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  BFH-Urteil vom 16.10.1996 (II R 43/96) BStBl. 1997 II S. 73

1. Nach § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 entfällt die Anzeigepflicht u. a. dann, wenn sich aus der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen unzweifelhaft "das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser" ergibt. Damit sind nicht die "persönlichen Verhältnisse" des Erwerbers zum Erblasser (Schenker), insbesondere nicht der Verwandtschaftsgrad, gemeint, sondern die (Rechts-)Verhältnisse zwischen dem Erwerber und dem Erblasser bzw. Schenker, die den Erbschaft- bzw. Schenkungsteuertatbestand ausgelöst haben.

2. Kann das FA der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen unzweifelhaft die namentliche Bezeichnung des Erblassers bzw. Schenkers und des Erwerbers sowie den Rechtsgrund für den Erwerb entnehmen, entfällt gemäß § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte war Verwandte fünften Grades in der Seitenlinie (Tochter einer Cousine/Cousin) der am 23. Juli 1962 verstorbenen Frau M (Erblasserin). Zugunsten der Klägerin hatte die Erblasserin in ihrem Testament sofort auszuführende Sachvermächtnisse ausgesetzt und zusätzlich bestimmt, daß nach dem Ableben der Stiefmutter der Erblasserin vorhandener Grundbesitz der Erblasserin veräußert und der Erlös auf die Klägerin und drei weitere Vermächtnisnehmerinnen zu gleichen Teilen verteilt werden sollte. Die Klägerin wird in dem Testament der Erblasserin als "Nichte" der Erblasserin bezeichnet. Das Testament wurde am 21. August 1962 vom Amtsgericht eröffnet.

Das FA besteuerte den Erbfall - ausgenommen die vom Ableben der Stiefmutter der Erblasserin abhängigen Vermächtnisse - mit Steuerbescheid vom 18. Juni 1965.

Im März 1981 verstarb die Stiefmutter der Erblasserin. Der Testamentsvollstrecker veräußerte daraufhin in den Jahren 1982 und 1983 den landwirtschaftlichen Grundbesitz der Erblasserin zu einem Preis von ... DM und kehrte von diesem Erlös ein Viertel an die Klägerin aus.

Im Jahre 1986 erhielt das damals örtlich zuständige Erbschaftsteuerfinanzamt Kenntnis von diesem Vorgang und setzte durch Bescheid vom 12. Dezember 1988 gegen die Klägerin unter Anwendung der Steuerklasse IV Erbschaftsteuer in Höhe von ... DM fest. Hiergegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt, über den bisher nicht entschieden worden ist.

Zugleich beantragte die Klägerin, die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides auszusetzen, da Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung 1977 (AO 1977) komme nicht in Betracht, da sie gemäß § 30 Abs. 3 Satz 1 des Erbschaftsteuergesetzes 1974 (ErbStG 1974) keine Anzeigepflicht für den Erwerb treffe.

Der Beklagte und Revisionskläger (das später örtlich zuständig gewordene Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides durch Bescheid vom 18. Januar 1989 ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wies die Oberfinanzdirektion durch Entscheidung vom 23. November 1989 als unbegründet zurück. Die streitige Erbschaftsteuer ist am 12. Dezember 1989 durch Umbuchung entrichtet worden.

Mit ihrer Klage hatte die Klägerin Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hielt es für ernsthaft zweifelhaft, ob nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres 1985 gemäß den § 170, § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Dies hänge im Hinblick auf eine mögliche Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 davon ab, ob die Klägerin ihre Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 verletzt habe. Insoweit sei ernstlich zweifelhaft, ob nicht die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 3 EStG 1974 entfallen sei. Danach entfalle die Anzeigepflicht, wenn der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht eröffneten Verfügung von Todes wegen beruhe und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergebe.

Das FG neige zu der Ansicht, daß die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 3 Satz 1 ErbStG 1974 auch dann entfalle, wenn in dem amtlich eröffneten Testament das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erwerber und Erblasser ungenau angegeben werde, das FA aber (auch) nach der unzutreffend angegebenen Verwandtschaftsbezeichnung habe erkennen können, daß dieser Vorgang einen Erbschaftsteueranspruch ausgelöst habe.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA. Dieses rügt fehlerhafte Anwendung des § 361 Abs. 2 AO 1977 und des § 30 ErbStG 1974.

Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 14. Februar 1996 III 656/89 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG ist im Ergebnis zutreffend zu der Erkenntnis gelangt, die Rechtmäßigkeit des mit dem Einspruch angefochtenen Erbschaftsteuerbescheides vom 12. Dezember 1988 sei ernstlich zweifelhaft im Sinne von § 361 Abs. 2 AO 1977.

Der Senat folgt der Rechtsauffassung des FG, daß - auf der Grundlage des bisher bekannten Sachverhaltes - der mit dem angefochtenen Steuerbescheid geltend gemachte Steueranspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen ist (§ 47 AO 1977) und seine Festsetzung deshalb unzulässig war (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Im Streitfall begann die vierjährige (vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 a ErbStG 1974 mit Ablauf des Jahres 1981 und endete mit Ablauf des Jahres 1985. Der mit dem Einspruch angefochtene Steuerbescheid wurde vom FA aber erst 1988 erlassen.

Gründe im Sinne von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, die im Streitfall ausnahmsweise zu einem späteren Beginn der Festsetzungsfrist hätten führen können, liegen nicht vor. Insbesondere hat die Klägerin - wovon das FG zutreffend ausgegangen ist - keine ihr obliegende Anzeigepflicht verletzt.

Zwar ist gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 jeder der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb binnen einer Frist von drei Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Anfall vom Erwerber dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen FA anzuzeigen. Diese Verpflichtung entfällt jedoch nach Absatz 3 dieser Vorschrift u. a., wenn der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht eröffneten Verfügung von Todes wegen beruht und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt.

Entgegen der Auffassung des FA liegen die Voraussetzungen, unter denen die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 entfällt, im Streitfall vor. Dieser Annahme steht es nicht entgegen, daß die sich aus dem Testament ergebende Verwandtschaftsbezeichnung "Nichte" fehlerhaft und einen näheren Verwandtschaftsgrad zum Ausdruck brachte als tatsächlich gegeben war.

Nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften der §§ 30 ff. ErbStG 1974 soll die Anzeige eines Erwerbers das FA lediglich über das Vorliegen eines Erwerbsvorgangs unterrichten und in die Lage versetzen zu prüfen, ob ein erbschaft- bzw. schenkungsteuerbarer Vorgang vorliegt und ob deshalb in ein Besteuerungsverfahren einzutreten ist. Die Anzeigepflicht soll insoweit die möglichst vollständige Erfassung aller Erwerbe sicherstellen. Da es für den Bereich der Erbschaftsteuer - anders als z. B. für den Bereich der Einkommensteuer - keine allgemeine Steuererklärungspflicht für den Erwerber (Ausnahme für Testamentsvollstrecker und Nachlaßpfleger gemäß § 31 Abs. 5, 6 ErbStG 1974) gibt, sondern eine Pflicht zur Abgabe einer solchen nur denjenigen trifft, der hierzu vom FA aufgefordert wird (vgl. § 31 Abs. 1 ErbStG 1974), dient die Anzeigepflicht in erster Linie dazu, dem FA die Prüfung zu erleichtern, ob und wen es im Einzelfall zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung aufzufordern hat.

Die Anzeige nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 soll keinesfalls eine Erbschaftsteuererklärung vorwegnehmen und deshalb das FA auch noch nicht in die Lage versetzen zu prüfen, ob und ggf. in welcher Höhe durch den angezeigten Vorgang Erbschaft- oder Schenkungsteuer unter Berücksichtigung der entsprechenden Freibeträge tatsächlich angefallen ist.

Zur Prüfung der Frage, ob ein steuerbarer Vorgang vorliegt, reicht regelmäßig die namentliche Bezeichnung des Erblassers bzw. Schenkers und des Erwerbers sowie die Mitteilung des Rechtsgrundes für den Erwerb aus. Insofern machte § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 den Wegfall der Anzeigepflicht u. a. davon abhängig, daß sich aus der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen "das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser (Schenker)" ergibt. Damit sind nicht die "persönlichen Verhältnisse" des Erwerbers zum Erblasser (Schenker), insbesondere nicht der Verwandtschaftsgrad gemeint, sondern die (Rechts-)Verhältnisse zwischen dem Erwerber und dem Erblasser bzw. Schenker, die den Erbschaft- bzw. Schenkungsteuertatbestand ausgelöst haben. Denn die Mitteilung der persönlichen Verhältnisse zwischen dem Erwerber und dem Erblasser läßt keinen zwingenden Schluß auf die Steuerbarkeit eines Erwerbsvorgangs zu.

Diese Zielrichtung des Gesetzes ergibt sich insbesondere auch aus seinem Wortlaut. Während nämlich in § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 von den "Verhältnissen des Erwerbers zum Erblasser" die Rede ist, wird in Abs. 4 derselben Vorschrift ausdrücklich von den "persönlichen Verhältnissen des Erwerbers zum Erblasser" gesprochen und erläuternd hinzugefügt, daß damit das Verwandtschaftsverhältnis, eine Schwägerschaft bzw. ein mögliches Dienstverhältnis gemeint seien. Es muß insoweit davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber den verwendeten Begriffen jeweils unterschiedliche Bedeutung zugemessen hat und mit den "Verhältnissen des Erwerbers zum Erblasser" in § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 eben nicht die "persönlichen Verhältnisse", sondern das erbschaft- und schenkungsteuerrechtlich relevante Rechtsverhältnis zwischen diesen beiden gemeint hat.

Dieser Beurteilung steht auch nicht die Regelung in § 30 Abs. 4 ErbStG 1974 über den Inhalt der nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 zu erstattenden Anzeige entgegen, soweit danach auch Angaben (u. a. zu den persönlichen Verhältnissen) gemacht werden sollen, die für die Frage, ob ein steuerbarer Vorgang vorliegt, keine Relevanz haben. Der Gesetzgeber hat nämlich diese Regelung lediglich als "Sollvorschrift" ausgestaltet und damit zum Ausdruck gebracht, daß eine Anzeige nicht unbedingt alle in Abs. 4 des § 30 ErbStG 1974 aufgeführten Angaben enthalten muß. Der Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974 kann somit auch dann Genüge getan sein, wenn die Anzeige nicht alle in Abs. 4 aufgeführten Angaben enthält, das FA aber aufgrund der Mitteilung des Steuerpflichtigen in der Lage ist zu prüfen, ob ein steuerbarer Vorgang vorliegt und ein Besteuerungsverfahren einzuleiten ist. Hierzu reicht regelmäßig die namentliche Bezeichnung des Erblassers bzw. Schenkers und des Erwerbers soweit die Mitteilung des Rechtsgrundes für den Erwerb aus. Nichts anderes kann für § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 gelten. Kann das FA der amtlich eröffneten Verfügung von Todes wegen unzweifelhaft diese Angaben entnehmen, entfällt die Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG 1974.

Im Streitfall hätte das FA - wovon das FG zutreffend ausgegangen ist - aufgrund des Inhalts des Testaments der Erblasserin ohne weiteres die erbschaftsteuerrechtliche Relevanz des Erwerbs der Klägerin erkennen können. Die fehlerhafte Bezeichnung der Klägerin als "Nichte" konnte hierauf keinen Einfluß haben.

Soweit das FA darauf verweist, die Regelungen über die Anzeigepflichten des Erwerbers nach § 30 ErbStG 1974 reichten in den Fällen, in denen wegen des Bestehens einer aufschiebenden Bedingung, Befristung oder Betagung die Steuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 a ErbStG 1974 erst später, d. h. unter Umständen erst Jahre nach der amtlichen Eröffnung entsteht, nicht in jedem Falle aus, mag dies zutreffen. Solange das Gesetz jedoch jeden Erwerber unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 ErbStG 1974 von der Anzeigepflicht entbindet, sind die Steuergerichte und auch die Verwaltung hieran gebunden. Es ist - ohne entsprechende gesetzliche Regelung - unzulässig, den Umfang der Anzeigepflicht des Erwerbers auszuweiten und insbesondere hieraus Folgerungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen zu ziehen. Vielmehr ist es nach der derzeitigen Rechtslage Aufgabe der Finanzverwaltung, durch geeignete Maßnahmen solche Steuerfälle - soweit erforderlich auch über viele Jahre - zu überwachen.