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  BFH-Urteil vom 30.5.1996 (V R 2/95) BStBl. 1996 II S. 493

Bei der Frage, ob eine gastspielverpflichtete Opernsängerin in den Theaterbetrieb eingegliedert und deshalb nichtselbständig oder selbständig tätig ist, ist nicht einseitig auf die Verpflichtung zur Teilnahme an Proben abzustellen (Abgrenzung zum Schreiben des BMF vom 5. Oktober 1990 IV B 6 - S 2332 - 73/90, BStBl I 1990, 638).

UStG 1980 § 2 Abs. 1; LStDV 1990 § 1 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Opernsängerin. Seit 1978 lebt und arbeitet sie in Europa.

Ab 1982 übernahm sie in stetig steigendem Ausmaß mit Hilfe einer für sie tätigen Agentur Gastspielverpflichtungen als Solistin an Bühnen im In- und Ausland (Erhebungsgebiet und Außengebiet). In den Streitjahren (1984 und 1985) trat sie in folgenden Städten des Erhebungsgebiets auf: in W, S, H, B, M und K.

Die Gastspielverträge legten die von der Klägerin zu übernehmende Partie, die voraussichtliche Zahl der Aufführungen, das Honorar und die Fahrtkostenerstattung fest, teilweise wurde auch die Teilnahme an den Proben ausdrücklich geregelt. Auch ohne besondere Vereinbarung hat die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) an Proben teilgenommen, um sich in künstlerischer Hinsicht in das Ensemble (künstlerische Konzeption) einzubinden. Lohnsteuer wurde in den Streitjahren nicht einbehalten. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung wurden laut einer Bescheinigung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für vier Monate im Jahre 1985 abgeführt.

Die Klägerin gab für die Streitjahre Einkommensteuererklärungen ab, in denen sie ihre inländischen Honorareinnahmen nach Abzug der Aufwendungen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit erklärte. Umsatzsteuererklärungen gab sie nicht ab.

Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß die Klägerin beschränkt steuerpflichtig sei, und erließ gegen sie Einkommensteuernachforderungsbescheide nach § 50 a des Einkommensteuergesetzes (EStG); gleichzeitig veranlagte er sie entsprechend den Feststellungen des Prüfers zur Umsatzsteuer.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte lediglich wegen der Einkommensteuer Erfolg; die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide wies das FG ab. Es würdigte die Gastspiele, um die es in den Umsatzsteuerbescheiden ging, dahin, daß die Klägerin diese Tätigkeit selbständig und nicht als Arbeitnehmerin der Theater ausgeübt habe.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision, soweit es die Umsatzsteuer betrifft. Sie meint, sie sei nichtselbständig tätig gewesen und damit keine Unternehmerin i. S. von § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) gewesen. Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 5. Oktober 1990 IV B 6 - S 2332 - 73/90 (BStBl I 1990, 638) seien gastspielverpflichtete Sänger in den Theaterbetrieb eingegliedert, wenn sie eine Rolle in einer Aufführung übernähmen und gleichzeitig eine Probenverpflichtung zur Einarbeitung in die Rolle oder eine künstlerische Konzeption eingingen. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG sei die Umsatzsteuer nur kurz erörtert worden. Es sei aber nach kürzester Zeit Einvernehmen darüber erzielt worden, daß sie (die Klägerin) diese Kriterien für die Nichtselbständigkeit erfüllt habe. Es sei für sie deshalb völlig überraschend gewesen, daß das FG die Klage unter Berufung auf das ihr unbekannte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. August 1990 V R 115/85 (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1991, 138) abgewiesen habe. Wäre dieses Urteil zur Sprache gekommen, hätte eine umfassende Darstellung zu ihrer nichtselbständigen Tätigkeit erfolgen können. Bei ausreichendem rechtlichen Gehör wäre das FG zumindest gezwungen worden, sich mit ihrer Argumentation genau zu befassen. Möglicherweise wäre es dann doch zu einem für sie günstigen Verfahrensausgang gekommen.

Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuerbescheide für 1984 und 1985 und das Urteil des FG, soweit es diese Bescheide betrifft, aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG ist aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts ohne Rechtsverstoß zu der Erkenntnis gelangt, daß die Klägerin als Solistin selbständige Unternehmerin i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 war.

Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG 1980, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Eine solche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, soweit eine natürliche Person einem Unternehmen derart eingegliedert ist, daß sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980). Diese negative Abgrenzung zur Selbständigkeit entspricht der Begriffsbestimmung des Dienstverhältnisses in § 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV 1990 - (BFH-Urteile vom 14. Oktober 1976 V R 137/73, BFHE 120, 301, BStBl II 1977, 50, und in UR 1991, 138). Nach dieser Bestimmung liegt ein Dienstverhältnis vor, wenn der Beschäftigte dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist.

Maßgebend ist das Gesamtbild der Verhältnisse. Dies bedeutet, daß die für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abgewogen werden. In diese Würdigung sind auch die der Tätigkeit zugrundeliegenden Vertragsverhältnisse einzubeziehen, sofern sie ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden sind.

Für die Nichtselbständigkeit können folgende Merkmale sprechen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661, und in UR 1991, 138):

- persönliche Abhängigkeit

- Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit

- feste Arbeitszeiten

- Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort

- feste Bezüge

- Urlaubsanspruch

- Anspruch auf sonstige Sozialleistungen

- Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall

- Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern

- Eingliederung in den (Theater-)Betrieb

- Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolgs

- Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsgebundenheit die Regel ist.

Für Selbständigkeit sprechen:

- Selbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit

- Unternehmerrisiko

- Unternehmerinitiative

- Bindung nur für bestimmte Tage an den Bühnenbetrieb

- geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern (Bühnen).

Nach diesen Grundsätzen ist das FG verfahren. Das FG hat den maßgeblichen Sachverhalt umfassend ermittelt; es hat den Inhalt der Gastspielverträge und ihre tatsächliche Durchführung festgestellt; nach dem Gesamtbild der Verhältnisse hat es die Selbständigkeit der Klägerin bejaht und dazu die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen und gewichtet.

Die Klägerin führte eine künstlerische Tätigkeit aus, die ihrer Natur nach den Weisungsbefugnissen eines Arbeitgebers Grenzen setzt. Sie konnte den Ort und die Zeit ihrer Tätigkeit weitgehend selbst bestimmen; nur während der Proben und Aufführungen war sie in den Theaterbetrieb eingebunden. Wie das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt hat, entwickelte die Klägerin Unternehmerinitiative. Sie entschied frei, ob sie sich zur Übernahme einer bestimmten Rolle für ein einmaliges Gastspiel oder für mehrere Aufführungen verpflichtete. Das FG hat auch rechtsfehlerfrei ein Unternehmerrisiko der Klägerin bejaht. Von der Qualität ihrer Darbietungen und ihrem daraus abgeleiteten Bekanntheitsgrad hing die Möglichkeit zum Abschluß neuer Verträge und die Höhe ihrer Honorare ab. Die Gastspielverträge enthielten keine für Arbeitsverträge typische Klauseln, wie etwa Vereinbarungen über Arbeitszeit, Kündigungsfristen, Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In einigen Fällen war ausdrücklich vereinbart, daß der Honoraranspruch bei Verhinderung wegen Krankheit oder aus persönlichen Gründen entfällt. Lohnsteuer wurde der Klägerin in den Streitjahren nicht einbehalten. Dem Umstand, daß in einigen Fällen Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden, brauchte das FG keine entscheidende Bedeutung beizumessen, da der Wille der Vertragsparteien, eine Tätigkeit als selbständig oder nichtselbständig zu behandeln, nur in Grenzfällen maßgebend ist (BFH-Urteil vom 24. Juli 1992 VI R 126/88, BFHE 169, 154, BStBl II 1993, 155) und ein derartiger Wille bei gleichzeitiger Nichteinbehaltung von Lohnsteuer und Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nur schwer feststellbar ist.

Die Teilnahme der Klägerin an den Proben wurde vom FG zu Recht nicht als entscheidender Gesichtspunkt gegen ihre Unternehmereigenschaft gewertet. Die Proben dienten der Einbindung der Klägerin in das Ensemble und die künstlerische Konzeption der Aufführung. Sie ließen der Klägerin ebenso wie die eigentlichen Aufführungen genügend Zeit zur eigenen Disposition und gliederten sie nicht wie einen festen Angestellten in den Theaterbetrieb ein. Soweit der BMF in dem von der Klägerin zitierten Schreiben (in BStBl I 1990, 638 unter 1.1.2) einseitig auf die Probenverpflichtung abstellt, steht dies nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil in UR 1991, 138, m. w. N.).

2. Das FG hat der Klägerin nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör versagt.

Nach § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll die Beteiligten aber auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen schützen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 28. Februar 1989 VIII R 303/84, BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711, und vom 19. September 1990 X R 79/88, BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100). Eine umfassende Erörterung ist jedoch nicht erforderlich (BFH in BFHE 157, 51, BStBl II 1989, 711).

Die Frage, ob die Klägerin selbständig oder nichtselbständig tätig war, wurde in der mündlichen Verhandlung am 20. April 1994 erörtert. Die Klägerin hatte Gelegenheit, sich hierzu in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. Hierzu bestand auch Veranlassung, solange das FA sich nicht bereit erklärte, die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide aufzuheben. Die Urteilsbegründung des FG war nicht unvorhersehbar. Daß der Klägerin das BFH-Urteil in UR 1991, 138 nicht bekannt war und ihr Prozeßvertreter in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewann, die Klage werde entsprechend dem Schreiben des BMF in BStBl I 1990, 638 Erfolg haben, begründet die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht.