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  BFH-Urteil vom 8.2.1996 (III R 126/93) BStBl. 1996 II S. 542

Im Investitionszulagenrecht ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein neues Wirtschaftsgut nach Verbindung mit einem nicht neuen Wirtschaftsgut selbständig bewertbar und daher zulagenbegünstigt ist, für eine Übergangszeit auf die in den neuen Ländern bestehende Verkehrsanschauung abzustellen, wenn diese von der Verkehrsanschauung in den alten Bundesländern abweicht.

InvZulG 1991 § 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern

Sachverhalt

I.

Der in ... (Mecklenburg-Vorpommern) wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Fischereiunternehmen. Er erwarb im Jahre 1991 (Streitjahr) einen gebrauchten Fischkutter der ehemaligen DDR-Fischereiflotte für ca. ... DM und modernisierte ihn anschließend. Zu diesem Zweck erwarb er im selben Jahr verschiedene mechanische und elektronische Geräte, die er in den Kutter einbauen ließ. Der Kläger beantragte für die Anschaffungskosten dieser Gegenstände die Gewährung einer Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz (InvZulG) 1991. Im Revisionsverfahren geht es nur noch darum, ob dem Kläger Investitionszulage für die folgenden Gegenstände zusteht:

Autopilot,

Ruderlagenanzeiger,

Kompaß,

Plotter,

Funknavigator RS 5300,

Satelliten-Navigator RS 4001 und

Echolot.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag u.a. insoweit ab, als er die vorgenannten Wirtschaftsgüter betraf. Das FA war der Ansicht, die Gegenstände hätten durch den Einbau in den Fischkutter ihre selbständige Bewertbarkeit verloren und seien daher nicht mehr mögliches Objekt einer Förderung durch Investitionszulage.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage u.a. insoweit statt, als Investitionszulage für die genannten Gegenstände beantragt wurde. Es sah diese Gegenstände als weiterhin selbständig bewertbar an und führte in den Urteilsgründen hierzu aus, ein Gegenstand bleibe trotz seiner Verbindung mit einem anderen selbständig bewertbar, wenn er in seiner Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar sei. Diese Frage sei nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu beurteilen. Dabei dürften jedoch nicht ausschließlich westliche Maßstäbe zugrunde gelegt werden, da die Fischereiflotte der ehemaligen DDR unter den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft betrieben worden sei. Bei der Entscheidung, welcher Ausrüstungsgegenstand üblicherweise zu erwarten sei, müsse grundsätzlich auf den Standard von Schiffen der ehemaligen DDR abgestellt werden. Zu diesem Standard sowie zu den technischen Einzelheiten hatte das FG einen Sachverständigen beauftragt.

Zu den Wirtschaftsgütern, deren Zulagenbegünstigung das FG bejahte, führte dieses aus:

Der Autopilot habe durch die Installation nicht seine bewertungsrechtliche Eigenheit verloren. Die äußeren Gegebenheiten sprächen für eine klare Abgrenzbarkeit. Die mechanische Verbindung sei unkompliziert. Das Gerät sei folgenlos zu entfernen, leicht gegen ein anderes auszutauschen und könne ohne nennenswerten Aufwand auch einer anderen Ruderanlage vorgeschaltet werden. Es sei auch nicht funktionell derart mit der Ruderanlage oder dem Fischkutter verbunden, daß ihm keine individuelle Bedeutung mehr beigemessen werden könne. Ruderanlage und Autopilot seien unabhängig voneinander nutzbar. Ein Autopilot sei auch nicht als notwendiger und nahezu selbstverständlicher Ausrüstungsgegenstand eines Kutters zu betrachten. Nach der Verkehrsanschauung habe sich die Ausrüstung mit einem Autopiloten nicht in einer solchen Weise durchgesetzt, daß der Kutter ohne einen solchen Regler als unvollständig erscheine und negativ geprägt sei. Vergleichbare Fischkutter seien zu DDR-Zeiten nicht mit Autopiloten ausgerüstet gewesen.

Dem Autopiloten sei der Ruderlagenanzeiger unmittelbar zuzuordnen, der für die Kontrolle beim Einsatz des Autopiloten erforderlich sei. Entsprechendes gelte auch für den elektrischen Steuerkompaß. Dieser habe nicht lediglich einen vorher vorhandenen einfachen Kompaß ersetzt, da er im Bereich der Steuerung über eine elektrische Impulsgebung seine Funktion entfalte.

Der Plotter und Navigator RS 5300 sowie RS 4001 seien ebenfalls selbständige Wirtschaftsgüter. Die Geräte seien allein durch einen Stromanschluß und eine mechanische Befestigung installiert. Sie seien - ebenso wie der Autopilot - zusätzliche und nach der Verkehrsanschauung nicht nahezu als selbstverständlich zu erwartende Ausrüstungsgegenstände. Die Navigatoren hätten nicht lediglich die bisher vorhandene Navigationsausrüstung ersetzt; die zusätzlichen Geräte eröffneten sowohl in ihrer Kombination als auch einzeln zusätzliche Einsatzmöglichkeiten. Sie erleichterten und verfeinerten die Navigation bei der Standortbestimmung und der Kursführung. Der Plotter fördere zusätzlich einen zielgerichteten Fischfang und vermeide uneffektive Fischzüge. Die Navigationsgeräte seien auch ohne den Plotter nutzbar, dieser erleichtere jedoch zusätzlich die Navigation.

Zum Echolot hatte der Sachverständige ausgeführt, daß dieses über ein Kabel mit der außen angebrachten Antenne verbunden sei; es sei auch an Land einsetzbar.

Gegen das Urteil richtet sich die Revision des FA, mit der dieses sinngemäß eine Verletzung des § 2 InvZulG 1991 rügt. Nach seiner Ansicht wurden die umstrittenen Geräte durch den Einbau unselbständige Bestandteile des Fischkutters.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das FG für die Anschaffung eines Autopiloten, eines Ruderstandanzeigers, eines Kompasses, eines Funknavigators, eines Satellitennavigators, eines Plotters und eines Echolotes Investitionszulage gewährt hat, weiter die Zulage auf ... DM festzusetzen und die Klage im übrigen abzuweisen.

Der Kläger hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht die Zulagenbegünstigung derjenigen Ausrüstungsgegenstände, die im Revisionsverfahren noch umstritten sind, bejaht.

1. Nach § 2 Satz 1 InvZulG 1991 wird u.a. die Anschaffung neuer abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bei Vorliegen weiterer, hier nicht streitiger Voraussetzungen durch Investitionszulage gefördert.

Ein neues bewegliches Wirtschaftsgut, das bestimmungsgemäß mit einem anderen Wirtschaftsgut verbunden oder gemeinsam mit diesem genutzt wird, ist nur dann mögliches Objekt einer Förderung durch Investitionszulage, wenn es weiterhin selbständig bewertbar ist, d. h. wenn es nach der Verkehrsanschauung in seiner Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist (Senatsurteil vom 28. September 1990 III R 77/89, BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361). Die Verkehrsanschauung wird dabei durch mehrere Kriterien bestimmt. Neben dem Zweck, den zwei oder mehrere bewegliche Sachen gemeinsam zu erfüllen haben, sind vor allem von Bedeutung: Die Festigkeit einer etwaigen Verbindung (§ 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches), der Zeitraum, auf den eine solche Verbindung oder die gemeinsame Nutzung angelegt ist, sowie das äußere Erscheinungsbild. Ist dieses dadurch bestimmt, daß die Gegenstände für sich allein unvollständig erscheinen oder daß gar ein Gegenstand ohne den/die anderen ein negatives Gepräge hat, ist regelmäßig von einem einheitlichen Wirtschaftsgut auszugehen (Urteil in BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361; siehe aber auch das Senatsurteil vom 28. September 1990 III R 178/86, BFHE 162, 177, BStBl II 1991, 187).

2. Die Feststellung der Verkehrsanschauung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 25; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 30. April 1975 I R 152/73, BFHE 115, 504, BStBl II 1975, 626). Im Streitfall hat das FG festgestellt, daß sich die in den neuen Bundesländern vorherrschende Verkehrsanschauung über die technische Ausstattung von Fischkuttern von der in den alten Ländern bestehenden Anschauung unterschieden hat. Es hat daraus gefolgert, daß bei der Beurteilung eines etwaigen negativen Gepräges im Sinne der unter 1. wiedergegebenen Senatsrechtsprechung nicht "westliche" Maßstäbe angewandt werden dürften.

Begründete Revisionsrügen gegen die Feststellung des FG hat das FA nicht erhoben. Entgegen der Auffassung des FA liegt auch kein Rechtsfehler darin, daß das FG diese besondere Verkehrsanschauung in den neuen Bundesländern als entscheidend angesehen und daher seiner Beurteilung der selbständigen Bewertbarkeit der Wirtschaftsgüter zugrunde gelegt hat. Zwar kann es bei der Anwendung eines bundesweiten Investitionszulagengesetzes grundsätzlich nicht auf regional unterschiedliche, sondern nur auf die bundeseinheitlich geltende Verkehrsanschauung ankommen. Bei dem im Streitfall anzuwendenden InvZulG 1991 geht es jedoch nicht um eine bundesweite Förderung, sondern - abgesehen von der Einbeziehung des früheren Westteils von Berlin - nur um Förderungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern. Angesichts dieser Beschränkung des Fördergebiets erscheint es als vertretbar, auf die in diesem Fördergebiet bestehende regionale Verkehrsanschauung abzustellen. Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil davon ausgegangen werden kann, daß die in der ehemaligen DDR vorherrschende Verkehrsauffassung, die sich auf der Grundlage des dort üblichen technischen Standards herausgebildet hatte, nach der Herstellung der deutschen Einheit nur noch für eine Übergangszeit fortbestand und sich immer mehr der in den alten Bundesländern geltenden Verkehrsanschauung annäherte oder noch annähert. Etwaige unterschiedliche Beurteilungen der selbständigen Bewertbarkeit von Wirtschaftsgütern einerseits im Investitionszulagenrecht aufgrund der regionalen Verkehrsanschauung und andererseits im Ertragsteuerrecht aufgrund von dort geltenden bundeseinheitlichen Maßstäben können daher nur für eine Übergangszeit auftreten. Sie sind im besonderen Förderungszweck des InvZulG 1991 begründet. Diese Übergangszeit war im Streitjahr 1991 noch keinesfalls abgelaufen. Für dieses Jahr ist daher jedenfalls im Investitionszulagenrecht eine regionale, auf die neuen Bundesländer begrenzte Verkehrsanschauung hinzunehmen.

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG die selbständige Bewertbarkeit der einzelnen Ausrüstungsgegenstände zutreffend beurteilt:

a) Autopilot

Nach den Feststellungen des FG war die mechanische Verbindung des Autopiloten mit dem Schiff nicht von dauerhafter Festigkeit. Außerdem wäre nach Ansicht der Vorinstanz der Kutter bei Fehlen eines solchen Gerätes nicht als unvollständig oder gar negativ geprägt anzusehen gewesen, da die im Beitrittsgebiet beheimateten Schiffe der Flotte der ehemaligen DDR im Jahre 1991 üblicherweise noch nicht über einen Autopiloten verfügten. Das FG hat demnach zu Recht den Autopiloten als selbständig bewertbares, durch Investitionszulage begünstigtes Wirtschaftsgut angesehen. Ohne Einfluß auf das gefundene Ergebnis ist, daß das FG - rechtsfehlerhaft - auch die selbständige Nutzbarkeit des Gerätes zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogen hat (vgl. § 6 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes sowie das Senatsurteil vom 3. Juli 1987 III R 147/86, BFHE 150, 490, BStBl II 1987, 787).

b) Ruderlagenanzeiger, Steuerkompaß

Der Ruderlagenanzeiger sowie der elektronische Steuerkompaß sind nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil funktionell dem Autopiloten zuzuordnen; sie sind ebenfalls zulagenbegünstigt.

c) Plotter sowie Navigatoren RS 5300 und RS 4001

Laut FG-Urteil waren der Plotter sowie die Navigatoren RS 5300 und RS 4001 allein durch den Stromanschluß und eine - offensichtlich ohne größere Schwierigkeiten lösbare - mechanische Befestigung mit dem Schiff verbunden. Weiterhin führt das FG aus, die genannten Geräte seien nach der Verkehrsauffassung nicht "nahezu als selbstverständlich erwartete Ausrüstungsgegenstände" anzusehen. Mit dieser Formulierung meint das FG offenkundig, daß ein Fehlen dieser Gegenstände keine negative Prägung bewirken würde. Die Würdigung des FG, derzufolge der Plotter und die beiden Navigatoren auch nach ihrer Verbindung mit dem Kutter selbständig bewertbare Wirtschaftsgüter geblieben sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

d) Echolot

Das FG hat zwar zu dem in der Aufstellung der begünstigten Wirtschaftsgüter erwähnten Echolot keine gesonderten Ausführungen gemacht, es hat jedoch auf die Auskünfte des Sachverständigen im finanzgerichtlichen Verfahren Bezug genommen, aus denen hervorgeht, daß das Gerät (nur) durch ein Kabel mit einer Antenne verbunden war und daß es auch an Land eingesetzt werden konnte; außerdem ersetzte es nach den Ausführungen des Sachverständigen ein älteres Gerät mit erheblich geringerer Funktionsbreite (zur Tatsachenfeststellung durch Bezugnahme vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz. 27 f.). Das Echolot war demnach nicht fest mit dem Schiff verbunden; aus seiner universellen Einsetzbarkeit ist außerdem zu schließen, daß es bei isolierter Betrachtung, also ohne Verbindung mit dem Kutter des Klägers, nicht als negativ geprägt erscheinen würde. Gleiches gilt für den Kutter ohne das Echolot. Das Echolot hat somit ebenfalls seine selbständige Bewertbarkeit beibehalten.