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  BFH-Urteil vom 26.4.1995 (II R 13/92) BStBl. 1995 II S. 540

Die anläßlich des Todes des Erblassers anfallende kanadische capital gains tax ist nicht gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen. Sie ist, nach dem Umrechnungswert am Todestag, als Nachlaßverbindlichkeit abzugsfähig.

ErbStG 1974 § 10 Abs. 5 Nr. 1, §§ 11, 21 Abs. 1 Satz 1; FGO § 155; ZPO § 562.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Erben ihres am .... 1986 verstorbenen Vaters. Zum Nachlaß gehörte neben deutschem Vermögen auch kanadisches Vermögen. Aus Anlaß des Erbfalles mußte in Kanada sog. capital gains tax in Höhe von 112.073,32 kanadischen Dollar, umgerechnet zum Zahlungstermin 153.058,53 DM, gezahlt werden. In der Erbschaftsteuererklärung hatten die Kläger beantragt, die kanadische Steuer auf die deutsche Erbschaftsteuer gemäß § 21 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 anzurechnen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat die kanadische Steuer jedoch bei den Erbschaftsteuerfestsetzungen gegen die Kläger jeweils mit dem entsprechenden Anteil nur als Nachlaßverbindlichkeit berücksichtigt.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 540 veröffentlichte Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA-Kanada) vom 17. Juli 1981 (BStBl I 1982, 752) enthalte keine Regelung bezüglich der Schenkungen und der Erwerbe von Todes wegen. Der Erwerb kanadischen Vermögens unterliege deshalb in vollem Umfang der deutschen Erbschaftsteuer (§ 2 ErbStG 1974). Die von den Klägern gezahlte capital gains tax sei gemäß § 21 Abs. 1 ErbStG anteilig auf die von den Klägern geschuldete deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen.

In Kanada habe bis zum 31. Dezember 1971 eine gesonderte Nachlaß- und Erbschaftsbesteuerung gegolten. Diese sei zum 1. Januar 1972 abgeschafft und die Besteuerung von Vermögensübergängen durch Erbfall in die Veräußerungsgewinnbesteuerung - capital gains tax - aufgenommen worden. Zu den steuerpflichtigen Einkünften gehörten danach außer Einkünften aus z. B. Arbeitnehmertätigkeit, Erwerbstätigkeit und Vermögen auch Gewinne aus Veräußerungen. Der Veräußerung seien dabei Vermögensübergänge von Todes wegen gleichgestellt. Als Folge hiervon falle die Vermögensgewinnbesteuerung so an, als hätte der Erblasser zum Todeszeitpunkt Nachlaßgegenstände zum Marktwert veräußert. Den Ausführungen über das kanadische Recht legte das FG die Darstellung bei Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung-Kanada, S. 212 ff. zugrunde.

Systematisch handele es sich danach, so führt das FG weiter aus, bei der capital gains tax eher um eine Ertrag- als um eine Erbschaftsteuer. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung und eines Teils der Literatur sei die kanadische capital gains tax gleichwohl als eine der Erbschaftsteuer entsprechende Steuer i. S. des § 21 Abs. 1 ErbStG zu beurteilen. § 21 Abs. 1 ErbStG sei zur Vermeidung einer Doppelbelastung weit auszulegen. In seiner Entscheidung vom 6. März 1990 II R 32/86 (BFHE 160, 272, BStBl II 1990, 786) habe der Bundesfinanzhof (BFH) ausgeführt, eine ausländische Steuer entspreche immer dann der deutschen Erbschaftsteuer, wenn sie auf den Übergang des Nachlasses gelegt sei. Danach bestehe kein Zweifel, daß die kanadische capital gains tax gemäß § 21 ErbStG 1974 anzurechnen sei. Die Entscheidung des BFH betreffe allerdings unmittelbar nur die Frage, ob Fälle der Erbschaftsteuer und der Nachlaßsteuer gleich zu behandeln seien. Nach Überzeugung des FG sei aber für die Entscheidung darüber, ob es sich um eine der deutschen Erbschaftsteuer entsprechende Steuer i. S. des § 21 ErbStG handele, allgemein weniger auf systematische als auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abzustellen. Für den Streitfall sei daher entscheidend, daß die capital gains tax an die Stelle der bis zum 31. Dezember 1971 geltenden kanadischen Erbschaftsteuer getreten sei. Die Besteuerung knüpfe an denselben Tatbestand an, an den auch die deutsche Erbschaftsteuer anknüpfe, nämlich den Vermögensübergang von Todes wegen.

Mit der Revision rügt das FA sinngemäß Verletzung des § 21 Abs. 1 ErbStG 1974. Die kanadische capital gains tax sei keine der deutschen Erbschaftsteuer entsprechende Steuer. Die kanadische Steuer, die zwar durch einen Erbfall ausgelöst werde, habe durch die Gesetzesänderung ab 1. Januar 1972 ihr Besteuerungsziel geändert, als sie ab diesem Zeitpunkt sowohl systematisch als auch wirtschaftlich nicht für den Nachlaß erhoben werde. Sie gehe vielmehr von einer Realisierung von Kapitalgewinnen aus, d. h. sie erfasse lediglich Wertsteigerungen im Besitzzeitraum, nicht aber - wie die deutsche Erbschaftsteuer - die Vermögenssubstanz. Insofern sei das BFH-Urteil in BFHE 160, 272, BStBl II 1990, 786 mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie lassen im wesentlichen ausführen, daß durch die Abschaffung der bisherigen Erbschaftsbesteuerung zum 31. Dezember 1971 und durch die Neuregelung ab 1. Januar 1972 sich in Kanada nicht das Besteuerungsziel geändert habe, sondern lediglich eine andere Erhebungsart eingeführt worden sei. Im Zeitpunkt des Todes des Steuerpflichtigen werde die Veräußerung der ihm gehörenden Wirtschaftsgüter unterstellt und der Marktwert des Vermögens zum Zeitpunkt des Erbfalls als Veräußerungserlös angesetzt. Sodann werde die Hälfte des Gewinns als Einkommen angesetzt. Insoweit sei es zutreffend, daß für die Bemessung der beim Erbfall anfallenden Steuer nicht das Gesamtvermögen zugrunde gelegt werde, im Gegensatz zum deutschen Erbschaftsteuerrecht. Vielmehr solle der Wertzuwachs, der beim Erblasser bis zum Todeszeitpunkt eingetreten sei, der Steuer unterworfen werden. Die Motive, die den kanadischen Gesetzgeber zur Änderung veranlaßt hätten, beinhalteten in keiner Weise, die Erbschaftsteuer im Ergebnis abzuschaffen. Es sei nämlich vom Gesetzgeber für ungerecht angesehen worden, das gesamte Vermögen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Im Ergebnis sei man schließlich zur Besteuerung des Vermögenszuwachses gekommen mit der ausdrücklichen Feststellung, daß alle Schenkungen und Vermögensübergänge von Todes wegen in dieser Form besteuert werden sollten.

Nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung falle unter die vergleichbare Erbschaftsteuer i. S. des § 21 ErbStG jede ausländische Steuer, die unmittelbar durch den Tod einer Person zur Entstehung gelange, wobei es auf die Bezeichnung oder Ausgestaltung der ausländischen Steuer im einzelnen nicht ankomme. Dabei sei es auch unerheblich, ob es sich bei der ausländischen Steuer um eine Nachlaßsteuer oder eine Erbanfallsteuer handele. Nach den vorstehenden Ausführungen sei die in Kanada beim Erbfall erhobene capital gains tax eine solche vergleichbare Steuer, da sie allein durch den Erbfall ausgelöst werde.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur zutreffenden Festsetzung der Steuer zurückzuverweisen.

1. Das FG hat gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 562 der Zivilprozeßordnung (ZPO) im Sinne einer tatsächlichen Feststellung über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts zu entscheiden. Dem genügt es nicht, wenn sich das FG, wie im Streitfall, für die Feststellung des Inhalts des ausländischen Rechts auf einen kursorischen Überblick über die steuerliche Erfassung von Erbschaften nach diesem Recht in einem Kommentar beschränkt. Das gilt auch dann, wenn Bestand und Inhalt des ausländischen Rechts eine Vorfrage für die Anwendung einer inländischen revisiblen Rechtsnorm betreffen, nämlich des § 21 ErbStG 1974.

Der Mangel dieser Feststellungen führt im Streitfall jedoch nicht zu einer Zurückverweisung der Sache an das FG (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1968 II R 36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610), denn das Revisionsgericht kann ausländisches Recht dann prüfen und anwenden, wenn es dem FG unbekannt war (BFH-Urteile vom 19. Mai 1982 I R 257/78, BFHE 136, 363, 369, BStBl II 1982, 768, und vom 9. November 1983 I R 120/79, BFHE 140, 493, BStBl II 1984, 468 unter 2.5.4.; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 23. Oktober 1963 V ZR 146/57, BGHZ 40, 197); dies ist hier der Fall.

2. Nicht zuzustimmen ist dem FG, daß die anläßlich des Todes des Erblassers angefallene kanadische capital gains tax bereits deshalb i. S. des § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 der deutschen Erbschaftsteuer entspreche, weil, wie das FG allerdings unzutreffend angenommen hat, die kanadische Besteuerung an den Vermögensübergang von Todes wegen anknüpfe.

Entgegen dem Verständnis des FG kann dem BFH-Urteil in BFHE 160, 272, BStBl II 1990, 786 nicht entnommen werden, daß für die Anrechenbarkeit nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 - allein - entscheidend sei, ob die ausländische Steuer an den Vermögensübergang von Todes wegen anknüpfe. Eine solche Betrachtung greift zu kurz, denn die Begründung dafür, daß ausländische Nachlaßsteuern, wie beispielsweise die federal estate tax der USA, der deutschen Erbanfallsteuer entsprächen, stellt nicht auf den Vorgang des Vermögensübergangs ab, sondern darauf, daß die genannte Nachlaßsteuer im Ergebnis für den Erwerb des Nachlaßvermögens gezahlt werde (vgl. 3. a der Gründe) und - unabhängig von der Person des Steuerschuldners - den Nachlaß belaste (vgl. 3. b der Gründe). Dies entspricht auch dem Standpunkt der BFH-Urteile vom 28. Februar 1979 II R 165/74 (BFHE 127, 432, BStBl II 1979, 438) und vom 21. April 1982 II R 148/79 (BFHE 136, 133, BStBl II 1982, 597), auf die sich der BFH im Urteil in BFHE 160, 272, BStBl II 1990, 786 berufen hat. In jenen Entscheidungen wurde (zu § 9 ErbStG 1959) ausgeführt, daß die ausländische Steuer anzurechnen sei, die auf das auf den Trust übergegangene Nachlaßvermögen entfallen sei bzw. daß eine Anrechnung insoweit in Betracht komme, als eine ausländische Steuer auf das Nachlaßvermögen erhoben worden sei. Diese Beurteilung gilt für das ErbStG 1974 um so mehr, als § 9 ErbStG 1959 im Gegensatz zu § 21 ErbStG 1974 keine ausdrückliche Beschränkung auf die Anrechenbarkeit - nur - einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Erbschaftsteuer enthalten hat. Anrechenbar i. S. des § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 ist eine ausländische Steuer danach nur, wenn durch sie der Wert des Nachlaßvermögens im Sinne einer auf die Nachlaßmasse als solcher liegenden Nachlaßsteuer, oder der Erbanfall, also die Bereicherung beim einzelnen Erben, erfaßt wird (vgl. zu diesen Begriffen Timm, Finanzarchiv 42 (1984), 553; Tipke/Lang, Steuerrecht, 14. Aufl., § 12 Rz. 113; s. auch § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG 1974).

3. Diese Voraussetzung erfüllt die anläßlich des Todes erhobene kanadische capital gains tax nicht. Sie ist keine anrechenbare ausländische Steuer i. S. des § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974, denn sie ist weder als Nachlaßsteuer noch als Erbanfallsteuer ausgestaltet, sondern wird als Einkommensteuer beim Erblasser nach dessen persönlichen Verhältnissen erhoben. Nach Section 70 (5) (a) des kanadischen Income Tax Act wird für den Fall, daß ein (Einkommen)Steuerpflichtiger in einem Steuerjahr gestorben ist, angenommen, daß der Steuerpflichtige unmittelbar vor dem Tod sein sog. capital property veräußert hat (".... the taxpayer shall be deemed to have disposed, immediately before his death, of each property owned by him at that time that was a capital property of the taxpayer ....") und daß er dabei einen Erlös erzielt hat, der dem angemessenen Marktpreis des "capital property" entspricht. Der auf der Grundlage dieses Marktpreises ermittelte Gewinn wird (wie andere capital gains, die etwa beim Verkauf bestimmter Vermögensgegenstände oder beim Wegzug aus Kanada anfallen) in die Ermittlung des der Einkommensteuer des verstorbenen Steuerpflichtigen unterliegenden Einkommens im Todesjahr einbezogen - vgl. Section 2 (2), 3, 70 (1) Income Tax Act; Canadian Master Tax Guide 1980, A Guide to Canadian Incometax, 35th Edition, 1980, Cap. I, § 500, Cap. V, § 5000; s. auch Mennel, Steuern in Europa, USA, Kanada und Japan, 27. Lief. 1994, Kanada, S. 20; Hoyer, Das Kanadische Steuersystem, Recht der Internationalen Wirtschaft, 1983, 178). Die Steuer knüpft also weder an einen Vermögensübergang an, noch wird eine Bereicherung beim Erben oder der Wert des Nachlasses erfaßt. Vielmehr wird eine fiktive Veräußerung durch den Erblasser, und zwar unmittelbar vor seinem Tod, unterstellt und ein angenommener Veräußerungsgewinn des Erblassers bei diesem der Einkommensteuer im Todesjahr unterworfen.

4. Zutreffend hat danach das FA bei den von den Klägern angegriffenen Erbschaftsteuerfestsetzungen die Anrechnung der kanadischen capital gains tax gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 abgelehnt und die von den Klägern bezahlte kanadische Steuer als Nachlaßverbindlichkeit nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 berücksichtigt, denn es handelt sich um vom Erblasser herrührende Schulden i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG 1974. Gleichwohl ist die Sache nicht spruchreif, denn die Umrechnung der geschuldeten Steuer in Deutsche Mark ist - unter Beachtung des Verböserungsverbots - nicht auf den Zahlungstermin, sondern auf den Todestag des Erblassers vorzunehmen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1, § 11, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974), wobei der amtliche Devisenkurs zugrunde zu legen ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1991 II R 134/88, BFHE 164, 99, BStBl II 1991, 521); hierzu wird die Sache an das FG zurückverwiesen.

Der Senat hat es für zweckmäßig gehalten, trotz des Verzichts der Beteiligten auf mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.