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  BFH-Urteil vom 25.1.1996 (IV R 91/94) BStBl. 1996 II S. 289

Die Besteuerung eines aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten resultierenden Veräußerungsgewinns ist sachlich unbillig, wenn dem negativen Kapitalkonto Verluste zugrunde liegen, die der Steuerpflichtige wegen des Ausgleichs- und Abzugsverbots für gewerbliche Tierzucht und -haltung nicht hatte verrechnen können (Anschluß an BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).

EStG 1971 § 2a, § 10d; EStG 1975 § 15 Abs. 2; EStG 1979 § 10d; EStG 1979 i. d. F. vom 20. August 1980 § 15a, § 52 Abs. 20a Satz 4; EStG 1990 § 10d.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und ein weiterer Landwirt gründeten 1970 die X GmbH & Co. KG (KG). Sie waren beide an der KG als Kommanditisten mit einer Einlage von jeweils 140.000 DM beteiligt. Die KG errichtete eine Tierzucht, die sie zunächst selbst betrieb und ab 1. Juli 1973 verpachtete, ohne jedoch die Betriebsaufgabe zu erklären. Im Jahre 1980 wurden das Betriebsvermögen veräußert und der Betrieb aufgegeben. Die Verluste der KG machten insgesamt rd. 3,2 Mio. DM aus; sie führten zur Entstehung entsprechender negativer Kapitalkonten bei den beiden Kommanditisten. Die Einkünfte wurden vom zuständigen Betriebsstätten-Finanzamt einheitlich und gesondert festgestellt und dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) als dem zuständigen Wohnsitz-FA des Klägers mitgeteilt. In der Mitteilung für das Jahr 1973 waren die Verluste als solche aus gewerblicher Tierzucht und -haltung bezeichnet; in den übrigen Jahren fehlte eine solche Bezeichnung. Für das Streitjahr (1980) stellte das Betriebs-FA für den Kläger einen laufenden Verlust von 33.994 DM und einen Veräußerungsgewinn von 1.540.951 DM fest.

Das beklagte Wohnsitz-FA hatte die Einkommensteuer - 4 Mitteilungen für die Jahre 1973 bis 1979 - in der Weise ausgewertet, daß es für den gesamten Zeitraum Verluste aus gewerblicher Tierhaltung angenommen und dementsprechend die Verluste nicht berücksichtigt hatte. Daran hatte es auch festgehalten, nachdem das Betriebs-FA auf Anfrage betreffend die Einkünfte der KG für das Jahr 1976 mitgeteilt hatte, es handle sich nicht um nicht ausgleichs- und abzugsfähige Verluste aus gewerblicher Tierzucht und -haltung. Die Einkommensteuerbescheide wurden nicht angefochten.

Gegen die Gewinnfeststellung 1980 des Betriebs-FA erhob der Kläger Klage zum Niedersächsischen Finanzgericht (FG). Dieses erklärte durch Urteil vom 3. August 1988 IX 458/84 den Ausweis des Veräußerungsgewinns im Feststellungsbescheid 1980 zwar für rechtmäßig, korrigierte ihn aber dahin, daß von dem insgesamt festgestellten Veräußerungsgewinn in Höhe von 3.084.970 DM ein Betrag in Höhe von 1.059.933 DM auf die Auflösung negativer, aus Verlusten i. S. von § 2 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1971 und § 15 Abs. 2 EStG 1975 herrührender Kapitalkonten der beiden Kommanditisten entfallen sei. Den auf den Kläger entfallenden Betrag hatte es auf 514.640 DM festgestellt.

Mit Schreiben vom 27. Dezember 1988 beantragte der Kläger, die Einkommensteuer 1973 bis 1979 aus Billigkeitsgründen zu erstatten und die Einkommensteuer 1980 insoweit zu erlassen, als ein Veräußerungsgewinn von 514.640 DM angesetzt worden sei. Die Beschwerde blieb erfolglos. Die Oberfinanzdirektion (OFD) führte in der Beschwerdeentscheidung u. a. aus, hinsichtlich der Einkommensteuer 1973 bis 1979 läge eine sachliche Unbilligkeit nicht vor, weil es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen wäre, sich gegen die fehlerhaften Bescheide zu wehren. Für 1980 seien keine sachlichen Billigkeitsgründe gegeben. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich bestimmt, daß Verluste aus gewerblicher Tierhaltung mit anderen Einkünften nicht ausgleichsfähig seien. Er habe bewußt in Kauf genommen, daß Verluste, die zur Bildung negativer Kapitalkonten geführt hätten, später als Veräußerungsgewinne versteuert würden, selbst wenn die Verluste nicht hätten ausgeglichen werden können.

Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das FG sah die Versagung des begehrten Erlasses zwar hinsichtlich der bereits entrichteten Einkommensteuer 1973 bis 1979 als ermessensfehlerfrei an, weil es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen sei, sich gegen die nach seiner Meinung fehlerhaften Bescheide zu wehren.

Dagegen sei die Versagung des beantragten Erlasses der Einkommensteuer 1980 ermessensfehlerhaft, soweit sie aus dem Veräußerungsgewinn von 514.640 DM herrühre. Die Versteuerung sei vorliegend mit Sinn und Zweck der Versteuerung der aus dem Wegfall negativer Kapitalkonten anfallenden Veräußerungsgewinne nicht zu vereinbaren. Deren Erfassung sei die notwendige Folge aus der früheren Verlustzurechnung (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Nach der Rechtsprechung müsse der Kommanditist, der die Vorteile der Verlustzurechnung in Anspruch genommen habe, auch die sich daraus ergebenden Nachteile in Kauf nehmen. Seinen Niederschlag habe diese Rechtsprechung in § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG gefunden. Verluste aus gewerblicher Tierhaltung seien aber grundsätzlich nicht ausgleichs- und abzugsfähig. Der den Verlust erleidende Kommanditist werde gleichsam doppelt "bestraft", wenn bei dem Wegfall des negativen Kapitalkontos ein Veräußerungsgewinn versteuert werde. Eine derartige Folge habe der Gesetzgeber bei der Schaffung des Ausgleichs- und Abzugsverbots nicht in Kauf genommen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß im Streitfall ein Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit die einzige ermessensgerechte Entscheidung sei.

1. Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist.

Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971

GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), die durch die Gerichte nur nach Maßgabe des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder Ermessensfehlgebrauch geprüft werden kann.

Sachlich unbillig ist die Festsetzung oder Einziehung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, daß die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint (BFH-Urteile vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806; vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271; vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466; vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3; vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131, und vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 sowie Senatsurteile vom 11. Dezember 1986 IV R 77/84, BFH/NV 1987, 768, und vom 26. Mai 1994 IV R 51/93 BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833). Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, daß er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beantragten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441, und vom 13. Dezember 1994 2 BvR 89/91, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 227, Rechtsspruch 58). Dagegen rechtfertigen Härten, die dem Besteuerungszweck entsprechen und die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, einen Billigkeitserlaß nicht, sondern sind allenfalls durch eine Gesetzeskorrektur zu beheben (BVerfG-Beschluß in StRK, Abgabenordnung, § 227, Rechtsspruch 58; BFH-Urteile in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, und vom 23. November 1994 X R 124/92, BFHE 177, 246, BStBl II 1995, 824).

2. Die vom FG ausgesprochene Erlaßverpflichtung ist nach diesem Prüfungsmaßstab gerechtfertigt. Das Ermessen der Finanzbehörden ist in der Weise reduziert, daß als einzige Entscheidungsmöglichkeit nur der Erlaß verbleibt. Die vom Kläger vorgetragenen sachlichen Gründe, nämlich die Erfassung eines Veräußerungsgewinns aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos, obwohl die Verluste, die zur Entstehung des negativen Kapitalkontos geführt hatten, zuvor die Einkommensteuer des Klägers nicht gemindert hatten, lassen unter den Verhältnissen des Streitfalls die Festsetzung und Einziehung der Einkommensteuer 1980 als unbillig erscheinen.

a) Durch die Nachversteuerung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten im Falle der Betriebsaufgabe wird nicht ein tatsächlich eingetretener Vermögenszugang der Besteuerung unterworfen, sondern ein Ausgleich dafür geschaffen, daß dem Kommanditisten in der Vergangenheit Verluste zugerechnet wurden, obwohl sich sein gegenwärtiges Vermögen nicht gemindert hatte. Hierauf ist bereits der Große Senat des BFH in seinem Beschluß in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164 eingegangen. Diese Auffassung ist mit der Einführung von § 52 Abs. 20 a Satz 4 EStG durch Gesetz vom 20. August 1980 (BGBl I, 1545, BStBl I 1980, 589) - jetzt § 52 Abs. 19 Satz 4 EStG - bestätigt worden. Diese Vorschrift bestimmte nunmehr ausdrücklich, daß ein Kommanditist sein aufgrund von ausgleichs- und abzugsfähigen Verlusten negativ gewordenes Kapitalkonto im Falle der Auflösung der Gesellschaft durch Ansetzung eines Veräußerungsgewinns versteuern müsse. Wie sich aus der Begründung für den Gesetzesvorschlag ergibt, ist die Versteuerung des negativen Kapitalkontos als Ausgleich dafür angesehen worden, daß der Kommanditist zuvor die zum negativen Kapitalkonto führenden Verluste steuermindernd verrechnet hatte, obwohl er durch den Verlust im Jahre der Entstehung rechtlich und wirtschaftlich nicht belastet war (BTDrucks 8/3648 S. 25).

Das Gesetz macht die Versteuerung des negativen Kapitalkontos allerdings nicht davon abhängig, daß der Kommanditist die Ausgleichs- und Abzugsmöglichkeiten aus der Entstehung des negativen Kapitalkontos tatsächlich in Anspruch genommen hat (in diesem Sinne bereits Senatsurteil vom 25. August 1966 IV 307/65, BFHE 87, 130, BStBl III 1967, 69). Die Lage der Steuerpflichtigen hat sich seit dem 1. Januar 1985 jedoch dadurch gebessert, daß sie entstandene, aber nicht ausgeglichene Verluste nunmehr ohne die zuvor nach § 10 d Satz 4 EStG bestehende zeitliche Begrenzung vortragen, ggf. also sogar gegen den aus der Nachversteuerung des negativen Kapitalkontos entstehenden Veräußerungsgewinns verrechnen können (Steuerreformgesetz - StRG - 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224). Nach Meinung des X. Senats des BFH ist diesem Sinneswandel des Gesetzgebers auch Rechnung zu tragen, wenn ein negatives Kapitalkonto versteuert werden soll, obwohl die zugrundeliegenden Verluste nicht mit anderen Einkünften ausgeglichen und nach der früheren Regelung des § 10 d Satz 4 EStG auch nicht gegen spätere Einkünfte vorgetragen werden konnten; in diesem Fall müsse aus Billigkeitsgründen von der Nachversteuerung abgesehen und die entstandene Einkommensteuerschuld erlassen werden (Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).

b) Der erkennende Senat schließt sich dem für den Fall an, daß das negative Kapitalkonto durch Verluste aus gewerblicher Tierhaltung i. S. von § 2 a EStG 1971 und § 15 Abs. 2 EStG 1975 (jetzt § 15 Abs. 4 EStG) entstanden ist.

Zwar war die Berücksichtigung solcher Verluste in besonderer Weise erschwert, da sie nur gegen andere Gewinne aus Tierzucht und Tierhaltung ausgeglichen und auch nur gegen solche Gewinne nach Maßgabe von § 10 d EStG vorgetragen werden konnten. Die Aufhebung der zeitlichen Begrenzung für den Verlustvortrag in § 10 d EStG durch das StRG 1990 bedeutete aber, daß die entstandenen Verluste jedenfalls den Gewinn aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos minderten. Dieser Änderung ist nunmehr auch dann Rechnung zu tragen, wenn die Verluste zu einer Zeit entstanden sind, in der sie nur zeitlich begrenzt vorgetragen werden konnten und deshalb den Gewinn aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos nicht mindern können.

Die Nichtberücksichtigung der früheren Verluste würde eine Härte bedeuten, die nach Änderung des § 10 d EStG nicht mehr im Sinne des Gesetzgebers liegt. Die Regelungen des § 2 a EStG 1971 und des § 15 Abs. 2 EStG 1975 hatten zum Ziele, den Inhabern gewerblicher Tierhaltungsbetriebe Steuervorteile aus dem Ausgleich von Verlusten mit anderen Einkünften zu versagen, weil herkömmliche Landwirte diese Möglichkeit im allgemeinen nicht haben (Senatsurteil vom 5. Februar 1981 IV R 163/77, BFHE 132, 456, BStBl II 1981, 359). Dieser Zweck gebietet aber nicht, die aufgelaufenen, wirkungslos gebliebenen Verluste nachträglich noch mit Einkommensteuer zu belegen.

3. Die Sache ist spruchreif. Zu Recht hat das FG entschieden, daß in dieser Lage nur der Erlaß der auf den Veräußerungsgewinn von 514.640 DM entfallenden Einkommensteuer als ermessensgerechte Entscheidung bezeichnet werden kann.