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  BFH-Urteil vom 12.10.1995 (I R 153/94) BStBl. 1996 II S. 201

1. Es bestimmt sich nach allgemeinen Einkünfteermittlungsgrundsätzen, wann steuerfreie Einnahmen erzielt sind und die Rechtsfolgewirkung des § 3 Nr. 2 EStG einsetzt.

2. Der sachliche Regelungszusammenhang zwischen § 3 Nr. 2 und § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zwingt dazu, die Rechtsfolge des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG für den Veranlagungszeitraum eintreten zu lassen, für den die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 EStG gilt.

3. Die Rückzahlung steuerfreier Lohnersatzleistungen wirkt sich auf die Rechtsfolge des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG erst im Veranlagungszeitraum der Rückzahlung aus.

EStG § 3 Nr. 2, § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1995, 102)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde für 1991 mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte in 1991 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 19.776 DM. In der Zeit vom 1. April bis 18. Dezember 1991 erhielt er 23.490 DM Arbeitslosengeld. Daneben erzielte er Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit als beratender Betriebswirt und aus gewerblicher Tätigkeit. Seine Ehefrau erzielte als Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Am 20. August 1991 teilte der Kläger dem Arbeitsamt L mit, er strebe eine selbständige Tätigkeit an. Am 20. Dezember 1991 setzte der Kläger das Arbeitsamt L davon in Kenntnis, daß sich aufgrund seiner freiberuflichen Tätigkeit seit Ende Oktober 1991 der Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verlagert habe. Diese Feststellungen veranlaßten das Arbeitsamt L, mit Bescheid vom 8. Januar 1992 den Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung ab 20. August 1991 zurückzunehmen. Es bewilligte dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 6. Januar 1992 ein Überbrückungsgeld sowie eine Leistung für Krankenversicherung und Altersversorgung in Höhe von insgesamt 3.000 DM. Zudem stellte es fest, daß das dem Kläger rechtmäßig zustehende Arbeitslosengeld im Jahre 1991 lediglich 12.632,40 DM betragen habe. Den zu Unrecht gezahlten Betrag (10.857,60 DM) forderte das Arbeitsamt L mit Bescheid vom 15. Juli 1992 zurück. Der Kläger zahlte diesen Betrag im Laufe des Jahres 1992 an das Arbeitsamt L zurück.

In der Einkommensteuererklärung 1991 erklärte der Kläger Lohnersatzleistungen in Höhe von 15.632 DM (12.632,40 DM + 3.000 DM = 15.632 DM). Demgegenüber setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) das gesamte im Jahre 1991 gezahlte Arbeitslosengeld als Lohnersatzleistung im Rahmen des Progressionsvorbehaltes an. Den Einspruch wies es am 29. März 1993 zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 102 veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 32 b Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. a) Nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG werden bestimmte Sozialleistungen in die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einbezogen, für das nach § 32 b Abs. 2 EStG ein besonderer Steuersatz zu berechnen ist. Die Sozialleistungen werden in § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG als Einnahmen angesprochen. Die Einnahmen werden gemäß § 32 b Abs. 2 Nr. 1 EStG nur durch den Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrages i. S. des § 9 a Nr. 1 EStG in Einkünfte umgewandelt, soweit der Pauschbetrag bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit noch nicht abgezogen wurde. Der Gesetzgeber ist bei der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes (StRG) 1990 vom 7. September 1990 (BGBl I 1990, 1898, BStBl I 1990, 453) davon ausgegangen, daß die Leistungen i. S. des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu den steuerbaren, jedoch steuerfreien Einkünften i. S. des § 3 Nr. 2 EStG gehören (vgl. BTDrucks 11/2157, S. 150 am Ende). Ob diese Annahme zutrifft, ist letztlich nicht entscheidend. Der Gesetzgeber war nicht gehindert, auch Leistungen dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen, die nicht zu den steuerbaren Einkünften zählten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. April 1988 VI R 74/86, BFHE 153, 363, BStBl II 1988, 674).

b) Nach der Begründung zum 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1523, BStBl I 1982, 235), durch welches erstmalig ein Kernbereich von Lohnersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt unterworfen wurde, besteht zwischen der Steuerfreiheit von Lohnersatzleistungen nach § 3 Nr. 2 EStG und ihrem Ansatz im Rahmen des Progressionsvorbehaltes gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ein unmittelbarer Regelungszusammenhang. Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 2 EStG bezieht sich zwar auf Einnahmen. Die Einnahmen müssen jedoch einer der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG zugeordnet werden können, um unter § 3 Nr. 2 EStG zu fallen. Sie sind um Aufwendungen i. S. des § 3 c EStG zu mindern. Entsprechend bestimmt sich nach allgemeinen Einkünfteermittlungsgrundsätzen, wann steuerfreie Einnahmen erzielt sind und die Rechtsfolgewirkung des § 3 Nr. 2 EStG einsetzt. Bei Einkünften i. S. der §§ 19 oder 22 EStG ist insoweit auf den Zufluß nach § 11 Abs. 1 EStG abzustellen, d. h. die entsprechenden Einnahmen werden im Zeitpunkt ihres Zuflusses erzielt.

c) Der sachliche Regelungszusammenhang, der zwischen der Steuerbefreiung der Leistungen nach § 3 Nr. 2 EStG und ihrer Erfassung innerhalb des Progressionsvorbehaltes nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG besteht, zwingt dazu, die Rechtsfolge des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG für den Veranlagungszeitraum eintreten zu lassen, für den die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 EStG gilt. Zwar verwendet § 32 b Abs. 1 EStG den Ausdruck "bezogen", während in § 2 Abs. 1 EStG von "erzielen" die Rede ist. Deshalb müssen beide Ausdrücke jedoch nicht in einem unterschiedlichen Sinne ausgelegt werden. Der Ausdruck "erzielen" bezieht sich auf "Einkünfte" und der Ausdruck "bezogen" auf Einnahmen. Beiden kommt die Aufgabe zu, Einkünfte bzw. Einnahmen einem bestimmten Steuersubjekt einerseits und einem bestimmten Veranlagungszeitraum andererseits zuzuordnen. Dies geschieht nach den für die jeweilige Einkunftsart geltenden Einkunftsermittlungsvorschriften. Da im Streitfall die steuerfreien Leistungen i. S. des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG nach der Vorstellung des Gesetzgebers entweder zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder zu den sonstigen Einkünften zählen sollten, bedeutet der Ausdruck "bezogen" die allgemeine zeitliche Zuordnung von Einnahmen, die nach den Regeln über die Überschußeinkünfte gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG erzielt wurden. Abzustellen ist insoweit auf den Zuflußzeitpunkt i. S. des § 11 Abs. 1 EStG.

d) Vor diesem Hintergrund ist für die Entscheidung über den Streitfall allein von Bedeutung, daß die Rückgewähr von Einnahmen im Bereich der Überschußeinkünfte i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht deren ursprünglichen Zufluß tangiert. Damit scheidet auch die Annahme einer steuerlich in die Vergangenheit wirkenden Rückgewähr aus. Der Senat folgt insoweit der überwiegend im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. Probst in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 32 b EStG Rdnrn. 53, 136 "Rückzahlung von Leistungen"; Merkert in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 32 b Rz. 20; Fitsch in Lademann/Söffing, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 32 b Rz. 11; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 32 b Rz. 8 c; Blümich/Krabbe, Einkommensteuergesetz, § 32 b Rz. 47; a. A. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 32 b Rz. 11). Ob die Rückgewähr von Einnahmen deshalb im Veranlagungszeitraum der Rückgewähr negative Einnahmen oder Werbungskosten auslöst und wie sich beides steuerlich in diesem Veranlagungszeitraum auf die Anwendung des § 32 b Abs. 2 EStG auswirkt, bedarf keiner Entscheidung, weil der Streitfall nur den Veranlagungszeitraum 1991 betrifft und nach den tatsächlichen Feststellungen des FG in diesem Veranlagungszeitraum keine Lohnersatzleistungen i. S. des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zurückgewährt wurden.

2. Die Vorentscheidung entspricht nicht diesen Grundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Für 1991 müssen alle dem Kläger zugeflossenen Lohnersatzleistungen im Rahmen des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt werden. Dem entspricht der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1991. Er ist rechtmäßig. Die Klage ist unbegründet. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.