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  BFH-Urteil vom 27.3.1996 (I R 112/95) BStBl. 1996 II S. 480

1. Die Umwandlung einer PGH/ELG in eine e. G. ist eine übertragende (Fortführung von BFH-Urteil vom 27. Oktober 1994 I R 60/94, BFHE 176, 369, BStBl II 1995, 326).

2. Sollte eine ELG eine e. G. im Sinne des GenG geblieben sein, ist ihre "Umwandlung" bloße Satzungsänderung.

PGH-VO §§ 4 ff.; EinigVtr Art. 19 Anlage II Kap. V Sachgebiet A Abschn. III Nr. 4.

Vorinstanz: Sächsisches FG (EFG 1996, 194)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) eine zum 19. Februar 1991 in eine eingetragene Genossenschaft (e. G.) umgewandelte Einkaufs- und Liefergenossenschaft des Handwerks (ELG). Sie begehrte bei der Veranlagung für das Streitjahr 1991, den für die ELG im zweiten Halbjahr 1990 festgestellten Verlust gemäß § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) bzw. § 10 a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu berücksichtigen. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit der Begründung ab, daß die Umwandlung einer ELG in eine e. G. eine übertragende sei. Im Einspruchsverfahren verrechnete er allerdings die bis zum 19. Februar 1991 entstandenen Gewinne der Klägerin mit den Verlusten der ELG des zweiten Halbjahres 1990.

Die Klage hatte Erfolg.

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung der §§ 3, 4, 5 der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH-VO) vom 8. März 1990 (Gesetzblatt der DDR - GBl DDR - Teil I 1990, 164) und beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision des FA ist das Urteil des FG aufzuheben. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i. V. m. § 57 Abs. 4 Satz 2, § 10 d Abs. 2 EStG und § 36 Abs. 5 a GewStG i. V. m. § 10 a GewStG können Körperschaften Verluste, die im Beitrittsgebiet im Veranlagungszeitraum 1990 entstanden sind, vortragen.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können grundsätzlich nur von demjenigen Steuerpflichtigen Verluste steuerlich geltend gemacht werden, der diese erlitten hat. Für die Fälle einer Umwandlung folgt daraus, daß die Verlustberücksichtigung u. a. eine rechtliche Identität zwischen den an der Umwandlung beteiligten Körperschaften voraussetzt (vgl. § 8 Abs. 4 KStG). Diese ist bei der formwechselnden, nicht aber bei der übertragenden Umwandlung gegeben (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1994 I R 60/94, BFHE 176, 369, BStBl II 1995, 326, m. w. N.).

Für die Umwandlung einer ELG gemäß §§ 9, 4 PGH-VO in eine GmbH hat der Senat bereits entschieden, daß es sich um eine übertragende Umwandlung handelt. Dieselben Rechtsgrundsätze gelten für eine nach den genannten Vorschriften in eine e. G. umgewandelte PGH/ELG. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Entscheidung des Senats in BFHE 176, 369, BStBl II 1995, 326 hingewiesen (ebenso BFH-Beschluß vom 17. August 1995 II B 44/95, BFH/NV 1996, 173). Der Bundesgerichtshof (BGH) geht allerdings im Urteil vom 21. September 1995 II ZR 236/94 (Wertpapiermitteilungen IV 1996, 300) ohne nähere Prüfung von einer formwechselnden Umwandlung aus. Der Charakter der Umwandlung war aber für den BGH entscheidungsunerheblich ("obiter dictum"), so daß eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht erforderlich ist.

Die Auffassung des FG, eine förmliche Umwandlung einer PGH/ELG in eine e. G. scheide schon deswegen aus, weil die PGH/ELG mit Inkrafttreten der PGH-VO bzw. des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Juni 1990 (GBl DDR Teil I 1990, 357) in eine e. G. umstrukturiert worden sei, wird vom DDR-Recht nicht getragen (ebenso BGH, a. a. O.).

Wie der Senat im Urteil vom 16. März 1994 I R 146/93 (BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941) entschieden hat, ist bei der Auslegung von DDR-Rechtsnormen an das Rechtsverständnis des DDR-Rechts anzuknüpfen, eingeschränkt allerdings gemäß Art. 19 des Einigungsvertrages (EinigVtr) durch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Maßgebend ist im Streitfall daher allein, ob nach DDR-Recht die PGH/ELG und die e. G. unterschiedliche Rechtsgebilde waren. Dies ist zu bejahen. Die PGH/ELG war eine Genossenschaft sozialistischer Prägung. Sie unterlag bis zum 19. März 1990 einem verbindlichen Musterstatut und wurde beim Rat des Kreises registriert (vgl. §§ 1, 2 und Anlage der Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. März 1973, GBl DDR Teil I 1973, 121; Musterstatut der Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks vom 6. Februar 1986, GBl DDR Teil I 1986, 65; § 10 Abs. 2 PGH-VO). Sie wurde daher nicht als solche im Genossenschaftsregister gemäß § 10 Abs. 1 mit der Folge des § 13 des in der DDR fortgeltenden Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889 (Genossenschaftsgesetz) einzutragende Genossenschaft beurteilt (vgl. ebenso Beuthien/Becker, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1992, 83; anders aber in ZIP 1992, 1143, s. dort aber Fn. 2, m. w. N.).

Die PGH-VO hat daran nichts geändert. Sie stellte in den §§ 1, 2 die PGH/ELG als solche auf eine neue Rechtsgrundlage. Nach § 3 PGH-VO sollte für ihre Gründung und Tätigkeit "im übrigen" das Genossenschaftsgesetz (GenG) Anwendung finden, soweit die PGH-VO selbst keine abweichenden Regelungen enthielt. Wäre die PGH/ELG mit dem Erlaß der PGH-VO eine e. G. im Sinne des GenG geworden, so hätte es der Regelungen in §§ 1 bis 3 PGH-VO überhaupt nicht bedurft. Durch § 20 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik wurde lediglich das GenG in der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Fassung übernommen. Zur Rechtsnatur der sozialistischen Genossenschaft enthält diese Bestimmung keinerlei unmittelbare oder auch nur mittelbare Aussage.

Die fehlende rechtliche Identität von PGH/ELG und e. G. wird hingegen bestätigt durch Anl. II Kap. V Sachgebiet A Abschn. III Nr. 4 EinigVtr, wonach Produktionsgenossenschaften mit Wirkung zum 31. Dezember 1992 aufgelöst wurden, sofern ihre Umwandlung nach den Vorschriften der PGH-VO in eine der in § 4 Abs. 1 PGH-VO genannten Rechtsformen oder in eine e. G. nicht bis zu diesem Zeitpunkt vollzogen war und durch § 27 Abs. 1 des Gesetzes über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik vom 29. Juni 1990 - Landwirtschaftsanpassungsgesetz - (GBl DDR Teil I 1990, 642), wonach eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG), ebenfalls eine Genossenschaft vergleichbarer sozialistischer Prägung, durch Formwechsel in eine e. G. umgewandelt werden konnte. Wäre nach dem Rechtsverständnis der DDR die LPG rechtlich einer Genossenschaft im Sinne des GenG gleichgestellt gewesen, so hätte es weder der vertraglichen noch der gesetzlich angeordneten Umwandlung in eine e. G. (vgl. auch § 69 Abs. 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes) bedurft.

Wenn das FG ferner meint, daß § 4 PGH-VO die Umwandlung einer PGH/ELG in eine e. G. tatbestandsmäßig nicht abdeckt, so würde dies die Möglichkeit der Umwandlung und damit gleichermaßen die Geltendmachung von Verlusten der ELG durch die Klägerin ausschließen. Nach Auffassung des Senats sollten §§ 4 ff. PGH-VO auch die Umwandlung in eine e. G. erfassen (vgl. § 4 Abs. 2 PGH-VO). Spätestens durch den EinigVtr (s. o.) und nicht erst durch Art. 8 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl I 1991, 766, 787) wurde § 4 Abs. 1 PGH-VO in diesem Sinne ergänzt.

Art. 3 des Grundgesetzes wird durch die unterschiedliche Behandlung von natürlichen Personen und der in Form einer Rechtsübertragung umgewandelten Unternehmen nicht verletzt. Diese findet ihre Rechtfertigung in der fehlenden rechtlichen Identität desjenigen, der den Verlust erlitten hat und der ihn steuerlich berücksichtigt wissen will.

2. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Dieses hat, aus seiner Sicht zu Recht, bislang noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin nicht bereits vor dem 19. Februar 1991 eine e. G. im Sinne des GenG war.

Da das Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889 i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 in der DDR fortgalt (vgl. § 20 Nr. 3 des Gesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik) bestand - jedenfalls rechtlich - die Möglichkeit, eine Genossenschaft im Sinne des GenG zu gründen. In dem vom Senat bereits in BFHE 176, 369, BStBl II 1995, 326 entschiedenen Fall ging es um eine ELG "eingetragene Genossenschaft" (vgl. auch Beuthien, ZIP 1992, 1143, 1145). Sollte die Klägerin bereits vor ihrer "Umwandlung", zu der das FG bisher keine Feststellungen getroffen hat, als Genossenschaft eingetragen gewesen sein, so wäre sie zum 19. Februar 1991 gar nicht im Rechtssinne umgewandelt worden, sondern hätte sich lediglich ein neues Statut gegeben. Andeutungen in diese Richtung enthalten der Jahresabschluß zum 31. Dezember 1991 (S. 2) und die Eintragung im Genossenschaftsregister vom 18. Januar 1993 (Sp. 5).