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  BFH-Urteil vom 21.10.1994 (VI R 12/94) BStBl. 1995 II S. 511

Ein Zinszuschuß des Arbeitgebers i.S. des § 52 Abs. 2j EStG in der für das Jahr 1989 gültigen Fassung i.V.m. § 3 Nr. 68 EStG 1987 liegt auch dann vor, wenn ohnehin geschuldeter steuerpflichtiger Arbeitslohn in einen Zinszuschuß umgewandelt wird.

EStG 1987 § 3 Nr. 68; EStG § 52 Abs. 2j; EStG 1994 § 52 Abs. 1, § 52 Abs. 2b.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch bestandskräftig gewordene Steuerbescheide für die Jahre 1988 und 1989 zur Einkommensteuer veranlagt. Durch eine Prüfungsmitteilung aufgrund einer beim Arbeitgeber des Klägers durchgeführten Außenprüfung wurde dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) bekannt, daß in den beiden Streitjahren Arbeitslohn des Klägers in Höhe von jeweils 1.700 DM in steuerfreie Zinszuschüsse i.S. des § 3 Nr. 68 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1987 umgewandelt worden war. Das FA erließ geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen es die Zinszuschüsse als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelte. Es meinte, die Zinszuschüsse seien nur dann steuerfrei, wenn sie zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt würden.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es führte im wesentlichen aus: Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 12. März 1993 VI R 20/92 (BFHE 171, 62, BStBl II 1993, 881) entschieden habe, ein steuerfreier Zinszuschuß i.S. des § 3 Nr. 68 EStG 1987 liege auch dann vor, wenn ohnehin geschuldeter steuerpflichtiger Arbeitslohn in einen steuerbefreiten Zinszuschuß umgewandelt werde, könne dem nicht gefolgt werden. Für das Jahr 1989 könne die Ansicht des BFH nicht mehr vertreten werden, weil - nach Aufhebung des § 3 Nr. 68 EStG 1987 durch Art. 1 Nr. 3k des Steuerreformgesetzes 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BGBl I, 1093, BStBl I, 224) - die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 2j (ursprünglich: § 52 Abs. 2c EStG i.d.F. des StRG 1990) durch Art. 1 Nr. 19a des Standortsicherungsgesetzes (StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I, 1569, BStBl I, 774) dahin gehend geändert worden sei, daß nunmehr ausdrücklich angeordnet werde, die Zuschüsse müßten zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden. Aber auch für 1988 lägen die Voraussetzungen des § 3 Nr. 68 EStG 1987 nicht vor, weil die gegenteilige Argumentation des BFH nicht überzeuge. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 422 veröffentlicht.

Der Kläger stützt seine Revision auf eine Verletzung des § 3 Nr. 68 EStG 1987 und des § 52 Abs. 2j EStG i.d.F. des StandOG.

Das FA hat während des Revisionsverfahrens einen geänderten Bescheid für das Streitjahr 1988 erlassen, in dem es dem Klagebegehren entsprochen hat. Die Beteiligten haben daraufhin den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt nunmehr, unter Aufhebung der Vorentscheidung den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1989 in der Weise zu ändern, daß der Zinszuschuß in Höhe von 1.700 DM steuerfrei belassen wird, hilfsweise, die Entscheidung auszusetzen und nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der Einkommensteuer für das Streitjahr 1989 in dem beantragten Umfang. Entgegen der Auffassung des FG waren gemäß § 3 Nr. 68 EStG 1987 i.V.m. § 52 Abs. 2j EStG in der für das Streitjahr 1989 gültigen Fassung nicht nur solche Zinszuschüsse des Arbeitgebers steuerbefreit, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt worden sind.

1. Der Senat hat mit Urteil in BFHE 171, 62, BStBl II 1993, 881 gegen die in dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 9. Juli 1987 (BStBl I 1987, 512) vertretene Auffassung entschieden, daß ein Zinszuschuß des Arbeitgebers i.S. des § 3 Nr. 68 EStG 1987 auch dann vorliegt, wenn ohnehin geschuldeter steuerpflichtiger Arbeitslohn in einen steuerbefreiten Zinszuschuß umgewandelt wird. Er hat diese Auffassung in zwei weiteren Urteilen vom 8. Juli 1993 VI R 91/92 (BFH/NV 1993, 726) und vom 30. Juli 1993 VI R 111/92 (BFH/NV 1994, 99) bestätigt. Die Urteile bezogen sich auf das Streitjahr 1988 und das Urteil in BFH/NV 1993, 726 außerdem auf das Streitjahr 1989.

An der in diesen Urteilen vertretenen Rechtsauffassung wird auch weiterhin festgehalten. Entgegen der Auffassung des FA hat der Senat nicht gegen die herkömmlichen Auslegungsregeln verstoßen, als er den Tatbestand des § 3 Nr. 68 EStG auch dann als erfüllt angesehen hat, wenn ohnehin geschuldeter Arbeitslohn in einen zweckgebundenen Zinszuschuß umgewandelt wird. Es ist keineswegs als anerkannte Auslegungsregel anzusehen, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 79, m.w.N.). Doch selbst wenn eine solche Regel grundsätzlich anzuerkennen wäre, könnte sie bei der Auslegung einer systemwidrigen Norm dann nicht den Ausschlag geben, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das gegenüber dem nach dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls möglichen anderen Auslegungsergebnis ungerecht erscheint. Dies ist nach Ansicht des Senats bei der vom FA und dem FG bevorzugten Auslegung des § 3 Nr. 68 EStG der Fall. Denn sie hätte zur Folge, daß typischerweise in den Vorteil der Steuerbefreiung entweder nur die Arbeitnehmer solcher Arbeitgeber gerieten, denen es wirtschaftlich gut geht, oder solche Arbeitnehmer, die nicht tarifvertraglich gebunden sind und anstelle einer sonst fälligen Gehaltserhöhung einen Zinszuschuß individuell vereinbaren können. Der Senat hält daran fest, daß der Gesetzgeber dann, wenn er eine solche Regelung hätte treffen wollen, dies unmißverständlich zum Ausdruck hätte bringen müssen.

2. An dieser Auslegung des § 3 Nr. 68 EStG 1987 hat sich für den Veranlagungszeitraum 1989 auch nichts dadurch geändert, daß der Gesetzgeber § 3 Nr. 68 EStG 1987 durch das StRG 1990 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1989 aufgehoben und die dazu in § 52 Abs. 2j EStG (zunächst: § 52 Abs. 2c EStG) für die Jahre 1989 bis 2000 getroffene Übergangsregelung durch das StandOG geändert hat. Nach der in Art. 1 Nr. 19a des StandOG getroffenen Regelung ist die bisher für die Jahre 1989 bis 2000 in § 52 Abs. 2j EStG getroffene Übergangsregelung zu § 3 Nr. 68 EStG 1987 um den Zusatz erweitert worden "und soweit die Zinszuschüsse zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden".

Entgegen der Meinung des FA kommt dem durch das StandOG normierten Erfordernis, daß die Zinszuschüsse zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden müssen, nicht lediglich klarstellende (deklaratorische), sondern konstitutive Bedeutung zu. Denn nachdem der BFH mit Urteil in BFHE 171, 62, BStBl II 1993, 881 entschieden hatte, daß die Zinszuschüsse i.S. des § 3 Nr. 68 EStG 1987 auch auf einer Umwandlung von Lohn beruhen können, konnte eine davon abweichende spätere gesetzliche Regelung nicht mehr klarstellenden, sondern nur noch gesetzesändernden Charakter haben.

3. Das StandOG ist nach seinem Art. 20 Abs. 1 am Tage nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt vom 17. September 1993 in Kraft getreten. Es enthält keine Regelung über eine rückwirkende Anwendung der in seinem Art. 1 Nr. 19a getroffenen Änderung des § 52 Abs. 2j EStG. Bei dieser Sachlage kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob aus § 52 Abs. 1 EStG 1994 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310, BStBl I 1994, 50) abzuleiten ist, daß die geänderte Gesetzesfassung des § 52 Abs. 2j EStG (entspricht § 52 Abs. 2b EStG 1994) erstmals für den Veranlagungszeitraum 1994 anzuwenden ist. Denn für die Entscheidung des Streitfalls ist ausreichend, daß die geänderte Fassung mangels einer entsprechenden Regelung über eine rückwirkende Anwendung im StandOG jedenfalls nicht auf Veranlagungszeiträume vor 1993 anzuwenden ist.

4. Eine rückwirkende Anwendung der geänderten Gesetzesfassung für die Veranlagungszeiträume ab 1989 ergibt sich auch nicht aus § 52 Abs. 2j EStG i.d.F. des StandOG selbst. Danach ist die Vorschrift des § 3 Nr. 68 EStG 1987 für die Kalenderjahre 1989 bis 2000 weiter anzuwenden, soweit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dieser Formulierung kann nicht die Bedeutung beigemessen werden, daß auch die neu aufgenommene Voraussetzung, der Zuschuß müsse zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Lohn gezahlt werden, rückwirkend für die Jahre vor 1993 vorliegen müsse. Abgesehen davon, daß der Wortlaut der Vorschrift ein solches Verständnis nicht nahelegt, stünden einer derartigen Auslegung auch verfassungsrechtliche Überlegungen entgegen. Es würde nämlich eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen und nicht nur eine bloße tatbestandliche Rückanknüpfung eintreten. Denn es würde eine nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündete Norm mit Wirkung für diesen Zeitraum eine ursprünglich geltende steuerliche Rechtsfolge nachträglich ändern. Vor dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) bedarf es stets besonderer Rechtfertigung, wenn eine nachträglich belastende Änderung der bereits eingetretenen Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens ausnahmsweise zulässig sein soll (vgl. dazu Beschluß des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 253). In der Rechtsprechung des BVerfG sind solche Rechtfertigungsgründe falltypisch entwickelt worden. Im Streitfall haben weder zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückbewirkung von Rechtsfolgen verlangt noch lag im Zeitpunkt der Verkündung des StandOG eine unklare Rechtslage vor. Denn durch das Senatsurteil in BFHE 171, 62, BStBl II 1993, 881 war für die Vergangenheit Rechtsklarheit herbeigeführt worden.

5. Da die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist in dem begehrten Umfang stattzugeben.