| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 8.2.1995 (I R 126/93) BStBl. 1995 II S. 626

Ein Gewerbesteuermeßbescheid, den ein FA im Jahr 1981 an eine (atypisch) stille Gesellschaft richtete und der die Feststellung enthält, die im Adressenfeld des Bescheides genannte stille Gesellschaft sei Steuerschuldner i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG, ist nicht wegen fehlerhafter Feststellung des Steuerschuldners und unrichtiger Adressierung nichtig.

AO 1977 § 125 Abs. 1; GewStG § 5 Abs. 1 Satz 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH. An ihrem Gewerbebetrieb waren im Erhebungszeitraum 1976 (Streitjahr) die A-Familiengesellschaft und Kinder des Dr. A als atypisch stille Gesellschafter beteiligt. Für das Streitjahr gab die Klägerin auf Veranlassung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) - wie bereits für die Jahre 1972 bis 1975 - zwei Gewerbesteuererklärungen ab. Die eine Erklärung reichte sie als Vertreter der "A stille Gesellschaft" (künftig: stille Gesellschaft) ein, die andere für sich selbst. Das FA erließ am 18. September 1978 einen an die stille Gesellschaft gerichteten Gewerbesteuermeßbescheid, in dem es den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital des unter der Firma der Klägerin geführten Gewerbebetriebs der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages für das Streitjahr zugrunde legte. Außerdem erließ es einen an die Klägerin gerichteten Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr, in dem es gemäß § 9 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) den Gewinn der Klägerin um ihren Anteil am Gewinn der stillen Gesellschaft kürzte und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 0 DM festsetzte. Der an die stille Gesellschaft gerichtete Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr wurde mehrfach geändert. Der letzte Änderungsbescheid stammt vom 6. Juli 1981. Er ist - wie der durch ihn geänderte Bescheid vom 16. Februar 1981 - an die "A ... St G" adressiert und wurde nicht angefochten. Den durch diesen Bescheid festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag zerlegte das FA zugunsten der Gemeinden, in denen die Klägerin im Streitjahr Betriebsstätten unterhalten hatte. Die Gemeinden erließen auf der Grundlage der Zerlegungsmitteilungen Gewerbesteuerbescheide.

Im Dezember 1986 beantragte die Klägerin bei den Gemeinden, ihr die für das Streitjahr entrichteten Gewerbesteuern zu erstatten, soweit noch keine Zahlungsverjährung eingetreten sei. Sie machte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. November 1985 VIII R 364/83 (BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311) geltend, der den Steuerfestsetzungen zugrundeliegende Gewerbesteuermeßbescheid und die Gewerbesteuerbescheide seien unwirksam, da sie an die stille Gesellschaft und nicht an die Klägerin gerichtet worden seien. Außerdem beantragte die Klägerin beim FA, den Gewerbesteuermeßbescheid für das Streitjahr wegen Nichtigkeit ersatzlos aufzuheben oder seine Unwirksamkeit festzustellen.

Die Gemeinden entsprachen dem Antrag nicht. Das FA lehnte den Antrag durch Verwaltungsakt vom 12. Juni 1987 ab, gegen den die Klägerin ohne Erfolg Beschwerde einlegte. Das Finanzgericht (FG) hob den Verwaltungsakt auf und verpflichtete das FA, die Unwirksamkeit des Gewerbesteuermeßbescheids vom 6. Juli 1981 und des durch ihn geänderten Bescheids vom 16. Februar 1981 festzustellen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 285 veröffentlicht.

Mit der Revision macht das FA geltend, das Urteil des FG verletze §§ 4, 125 und 157 der Abgabenordnung (AO 1977).

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die an die stille Gesellschaft gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide für 1976 vom 16. Februar und 6. Juli 1981 sind nicht unwirksam.

1. Verwaltungsakte, zu denen auch die Gewerbesteuermeßbescheide gehören, sind gemäß § 125 Abs. 1 AO 1977 nichtig und damit unwirksam, soweit sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Kein derartiger Fehler liegt vor, wenn dem Verwaltungsakt zwar eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde liegt, diese aber über längere Zeit und auch noch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsakts praktiziert wurde, ohne daß die h. M. in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur dies für rechtsfehlerhaft hielt (s. Senatsurteil vom 10. November 1993 I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327).

2. Die Gewerbesteuermeßbescheide vom 16. Februar und 6. Juli 1981 sind zwar fehlerhaft.

Sie sind an die stille Gesellschaft gerichtet und enthalten - da in ihnen keine anderen Personen oder Rechtsgebilde als Steuerschuldner bezeichnet werden - die Feststellung, die im Adressenfeld der Bescheide genannte stille Gesellschaft sei Steuerschuldner i. S. des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG. Dies ist rechtsfehlerhaft. Atypisch stille Gesellschaften können keine Steuerschuldner i. S. von § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG sein und daher dürfen Gewerbesteuermeßbescheide nicht an sie adressiert werden (s. BFH-Urteil in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311).

Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des FA, die Bescheide seien dahingehend auszulegen, daß sie an die Klägerin gerichtet sind und die Feststellung der Steuerschuldnerschaft der Klägerin enthalten. Gegen diese Auslegung sprechen die vom FG festgestellten und vom FA nicht bestrittenen Adressierungen der Bescheide und die Tatsache, daß das FA auch einen - von den zu beurteilenden Bescheiden abweichenden - Gewerbesteuermeßbescheid an die Klägerin richtete.

3. Der Fehler der Bescheide ist aber nicht derart schwerwiegend und offenkundig, daß er zu ihrer Nichtigkeit und damit Unwirksamkeit führt.

a) Die Bescheide entsprechen hinsichtlich Feststellung des Steuerschuldners und Adressierung der Rechtsauffassung, die im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe von der Finanzverwaltung vertreten und praktiziert wurde. Eine davon abweichende h. M. in Rechtsprechung und Literatur bestand 1981 nicht. Auch der erkennende Senat hatte im Urteil vom 22. Juni 1983 I R 55/80 (BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63) die Ansicht vertreten, ein Gewerbesteuermeßbescheid dürfe an eine atypisch stille Gesellschaft gerichtet werden. Er hatte lediglich - um Verwechslungen hinsichtlich der Steuerschuldner auszuschließen - zusätzlich gefordert, daß die Mitunternehmer einzeln bezeichnet werden und die Art ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbindung im Bescheid zum Ausdruck kommt.

b) Die Gewerbesteuermeßbescheide vom 16. Februar und 6. Juli 1981 enthalten zwar nicht - wie dies die Rechtsprechung schon früher für Grunderwerbsteuerbescheide gegenüber Personengesellschaften und Bescheide über die einheitliche Feststellung von Einkünften gefordert hatte (s. BFH-Urteile vom 29. November 1972 II R 42/67, BFHE 108, 257, BStBl II 1973, 372; vom 17. März 1970 II 65/63, BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598; vom 28. März 1979 I R 219/78, BFHE 128, 14, BStBl II 1979, 718) - die namentliche Bezeichnung der einzelnen Mitunternehmer. Dies ist aber kein schwerwiegender zur Unwirksamkeit führender Fehler. Schwerwiegend wäre er nur, wenn er zu Verwechslungen hinsichtlich der Steuerschuldner hätte führen können. Das war im Streitfall ausgeschlossen. Aus der Adressierung der Bescheide ergab sich für die Klägerin als Empfängerin der Bescheide und Vertreterin der stillen Gesellschafter eindeutig, daß das FA die stille Gesellschaft als Steuerschuldnerin ansah und sich die Bescheide somit an diese Mitunternehmerschaft richteten. Welcher der verschiedenen stillen Gesellschaften die atypisch stillen Gesellschafter angehörten, war für diese Steuerschuldnerschaft ohne Belang und mußte daher in den Bescheiden nicht angegeben werden.

c) Der Senat weicht mit der Entscheidung nicht von Entscheidungen anderer Senate zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der an eine atypisch stille Gesellschaft gerichteten Gewerbesteuermeßbescheide ab. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf das Urteil in BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327 verwiesen.