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  BFH-Urteil vom 25.4.1995 (IX R 6/94) BStBl. 1995 II S. 545

Eine fristsetzende Aufforderung nach § 79 b Abs. 2 FGO ist nur dann wirksam, wenn die von dem Richter für aufklärungs- oder beweisdürftig erachteten Punkte so genau bezeichnet werden, daß es dem Beteiligten möglich ist, die Anordnung ohne weiteres zu befolgen. Diesem Erfordernis genügt eine richterliche Verfügung nicht, die unter Bezugnahme auf einen Schriftsatz des Prozeßgegners allgemein zu einer Stellungnahme und pauschal zur Vorlage von zahlreichen, vom Prozeßgegner für erforderlich gehaltenen Unterlagen auffordert.

FGO § 79 b; GG Art. 103 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte für die Streitjahre (1989 und 1990) vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) geltend gemachte Mehraufwendungen für Verpflegung nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an und kürzte bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die Werbungskosten um 56,5 v. H. mit der Begründung, die Miete betrage nur 43,5 v. H. der ortsüblichen Marktmiete.

Hiergegen richtete sich die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage. In der Klageerwiderung vom 16. Oktober 1992 bezeichnete das FA zum einen verschiedene Urkunden (Verträge, Rechnungen und Zahlungsnachweise sowie eine Bankbestätigung), die der Kläger vorlegen solle; zum anderen hielt das FA mehrere Angaben des Klägers zu den tatsächlichen Verhältnissen in den Streitjahren für notwendig. Nachdem der Kläger für eine Stellungnahme wiederholt Fristverlängerung beantragt hatte, forderte ihn der Berichterstatter mit Verfügung vom 2. Februar 1993 gemäß § 79 b der Finanzgerichtsordnung (FGO) unter Hinweis auf die Folgen einer Fristversäumnis auf, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung "die erbetene Gegenäußerung zu dem Schriftsatz des Beklagten vom 16. Oktober 1992 abzugeben und die dazu verlangten Unterlagen vorzulegen"; die Verfügung wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 4. Februar 1993 zugestellt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) am 17. Mai 1993 legte ein Unterbevollmächtigter die angeforderte Gegenäußerung nebst zahlreichen Unterlagen vor und entschuldigte die Verspätung mit einer Nervenkrankheit des Prozeßbevollmächtigten des Klägers.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab und bezog sich auf die Begründung der Einspruchsentscheidung. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen berücksichtigte das FG unter Hinweis auf die versäumte "Ausschlußfrist" nicht. Der Kläger habe die verspätete Vorlage der Gegenäußerung und der Unterlagen nicht genügend entschuldigt.

Mit der Revision rügt der Kläger den Verfahrensmangel fehlerhafter Anwendung des § 79 b FGO und Versagung rechtlichen Gehörs. Das FG habe die Vorschrift als Möglichkeit mißverstanden, den Kläger von jeglichem weiteren Vorbringen auszuschließen. Die Gegenäußerung sei aufgrund der Erkrankung des im finanzgerichtlichen Verfahren bestellten Prozeßbevollmächtigten des Klägers verspätet eingereicht worden. Das FG habe zudem in der Vorentscheidung nicht ausgeführt, warum eine Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das FG hat die Gegenäußerung des Klägers und die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen und dadurch § 79 b FGO und zugleich den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verletzt. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. § 79 b FGO läßt es zu, dem Kläger eine Frist zu setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt (Abs. 1 Satz 1), und einem Beteiligten unter Fristsetzung aufzugeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist (Abs. 2). Während § 79 b Abs. 1 Satz 1 FGO die Möglichkeit der Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 FGO ergänzt und die Angabe der den Kläger beschwerenden Tatsachen betrifft, konkretisiert die Fristsetzung nach § 79 b Abs. 2 FGO den Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ist Ausdruck der Mitverantwortung der Beteiligten für die Aufklärung des Sachverhalts (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 79 b Anm. 1, 2, 8 bis10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 79 b FGO Tz. 2, 3).

Das FG kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 79 b Abs. 1 und 2 FGO gesetzten Frist vorgebracht werden, nach Maßgabe des § 79 b Abs. 3 FGO zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden.

2. Die Verfügung vom 2. Februar 1993 beruht ihrem Inhalt nach auf § 79 b Abs. 2 FGO. Für eine Fristsetzung nach § 79 b Abs. 1 Satz 1 FGO bestand kein Anlaß, nachdem der Kläger die Klage bereits begründet hatte. Dem Berichterstatter des FG ging es bei der Verfügung ersichtlich darum, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Die Verfügung des Berichterstatters vom 2. Februar 1993 erfüllt zwar die formellen Anforderungen an eine Fristsetzung (vgl. dazu Gräber/von Groll, a. a. O., § 79 b Anm. 22); sie stellt jedoch keine wirksame Fristsetzung zur Abgabe einer Gegenäußerung des Klägers und zur Vorlage der dazu verlangten Unterlagen i. S. von § 79 b Abs. 2 FGO dar.

a) Soweit der Berichterstatter den Kläger allgemein zu einer Stellungnahme zur Klageerwiderung des FA aufgefordert hat, ist die Aufforderung schon durch den Wortlaut des § 79 b Abs. 2 FGO nicht gedeckt. Da die Anwendung von Präklusionsvorschriften wegen der Möglichkeit einer inhaltlichen Begrenzung des rechtlichen Gehörs aus verfassungsrechtlichen Gründen strikt auf die gesetzlich vorgesehenen Fallgestaltungen zu beschränken ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1983 IV R 147/80, BFHE 138, 143, BStBl II 1983, 476), enthält die Verfügung des Berichterstatters vom 2. Februar 1993 insoweit keine wirksame Fristsetzung nach § 79 b FGO.

b) Aber auch die an den Kläger gerichtete Aufforderung zur Vorlage der vom FA in seiner Klageerwiderungsschrift verlangten "Unterlagen" ist zu unbestimmt, um die Ausschlußwirkungen des § 79 b Abs. 3 FGO zu begründen.

Soll einem Beteiligten nach § 79 b Abs. 2 FGO aufgegeben werden, zu bestimmten Vorgängen entweder Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder aber Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, muß der Vorsitzende oder der Berichterstatter zum einen die bestimmten Vorgänge und zum anderen die Tatsachen und Beweismittel oder die vorzulegenden Sachen in der Verfügung über die Fristsetzung möglichst genau bezeichnen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443 zu Art. 3 § 3 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - VGFGEntlG -; Gräber/von Groll, a. a. O., § 79 b Anm. 11 ff.; Tipke/Kruse, a. a. O., § 79 b FGO Tz. 3), um es dem Beteiligten zu ermöglichen, die Anordnung ohne weiteres zu befolgen und so eine Präklusion zu vermeiden (vgl. zur Regelung des § 273 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 53. Aufl., § 273 Rz. 20). Es ist insoweit Aufgabe des Richters, aufgrund des bisherigen Vorbringens der Beteiligten und seiner Einschätzung der Rechtslage die seiner Ansicht nach noch aufklärungs- und/oder beweisbedürftigen Punkte zu ermitteln und in der Aufklärungsverfügung gemäß § 79 b Abs. 2 FGO genau anzugeben (vgl. auch Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze, BTDrucks 12/1061 S. 17). Diesen Anforderungen an eine wirksame Fristsetzung nach § 79 b Abs. 2 FGO genügt eine richterliche Verfügung nicht, die unter Bezugnahme auf einen Schriftsatz des Prozeßgegners eine pauschale Aufforderung zur Vorlage von zahlreichen, darin für erforderlich gehaltenen Unterlagen enthält.

Nach diesen Grundsätzen war die pauschale Aufforderung des Berichterstatters vom 2. Februar 1993 zur Vorlage der vom FA in der Klageerwiderung "verlangten Unterlagen" nicht hinreichend genau bestimmt und daher nicht geeignet, gegenüber dem Kläger wirksam eine Ausschlußfrist gemäß § 79 b Abs. 2 FGO zu setzen; denn in seinem mehrseitigen Schriftsatz hatte das FA neben der Vorlage mehrerer Urkunden auch die Abgabe verschiedener Erklärungen des Klägers zu den tatsächlichen Verhältnissen in den Streitjahren für notwendig erachtet. Für den Kläger war bei dieser Sachlage nicht eindeutig erkennbar, auf welche der vom FA angesprochenen Urkunden oder Erklärungen sich die Aufforderung des Berichterstatters im einzelnen bezog.

3. Der Kläger hat das Recht, den Verfahrensmangel zu rügen, auch nicht nach § 155 FGO i. V. m. § 295 ZPO verloren (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372). Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Verfahrensmangel nicht rügen; denn dieser ergibt sich erst aus dem finanzgerichtlichen Urteil. Die Zurückweisung von Erklärungen und Beweismitteln nach § 79 b Abs. 3 FGO findet als Teil der Sachentscheidung innerhalb der Prüfung der Begründetheit der Klage statt (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242, zu Art. 3 § 3 VGFGEntlG).

4. Da das FG mithin die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen mangels einer nach § 79 b Abs. 2 FGO wirksam gesetzten Frist zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen hat, kann dahingestellt bleiben, ob im übrigen die in § 79 b Abs. 3 FGO bestimmten Voraussetzungen einer Zurückweisung, insbesondere die Gefahr einer Verzögerung des Rechtsstreits (§ 79 b Abs. 3 Nr. 1 FGO), erfüllt waren.