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  BFH-Urteil vom 27.7.1995 (VI R 17/95) BStBl. 1995 II S. 728

Bei der Abgrenzung, ob die Umzugskosten eines verheirateten Arbeitnehmers Aufwendungen für die Lebensführung oder deshalb nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt sind, weil sich die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte regelmäßig arbeitstäglich um insgesamt mindestens eine Stunde verkürzen, sind die Fahrzeitersparnisse der Ehegatten nicht zusammenzurechnen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 26, § 26 b.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wohnten bis April 1992 in U. Beide Kläger waren als Arbeitnehmer in F. beschäftigt. Sie fuhren wegen unterschiedlicher Arbeitszeiten täglich getrennt mit dem PKW von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück. Die Entfernung zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte betrug bei beiden Klägern jeweils rund 22 km.

Im April 1992 zogen die Kläger nach Sch. bei F. um. Die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätten verkürzte sich dadurch bei beiden Klägern auf rund 4 km. Beide Kläger fuhren weiterhin wie zuvor getrennt mit dem PKW zur Arbeitsstätte und zurück.

Der Kläger machte die Umzugskosten als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte dies mit der Begründung ab, daß die Fahrzeitersparnis des Klägers nicht eine Stunde betragen habe und die Fahrzeitersparnis beider Ehegatten nicht zu addieren sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen statt und führte aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könnten beruflich veranlaßte Umzugskosten vorliegen, wenn der Arbeitnehmer durch den Umzug bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine Fahrzeitersparnis von täglich insgesamt einer Stunde erreiche (Urteil vom 22. November 1991 VI R 77/89, BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494). In konsequenter Fortführung der genannten Rechtsprechung des BFH reiche es aus, wenn sich durch den Umzug die Fahrzeit beider Kläger jeweils um insgesamt eine halbe Stunde täglich verkürze. Das Indiz der Fahrzeitersparnis von einer Stunde bei einem Arbeitnehmer und das Indiz der Fahrzeitersparnis von jeweils einer halben Stunde bei zwei Arbeitnehmern seien gleichgewichtig. Die Umzugskosten seien den Klägern je zur Hälfte zuzurechnen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 517 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision sinngemäß eine Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es vertritt die Auffassung, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit seien für jeden Arbeitnehmer gesondert zu ermitteln.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG sind die Kosten des Umzugs nicht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG) bei den Einkünften der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abziehbar.

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 16. Oktober 1992 VI R 132/88, BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610, 611, m. w. N.) können auch ohne Arbeitsplatzwechsel oder sonstige berufliche Veränderungen beruflich veranlaßte Umzugskosten und nicht Kosten der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG gegeben sein, wenn sich die Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und zurück regelmäßig arbeitstäglich um insgesamt mindestens eine Stunde verkürzen. In dem Urteil in BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610 hat der Senat die Frage dahingestellt gelassen, ob bei beiderseits berufstätigen Ehegatten die sich jeweils ergebenden Fahrzeitersparnisse zusammengerechnet werden dürfen. Die Frage ist dahin zu beantworten, daß entgegen der Auffassung der Vorinstanz bei einem Umzug verheirateter Arbeitnehmer die jeweiligen Fahrzeitersparnisse der Ehegatten nicht zusammenzurechnen sind.

Die Frage, ob ein Aufwand - wie regelmäßig die Kosten für den Wechsel einer Wohnung - zu den Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG gehört oder i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt ist, ist für jeden Arbeitnehmer getrennt zu entscheiden. Dies gilt auch für zusammenveranlagte Ehegatten. Auch bei ihnen sind zunächst die Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 2 EStG zu ermitteln, die sie jeweils erzielt haben, und erst danach erfolgt eine Zusammenrechnung (vgl. §§ 26, 26 b EStG). Für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) gelten insoweit auch keine Besonderheiten. So steht der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 2.000 DM nur dem Ehegatten zu, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (vgl. § 9 a Satz 1 Nr. 1 EStG). Die Regelung, daß sich bei Ehegatten, die nach §§ 26, 26 b EStG veranlagt werden, der Pauschbetrag auf das Doppelte erhöht, gilt nur bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 9 a Satz 1 Nr. 2 EStG).

Sind bei der Abgrenzung der Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG zu den Erwerbsaufwendungen die Indizien, die bei dem einzelnen Ehegatten für eine nahezu ausschließlich berufliche Veranlassung eines Aufwands sprechen, nicht ausreichend, so ist keine Gesamtwürdigung in der Weise vorzunehmen, daß den Ehegatten wechselseitig die jeweils in der Person des anderen Ehegatten vorliegenden und dort ebenfalls nicht ausreichenden Gründe für eine berufliche Veranlassung in der Weise zuzurechnen sind, daß die Gründe in ihrer Summe als ausreichend gewertet werden können. Dementsprechend vermag der Senat die Auffassung der Vorinstanz, bei der Entscheidung über das Vorliegen einer nahezu ausschließlich beruflichen Veranlassung seien das Indiz der Fahrzeitersparnis von einer Stunde bei einem Arbeitnehmer und das Indiz der Fahrzeitersparnis von jeweils einer halben Stunde bei zwei Arbeitnehmern gleichgewichtig, nicht zu teilen.

Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Die Kläger haben nicht geltend gemacht, daß die arbeitstägliche Fahrzeitersparnis bei einem von ihnen regelmäßig arbeitstäglich mindestens eine Stunde beträgt.