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  BFH-Urteil vom 30.11.1994 (XI R 19/94) BStBl. 1995 II S. 487

Rückständige Säumniszuschläge sind auch dann nach Maßgabe der §§ 268 ff. AO 1977 aufzuteilen, wenn die ihnen zugrundeliegende Steuer nicht mehr rückständig ist.

AO 1977 § 270 Abs. 1, § 273, § 276 Abs. 4.

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte für die Streitjahre (1978 und 1979) Steuerbescheide erlassen, in denen er die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihren damaligen Ehemann, den Beigeladenen, mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen zusammen zur Einkommensteuer veranlagt hatte. Nach Durchführung einer Außenprüfung änderte er diese Bescheide und setzte die Einkommensteuer durch Bescheide vom 23. März 1983 für 1978 auf 7652 DM und für 1979 auf 0 DM fest. Wegen der hiernach allein noch rückständigen Säumniszuschläge (für 1978 in Höhe von 6249,65 DM und für 1979 in Höhe von 9426 DM) ergingen auf Antrag des Beigeladenen Aufteilungsbescheide, in denen die Säumniszuschläge nach Maßgabe der §§ 270, 276 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in vollem Umfang der Klägerin zugeordnet wurden, weil nach den Bescheiden vom 23. März 1983 nur sie, nicht aber der Beigeladene positive Einkünfte erzielt hatte.

Ihre nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die vom FA vorgenommene Aufteilung sei nicht zu beanstanden. Insbesondere sei es unbeachtlich, daß lediglich Säumniszuschläge und keine eigentlichen Steuern als rückständige Beträge aufzuteilen gewesen seien. Dies folge aus § 276 Abs. 4 AO 1977. Das FA habe die rückständigen Beträge auch zutreffend aufgeteilt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Aufteilungsbescheide über die rückständigen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1978 und 1979 dahin zu ändern, daß als Aufteilungsmaßstab das Verhältnis der Einkünfte in den ursprünglichen Schätzungsbescheiden zugrunde gelegt werde.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die - allein - noch rückständigen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1978 und 1979 konnten zwar nach Maßgabe der §§ 268 ff. AO 1977 aufgeteilt werden; das FG hat aber den falschen Aufteilungsmaßstab zugrunde gelegt.

1. Nach § 268 AO 1977 können Personen, die zusammen u.a. zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt wurden und deshalb Gesamtschuldner sind (§ 44 Abs. 1 AO 1977), beantragen, daß die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO 1977 bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Zur rückständigen Steuer gehören nach der ausdrücklichen Regelung in § 276 Abs. 4 AO 1977 auch Säumniszuschläge, Zinsen und Verspätungszuschläge.

Dieser Gesetzeswortlaut in § 276 Abs. 4 AO 1977 wird im Schrifttum einhellig in der Weise verstanden, daß die darin genannten steuerlichen Nebenleistungen nicht ohne das Bestehen einer dazugehörenden rückständigen Steuer Gegenstand der Aufteilung sein können; die Aufteilung allein wegen der steuerlichen Nebenleistungen scheide aus (vgl. z.B. Schwarz, Abgabenordnung, § 276 Rdnr. 17; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 276 AO 1977 Tz. 5; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 276 AO 1977 Rdnr. 9; Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 276 Rdnr. 8; Haarmann in Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1188/7). Gerechtfertigt sei dies nicht zuletzt deshalb, weil die gesetzlichen Aufteilungsmaßstäbe in §§ 270 und 271 AO 1977 gerade auf die Aufteilung der Steuer angelegt seien.

Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung nicht. Sie wird bereits vom Gesetzeswortlaut in § 276 Abs. 4 AO 1977 nicht getragen. (Auch) Säumniszuschläge, Zinsen und Verspätungszuschläge gehören danach zur "rückständigen Steuer", die nach Maßgabe des § 270 Abs. 1 AO 1977 aufzuteilen ist. § 276 Abs. 4 AO 1977 greift damit bestimmte steuerliche Nebenleistungen i.S. des § 3 Abs. 3 AO 1977 heraus und bestimmt sie zum Gegenstand der Aufteilung nach §§ 268 ff. AO 1977. Anders als § 276 Abs. 3 AO 1977 für Steuerabzugsbeträge sowie getrennt festgesetzte Vorauszahlungen regelt § 276 Abs. 4 AO 1977 nicht nur die "Einbeziehung" der genannten Nebenleistungen in die rückständige Steuer, sondern deren "Zugehörigkeit". Eine Abhängigkeit dieser Nebenleistungen vom Fortbestand der zugrundeliegenden Steuer nach deren Tilgung wird sonach nicht begründet. Als (selbständige) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können Säumniszuschläge (ebenso wie Zinsen und Verspätungszuschläge) isoliert - ohne die Steuer - beigetrieben werden (vgl. auch § 254 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).

Ihre Aufteilung nach Maßgabe der §§ 268 ff. AO 1977 widerspricht auch nicht Sinn und Zweck dieser Vorschriften. Die Gesamtschuld über die Einkommensteuer und Vermögensteuer erstreckt sich regelmäßig auf die genannten steuerlichen Nebenleistungen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, vgl. auch § 240 Abs. 4 AO 1977 für Säumniszuschläge; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540, und vom 19. Mai 1987 VIII R 39/83, BFHE 149, 518, BStBl II 1987, 590 zum Verspätungszuschlag; Tipke/Kruse, a.a.O., Vor § 233 AO 1977 Rdnr. 2 zu Zinsen), so daß das Erfordernis einer Aufteilung der rückständigen Beträge hier ebenso gegeben ist, wie bei der eigentlichen Steuer. Zwar sind Sachverhalte denkbar, in denen hinsichtlich der Nebenleistungen keine Gesamtschuldnerschaft besteht, z.B. dann, wenn lediglich einem Ehegatten auf dessen Antrag eine Stundung gewährt wird. Deren Wirkungen treten gemäß § 44 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 nur bei ihm und nicht bei dem anderen Ehegatten ein; bei diesem fallen keine Stundungszinsen, sondern Säumniszuschläge an. Ungeachtet dessen gehören beide Nebenleistungen nach der gesetzgeberischen Entscheidung in § 276 Abs. 4 AO 1977 zu der rückständigen Steuer, so daß sich für die Frage nach der isolierten Aufteilung der Nebenleistungen hieraus nichts herleiten läßt. Gleiches gilt im Ergebnis für den Umstand, daß der allgemeine Aufteilungsmaßstab in § 270 AO 1977 auf Steuern zugeschnitten ist und daß deshalb für die Aufteilung auch der Nebenleistungen auf die Steuer selbst zurückgegriffen werden muß. Für die Frage nach der isolierten Aufteilung der Nebenleistungen besagt dies schon deshalb nichts, weil ebenso zu verfahren ist, wenn die Steuer als solche noch rückständig ist. Im übrigen wäre nicht verständlich, die u.U. erheblichen Nebenleistungen dann aufzuteilen, wenn auch nur ein geringfügiger Teil der geschuldeten Steuer rückständig ist, hingegen dann nicht, wenn dieser restliche Teil getilgt wurde.

2. Der Vorinstanz ist nicht darin beizupflichten, daß das FA die rückständigen Ansprüche zutreffend aufgeteilt hat. Die rückständige Steuer ist nach dem Verhältnis der Beträge aufzuteilen, die sich bei getrennter Veranlagung nach Maßgabe des § 26 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der §§ 271 bis 276 AO 1977 ergeben würden (§ 270 Satz 1 AO 1977). Dabei sind die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen maßgebend, die der Steuerfestsetzung bei der Zusammenveranlagung zugrunde gelegt worden sind (§ 270 Satz 2 AO 1977). Maßgeblich ist diejenige Steuerfestsetzung, die zu der rückständigen Steuer geführt hat (vgl. § 273 Abs. 2 AO 1977). Wird die Steuerfestsetzung geändert, wirkt sich dies auf den Aufteilungsmaßstab lediglich für den Fall aus, daß die Änderung zu einer Steuernachforderung führt; die aus der Nachforderung herrührende rückständige Steuer ist dann im Verhältnis der Mehrbeträge aufzuteilen, die sich bei einem Vergleich der berichtigten getrennten Veranlagungen mit den frühe- ren getrennten Veranlagungen ergeben (§ 273 Abs. 1 AO 1977). Sind - wie im Streitfall - nur noch Säumniszuschläge rückständig, kommt es für den anzuwendenden Aufteilungsmaßstab sonach darauf an, ob und in welchem Umfang diese für die ursprünglich festgesetzte Steuer oder aber für die sich aufgrund des Änderungsbescheides ergebende Steuernachforderung zu entrichten sind (§ 240 AO 1977). Lediglich im letzteren Fall verändert sich der Aufteilungsmaßstab.

Die Vorinstanz ist von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen und hat ausschließlich auf die geänderten Bescheide des FA abgestellt. Ihre Entscheidung ist deshalb aufzuheben. Der Senat kann nicht durcherkennen, da das FG bislang nicht festgestellt hat, wie sich die noch rückständigen Säumniszuschläge zusammensetzen. Dies ist im 2. Rechtsgang nachzuholen.