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  BFH-Urteil vom 18.1.1995 (I R 89/94) BStBl. 1995 II S. 475

1. Der Erwerb der Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche Deutschlands bei einem Zuzug im Jahre 1982 aus der Schweiz beurteilt sich nach dem Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft - KMG - (Abl. EKD 1976, 389).

2. Nach § 1 Abs. 1 KMG wird die Mitgliedschaft zu einer Gliedkirche vor allem durch die Taufe als ev. Christ und durch den Wohnsitz bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Gliedkirche begründet.

3. Die Erklärung nach § 9 Abs. 3 KMG ist als eine solche über die Bekenntniszugehörigkeit zu verstehen. Sie setzt nicht den Willen des Erklärenden zum Erwerb der Mitgliedschaft voraus.

KiStG NW § 3 Abs. 1; KMG § 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1 und 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) besaß im Streitjahr 1986 die schweizerische Staatsangehörigkeit. Er hatte seinen Wohnsitz am 28. Oktober 1982 von B im Kanton Aargau/Schweiz nach D verlegt. Vor seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) war er Mitglied der reformierten Kirche in der Schweiz. Auf dem Meldebogen der Stadt D trug er unter der Rubrik Religionszugehörigkeit "reformiert" ein. In einer im März 1988 abgegebenen Einkommensteuererklärung 1984 hatte der Kläger seine Religionszugehörigkeit mit "ev." angegeben. Entsprechendes gilt für die später abgegebenen Einkommensteuererklärungen 1985 und 1986.

Das zuständige Finanzamt (FA) veranlagte den Kläger am 8. Januar 1990 zur Einkommensteuer 1986. Gleichzeitig setzte es ev. Kirchensteuer 1986 in Höhe von 566,01 DM fest. Der Kläger legte Einspruch beim FA ein, den das FA an den Beklagten und Revisionskläger (Gesamtverband) weiterleitete. Der Kläger bestritt seine Mitgliedschaft in der ev. Kirche. Er trat am 18. April 1990 vorsorglich aus derselben aus. Der Gesamtverband wies den Einspruch des Klägers durch Einspruchsentscheidung vom 27. August 1990 als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1071 veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Gesamtverband die Verletzung des Art. 140 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV).

Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die von dem Gesamtverband erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Dies bedarf keiner weiteren Begründung (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

2. Nach § 3 Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes Nordrhein-Westfalen (KiStG NW) sind u. a. alle Angehörigen der ev. Kirche kirchensteuerpflichtig, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i. S. der §§ 8 und 9 der Abgabenordnung (AO 1977) im Lande Nordrhein-Westfalen haben. Dabei bestimmt sich nach innerkirchlichem Recht, wann eine Person Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Oktober 1993 I R 28/93, BFHE 172, 570, BStBl II 1994, 253). Die Evangelische Kirche in Deutschland hat dazu eine Regelung im Kirchengesetz über die Kirchenmitgliedschaft, das kirchliche Meldewesen und den Schutz der Daten der Kirchenmitglieder vom 10. November 1976 - KMG - (Abl. EKD 1976, 389) getroffen. Einschlägig ist § 9 Abs. 1 KMG. Danach erwerben zuziehende Evangelische, die keiner Gliedkirche angehören, die Mitgliedschaft durch Erklärung gegenüber der nach kirchlichem Recht zuständigen Stelle, wenn sie bisher Mitglied einer ev. Kirche oder Religionsgemeinschaft im Ausland waren. Nach § 9 Abs. 3 KMG gelten Angaben gegenüber der staatlichen Meldebehörde als Erklärung i. S. des § 9 Abs. 1 KMG. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, erfüllte der Kläger bei seinem Zuzug nach D im Jahre 1982 alle Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 und 3 KMG. Er war vor dem 28. Oktober 1982 Mitglied der reformierten Kirche der Schweiz. Er gab auf dem Meldebogen des Einwohnermeldeamtes der Stadt D unter der Rubrik Religionszugehörigkeit "reformiert" an. Damit gab er eine Erklärung i. S. des § 9 Abs. 3 KMG ab, die gemäß § 9 Abs. 1 KMG die Mitgliedschaft in der ev. Kirche in der Bundesrepublik begründete. Da der Kläger nicht vor Ablauf des Streitjahres 1986 aus der ev. Kirche austrat, war er im Streitjahr kirchensteuerpflichtig.

3. Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FG, wonach § 9 Abs. 3 KMG teleologisch reduziert auszulegen ist. Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Ihre teleologisch reduzierte Auslegung bedeutet einen Eingriff in das Recht der ev. Kirche, die Voraussetzungen der Mitgliedschaft in eigener Zuständigkeit bestimmen zu können. Sie wird auch nicht dem Regelungsinhalt des KMG gerecht. Nach § 1 Abs. 1 KMG wird die Mitgliedschaft zu einer Kirchengemeinde sowie zu der Gliedkirche vor allem durch die Taufe als ev. Christ und durch den Wohnsitz bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Gliedkirche begründet. Die wesentlichen Merkmale der Kirchenmitgliedschaft sind deshalb die konfessionelle Beziehung einerseits und die räumliche andererseits. Die konfessionelle Beziehung besteht aus der durch die Taufe begründeten Bekenntniszugehörigkeit. Sie ist schon dann gegeben, wenn die in Betracht kommende Person Mitglied einer Kirche ist oder war, die mit der steuererhebenden Kirche bekenntnisverwandt ist (vgl. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl., S. 156). Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß der Kläger als evangelisch getaufter Christ Mitglied der reformierten Kirche in der Schweiz war. Dies reicht aus, um eine konfessionelle Beziehung zwischen ihm und der Evangelischen Kirchengemeinde in D anzunehmen. Die räumliche Beziehung des Klägers zur Evangelischen Kirchengemeinde in D wurde durch die Wohnsitznahme in D hergestellt. Zwar ist der Kläger aus dem Ausland zugezogen. Auch verlangt § 9 Abs. 1 und 3 KMG für diesen Fall eine besondere "Erklärung" des Steuerpflichtigen. Die Erklärung betrifft jedoch nur die Bekenntniszugehörigkeit. Sie ist an sich nicht begriffsnotwendige Voraussetzung für den Erwerb der Mitgliedschaft. Die Evangelische Kirche hätte den Erwerb der Mitgliedschaft auch in anderer Weise regeln können. So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) es genügen lassen, daß das innerkirchliche Recht die Kirchensteuerpflicht nur an die Taufe einerseits und den Wohnsitz andererseits anknüpft (Beschluß vom 31. März 1971 1 BvR 744/67, BVerfGE 30, 415ff., 423). Die Erklärung setzt deshalb keinen Willen des Erklärenden zum Erwerb der Mitgliedschaft voraus. Sie kann nicht mit der Beitrittserklärung zu anderen Vereinigungen verglichen werden. § 9 Abs. 3 KMG enthält weder eine Fiktion, noch begründet die Vorschrift eine Zwangsmitgliedschaft. Der Funktion des § 9 Abs. 1 KMG, die Bekenntniszugehörigkeit festzustellen, genügt es, wenn die nach Kirchenrecht erforderliche Erklärung gegenüber den staatlichen Meldebehörden abgegeben wird. § 9 Abs. 3 KMG ist deshalb entsprechend seinem Wortlaut auszulegen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG gab der Kläger eine Erklärung i. S. des § 9 Abs. 3 KMG ab. Diese begründete deshalb seine Mitgliedschaft in einer Gliedkirche der Evangelischen Kirchen in Deutschland.

4. Zu Unrecht folgert das FG aus der Religionsfreiheit, daß der Eintritt des Klägers in eine Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland dessen auf den Erwerb der Mitgliedschaft gerichteten Willen voraussetze. Bestehen deren wesentliche Merkmale in der konfessionellen und räumlichen Beziehung einer Person zu einer bestimmten Kirche und ist die räumliche Beziehung - wie im Streitfall - unstreitig gegeben, so ist letztlich allein entscheidend, daß der Kläger sich in der Schweiz durch die Taufe zur reformierten Kirche bekannte und daß zwischen der reformierten Kirche in der Schweiz und der Evangelischen Kirche in Deutschland Bekenntnisidentität besteht. Die Rechtfertigung für die Mitgliedschaft zuziehender ausländischer Bekenntnisverwandter ohne deren "förmliche" Beitrittserklärung ist in den Beziehungen der Kirchen untereinander zu suchen. Dies ist nicht gleichbedeutend mit einer Zwangsmitgliedschaft des Klägers in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Tatsächlich behielt der Kläger sein Bekenntnis trotz seines Zuzuges nach Deutschland bei. Auch nahm er die Möglichkeit nicht wahr, aus der Kirche auszutreten bzw. beim Einwohnermeldeamt in D zu erklären, daß er trotz seines evangelischen Bekenntnisses nicht Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland werden wolle.

5. Entgegen der Auffassung des FG bestand gegenüber dem Kläger auch keine besondere Aufklärungspflicht bezüglich der kirchensteuerrechtlichen Folgen seines Bekenntnisses zur Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Kläger unterlag auch in seinem schweizerischen Heimatkanton einer ev. Kirchensteuer. Gerade deshalb mußte er mit einer entsprechenden Steuererhebung auch bei seinem Zuzug nach Deutschland rechnen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. April 1991 8 C 62/88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1992, 66).

6. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Kläger war im Streitjahr 1986 Mitglied der Evangelischen Kirche. Die Festsetzung ev. Kirchensteuer ihm gegenüber ist deshalb rechtmäßig. Seine Klage ist unbegründet. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.