden, ggf. in der zweiten Stufe der Klagekonkretisierung nach § 79b Abs. 2 FGO bei "bestimmten Vorgängen" nähere Sachverhaltserläuterungen - durch nunmehr speziellere Tatsachenangaben - zu verlangen (BTDrucks 12/1061, S. 17; für den Verwaltungsprozeß s. § 87b der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und BTDrucks 11/7030, S. 28). Wie sich hieraus entnehmen läßt, müssen die Streitkomplexe bis zur Erkennbarkeit "bestimmter Vorgänge" erläutert worden sein, um die Anwendbarkeit des § 79b Abs. 1 FGO von vornherein auszuschließen oder dessen Anforderungen zu genügen.

Die Hinweise der Kläger in den Schriftsätzen vom 30. November 1993 erläutern nicht bestimmte, sachverhaltsmäßig abgegrenzte Vorgänge. Die bloße Berufung auf Verjährung hätte ergänzt werden müssen durch Angaben, für welche der 11 (Einkommensteuer) bzw. 10 Streitjahre (Umsatzsteuer, Gewerbesteuer-Meßbetrag) Festsetzungsverjährung eingetreten sein soll. Da Steuerverkürzung in Betracht zu ziehen war, wäre wegen der zehnjährigen Festsetzungsverjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auch zu erläutern gewesen, ob und weshalb eine Steuerverkürzung ausschied. Tatsachen zur Beschwer hinsichtlich der Sicherheitszuschläge wären erst dargetan gewesen, wenn die Kläger konkret auf die Schätzungsmethode und die Zahlen der Steuerfahndung eingegangen wären. Soweit sich die Kläger auf die Ergebnisse der Jahresabschlüsse 1986 bis 1988 berufen, wäre eine Auseinandersetzung mit den Tatsachen angebracht gewesen, auf die die Steuerfahndung ihr Abgehen von den Zahlen der Jahresabschlüsse stützte. Die angeblich nicht berücksichtigten Abschreibungen, Werbungskosten und Sonderausgaben (Versicherungsbeträge) und zu hoch angesetzten Einnahmen hätten im einzelnen bezeichnet, die angeblich zu Unrecht als Entgelt erfaßten Schadensersatzleistungen beschrieben werden müssen. Gleichermaßen hätten die Tatsachen, die nicht neu waren und sonach keine Änderung der Umsatzsteuerbescheide zuungunsten der Klägerin rechtfertigen sollten (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977), im einzelnen bezeichnet werden müssen. Dies alles hätte keine weitschweifigen Ausführungen der Kläger erfordert, aber eine konkrete, wenn auch knappe sachverhaltsmäßige Umschreibung des Streitstoffs.

Da innerhalb der nach § 79b Abs. 1 FGO gesetzten Fristen (bis zum 14. Februar 1994) die fehlenden tatsächlichen Angaben zur Beschwer nicht nachgeholt worden sind, durfte das FG unter Bejahung der weiteren Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO die Klagen als unzulässig abweisen (zur fehlenden Entschuldigung s. unten). Das gilt zumindest für den hier gegebenen Fall, daß die Kläger keinen Streitkomplex so weit erläutert haben, daß sachverhaltsmäßig bestimmte Vorgänge erkennbar wären.

Dem steht nicht die Rechtsprechung zu Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - VGFGEntlG - (auf den § 79b Abs. 1 FGO zurückgeht) entgegen, wonach die Klage auch bei Unterlassung der geforderten Angaben zulässig bleibe (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Oktober 1987 I R 382/83, BFH/NV 1988, 255; vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, 537, BStBl II 1991, 242) und das FG die vermißten Angaben aus den Steuerakten entnehmen könne (BFH-Urteil vom 28. Mai 1986 I R 75/83, BFHE 146, 573, 576, BStBl II 1986, 753). Diese Rechtsprechung ist mit Inkrafttreten des § 79b Abs. 1 FGO ab 1. Januar 1993 hinfällig geworden. Das Fehlen ausreichender Tatsachenangaben führt unter den weiteren Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO zum Ausschluß des Vorbringens derartiger Angaben. Die Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO) kann in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr hergestellt werden. Das FG ist nicht verpflichtet, in eine Prüfung von Amts wegen - etwa anhand der Steuer-akten - einzutreten. Nach der Gesetzesbegründung sollte der im Hinblick auf die BFH-Rechtsprechung als zu eng empfundene Anwendungsbereich des Art. 3 § 3 VGFGEntlG in § 79b FGO ausgeweitet werden (BTDrucks 12/1061, S. 17).

Unbegründet ist auch die Verfahrensrüge, das FG hätte den Klägern einen Hinweis auf den Fristablauf und die verspätet gestellten Fristverlängerungsanträge geben müssen; erst ab einem solchen Hinweis wäre die 14-Tages-Frist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Gang gesetzt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt lediglich bei der Versäumung gesetzlicher Fristen in Betracht (§ 56 Abs. 1 FGO). § 56 FGO gilt für richterliche Fristen nur, soweit seine sinngemäße Anwendung angeordnet ist (so in § 62 Abs. 3 Satz 4, § 65 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Verspätung einer Fristsetzung nach § 79b FGO kann hingegen nach § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO "genügend entschuldigt" werden (so bereits Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VGFGEntlG). Entschuldigungsgründe können ohne eine Fristbegrenzung nach Art des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO noch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden. Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, welche Anforderungen an eine genügende Entschuldigung zu stellen sind. Fehlt eine Entschuldigung wie hier gänzlich, ist jedenfalls die Voraussetzung des § 79b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO für eine Präklusion gegeben.

Eine Hinweispflicht des FG auf die Fristversäumnis und die Möglichkeit einer Entschuldigung besteht nicht (ebenso Stöcker in Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 12351 zu Art. 3 § 3 VGFGEntlG). Sie folgt auch nicht aus § 79b Abs. 3 Satz 2 FGO, wonach das FG verlangen kann, daß ein (vorgebrachter) Entschuldigungsgrund auf Verlangen glaubhaft zu machen ist. Im übrigen war auf die Entschuldigungsmöglichkeit bereits in den Fristsetzungsverfügungen hingewiesen worden. Wenn der damalige Prozeßbevollmächtigte der Kläger die Frist (14. Februar 1994) verstreichen ließ, die übrigens nach seinem Wunsch bemessen worden war, und daraufhin erst am 18. Februar 1994 Fristverlängerungsanträge abfaßte, die erst am 22. Februar 1994 bei dem FG eingingen, sind Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich, zumal auch innerhalb des Monats, auf den sich die Fristverlängerung erstrecken sollte, keine Tatsachen zur Beschwer vorgebracht worden sind.