| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 9.5.1996 (V R 118/92) BStBl. 1996 II S. 550

Die Fragen, ob sich die Struktur eines landwirtschaftlichen Betriebes zu der eines gewerblichen Betriebes verändert hat und wann der Beginn einer solchen Entwicklung eingeleitet wurde, können nicht allein aufgrund des bloßen Überschreitens der in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG 1973/80 i.V.m. § 51 Abs. 1 BewG bestimmten Tierbestandsgrenzen während eines bestimmten Zeitraums beantwortet werden. Nachhaltiges Übersteigen i.S. der genannten Vorschriften liegt nur vor, wenn dieser Vorgang nicht nur vorübergehend ist und auf einem Entschluß des Steuerpflichtigen zum Strukturwandel beruht, d. h. mit dessen anhand objektiver Kriterien nachvollziehbarem Willen erfolgt.

UStG 1973/80 § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; BewG § 51 Abs. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betriebene A-Mast in den Streitjahren (1979 bis 1982) infolge Strukturwandels vom Wirtschaftsjahr 1979/1980 an als gewerblich anzusehen ist.

Die Klägerin, eine aus den Eheleuten X und Y Z bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), bewirtschaftete auf einem gepachteten Hof einen landwirtschaftlichen Betrieb. Seit 1970 stellte die Klägerin den Betrieb von Milchviehhaltung auf A- und B-Mast um. Im Wirtschaftsjahr 1981/1982 gab sie die Milchviehhaltung ganz auf. Im Juni 1983 schied die Ehefrau aus der GbR aus. Sie pachtete vom Ehemann einen Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche und betrieb eine gewerbliche A- Mast.

Im Wirtschaftsjahr 1976/1977 errichtete die Klägerin, im Wirtschaftsjahr 1978/1979 der Verpächter für den Betrieb der Klägerin jeweils einen A-Maststall. Die Gesamtinvestitionen beliefen sich auf ca. ... DM. Dadurch wurden die Mastkapazitäten beträchtlich erweitert. Die von der Klägerin bewirtschafteten Flächen mit den höchstzulässigen Vieheinheiten (VE) betrugen:

Wirtschaftsjahr                      ha                     VE

  

1978/1979                          ca. 60                 330

1979/1980                          ca. 60                 330

1980/1981                          ca. 62                 333

1981/1982                          ca. 68                 342

1982/1983                          ca. 68                 342.

Tatsächlich hat die Klägerin Tiere in Höhe von folgenden VE gehalten:

Wirtschaftsjahr                                                VE

  

1978/1979                                                      274

1979/1980                                                      353

1980/1981                                                      352

1981/1982                                                      413

1982/1983                                                      428.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging nach einer Außenprüfung davon aus, daß die A-Mast infolge des Strukturwandels seit dem Wirtschaftsjahr 1979/1980 als gewerblich anzusehen sei, und erließ entsprechende Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Die Einsprüche der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe seit dem Wirtschaftsjahr 1979/1980 keinen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern einen Gewerbebetrieb unterhalten. Die Struktur des von der Klägerin bewirtschafteten Betriebes habe sich infolge der Investitionen in den Wirtschaftsjahren 1976/1977 und 1978/1979 so wesentlich verändert, daß die Voraussetzungen für die Annahme eines landwirtschaftlichen Betriebes nicht mehr vorgelegen hätten. Dieser Strukturwandel sei mit dem Bau der neuen A-Mastställe im Wirtschaftsjahr 1978/1979 abgeschlossen worden. In der Folgezeit habe die Klägerin nachhaltig die für sie geltenden Tierbestandsgrenzen überschritten.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der eine Verletzung des § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973/80) gerügt wird. Sie macht geltend, nach § 51 Abs. 2 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG), auf den § 24 Abs. 2 UStG 1973/80 Bezug nimmt, seien Tierbestände nur dann aus der landwirtschaftlichen Nutzung herauszunehmen, wenn die landwirtschaftlichen Tierhaltungsgrenzen nachhaltig überschritten würden. Durch die erste Baumaßnahme seien die Tierhaltungsgrenzen nur geringfügig überschritten worden. Die erhebliche Überschreitung der Tierhaltungsgrenzen in den Wirtschaftsjahren 1981/1982 und 1982/1983 habe sich nicht durch weitere Aufstockung der Tierbestände, sondern allein durch eine geänderte Berechnungsweise der Finanzverwaltung ergeben. Unter Beibehaltung der bisherigen Berechnungsweise hätte auch die zweite Baumaßnahme nur zu einem sehr geringen Überschreiten der Tierhaltungsgrenzen geführt. Sie, die Klägerin, sei bestrebt gewesen, einen Strukturwandel zu vermeiden. Dies ergebe sich aus den in den Streitjahren erfolgten Flächenerweiterungen. Im übrigen könne ein etwaiger Strukturwandel erst nach einer Beobachtungszeit von drei bis vier Jahren und nicht rückwirkend zur Gewerblichkeit führen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 29. August 1989 ..., die Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 1987 und die Umsatzsteuerbescheide 1979 bis 1982 vom 20. Mai 1987 aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das FG hat die vom Bundesfinanzhof (BFH) zum Strukturwandel entwickelten Grundsätze, auf die es seine Entscheidung stützt, nicht rechtsfehlerfrei angewandt. Das betrifft insbesondere die Frage, ob im Streitfall die Tierbestände der Klägerin die in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG 1973/80 i.V.m. § 51 Abs. 1 BewG bestimmten Grenzen nachhaltig übersteigen. Der Senat kann indessen anhand der vom FG festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) nicht abschließend entscheiden, ob das FA die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide zu Recht erlassen hat. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG 1973/80 gelten als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe, soweit ihre Tierbestände nach den §§ 51 und 51a BewG zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören. § 51 Abs. 1 BewG legt fest, welche Tierbestände - bezogen auf die genutzte landwirtschaftliche Fläche - in vollem Umfang zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören. Die Tierbestände sind nach dem Futterbedarf in VE umzurechnen. Übersteigt die Anzahl der VE nachhaltig die in § 51 Abs. 1 BewG bezeichnete Grenze, so gehören nur die Zweige des Tierbestands zur landwirtschaftlichen Nutzung, deren VE zusammen diese Grenze nicht überschreiten (§ 51 Abs. 2 Satz 1 BewG).

2. Bei Zweifeln, ob und inwieweit ein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt, ist nach den Grundsätzen zu entscheiden, die für die Einkommensteuer und Gewerbesteuer maßgebend sind (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1989 V R 129/84, BFHE 156, 281, BStBl II 1989, 432, m. w. N.). Die Grundsätze sind zwar nicht anwendbar, wenn es darum geht, den landwirtschaftlichen Betrieb einer bestimmten Person oder einer bestimmten Personenmehrheit als Unternehmer zuzuordnen. Sie gelten aber dann, wenn die Frage zu klären ist, ob eine Tätigkeit ihrem Wesen nach landwirtschaftlich oder gewerblich ist (vgl. zuletzt Beschluß des Senats vom 15. Oktober 1993 V B 72/93, BFH/NV 1994, 666, m. w. N.). Dies beruht darauf, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 Abs. 2 UStG 1973/80 denen des § 13 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren gültigen Fassung weitgehend entsprechen.

3. Die Feststellungen des FG tragen die Annahme eines von ihm angenommenen "schlagartigen Strukturwandels" nicht.

Die Strukturänderung eines Betriebes kann sich in zwei Formen vollziehen: In der Regel stellen sich Handlungen, die eine solche Änderung zur Folge haben, als ein Bündel von Einzelmaßnahmen dar, deren erste vor und deren letzte nach der Wandlung des Betriebes liegen können (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Erst in ihrem Zusammenhang lassen die Einzelmaßnahmen erkennen, ob und von welchem Zeitpunkt an sie zu einer neuen selbständigen Erwerbsquelle führen. Im Falle eines solchen allmählichen Strukturwandels läßt sich bei Beginn der Entwicklung noch nicht erkennen, ob sie zu einer nachhaltigen Änderung des Betriebes führen wird. Von diesen Fällen sind jene zu unterscheiden, bei denen der Übergang zum Gewerbebetrieb auf einem Entschluß des Steuerpflichtigen beruht und die getroffenen Einzelmaßnahmen der Durchführung dieses Entschlusses dienen. Hier ergibt sich der notwendige klare Zusammenhang mit der neuen Erwerbsquelle regelmäßig aus Art und Umfang der Maßnahmen (BFH-Urteil vom 4. Februar 1976 I R 113/74, BFHE 118, 205, BStBl II 1976, 423).

In beiden Fallgruppen können die Fragen, ob sich die Struktur eines landwirtschaftlichen Betriebes verändert hat und wann der Beginn einer solchen Entwicklung eingeleitet wurde, nicht allein aufgrund des bloßen Überschreitens der in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG 1973/80 i.V.m. § 51 Abs. 1 BewG bestimmten Tierbestandsgrenzen während eines bestimmten Zeitraums beantwortet werden. Nachhaltiges Übersteigen i.S. der genannten Vorschriften liegt nur vor, wenn sich der bisherige Landwirt entschließt, die die Viehbestandsgrenzen überschreitenden Viehbestände dauerhaft zu halten. Sein Wille muß aufgrund objektiver Anhaltspunkte erkennbar sein.

Das FG hat Tatsachen, aus denen sich ein solcher Wille der Klägerin ergibt, nicht festgestellt. Es hat den Strukturwandel im Ergebnis schon deshalb als gegeben angesehen, weil nach Abschluß der zeitlich auseinanderliegenden Investitionen der Klägerin und ihres Verpächters die Tierbestandsgrenzen über einen Zeitraum von vier Wirtschaftsjahren objektiv überschritten waren. Die eigene Investition der Klägerin hatte jedoch noch nicht zu einem Übersteigen der Tierbestandsgrenzen geführt. Dies trat erst durch die Investition des Verpächters ein. Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.

Bei seiner Entscheidung wird das FG auch zu berücksichtigen haben, daß die Finanzverwaltung innerhalb des streitigen Zeitraums ihre Berechnungsgrundsätze durch Verwaltungserlaß geändert hat, was ohne weiteres Zutun der Klägerin zu einer Erhöhung der Überschreitung um 20 v.H. geführt hat.