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  BFH-Beschluß vom 26.4.1995 (I B 166/94) BStBl. 1995 II S. 532

Die örtlichen Voraussetzungen des Grenzgängerbegriffs nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 sind erfüllt, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Grenzabstands von 30 km zur Grenze wohnt und der Arbeitsort nicht weiter als 30 km von der Grenze entfernt liegt. Auf die Luftlinienentfernung zwischen Wohnsitz und Arbeitsort kommt es nicht an.

DBA-Schweiz 1971 Art. 15 Abs. 4

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

1. Der in W (Bundesrepublik) wohnhafte Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr 1990 in Z (Schweiz) als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Luftlinienentfernung seines Arbeitsorts in Z zur deutschen Grenze beträgt 23,5 km. Der Wohnort des Klägers ist weniger als 30 km von der Grenze entfernt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) behandelte den Kläger als Grenzgänger und erließ am 25. Oktober 1991 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid 1990 gegen die Kläger. Der Kläger verneinte seine Grenzgängereigenschaft, da die Luftlinienentfernung zwischen seinem Wohnort und seiner Arbeitsstätte mehr als 60 km betrage. Er erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet abwies, ohne die Revision zuzulassen.

2. Der Kläger stützt seine Nichtzulassungsbeschwerde auf mangelndes rechtliches Gehör (keine Berücksichtigung seiner Ausführungen im Urteil), fehlende Begründung des FG-Urteils (Zulassungsfreiheit gemäß § 116 Abs. 1 Nr. "1" der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und auf grundsätzliche Bedeutung.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Sie wäre zwar unzulässig, wenn die Revision - wie vom Kläger dargelegt - gemäß § 116 Abs. 1 FGO wegen fehlender Urteilsbegründung zulassungsfrei wäre (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679; vom 11. April 1990 VII B 68/89, BFH/NV 1990, 111). Die Revision ist jedoch nicht zulassungsfrei.

Für eine Fehlbesetzung des FG im Sinne der von den Klägern zitierten Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bestehen keine Anhaltspunkte.

Die vermutlich von den Klägern gemeinte Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist nicht verletzt. Ein Urteil ist nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn eine Begründung gänzlich fehlt, sich auf floskelhafte Wendungen beschränkt oder nicht mehr erkennen läßt, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, da die für die Entscheidung des FG maßgeblichen Gründe aus dem Urteil zu entnehmen sind.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet und war zurückzuweisen.

a) Die Kläger rügen, das Gericht habe ihre Ausführungen zur Auslegung der Verständigungsregelungen nicht zur Kenntnis genommen. Das ergebe sich aus den Urteilsgründen.

Dem Anspruch der Beteiligten auf Gehör entspricht eine Verpflichtung des Gerichts, deren Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248; vom 15. April 1980 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86, 91; BFH-Beschluß vom 29. November 1990 IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531, 532). Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur dann festzustellen, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, daß das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BVerfG in BVerfGE 54, 86, 92). Hat der Kläger - wie im Streitfall - in der mündlichen Verhandlung unstreitig Gelegenheit zu ausreichendem Vortrag gehabt, müßte sich aus den Urteilsgründen oder den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergeben, daß das Gericht sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen hat. Dafür geben die Urteilsgründe keinen Anhaltspunkt. Sie befassen sich unter Hinweis auf Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung mit der Argumentation der Kläger. Es ist unschädlich, daß das angefochtene Urteil zu diesen Fragen teilweise auf den vorangegangenen Gerichtsbescheid und auf die Einspruchsentscheidung verweist.

b) Die von den Klägern herausgestellte Rechtsfrage zur Auslegung des Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA-Schweiz) ist nicht klärungsbedürftig, da sie eindeutig aus den gesetzlichen Grundlagen zu beantworten ist und im übrigen außer Kraft getretenes Recht betrifft.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, wenn die angefochtene Entscheidung der eindeutigen Rechtslage und der allgemeinen Auffassung im Schrifttum entspricht und die Ansicht des Beschwerdeführers abwegig erscheint (BFH-Beschlüsse vom 25. Mai 1973 VI B 95/72, BFHE 109, 303, BStBl II 1973, 665; vom 24. April 1986 III B 72/84, BFHE 146, 429, BStBl II 1986, 561; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 9; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 56).

Nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 kann Grenzgänger nur sein, wer in einem Vertragsstaat in der Nähe der Grenze ansässig ist und im anderen Vertragsstaat in der Nähe der Grenze seinen Arbeitsort hat. Den unbestimmten Rechtsbegriff: "Nähe der Grenze" hat das FG in zulässiger Weise und übereinstimmend mit dem Verhandlungsprotokoll vom 18. Juni 1971 und der Verständigungsvereinbarung vom 26. November 1971 in dem Sinne eines 30 km-Abstands ausgelegt (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 6. Februar 1991 I R 125/90, BFHE 164, 29; Steuer-Rechtsprechung in Karteiform, DBA-Schweiz 1971, Art. 15, Rechtsspruch 2). Aus dem Wortlaut des Abkommens ergibt sich ferner eindeutig, daß es auf den jeweiligen Abstand beider Bezugspunkte zur Grenze ankommt und nicht auf die Luftlinienentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte (vgl. Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rz. 72; Korn/Debatin, Doppelbesteuerung, DBA-Schweiz, Art. 15 Anm. 7 b Doppelbuchst. bb). Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 qualifiziert diejenigen Personen als Grenzgänger, bei denen beide Bezugspunkte in der Nähe der Grenze liegen. Diese Auffassung entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des FG (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 1990 XI K 84/87, Entscheidungen der Finanzgerichte 1991, 175).

Es kommt hinzu, daß Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz 1971 am 28. Dezember 1993 außer Kraft getreten ist. Die Vorschrift ist durch Art. 15 a Abs. 2 DBA-Schweiz 1992 ersetzt worden. Seitdem ist die Entfernung von Wohnsitz und Arbeitsstätte zur Grenze für den Grenzgängerbegriff ohne Bedeutung. Bei außer Kraft getretenem Recht ist eine grundsätzliche Bedeutung in verstärktem Maße nur anzunehmen, wenn der Bedeutungsinhalt der Vorschrift nicht bereits eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes zu entnehmen und deshalb nicht klärungsbedürftig ist (zu ausgelaufenem Recht vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Februar 1979 V B 28/78, BFHE 127, 81, BStBl II 1979, 274; vom 30. Januar 1989 V B 123/86, BFH/NV 1989, 706).

c) Die Entscheidung ergeht gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1861, BStBl I, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I 2236, BStBl I 1994, 100) ohne weitere Begründung.