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  BFH-Urteil vom 22.11.1995 (I R 6/91) BStBl. 1997 II S. 20

Einem Kind steht der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 5 Satz 1 EStG auch dann zu, wenn es weder unbeschränkt noch beschränkt steuerpflichtig ist, jedoch die Voraussetzungen des § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I 1994, 1395, BStBl I 1994, 440) erfüllt und im übrigen die Übertragung auf die unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern möglich ist.

EStG § 33b Abs. 5, § 50 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist deutscher Staatsangehöriger und lebt zusammen mit seiner Ehefrau und seinem schwerbehinderten Sohn (S) in der niederländischen Grenzstadt K. Er bezieht als Angestellter im öffentlichen Dienst inländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Im Bescheid über die Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 39c Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für den Lohnsteuerabzug 1990 bei erweiterter unbeschränkter Einkommensteuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unter Hinweis auf die fehlende unbeschränkte Steuerpflicht des S die gemäß § 33b Abs. 5 EStG geltend gemachte Übertragung des Behinderten-Pauschbetrages in Höhe von 7.200 DM (vgl. Abschn. 100 Abs. 9 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1990). In der abschlägigen Einspruchsentscheidung ging das FA auf den zugleich mit dem Einspruch gestellten Antrag, den Freibetrag im Billigkeitswege gemäß den §§ 163 und 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zu gewähren, nicht ein.

Der Kläger erhob Klage. Mit ihr vertrat er die Auffassung, nach § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG seien kinderbezogene Entlastungen auch zu berücksichtigen, wenn Kinder zusammen mit ihren Eltern im Ausland wohnten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts.

Mit Rücksicht auf den zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf hat der Kläger erklärt, daß das Rechtsschutzinteresse für seinen ursprünglichen Klageantrag nachträglich entfallen sei. Er beantragt, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) festzustellen, daß der Bescheid des FA vom 26. Januar 1990 und die Einspruchsentscheidung vom 7. April 1990 rechtswidrig sind.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Die Vorentscheidung kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Rechtsschutzinteresse für das Klagebegehren nachträglich entfallen ist. Dasselbe betrifft die Rechtmäßigkeit einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug 1990 gemäß § 39c Abs. 3 EStG. Diese Bescheinigung kann dem Kläger nur solange nützen, als der Lohnsteuerabzug 1990 noch vorgenommen werden kann. Dies ist im Jahr 1995 nicht mehr der Fall. Deshalb hat sich das Klagebegehren in der Hauptsache durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger hat jedoch seinen Klageantrag zuläßigerweise in eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO umgestellt. Über diese Klage kann der Senat auch in der Revisionsinstanz auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG entscheiden.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers ist begründet. Der vom FA am 26. Januar 1990 erteilte Bescheid und die Einspruchsentscheidung vom 7. April 1990 sind rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übertragung des Behinderten-Pauschbetrages nach seinem Sohn S.

a) Nach § 33b Abs. 5 Satz 1 EStG wird der Behinderten-Pauschbetrag auf Antrag auf den Steuerpflichtigen (hier: auf den Kläger) übertragen, wenn er gemäß § 33b Abs. 2 und 3 EStG einem Kind des Steuerpflichtigen (hier: S) zusteht und dieses ihn nicht in Anspruch nimmt. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung galt dies mit Rücksicht auf den Wortlaut der Vorschrift nur dann, wenn der Behinderten- Pauschbetrag dem Kind selbst zustand, d. h. wenn das Kind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1981 VI R 97/81, BFHE 135, 73, BStBl II 1982, 256; vom 9. Dezember 1994 III R 16/89, BFHE 176, 398, BStBl II 1995, 408).

b) Zu beachten ist jedoch, daß § 33b EStG neuerdings auch auf solche (beschränkt steuerpflichtigen) Personen anwendbar ist, die unter § 50 Abs. 4 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994 fallen (BGBl I 1994, 1395, BStBl I 1994, 440). Dies gilt rückwirkend auch für Veranlagungszeiträume vor 1994, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind. Diese Voraussetzung ist im Streitfall insoweit erfüllt, als der gegenüber dem Kläger erlassene Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1990 noch nicht bestandskräftig ist (§ 52 Abs. 30 a Satz 2 EStG). Zwar fällt S nicht unmittelbar unter § 50 Abs. 4 EStG, weil er im Streitjahr 1990 keine inländischen Einkünfte i. S. der §§ 1 Abs. 4, 49 EStG erzielte. Er erfüllte jedoch die in § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Voraussetzungen, weil er in 1990 keine nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte erzielte. In diesem Sinne gehörte er zu dem Personenkreis, der an sich durch die Regelung des § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG begünstigt werden sollte. Die Begünstigung ist unter dem gemeinschaftsrechtlichen Aspekt zu sehen, daß im Ausland ansässige EU-Bürger im Inland nicht nur wegen ihres ausländischen Wohnsitzes steuerlich schlechter gestellt sein sollen. Zwar war der Kläger selbst kein ausländischer EU-Bürger. Als Deutscher hat er jedoch Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen EU-Bürgern, soweit sie sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Gemeinschaftsrechtlich kann es aber für die Besteuerung des Klägers nicht darauf ankommen, ob S inländische Einkünfte erzielte. Der Rechtsgedanke des § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG muß erst recht angewendet werden, wenn S überhaupt keine Einkünfte erzielte. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn S ausländische Einkünfte erzielt hätte, deren Besteuerung im Ausland die Berücksichtigung eines Behinderten-Pauschbetrages als möglich erscheinen läßt. Die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 50 Abs. 4 Satz 1 EStG zieht die Anwendung des § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG nach sich. Die Anwendung des § 50 Abs. 4 Satz 1 EStG hat ihrerseits zur Folge, daß dem S, der unstreitig schwerbehindert war, der Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 2 und 3 EStG zustand. Dem steht nicht entgegen, daß S den Pauschbetrag in Ermangelung eigener inländischer Einkünfte nicht nutzen konnte. Es ist gerade der Sinn des § 33b Abs. 5 EStG, den Pauschbetrag in einem solchen Fall auf die Eltern zu übertragen.

3. Die Vorentscheidung entspricht nicht den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Vorentscheidung war aufzuheben. Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO war die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung festzustellen.