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  BFH-Urteil vom 7.3.1996 (V R 14/95) BStBl. 1996 II S. 491

Der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber kann rechtsmißbräuchlich sein, wenn ein insolventer Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung aufgrund einer nachträglich vereinbarten Erhöhung der Gegenleistung als steuerpflichtig behandelt und wenn mit dem zusätzlichen Kaufpreis Gläubiger des Veräußerers befriedigt werden, denen der Erwerber selbst für die auf diese Weise erfüllten Ansprüche einzustehen hatte.

UStG 1980 § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2; AO 1977 § 42; FGO § 139 Abs. 3 Satz 3.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1995, 594)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine GmbH & Co. KG - wurde 1983 im Rahmen einer Aufspaltung der B & Co. KG (KG), die sich zu diesem Zeitpunkt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, gegründet. An beiden Gesellschaften waren dieselben Kommanditisten in demselben Verhältnis beteiligt.

Aufgrund notariell beurkundeten Vertrages vom 24. Oktober 1983 erwarb die Klägerin von der KG deren Betriebsgrundstück. Nach diesem Vertrag sollte die Klägerin in Höhe des bilanzmäßig ausgewiesenen Buchwertes des Grundstücks die durch Belastungen in Abt. III des Grundbuchs gesicherten Verbindlichkeiten der KG übernehmen. Soweit die in Abt. III eingetragenen Belastungen den Buchwert überstiegen, sollte die Klägerin die zugrundeliegenden Verbindlichkeiten übernehmen und in gleicher Höhe der KG ein Darlehen gewähren oder eine Kommanditbeteiligung an der KG übernehmen. Außerdem verpflichtete sich die Klägerin gegenüber einer Bank, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der KG als Bürgerin einzustehen.

Anfang 1984 erteilte die KG der Klägerin eine Rechnung über den Verkauf von Anlagegegenständen, insoweit unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer, und über den Verkauf des Betriebsgrundstücks, insoweit ohne gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer (Entgelt ohne Umsatzsteuer insgesamt: 8.911.538,42 DM; Rechnungsbetrag: 9.148.212,76 DM). Die Zahlung des Rechnungsbetrages sollte nach den Angaben in der Rechnung in Höhe des Nettokaufpreises der Anlagegegenstände zuzüglich des Kaufpreises für das Grundstück durch Übernahme von Krediten seitens der Klägerin erfolgen.

Über das Vermögen der KG wurde am 26. Juni 1985 das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin wurde aus der Bürgschaft, die sie anläßlich des Grundstückskaufs übernommen hatte, in Höhe von 2,4 Mio. DM in Anspruch genommen.

Im Rahmen einer Außenprüfung verwehrte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) der Klägerin den Vorsteuerabzug aus der Rechnung über den Grundstücksverkauf mit der Begründung, eine Grundstücksveräußerung könne nur entweder insgesamt umsatzsteuerfrei oder insgesamt umsatzsteuerpflichtig sein.

Daraufhin erteilte der Konkursverwalter der KG unter dem 26. Juni 1989 der Klägerin erneut eine Rechnung. In dieser wies er nunmehr Umsatzsteuer sowohl wegen des Verkaufs der Anlagegegenstände als auch hinsichtlich des Verkaufs des Grundstücks - insoweit zuzüglich zum Verkaufspreis in der ersten Rechnung - in einer Gesamthöhe von 1.247.404,37 DM aus (Entgelt ohne Umsatzsteuer: 8.910.931,18 DM; Rechnungsbetrag: 10.157.435,55 DM). Die Klägerin zahlte die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an den Konkursverwalter der KG. Das Grundstück veräußerte sie im August 1990 steuerpflichtig weiter.

Das FA lehnte im Umsatzsteuerbescheid für 1989 vom 10. Oktober 1990 und in der Einspruchsentscheidung vom 30. April 1992 den Abzug des Vorsteuerbetrages für den Grundstückskauf wegen rechtsmißbräuchlicher Gestaltung (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ab.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage - durch sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 594 veröffentlichtes Urteil - als unbegründet zurück. Hierzu führte es im wesentlichen aus, die nachträgliche Kaufpreisänderung in Verbindung mit der Option für Steuerpflicht sei ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Es ließen sich keine beachtlichen nichtsteuerlichen Gründe für die Zustimmung der Klägerin zur Änderung der Kaufpreisvereinbarung mit der KG erkennen. Die Zustimmung sei nur aufgrund der personellen und wirtschaftlichen Verflechtung von KG und Klägerin verständlich. Die Klägerin habe ihre Gläubigerstellung als Darlehensgeberin gegenüber der KG zu Lasten eines Dritten gesichert.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) und trägt dazu vor, § 42 AO 1977 stehe dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Bereits vor Eintritt der Insolvenz der KG hätten die Vertragsparteien die Grundstückslieferung einvernehmlich der Umsatzsteuer unterworfen. Die zweite Rechnung sei nur ausgestellt worden, weil die erste Rechnung sie - die Klägerin - nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt habe. Weder sie selbst noch ihre Gesellschafter hätten sich durch die Option für Steuerpflicht einen wirtschaftlichen Vorteil zu Lasten des FA verschafft. Sie - die Klägerin - könne ihre Forderungen gegenüber der KG bestenfalls erst durchsetzen, nachdem die bevorrechtigte Forderung des FA aus der Option der KG befriedigt worden sei. Die streitige Vorsteuer komme daher in keinem Fall ihr - der Klägerin - oder ihren Gesellschaftern zugute.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision überdies mangelnde Sachaufklärung durch das FG. Sie macht geltend, das FG habe es pflichtwidrig unterlassen, die Umstände der Erstellung der ersten Rechnung zu ermitteln und zu würdigen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung weitere Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.247.404,37 DM zum Abzug zuzulassen und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Würdigung durch das FG, § 42 AO 1977 stehe dem von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzug entgegen, wird durch die vom FG getroffenen Feststellungen nicht getragen.

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

Wie das FG rechtsfehlerfrei entschieden hat, sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt; hierüber besteht unter den Beteiligten kein Streit. Insbesondere war der Konkursverwalter der KG befugt, für die KG eine Rechnung auszustellen, die sich auf einen Liefervorgang vor Konkurseröffnung bezog (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 6. Mai 1981 VIII ZR 45/80, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1981, 678). Ausstellerin dieser Rechnung i. S. der §§ 14, 15 UStG 1980 ist die KG als leistende Unternehmerin (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Juni 1994 VII R 34/92, BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230 unter 1.). Ob der Konkursverwalter zivil- und konkursrechtlich berechtigt war, mit der Klägerin eine nachträgliche Vereinbarung über die Erhöhung des Kaufpreises zu treffen und ob er die Grundstückslieferung wirksam als steuerpflichtig behandeln konnte (§ 9 Abs. 1 UStG 1980), braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil die Berechtigung der Klägerin zu dem umstrittenen Vorsteuerabzug hiervon nicht abhängt (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1987 V R 154/83, BFHE 152, 161, BStBl II 1988, 508).

2. Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Klägerin als Grundstückserwerberin eine mißbräuchliche Gestaltung mit der sich aus § 42 Satz 2 AO 1977 ergebenden Rechtsfolge der Verweigerung des Vorsteuerabzugs entgegengehalten werden kann. Der Umstand, daß die Klägerin der KG ein - möglicherweise kapitalersetzendes - Darlehen gewährt haben könnte, erklärt nicht hinreichend, warum der Vorteil des Vorsteuerabzugs nicht durch die Erhöhung des Kaufpreises aufgewogen wird.

Nach § 42 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

a) Zwar ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, wenn der Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (vgl. Senatsurteile vom 24. Februar 1994 V R 80/92, BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, und vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866). Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber allerdings für den Fall angenommen, daß der Erwerber den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen - infolge der wirtschaftlichen Situation des Veräußerers notleidenden - Gegenforderungen verrechnet (vgl. Senatsurteile in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, und vom 23. September 1993 V R 3/93, BFH/NV 1994, 745). Bei einer derartigen Gestaltung wird der Fiskus in Höhe des geltend gemachten Vorsteueranspruchs im wirtschaftlichen Ergebnis vom Erwerber zur Tilgung seiner wertlosen Forderung gegen den überschuldeten Veräußerer herangezogen. Der Grundstückserwerber will, wirtschaftlich gesehen, insoweit seine notleidende Forderung gegenüber dem Veräußerer gegen einen sicher realisierbaren Vorsteuerabzugsanspruch austauschen. Dies geschieht auf Kosten des Fiskus, der von einer Erhebung der entsprechenden Umsatzsteuer bei dem überschuldeten Lieferer infolge der Verrechnung des Kaufpreisanspruchs seitens des Erwerbers praktisch ausgeschlossen ist (vgl. hierzu Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 42 AO 1977 Tz. 36; Weiß, UR 1991, 317; Wagner, Die Rechtsprechung zum Gestaltungsmißbrauch im Umsatzsteuerrecht, in: Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, Festschrift für Franz Klein, Köln, 1994, S. 977 ff.).

Ein derartiger Sachverhalt ist im Streitfall insofern nicht gegeben, als die Klägerin den erörterten Umsatzsteuerbetrag an die KG nach den - nicht eindeutigen - Feststellungen des FG wohl bezahlt hat. Der Vorteil des Vorsteuerabzugs, den die Klägerin durch den Verzicht der KG auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung erlangt hat, wird dadurch ausgeglichen, daß die Klägerin außer der Übernahme von Verbindlichkeiten der KG die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer an die KG bezahlen mußte.

Einen darüber hinaus der Klägerin verbleibenden steuerlichen Vorteil hat das FG in seiner Entscheidung zwar angenommen, jedoch hat es keine Feststellungen getroffen, die diese Annahme nachvollziehbar stützen.

b) Ob der Klägerin bei der hier gewählten Gestaltung ein für die Anwendung des § 42 AO 1977 erforderlicher ungerechtfertigter Steuervorteil in anderer Weise zugute kommt, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht entscheiden.

Ein ungerechtfertigter Steuervorteil könnte vorliegen, wenn die Klägerin durch die Entrichtung der ihr in Rechnung gestellten Umsatzsteuer an die KG bloß einen Betrag gezahlt hätte, den sie ohnehin aufgrund der Bürgschaft oder der dinglichen Belastung des Grundstücks zugunsten der Konkursgläubiger zahlen mußte. Sie hätte dann infolge der nachträglichen Abänderung des notariell beurkundeten Vertrages über den Grundstückserwerb einen Vorsteuerabzug ohne entsprechenden zusätzlichen Aufwand erlangt.

Dieser wirtschaftliche Vorteil wäre wegen seines engen Zusammenhangs mit dem von der Klägerin erstrebten Vorsteuerabzug ein ungerechtfertigter Steuervorteil der Klägerin i. S. des § 42 AO 1977, der die Mitwirkung der Klägerin an der nachträglichen Erhöhung des Kaufpreises als Mißbrauch erscheinen ließe. Durch die nachträgliche Erhöhung des Kaufpreises im Umfange der entsprechenden Umsatzsteuer wären die Option der KG für die Steuerpflicht der Grundstückslieferung und die damit zusammenhängende Auslösung eines Anspruchs der Klägerin auf Vorsteuerabzug vorgenommen worden, um die zwischenzeitlich eingetretenen negativen Auswirkungen der Bürgschaft bzw. Grundstücksbelastungen für die Klägerin nachträglich auszugleichen. Dies alles würde auf Kosten des Fiskus geschehen sein, der aufgrund des Konkurses der KG von einer Erhebung der dem Vorsteuerabzug entsprechenden Umsatzsteuer völlig ausgeschlossen oder auf eine Befriedigung lediglich nach Maßgabe der Konkursquote beschränkt wäre.

3. Da die Feststellungen des FG die Verweigerung des Vorsteuerabzugs für die Klägerin wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977) nicht tragen und deshalb für eine Entscheidung in dieser Frage durch den Senat nicht ausreichen, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben, insbesondere dazu, ob mit Hilfe des von der Klägerin an die KG gezahlten zusätzlichen Kaufpreises Gläubiger der KG befriedigt wurden, denen die Klägerin selbst hinsichtlich der auf diese Weise erfüllten Ansprüche einzustehen hatte. Das FG wird zudem Gelegenheit haben zu prüfen, ob § 15 Abs. 2 UStG 1980 dem von der Klägerin begehrten Vorsteuerabzug entgegensteht. Nach den Feststellungen des FG veräußerte die Klägerin das von der KG mit Vertrag vom 24. Oktober 1983 erworbene Grundstück erst im August 1990 weiter. In welcher Weise die Klägerin das Grundstück in der Zwischenzeit nutzte, ist bisher seitens des FG nicht festgestellt worden.

4. Der Senat braucht angesichts der bisherigen Ausführungen nicht darauf einzugehen, ob die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge zulässig und begründet ist.

5. Der Antrag der Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Über ihn befindet nicht der BFH, sondern das FG. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 18. Juli 1967 GrS 5-7/66 (BFHE 90, 150, BStBl II 1968, 56) gehört eine Entscheidung gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO sachlich in das Kostenfestsetzungsverfahren und kann beim Gericht des ersten Rechtszugs unbefristet erwirkt werden.