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  BFH-Urteil vom 13.10.1994 (IV R 100/93) BStBl. 1995 II S. 484

1. Für die Bekanntgabe eines zusammengefaßten Bescheids an Ehegatten reicht es aus, daß eine Ausfertigung an sie unter ihrer gemeinsamen Anschrift adressiert und von der Post in das Postfach eines Ehegatten eingelegt wird.

2. Haben sich Ehegatten gegenseitig zum Empfang eines zusammengefaßten Steuerbescheids bevollmächtigt, ist auch die Bekanntgabe eines zusammengefaßten Bescheids über Hinterziehungs- zinsen an einen Ehegatten mit Wirkung für den anderen Ehegatten zulässig, weil sich die Bevollmächtigung auf den Zinsbescheid erstreckt.

AO 1977 § 122 Abs. 2, § 155 Abs. 4 und 5, § 239 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1982 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger betreibt als Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in X, ...-Straße 3, eine Praxis, für die er ein Postfach unterhält.

Die Kläger reichten dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine geänderte, von ihnen unterschriebene Einkommensteuererklärung für 1982 ein; sie gaben zusätzliche Betriebseinnahmen des Klägers in Höhe von 416000 DM an und erklärten, jeder von ihnen sei berechtigt, den Steuerbescheid und Änderungsbescheide in Empfang zu nehmen. Das FA erließ einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid 1982 und forderte mit Bescheid vom 10. Juni 1986 von den Klägern gemäß § 235 der Abgabenordnung (AO 1977) Hinterziehungszinsen in Höhe von 35920 DM an. Der Zinsbescheid wurde an die Kläger unter der gemeinsamen Anschrift (X, ...-Weg 7) adressiert und in einer Ausfertigung zur Post gegeben.

Die Kläger legten am 19. August 1986 gegen den Zinsbescheid Einspruch ein und beantragten wegen Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie führten aus: Der Bescheid sei von der Post in das Postfach eingelegt worden und im Büro des Klägers eingegangen. Der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt - ausweislich einer der Einspruchsschrift beigefügten ärztlichen Bescheinigung vom 2. Juni 1986 seit dem 29. Mai 1986 - wegen einer Operation im Krankenhaus gelegen. Durch ein Büroversehen sei die Sendung nicht bearbeitet und auch nicht an den Kläger weitergeleitet worden. Im Anschluß an den Krankenhausaufenthalt seien sie, die Kläger, bis zum 5. August 1986 im Urlaub gewesen. Die zuständige Büroangestellte, Frau S, die bis zum 18. August 1986 Urlaub gehabt habe, habe dem Kläger die Sendung erst am 19. August 1986 vorgelegt; Frau S könne dies bezeugen.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.

Mit der dagegen gerichteten Klage begehrten die Kläger die Aufhebung des Zinsbescheids.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, daß der Zinsbescheid nur in einer Ausfertigung zur Post gegeben und beiden Klägern nicht wirksam bekanntgegeben worden sei. Nach § 155 Abs. 5 AO 1977 i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 genüge zwar für die Bekanntgabe zusammengefaßter Zinsbescheide an Ehegatten, daß ihnen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift übermittelt werde. Dies sei aber nicht feststellbar. Es sei nach Überzeugung des Gerichts möglich, daß der Brief nicht in den Briefkasten der Wohnung, sondern in das Postfach eingelegt worden sei. Die Ungewißheit des Geschehensablaufs gehe zu Lasten des FA (§ 122 Abs. 2, 2. Halbsatz AO 1977).

Die Bekanntgabe des Zinsbescheids sei auch nicht aufgrund einer Vollmacht ordnungsgemäß. Die Unterschriften unter einer gemeinsamen Steuererklärung bevollmächtigten nicht zum Empfang eines Zinsbescheids. Es könne offenbleiben, wann und wie der Kläger den Zinsbescheid erhalten habe. Denn die Übersendung nur einer Ausfertigung eines zusammengefaßten Steuerbescheids an die Ehegatten gemeinsam genüge nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 1985 I R 31/84 (BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474) auch nicht zur wirksamen Bekanntgabe einem der Betroffenen gegenüber.

Mit der vom BFH zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger haben sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zu Unrecht einen Bekanntgabemangel angenommen.

1. Zur wirksamen Bekanntgabe eines zusammengefaßten Zinsbescheids an Ehegatten war es bis zum 31. Dezember 1985 grundsätzlich - abgesehen vom Fall einer wirksamen gegenseitigen Bevollmächtigung - erforderlich, jedem der Adressaten eine Ausfertigung zuzustellen (§ 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 1 Abs. 3, § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; vgl. BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942 unter 3. b, m.w.N.). Im Streitfall ergibt sich indes die wirksame Bekanntgabe des Zinsbescheids an beide Kläger aus den ab dem 1. Januar 1986 geltenden Regelungen in § 155 Abs. 4 und 5 AO 1977 (eingefügt durch das Steuerbereinigungsgesetz - StBereinG - 1986 vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735). Dem steht nicht entgegen, daß die Ausfertigung des Zinsbescheids nach dem Vortrag der Kläger in das Postfach des Klägers eingelegt worden ist und sich die gegenseitige Bevollmächtigung nach dem Wortlaut der Erklärung nur auf den Steuerbescheid bezog.

a) Betrifft ein zusammengefaßter schriftlicher Bescheid Ehegatten, so reicht es für die Bekanntgabe an sie aus, wenn ihnen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift übermittelt wird (§ 155 Abs. 5 Satz 1 AO 1977).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die Ausfertigung an beide Ehegatten unter der gemeinsamen Anschrift adressiert und durch die Post übermittelt wird (vgl. § 122 Abs. 2 AO 1977). Für die Übermittlung genügt auch das Einlegen der Ausfertigung in das Postfach eines Ehegatten.

aa) Unter Zugang i.S. des § 122 Abs. 2 AO 1977 wird nicht nur die tatsächliche Kenntnisnahme verstanden. Vielmehr ist ein Schriftstück schon dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers (Inhaltsadressaten) gelangt ist, daß er unter Ausschluß unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach allgemeinen Gepflogenheiten auch erwartet werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 5. Dezember 1974 V R 111/74, BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 286; vom 14. August 1975 IV R 150/71, BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764; vom 14. März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612). Nach dieser Definition sind in ein Postfach des Adressaten eingelegte Briefsendungen in dem Zeitpunkt zugegangen, in welchem das Postfach normalerweise geleert zu werden pflegt; hierbei ist es unerheblich, ob das Postfach geleert oder der entnommene Brief überhaupt zur Kennt- nis genommen wird (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764, und vom 3. August 1978 VI R 73/78, BFHE 125, 498, BStBl II 1978, 649, jeweils m.w.N.).

Das Einlegen einer Sendung in ein Postfach des Adressaten bewirkt auch dann einen Zugang, wenn die Sendung an die Wohnanschrift adressiert ist. Bei Postsendungen hat der BFH die Voraussetzungen für den Zugang regelmäßig als erfüllt erachtet, wenn sie entsprechend den postalischen Vorschriften ausgeliefert werden (Urteile in BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 286, und BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764). Nach § 50 Abs. 1 der Postordnung (PostO) sind Sendungen dem Empfänger nach den Zustellangaben zuzustellen. Ist als Zustellangabe eine Wohnung bezeichnet, ist die Sendung dem Empfänger regelmäßig in der Wohnung auszuliefern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 286). Gewöhnliche Briefsendungen gelten darüber hinaus als zugestellt, wenn sie in einen für den Empfänger bestimmten Hausbriefkasten eingelegt sind (§ 50 Abs. 4 PostO). Eine von den Zustellangaben abweichende Zustellung ist aber nicht stets ordnungswidrig. Vielfach ist es zweckmäßig oder sogar notwendig, Sendungen anders auszuliefern. Deshalb ist es auch nicht zu beanstanden, daß Sendungen dem Empfänger außerhalb der Wohnung (auf der Straße) ausgeliefert werden (vgl. Florian/Weigert, Kommentar zur Postordnung, § 50 Anm. 3). Aus diesen Gründen ist nach § 180 der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde an jedem Ort zulässig, an dem der Empfänger angetroffen wird, gleichgültig, ob der Aufenthaltsort mit der Zustellangabe übereinstimmt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 1983 II R 10/79, BFHE 138, 401, BStBl II 1983, 698). Danach kann eine Sendung, wie der Senat bereits im Urteil in BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764 angenommen hat, abweichend von den Zustellangaben in ein Postfach des Empfängers eingelegt werden.

Nichts anderes gilt, wenn mehrere natürliche Personen als Empfänger bezeichnet sind. Da jeder Empfänger gemäß § 45 Abs. 3 PostO allein empfangsberechtigt ist, darf die Sendung abweichend von den Zustellangaben in das Postfach eines Empfängers eingelegt werden (vgl. Florian/Weigert, a.a.O., § 45 Anm. 4 a). Der Zinsbescheid war demnach beiden Klägern zugegangen.

bb) Weder der Wortlaut des § 155 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 noch dessen Entstehungsgeschichte sprechen für die Annahme, daß der Gesetzgeber für die Übermittlung einer Ausfertigung eines zusammengefaßten Bescheids von den erwähnten, anerkannten Bekanntgabegrundsätzen abweichen wollte.

Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß die Bekanntgabe nur einer Ausfertigung eines zusammengefaßten Bescheids üblich und vertretbar sei, sofern die Beteiligten in einer Gemeinschaft leben und eine gemeinsame Anschrift haben; nach der Lebenserfahrung sei die gegenseitige Unterrichtung üblich und gewährleistet (vgl. BTDrucks 10/1636, 42 f.). Der Gesetzgeber ging ersichtlich davon aus, daß eine Bekanntgabe an beide Ehegatten bewirkt wird, wenn ein Ehegatte die Ausfertigung erhält und die Unterrichtung seines Ehegatten unterläßt. Demzufolge kann es nach dem Zweck der Vorschrift auch nicht darauf ankommen, ob ein Ehegatte die Ausfertigung aus dem gemeinsamen Hausbriefkasten oder aus seinem Postfach entnimmt.

b) Das FG hat ferner zu Unrecht angenommen, die Bekanntgabe des Zinsbescheids sei auch nicht aufgrund einer Bevollmächtigung wirksam.

Selbst wenn man - wie offenbar das FG - davon ausgehen wollte, daß der Bescheid nur dem Kläger zugegangen ist, war die Bekanntgabe des Bescheids an den Kläger zugleich mit Wirkung für und gegen die Klägerin zulässig, da die Kläger einverstanden waren (§ 155 Abs. 4, 1. Halbsatz AO 1977 i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Ein Einverständnis liegt jedenfalls vor, wenn die Beteiligten sich gegenseitig zum Empfang des zusammengefaßten Bescheids bevollmächtigt haben. Die in der (ursprünglichen und geänderten) Einkommensteuererklärung erklärte Bevollmächtigung erstreckte sich nicht nur auf den Empfang des geänderten Einkommensteuerbescheids. Der Senat hat wiederholt entschieden, daß in den Rahmen des von einer Bevollmächtigung ergriffenen Besteuerungsverfahrens nicht nur Steuerfestsetzungen des FA fallen, sondern auch eine Prüfungsanordnung, die sich auf die erklärte und festgesetzte Steuer bezieht (Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208), oder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (Urteil vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540). Der für den Umfang einer Bevollmächtigung maßgebliche enge Zusammenhang mit dem Besteuerungsverfahren ist auch hinsichtlich der Hinterziehungszinsen gegeben. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen hängt zwar - anders als die Steuerfestsetzung - stets von der Prüfung ab, ob und inwieweit die Steuer hinterzogen ist. Sie beruht aber auch insoweit auf einer Auswertung der (ursprünglichen und geänderten) Steuererklärung. Eine Verknüpfung mit der Steuerfestsetzung ergibt sich zudem daraus, daß Hinterziehungszinsen - ebenso wie Verspätungszuschläge - zu den steuerlichen Nebenleistungen gehören (§ 3 Abs. 3 AO 1977). Sie sind Geldleistungen, die "neben" den Steuern, d.h. im Zusammenhang mit der Besteuerung, erhoben werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 15. Aufl., § 3 Tz. 62). Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß gemäß § 155 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 Verwaltungsakte über steuerliche Nebenleistungen gegen einen oder mehrere Steuerpflichtige mit zusammengefaßten Steuerbescheiden verbunden werden können. Die enge sachliche Verzahnung mit der Steuerfestsetzung rechtfertigt es, eine für das Besteuerungsverfahren (ausdrücklich oder stillschweigend) erklärte Bevollmächtigung grundsätzlich auf Bescheide über Hinterziehungszinsen zu erstrecken. Das gilt auch, wenn der Zinsbescheid tatsächlich nicht mit dem Steuerbescheid verbunden wird; denn andernfalls würde der Umfang der Bevollmächtigung letztlich von Zufälligkeiten abhängig gemacht.

2. Die Vorentscheidung, der abweichende Rechtsauffassungen zugrunde liegen, war aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist unbegründet, da das FA den Einspruch zu Recht wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen hat. Nach den bindenden Feststellungen des FG sind die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben. Denn die Kläger haben jedenfalls die Tatsachen zur Begründung des Antrags - trotz Aufforderung durch das FA mit Schreiben vom 6. Februar 1987 - nur in bezug auf den Beginn des Krankenhausaufenthalts des Klägers glaubhaft gemacht (§ 110 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).