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  BFH-Urteil vom 26.6.1996 (II R 68/93) BStBl. 1996 II S. 495

1. Einen Verkehrsbetrieb i. S. von § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. (= § 117 Nr. 1 BewG n. F.) begründende Beförderungsleistungen können, sofern der Betreiber nach außen hin als der eigentliche Leistungsanbieter auftritt und intern die Organisationsgewalt behält, grundsätzlich auch dadurch erbracht werden, daß sich der Betreiber hierzu (teilweise) selbständiger anderer Unternehmen bedient, die insoweit in seinem Auftrag tätig werden.

2. Ein Betrieb gewerblicher Art, der für sich gesehen alle Merkmale eines Verkehrsbetriebs i. S. von § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. (= § 117 Nr. 1 BewG n. F.) aufweist, verliert diese Eigenschaft nicht allein dadurch, daß er zusammen mit anderweitiger gewerblicher Betätigung im Rahmen eines städtischen Verbundunternehmens geführt wird.

BewG i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. September 1974 § 117 Abs. 1 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1993, 770)

Sachverhalt

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Betriebsvermögen des von den Stadtwerken A (Stadtwerke) betriebenen Industriestammgleises bei der Ermittlung des Gesamtvermögens gemäß § 117 des Bewertungsgesetzes i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. September 1974 (BewG a. F.) außer Ansatz zu lassen ist.

Die Stadtwerke wurden in den Streitjahren 1981 bis 1985 als kommunaler Eigenbetrieb der Stadt A mit den beiden Betriebsbereichen Strom- und Gasversorgung sowie Industriegleis geführt. Dieser Eigenbetrieb ist 1989 nach den Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes in eine GmbH - die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - umgewandelt worden.

Das seit dem 31. Dezember 1972 von den Stadtwerken betriebene Industriestammgleis "in km 9,538 der eingleisigen Bundesbahnstrecke B-A" führt von den Anschlußstellen der Deutschen Bundesbahn (DB) zu den im Industriepark A ansässigen Betrieben und ermöglicht diesen die Anlieferung und Abholung von Gütern im Eisenbahnverkehr. Während sich die Stadtwerke zu Beginn ihrer Tätigkeit auf die bloße Überlassung des Gleiskörpers beschränkt hatten, traten sie seit 1981 selbst als Anlagenbetreiber auf und rechneten auch sämtliche Beförderungsleistungen unmittelbar mit den Benutzern ab. Durchgeführt wurde der Warentransport mit Fahrzeugen und Personal der im Auftrag der Stadtwerke tätigen DB, die selbst keine Beförderungsaufträge von den Benutzern des Industriegleises entgegennahm und auch nicht mit ihnen abrechnete. Als Entgelt für ihre Leistungen erhielt sie vielmehr eine sog. Rangiergebühr, welche die Stadtwerke aufgrund einer vom Rat der Stadt A beschlossenen Gebührensatzung für jeden beladenen Wagen von den Gleisbenutzern erhoben. Die danach außerdem zu entrichtende Benutzungsgebühr wurde nicht an die DB weitergeleitet, sondern verblieb als Entgelt für eigene Aufwendungen zur "... verkehrssicheren Vorhaltung des Industriestammgleises" ... (§ 3 Abs. 1 der Gebührensatzung) bei den Stadtwerken, an die nach § 7 Abs. 2 der Gebührensatzung alle Zahlungen zu erfolgen hatten.

Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß - abweichend von den Vorjahren - ab 1980 die betriebliche Zusammenfassung der Strom- und Gasversorgung mit dem Industriestammgleis als (ertrag-)steuerlicher Verbund anzuerkennen sei, weil die Stadtwerke von diesem Zeitpunkt an über die reine Nutzungsüberlassung hinaus eigene Umsätze mit den Benutzern des Industriegleises getätigt hätten. Die Voraussetzungen für eine Vermögensteuerbefreiung des auf das Industriestammgleis entfallenden Anteils des Einheitswerts des Betriebsvermögens nach § 117 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BewG a. F. lägen nicht vor; das Industriegleis sei weder ein öffentlicher Verkehrsbetrieb, noch sei der Nachweis erbracht worden, daß es unter Auflage der Betriebspflicht, der Beförderungspflicht (Kontrahierungspflicht) und des Tarifzwangs geführt werde.

Der gegen die entsprechend geänderten Vermögensteuerbescheide für die Jahre 1981 bis 1985 erhobenen Klage, mit der die Klägerin Berücksichtigung der Steuerbefreiung nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F., hilfsweise Besteuerung nach Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 dieser Vorschrift begehrte, gab das Finanzgericht (FG) statt. Es folgte der Auffassung der Klägerin, das Industriegleis der Stadtwerke stelle einen steuerbefreiten Verkehrsbetrieb i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. dar, und setzte die Vermögensteuer entsprechend dem Klageantrag herab. Daß die Stadtwerke den Gütertransport nicht selbst durchgeführt hätten, sei für die vermögensteuerrechtliche Qualifizierung ihres Industriegleises als Verkehrsbetrieb i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. ebenso unerheblich wie dessen organisatorische Zusammenfassung mit der Gas- und Stromversorgung zu einem Verbund.

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt das FA rechtsfehlerhafte Anwendung des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. durch das FG. Zur Begründung verweist es auf die gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder betreffend Vermögensteuer der Wasserversorgungs- und der Verkehrsunternehmen vom 25. März 1980 (BStBl I 1980, 224) - Erlaß - und die darin - in Tz. 4.1.1 i. V. m. Tz. 2.2. - enthaltene umsatzabhängige Auslegung des Verkehrsbetriebsbegriffs.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat im Ergebnis zu Recht die angegriffene Vermögensteuer zu den streitigen Stichtagen in dem beantragten Umfang herabgesetzt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Klage schon deshalb stattzugeben war, weil hinsichtlich einzelner Stichtage die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Änderung der Vermögensteuerbescheide nicht erfüllt waren. Denn die Vorentscheidung geht jedenfalls zutreffend davon aus, daß es sich bei dem im Rahmen eines Verbundunternehmens geführten Industriestammgleis der Stadtwerke A um einen "Verkehrsbetrieb" i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BewG a. F. handelt, dessen Betriebsvermögen in vollem Umfang von der Vermögensteuer befreit ist.

1. Über die Gewährung der Steuerbefreiung gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. ist im Vermögensteuer-Veranlagungsverfahren zu entscheiden. Dies folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes, wonach Betriebsvermögen der genannten Art "bei der Ermittlung des Gesamtvermögens" außer Ansatz bleibt, sowie aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Gesetz (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Oktober 1980 III R 75/79, BFHE 132, 301, BStBl II 1981, 249).

2. Nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 BewG a. F. wird bei der Ermittlung des Gesamtvermögens das Betriebsvermögen von Verkehrsbetrieben einer Gemeinde außer Ansatz gelassen. Daraus ergibt sich, daß die im ausschließlichen Eigentum u. a. einer Gemeinde stehenden Verkehrsbetriebe - Eigenbetriebe und rechtlich selbständige Betriebe - mit ihrem gesamten Betriebsvermögen vermögensteuerfrei bleiben, wenn diese Betriebe nach ihrer geschäftlichen Betätigung tatsächlich als "Verkehrsbetrieb" im Sinne des Befreiungstatbestands anzusehen sind (Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl. 1992, BewG § 117 Anm. 42). Dies hat die Vorinstanz für die von den Stadtwerken betriebene Gleisanlage zu Recht bejaht.

a) Verkehrsbetriebe sind Unternehmen, die gewerbsmäßig Personen oder Güter befördern. Dabei muß es sich - anders als bei § 117 Abs. 1 Nr. 3 BewG a. F. - nicht notwendigerweise um öffentlichen Verkehr handeln. Jedoch müssen die vom Betreiber erbrachten Leistungen selbst als Beförderungsleistungen zu qualifizieren sein. Die bloße Unterstützung oder auch Ermöglichung der von Dritten vorgenommenen Beförderungen (z. B. durch Zurverfügungstellen von Straßen, Schienen oder ähnlichen Verkehrswegen) erfüllt nicht die Wesensmerkmale eines Verkehrsbetriebs i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F., wenngleich dies nicht ausschließt, daß derartige Anlagen als solche dem öffentlichen Verkehr dienen (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1989 I R 187/85, BFHE 159, 52, BStBl II 1990, 242, und vom 19. Februar 1992 II R 138/88, BFH/NV 1993, 154, 155; Glier in Moench/Glier/Knobel/Viskorf, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1995, BewG § 117 Rdnr. 6). Die bloße Unterhaltung und Bereitstellung von Gleisanlagen, auf denen Dritte Bahntransporte durchführen, begründet daher als eine der Beförderung lediglich nützliche Hilfstätigkeit selbst keinen Verkehrsbetrieb (vgl. BFH in BFH/NV 1993, 154, 155). Beförderungsleistungen können allerdings grundsätzlich auch dadurch erbracht werden, daß der Betreiber sich hierzu (teilweise) selbständiger anderer Unternehmen bedient, die insoweit in seinem Auftrag tätig werden. Voraussetzung ist jedoch, daß der Betreiber nach außen als der eigentliche Anbieter der Beförderungsleistungen auftritt und intern die Organisationsgewalt (z. B. über Art, Umfang und/oder Zeitablauf der Transporte) behält (vgl. BFH in BFH/NV 1993, 154, 155). Diese Voraussetzung war nach den unstreitigen und auch nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), in den Streitjahren erfüllt. Danach wurden die Güterverkehrsverträge mit den Gleisbenutzern nach außen von den Stadtwerken abgeschlossen; rechtsgeschäftliche Beziehungen zwischen der DB und den Benutzern bestanden nicht. Diese hatten sämtliche Zahlungen an die Stadtwerke zu entrichten (§ 7 Abs. 2 der Gebührensatzung), die dieses Entgelt gemäß § 6 der Gebührensatzung berechneten und im eigenen Namen von den Benutzern des Stammgleises erhoben. Daß mit einem Teil der Vergütung - nämlich der bei den Stadtwerken verbleibenden "Benutzungsgebühr" - nur die Inanspruchnahme der Gleisanlage, nicht aber die Transportleistung als solche abgegolten wurde, steht der Erbringung einer Beförderungsleistung durch die Stadtwerke als dem eigentlichen Anbieter dieser Leistung nicht entgegen. Denn mit der zusätzlich von ihnen erhobenen sog. "Rangiergebühr" (§ 6 a der Gebührensatzung) wurde den Benutzern außerdem ein - an die DB weitergeleitetes - Entgelt für die Durchführung der Gütertransporte und damit für solche Beförderungsleistungen in Rechnung gestellt, wie sie typischerweise von Verkehrsbetrieben erbracht werden (vgl. BFH in BFH/NV 1993, 154, 155). Daß die Stadtwerke trotz Einschaltung bundesbahneigenen Personals und Fahrzeugparks die interne Organisationsgewalt über die Abwicklung des Güterverkehrs behielten, ergibt sich auch aus der Feststellung des FG, daß die DB insoweit im Auftrag der Stadtwerke entgeltlich tätig geworden ist. Die für das Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnis charakteristische Weisungsbefugnis des Auftraggebers (vgl. §§ 675 i. V. m. 665 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) vermittelte den Stadtwerken die im BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 154 geforderte Möglichkeit der jederzeitigen Einflußnahme auf die Durchführung der in ihrem Interesse erbrachten Gütertransporte.

b) Der vermögensteuerrechtlichen Qualifikation des Industriestammgleises als Verkehrsbetrieb i. S. von § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. steht nicht entgegen, daß dieser mit dem Gas- und Stromversorgungsbetrieb der Stadtwerke in einem Verbund (vgl. § 22 Satz 4 a der Eigenbetriebsverordnung - EBVO - vom 21. November 1938, RGBl I 1938, 1650 = § 9 Satz 4 a der Eigenbetriebsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen - EBVO/NW - vom 1. Juni 1988, GV NW S. 324/SGV NW 641 Ber. GV NW 1988, S. 360) zusammengefaßt war. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß er eine von den anderen Betriebsteilen abgrenzbare organisatorische Zusammenfassung von sachlichen und persönlichen Mitteln bleibt, die der Erbringung von Verkehrsleistungen dient.

aa) Die vom FA vertretene Auffassung, Verkehrsbetrieb i. S. des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. könne, sofern die im Erlaß in BStBl I 1980, 224 festgelegte Umsatzgrenze für Beförderungsleistungen erreicht sei, nur das Verbundunternehmen als Ganzes sein, findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze. Eine Beschränkung der Steuervergünstigung auf isoliert geführte Betriebe enthält diese Bestimmung ebensowenig wie eine organisationsformspezifische Tatbestandsanknüpfung. Denn ein Betrieb, der für sich gesehen alle Merkmale eines "Verkehrsbetriebs" aufweist, verliert diese Eigenschaft nicht allein dadurch, daß sein Inhaber daneben noch anderweitige gewerbliche Tätigkeiten ausübt.

bb) Auch die bewertungsrechtlichen Vorschriften der § 95 Abs. 1 BewG a. F., § 19 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 BewG zwingen nicht zu einer auf das Verbundunternehmen in seiner Gesamtheit abstellenden Betrachtungsweise. Nach § 95 Abs. 1 BewG a. F. gehören zum Betriebsvermögen alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit, die dem Betrieb eines Gewerbes als Hauptzweck dient, soweit die Wirtschaftsgüter dem Betriebsinhaber gehören (gewerblicher Betrieb). Was als wirtschaftliche Einheit "gewerblicher Betrieb" und mithin Gegenstand der Einheitswertfeststellung i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 2 BewG zu gelten hat, richtet sich gemäß § 2 Abs. 1 Sätze 3 und 4 BewG nach den Anschauungen des Verkehrs unter Berücksichtigung der örtlichen Gewohnheit, der tatsächlichen Übung, der Zweckbestimmung und der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter. Ob bei Zugrundelegung dieser Beurteilungskriterien das Betriebsvermögen des Industriestammgleises (Verkehrsbetrieb) infolge seiner Zusammenfassung mit dem Gas- und Stromversorgungsbetrieb nur noch einen Bestandteil des Gesamtbetriebsvermögens der Stadtwerke bildet oder ungeachtet dessen als wirtschaftliche Einheit i. S. des § 2 BewG fortbesteht, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Denn für Zwecke der Vermögensteuerfestsetzung ist in jedem Fall der zum Verbund gehörende Verkehrsbetrieb als insoweit selbständig anzusehen. Daß bei einem Unternehmen einzelne Betriebsteile wie selbständige Gewerbebetriebe behandelt werden, wenn für sie eine besondere Vergünstigung gilt, ist sowohl im Rahmen der Einheitsbewertung als auch bei der Ermittlung des Gesamtvermögens zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1981 III R 99/78, BFHE 133, 432, BStBl II 1981, 640).

cc) Nur dieses Gesetzesverständnis entspricht dem Sinn und Zweck des § 117 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F. (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1972 III R 137/71, BFHE 107, 227, BStBl II 1973, 41). Ziel der gesetzgeberischen Gesamtkonzeption war es, alle Verkehrsbetriebe in jeder Hinsicht vermögensteuerrechtlich gleichzustellen (vgl. hierzu mit weiteren Erläuterungen zur Entstehungsgeschichte BFH-Urteil in BFHE 133, 432, BStBl II 1981, 640). Dieser Zweck wäre indessen nicht gewahrt, wenn die Gewährung der Steuerbefreiung von der Organisationsform abhängig gemacht würde, in der ein Verkehrsbetrieb geführt wird.