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  BFH-Urteil vom 17.5.1995 (II R 22/92) BStBl. 1995 II S. 577

Die Verordnung zur Durchführung des § 90 BewG (sog. WertzahlVO) verletzt nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 GG.

GG Art. 3; VO zur Durchführung des § 90 BewG.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1992, 390)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) errichtete 1987 auf einem von ihm erworbenen Grundstück unter Verwendung des Holzbalkenskeletts eines aus dem Jahre 1699 stammenden Fachwerkhauses für mehr als 600.000 DM bei vollständig neuem, massivem Ausbau ein Wohnhaus mit einer 220 qm übersteigenden Wohnfläche.

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) bewertete das Grundstück durch eine Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1988 gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) im Sachwertverfahren als Einfamilienhaus mit einem Einheitswert von 171.300 DM. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wandte sich der Kläger gegen die Anwendung des Sachwertverfahrens. Während des Klageverfahrens ermäßigte das FA durch Teilabhilfebescheid den Einheitswert auf 157.200 DM.

Der Kläger machte den Änderungsbescheid gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens und beantragte, unter Aufhebung des Einheitswertbescheids sowie der Einspruchsentscheidung das FA zu verpflichten, das Grundstück im Ertragswertverfahren (§ 76 Abs. 1 Nr. 4 BewG) zu bewerten.

Die Klage führte zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide und zur Abweisung des Verpflichtungsantrags. Das Finanzgericht (FG) vertritt in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 390 veröffentlichten Urteil die Auffassung, daß die Einheitswerte des Grundvermögens, gleichgültig, ob sie im Ertragswert- oder im Sachwertverfahren festgestellt worden seien, gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, weil sie in willkürlicher Weise um ein Mehrfaches niedriger als nicht einheitswertgebundenes Vermögen in die Besteuerung eingingen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BStBl II 1991, 654), wonach der Gleichheitssatz für das Steuerrecht die rechtliche und tatsächliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen auch im Umfeld bis hin zum tatsächlichen Erfolg verlange, bejaht das FG einen Gleichheitsverstoß durch die Verordnung zur Durchführung des § 90 des Bewertungsgesetzes vom 2. September 1966 - sog. Wertzahlverordnung (WertzahlVO) - (BGBl I 1966, 553, BStBl I 1966, 885) i. d. F. der Verordnung zur Änderung vom 25. Februar 1970 (BGBl I 1970, 216, BStBl I 1970, 252) und stellte deren Nichtigkeit fest. Da damit die Einheitsbewertung "blockiert" sei, folge hieraus, daß das FA nicht zur Bewertung des Grundstücks des Klägers im Ertragswertverfahren verpflichtet werden könne.

Mit der Revision rügt das FA die Nichtanwendung der WertzahlVO und beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung. Das FA weist zur Begründung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1989 II R 239/81 (BFHE 156, 239, BStBl II 1989, 495) hin, in dem der BFH incident von der Verfassungsmäßigkeit der WertzahlVO ausgegangen sei. Das FG habe daher zu Unrecht die WertzahlVO als nichtig angesehen und den darauf gestützten Einheitswertbescheid aufgehoben.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht die Nichtigkeit der WertzahlVO angenommen und hieraus unter Verstoß gegen die ausschließliche Entscheidungskompetenz des BVerfG (s. § 13 Nr. 11 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG - i. V. m. Art. 100 Abs. 1 GG) gefolgert, daß die Vorschriften zur Einheitsbewertung des Grundvermögens (§§ 76 f. BewG) insgesamt als verfassungswidrig nicht mehr anwendbar seien.

Entgegen der Auffassung des FG ist der angefochtene Einheitswertbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig. Das FA hat zutreffend den Einheitswert des Grundstücks des Klägers im Sachwertverfahren festgestellt.

a) Grundsätzlich ist der Wert eines Einfamilienhausgrundstücks nach § 76 Abs. 1 Nr. 4 BewG im Wege des Ertragswertverfahrens (§§ 78 bis 82 BewG) zu ermitteln. Bei Einfamilienhäusern, die sich durch besondere Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Einfamilienhäusern unterscheiden, ist jedoch davon abweichend nach § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG das Sachwertverfahren anzuwenden. Dabei reicht es aus, daß entweder eine besondere Gestaltung oder eine besondere Ausstattung vorliegt, um für die Wertfindung an Stelle des Ertragswertverfahrens das Sachwertverfahren treten zu lassen. Denn die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Ertragswertverfahrens für die Bewertung von Einfamilienhäusern ist von der Überlegung getragen, daß es sich bei diesen meist um kleine, einfach ausgestattete Wohngebäude oder serienmäßig hergestellte Häuser handelt, für die sich eine übliche Jahresmiete verhältnismäßig unschwer ermitteln oder anhand ausreichender Kriterien schätzen läßt (vgl. Senatsbeschluß vom 26. September 1990 II R 146/87, BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57 m. w. N.). Zutreffend hat das FA erkannt, daß sich das Einfamilienhaus des Klägers schon im Hinblick auf seine Wohnfläche von der Masse der im Ertragswertverfahren zu bewertenden Grundstücke unterscheidet. Denn nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) beträgt die Wohnfläche mehr als 220 qm; sie gibt damit dem Einfamilienhaus eine besondere Gestaltung, die es deutlich von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Einfamilienhäusern abhebt (s. Senatsurteil vom 12. Februar 1986 II R 192/78, BFHE 146, 96, BStBl II 1986, 320).

b) Daß der Gesetzgeber für die in § 76 Abs. 3 BewG näher bezeichneten Grundstücke und damit auch für bestimmte Einfamilienhäuser die Bewertung im Sachwertverfahren angeordnet hat, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Das Nebeneinander von Ertragswert- und Sachwertverfahren bei bebauten Grundstücken nach dem BewG folgt aus der sachgerechten Erwägung, daß sich zwar für die meisten, aber nicht für alle Einfamilienhäuser eine übliche Jahresmiete verhältnismäßig unschwer ermitteln oder anhand ausreichender Kriterien vermieteter Vergleichsobjekte schätzen läßt. Diese Differenzierung beruht daher nicht auf einer den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verletzenden Willkür des Gesetzgebers (vgl. Beschluß des BVerfG vom 4. Juni 1976 1 BvR 360/74, BStBl II 1976, 637).

c) Das FA hat auch zu Recht den im Sachwertverfahren gemäß § 83 BewG für das Einfamilienhaus (Nachkriegsbau) ermittelten - und vom Kläger nicht im einzelnen angegriffenen - Ausgangswert nach § 90 BewG i. V. m. § 2 WertzahlVO mit 75 v. H. an den gemeinen Wert angeglichen.

Entgegen der Auffassung des FG verstößt die WertzahlVO nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Da der sich im Sachwertverfahren aus dem Bodenwert, dem Gebäudewert und dem Wert der Außenanlagen ergebende Ausgangswert eines Grundstücks in aller Regel höher ist als der gemeine Wert und deswegen noch einer Korrektur bedarf, hat der Gesetzgeber im § 90 BewG eine Angleichung an den gemeinen Wert mit Hilfe von Wertzahlen (Vom-Hundert-Sätzen) vorgesehen, die das Verhältnis zwischen dem gemeinen Wert und dem Sachwert (Ausgangswert) des Grundstücks ausdrücken. Die Wertzahlen sind nicht im BewG selbst festgelegt worden, weil die Vielzahl der bei der Ermittlung des gemeinen Werts in Betracht zu ziehenden wirtschaftlichen Merkmale ein stark differenzierendes Wertzahlensystem notwendig machte (vgl. BTDrucks IV 1488, 72). Deshalb wurde die Bundesregierung durch § 90 Abs. 2 i. V. m. § 123 Abs. 1 BewG ermächtigt, die Wertzahlen mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung "unter Berücksichtigung der wertbeeinflussenden Umstände, insbesondere der Zweckbestimmung und Verwendbarkeit der Grundstücke innerhalb bestimmter Wirtschaftszweige und der Gemeindegrößen, im Rahmen von 85 bis 50 v. H. des Ausgangswertes" festzusetzen. Die WertzahlVO entspricht diesen Vorgaben (s. Senats-Urteil in BFHE 156, 239, BStBl II 1989, 495). Die Wertzahlen sind in erster Linie aus Verkaufsfällen abgeleitet worden, in denen die Wertverhältnisse des Hauptfeststellungszeitpunkts (1. Januar 1964) zum Ausdruck kommen; soweit keine brauchbaren Kaufpreise vorlagen, wurden von den Mitgliedern des Schätzungsausschusses ermittelte Marktwerte zu den Ausgangswerten in Beziehung gesetzt und unter Beachtung des Wertniveaus der im Ertragswertverfahren zu bewertenden Grundstücke gleicher Art ermittelt. Die auf diese Weise gewonnenen Wertzahlen dienen in ausreichendem Maße der in § 90 Abs. 2 BewG geforderten Differenzierung der im Sachwertverfahren als einem Massenbewertungsverfahren ermittelten Werte unterschiedlicher Grundstücksarten (s. Senatsurteil in BFHE 156, 239, BStBl II 1989, 495); sie beruhen auf sachgerechten Erwägungen und verhindern, daß Grundstücke ungeachtet unterschiedlicher wertbestimmender Faktoren mit demselben Vom-Hundert-Satz ihres Sachwerts (Ausgangswerts) bewertet und der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Eine Art. 3 Abs. 1 GG verletzende Willkür des Verordnungsgebers liegt nicht vor.

d) Die WertzahlVO verletzt auch nicht deshalb den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, weil die auf den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 beruhenden Einheitswerte des Grundvermögens (einschließlich der im Sachwertverfahren ermittelten Einheitswerte) an dem hier maßgebenden Bewertungsstichtag 1. Januar 1988 sich von dem mit der Hauptfeststellung angestrebten (typisierten) gemeinen Wert inzwischen entfernt haben und weil sie auch untereinander nicht (mehr) in einer Relation stehen, die den tatsächlichen Wertverhältnissen gerecht wird. Denn dies ist nicht die Folge der Anwendung der WertzahlVO, sondern beruht auf dem Umstand, daß sich seit der Hauptfeststellung (1. Januar 1964) der Grundstücks- und Mietenmarkt so stark verändert hat, daß die dem Ertragswertverfahren und dem Sachwertverfahren zugrundeliegenden wertbestimmenden Faktoren nicht mehr zu Ergebnissen führen können, die sowohl beim Vergleich einzelner Grundstückseinheitswerte untereinander als auch beim Vergleich der Werte des Grundvermögens mit dem sonstigen Vermögen und dem Betriebsvermögen eine (annähernd) gleichmäßige Belastung sicherstellen (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782). Diese Mängel haften jedoch nicht der WertzahlVO als solcher an, sondern erfassen die gesamte Einheitsbewertung des Grundvermögens nach dem BewG, für die die WertzahlVO nur einer von mehreren Faktoren ist (vgl. § 90 BewG). Es verstößt deshalb gegen § 13 Nr. 11 BVerfGG i. V. m. Art. 100 Abs. 1 GG, wenn das FG die WertzahlVO als einen Bestandteil des vom BewG vorgesehenen Bewertungssystems herausgreift und für nichtig erklärt, um auf diesem Weg die Einheitsbewertung des Grundvermögens insgesamt außer Kraft zu setzen. Das FG hätte lediglich das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG einholen können.

Der erkennende Senat entscheidet hierüber in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Da auf den hier maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1988) eine rückwirkende Korrektur der Einheitswerte des Grundvermögens nicht durchführbar ist, sieht der Senat trotz der eingetretenen Wertverzerrungen aus den in seinem Beschluß in BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782, 785 dargelegten Gründen von einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung der §§ 76 f. BewG ab.

e) Wie das BVerfG mit Urteilen vom 10. Februar 1987 1 BvL 18/81, 1 BvL 20/82 (BStBl II 1987, 240) entschieden hat, ist die vom Gesetzgeber bei der Bewertung von Einfamilienhäusern getroffene Regelung im § 76 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 BewG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit die Anwendung des Sachwertverfahrens bei der Bewertung von Einfamilienhäusern zu höheren Einheitswerten führt als die Bewertung nach dem Ertragswertverfahren. Das BVerfG geht in seiner Entscheidung davon aus, daß die vom Gesetzgeber vorgesehene Zweigleisigkeit des Bewertungsverfahrens auf sachgerechten Erwägungen beruht. Die Bewertung im Sachwertverfahren bei Einfamilienhäusern nach der gesetzlichen Regelung setze voraus, daß sie sich durch ihre besondere Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den übrigen Einfamilienhäusern unterschieden. Diese maßgeblichen Kriterien rechtfertigen unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit die Festsetzung höherer Einheitswerte mit den entsprechenden steuerlichen Folgen im Verhältnis zu den in üblicher Weise erbauten Häusern. Die Anwendung der unterschiedlichen Bewertungsverfahren führe nicht notwendig zu untragbaren Ergebnissen. Da das Sachwertverfahren nach §§ 83 f. BewG zwingend die Anwendung einer Wertzahl zur Angleichung an den gemeinen Wert (§ 90 BewG) vorsieht, bestehen aus denselben Gründen auch gegen die WertzahlVO als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch sie beruht - wie oben dargelegt - auf sachgerechten Erwägungen.