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  BFH-Urteil vom 21.6.1995 (II R 11/92) BStBl. 1995 II S. 802

Sind die Gerichte, Behörden und Notare sowie die an einem Erwerbsvorgang Beteiligten unabhängig voneinander zur Anzeige eines grunderwerbsteuerrechtlich relevanten Sachverhalts verpflichtet und erstattet einer der Verpflichteten dem zuständigen FA eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Anzeige, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist nicht dadurch weiter hinausgeschoben, daß die anderen ihre Anzeigepflicht nicht erfüllen.

GrEStG NW §§ 16 a, 18, 19, 20 (= GrEStG 1983 §§ 18, 19, 20); AO 1977 § 170 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 1. Juni 1982 verkaufte Frau A alle Geschäftsanteile an der A Wohnungsbau GmbH an die Kläger und Revisionskläger (Kläger) und trat die Anteile an diese ab. In derselben Urkunde veräußerte Frau A an die Kläger von ihrem Rechtsvorgänger auf Grundstücken der GmbH errichtete Gebäude. Der Preis dafür betrug 400.000 DM. Die Grundstücke waren in X gelegen.

Der beurkundende Notar reichte den Vertrag vom 1. Juni 1982 dem Finanzamt Y ein. Das Finanzamt Y übersandte eine Vertragskopie an die Kapitalverkehrsteuerstelle des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt X - FA -). Aufgrund einer Kontrollmitteilung vom 14. Oktober 1988 erlangte die Grunderwerbsteuerstelle des beklagten FA Kenntnis von dem Vertrag vom 1. Juni 1982. Das FA setzte daraufhin gegen die Kläger durch Bescheide vom 9. Mai 1989 Grunderwerbsteuer in Höhe von 20.720 DM und von 7.280 DM fest.

Hiergegen richtete sich die Klage, mit der in erster Linie Festsetzungsverjährung geltend gemacht wurde. Nach § 16 a des damals geltenden nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) habe die Festsetzungsfrist bereits 1982 begonnen, weil das FA in diesem Jahr Kenntnis von dem Vertrag erhalten habe. Der Notar habe nicht nur eine Vertragskopie an das Finanzamt Y, sondern auch an das FA übersandt. Das FA habe somit den Vertrag zweimal bekommen. Der Notar habe damit seine Anzeigepflichten hinreichend erfüllt. § 18 Abs. 3 GrEStG verlange nur, daß die Anzeige "dem für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Finanzamt" zu erstatten sei. Die Vorschrift stelle hinsichtlich des Verjährungsbeginns somit auf die Kenntnis des Finanzamts ab. Im übrigen habe die Veräußerin keine Verwertungsbefugnis an den strittigen Gebäuden besessen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der Rechtsvorgang unterliege nach § 1 Abs. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Frau A sei in der Lage gewesen, die strittigen Gebäude an die Kläger zu veräußern. Sie habe somit über eine der beiden Möglichkeiten der Verwertung i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG verfügt. Diese Verwertungsbefugnis habe sie durch den Vertrag vom 1. Juni 1982 auf die Kläger übertragen. Bei Erlaß der angefochtenen Bescheide sei die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten gewesen. Im Streitfall hätten die an dem Erwerbsvorgang Beteiligten ihrer Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 19 Abs. 4 GrEStG nicht genügt. Eine Anzeige im Sinne dieser Vorschrift sei nicht erfolgt. Dabei komme es nicht darauf an, ob Dritte ihrer Anzeigepflicht nach § 18 GrEStG nachgekommen seien. Die Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG bestehe in jedem Fall. Die Grunderwerbsteuerstelle des FA habe erst im Jahre 1988 Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten. Die Festsetzungsfrist habe deshalb nicht vor Ablauf des Jahres 1987 begonnen. Durch die Übersendung einer Abschrift des Vertrages vom 1. Juni 1982 vom Finanzamt Y an die Kapitalverkehrsteuerstelle des beklagten FA habe dieses keine Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten. Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang i. S. von § 16 a Satz 2 GrEStG bedeute positives Wissen aller für die Entstehung der Steuerschuld wesentlichen Umstände. Diese Kenntnis müsse bei der hierfür zuständigen Organisationseinheit des Finanzamts, der Grunderwerbsteuerstelle, vorhanden sein.

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung die angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide aufzuheben. Zur Begründung wird im wesentlichen angeführt: Das FG lege den Begriff der Verwertungsbefugnis falsch aus. Das FG mache sich zwar die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Zitat der Fundstellen zu eigen, ziehe aber daraus nicht die gebotenen Konsequenzen für den vorliegenden Fall. Jedenfalls sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da das FA bereits seit 1982 Kenntnis von dem angeblich steuerbaren Erwerbsvorgang gehabt habe. Es sei insoweit "unstreitig", daß der Notar den angeblichen Erwerbsvorgang ordnungsgemäß gemäß § 18 Abs. 1 und 3 GrEStG dem für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen FA (nämlich dem FA X) angezeigt habe. Wenn aber der Notar seine Anzeigepflicht erfüllt habe, dann bestehe - entgegen der Auffassung des FG - keine Veranlassung, dem Fehlen der zweiten Anzeige der am Erwerbsvorgang beteiligten Personen eine Relevanz für die Verjährung zuzubilligen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es widerspricht insbesondere der Auffassung, daß der Notar 1982 ihm eine förmliche Anzeige des Erwerbsvorgangs übersandt habe.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Auffassung des FG, daß im Streitfall der Tatbestand des § 1 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG erfüllt sei, wird von dem von ihm festgestellten Sachverhalt nicht getragen (wird ausgeführt).

2. Zu Recht hat das FG zwar angenommen, daß durch die Übersendung einer Abschrift des Vertrages vom 1. Juni 1982 vom Finanzamt Y an die Kapitalverkehrsteuerstelle des beklagten FA dieses keine "Kenntnis" von dem steuerpflichtigen Vorgang i. S. § 16 a Satz 2 GrEStG erhalten hat; zu Unrecht ist es jedoch der Auffassung, daß es für den Beginn der Festsetzungsfrist ohne Bedeutung sei, wenn der Notar seine Anzeigepflicht gegenüber dem im Streitfall für die Grunderwerbsteuer zuständigen FA - dem Beklagten - erfüllt hätte.

Nach § 16 a GrEStG, der nach § 23 Abs. 2 Satz 1 GrEStG 1983 i. V. m. Art. 97 § 3 Satz 1, 2. Halbsatz des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags über die Gebäude noch galt, begann die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer mit Ablauf des Jahres, in dem die Grunderwerbsteuer entstanden ist. Nach Satz 2 der Vorschrift begann die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen von den Beteiligten eine für Zwecke der Grunderwerbsteuer vorgeschriebene Anzeige nicht rechtzeitig eingegangen ist, nicht vor Ablauf des Jahres, in dem das Finanzamt Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten hat, spätestens jedoch fünf Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden ist. Zu Recht geht das FG insoweit davon aus, daß Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang i. S. von § 16 a Abs. 2 GrEStG positives Wissen aller für die Entstehung der Steuerschuld wesentlichen Umstände erfordert. Der Senat folgt dem FG auch darin, daß diese Kenntnis grundsätzlich bei der für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Organisationseinheit des zuständigen FA vorhanden sein muß. Eine Information, die lediglich potentiell die Möglichkeit für ein Grunderwerbsteuerfestsetzungsverfahren eröffnet, konkret aber nicht dazu führen kann, da sie lediglich einer anderen Stelle des FA vorliegt, die deren grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz möglicherweise nicht erkennt, ist kein positives Wissen in diesem Sinne. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine erkennbar und ausdrücklich für die Grunderwerbsteuerstelle bestimmte Information innerhalb des FA versehentlich fehlgeleitet wird. Diese Kenntnis müßte dem FA i. S. von § 16 a Satz 2 GrEStG zugerechnet werden.

Nicht folgen kann der Senat jedoch der Auffassung des FG, daß es für den Beginn der Festsetzungsfrist ohne Bedeutung ist, wenn eine von mehreren selbständig zur Anzeige verpflichteten Personen eine den Erfordernissen des § 20 GrEStG entsprechende Anzeige an das zur Entgegennahme der Anzeige zuständige FA gerichtet hat. Im Streitfall ist der Notar nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f GrEStG anzeigepflichtig gewesen. Anzeigepflicht bestand jedoch nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auch für die am Erwerbsvorgang als Vertragsteile beteiligten Personen. Beide Anzeigepflichten bestehen unabhängig voneinander. Die Erfüllung der Anzeigepflicht durch einen der dazu Verpflichteten entbindet die anderen grundsätzlich nicht von ihrer Pflicht. Hat jedoch einer der dazu Verpflichteten eine den Anforderungen des § 20 GrEStG entsprechende Anzeige an das zuständige Finanzamt erstattet, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 16 a Satz 2 nicht dadurch weiter hinausgeschoben, daß die anderen ihre Anzeigepflicht nicht erfüllen. Nach Erstattung einer formgültigen Anzeige ist die Einleitung eines Besteuerungsverfahrens dem FA ohne weiteres möglich; der Sicherungszweck der Vorschrift erfordert mithin kein weiteres Hinausschieben der Festsetzungsfrist.

Auch aus diesem Grund ist die von einer anderen Rechtsauffassung ausgehende Entscheidung des FG aufzuheben. Falls ein Grunderwerbsteueranspruch entstanden ist, wird es für den Beginn der Festsetzungsfrist ausschlaggebend sein, ob der Notar im Streitfall eine ordnungsgemäße Anzeige an das FA gerichtet hat. Für das Vorliegen dieser - von den Klägern behaupteten - Tatsache hat das FG bisher ausgehend von seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen wird es ggf. im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.